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An Fehmarn hatte Laura viele Erinnerungen. Der warme Sand, der durch ihre Zehen rieselte. Ihr Vater, der mit ihr und Paul eine riesige Sandburg baute. Mamas Schrei, als sie plötzlich einstürzte, der kurze Ausdruck des Schreckens auf Pauls Gesicht und das Lachen, als ihr Vater sie über und über mit Matsch bewarf. Die Schlammschlacht, das Springen ins Wasser, das Tauchen durch die Wellen. Die Abende vor dem Haus. Kerzenschein, die Stimme ihrer Mutter, die leise vorlas. Zusammengekuschelt unter einer flauschigen Decke. Die Eisdiele in Burg, Waffeln voll mit Eis, die man kaum auflecken konnte, bevor es schmolz. Süßes, wunderbares Softeis, das über die Finger lief, warme Zungen auf der Haut. Mamas Lachen. Paps Lachen. Pauls Lachen.

Laura starrte aus dem Fenster und versuchte, das erneute Kratzen in ihrer Kehle zu ignorieren. Da! Vor ihr tauchte groß und majestätisch die Fehmarnsundbrücke auf. »Schaut, wir nähern uns dem Kleiderbügel«, hatte ihr Vater jedes Jahr aufs Neue gesagt, wenn der Koloss in ihr Blickfeld kam. Unwillkürlich musste Laura lächeln. Doch so schnell, wie es gekommen war, verschwand es auch wieder. Sie saß nicht mehr im Auto, und von ihrer Familie war nur sie übriggeblieben. Nein! Stopp! Das stimmte nicht. Paul gab es noch, natürlich, sie musste ihn nur finden!

Eilig schaute Laura wieder aus dem Fenster, suchte einen Punkt, der ihr Halt geben konnte. Auf der Straße stand bereits eine lange Autoschlange. Ferienzeit. Wie gut, dass sie einfach daran vorbeirauschten. Weiter entfernt an der Küste konnte sie Heiligenhafen erkennen. Zum Glück hatte ihre Großmutter sie nicht weiter über die Buchhandlung ausgefragt. Sie würde irgendwann einen Ausflug dorthin machen und sie sich ansehen, damit sie wusste, wovon sie sprach. Später.

Der Leuchtturm von Flügge! Weit weg, er war schwer zu erkennen, doch Laura sah ihn in Gedanken sofort wieder vor sich. Es war der einzige Leuchtturm auf Fehmarn, den man besteigen konnte, und sie waren natürlich mit der ganzen Familie hochgestiefelt. Laura konnte sich noch gut an den Ausblick von dort oben erinnern – bis nach Staberhuk und Großenbrode hatte sie blicken können. Anschließend waren sie zum Gedenkstein für Jimi Hendrix gelaufen, dorthin, wo dieser vor vielen Jahren kurz vor seinem Tod auf dem Love-and-Peace-Festival ein Konzert gegeben hatte. Lauras Eltern hatten ihn oft gehört, und als Paul und sie noch nicht zur Schule gingen, waren sie einmal im September nach Fehmarn gefahren, als das Revival-Festival stattfand. Sie konnte sich nicht wirklich daran erinnern, aber es gab Fotos davon. Auf einem sah man, wie sie auf der Wiese vor der Bühne saßen, Paul war eingeschlafen, lag mit dem Kopf auf Vaters Schoß. Im Hintergrund die Zelte der Festivalbesucher. Und wenn die Sehnsucht nach ihren Eltern zu groß wurde, schaute sie sich auf YouTube die Videos vom Festival 1970 an.

Unauffällig tastete sie nach dem Gürtel unter ihrem Shirt. Sie hatte ihn im Internet entdeckt. Er hatte eine eingenähte Tasche für Geld. Von ihrem Sparbuch hatte Laura tausend Euro abgehoben. Was für eine Summe! Aber damit würde sie auf Fehmarn einige Zeit über die Runden kommen, und keiner würde wissen, wo sie sich aufhielt. Genug Gelegenheit und Geld, um herauszufinden, was mit Paul passiert war. Glaubte sie.

Einen kurzen Moment fragte sie sich, ob Charlotte die Wahrheit nicht doch verkraftet hätte. Aber nein, ihre Großmutter hätte sie auf keinen Fall fahren lassen. Im Gegenteil, wenn sie erfahren hätte, was Laura vermutete – dass auf Fehmarn jemand herumlief, der Kinder entführte – dann hätte sie alles daran gesetzt, Laura sicher zu Hause zu wissen. Wahrscheinlich wäre sie zur Polizei gegangen. Aber was hatten die denn bisher schon herausgefunden? Zwei Jungen waren seit Jahren vermisst. Und der dritte, Tom, war bereits ganze sechs Tagen verschwunden. Die Polizei hatte Paul nicht zurückgebracht und auch Toms Familie würde womöglich vergeblich auf ihn warten.

Selbst Emily, Klara und Jule hatte Laura erzählt, dass sie kurzfristig einen Ferienjob in Heiligenhafen bekommen habe. Die hätten sie sonst mit Fragen bombardiert, jeden Tag wissen wollen, was sie herausgefunden hatte. Was aber, wenn sie versagte? Wenn sie nichts herausbekam? Oder wenn sie etwas erfuhr, was sie selbst lieber gar nicht wissen wollte?

Nein, sie würde die Sache allein durchziehen. Nun ja, nicht ganz allein. Laura schlug ihr Notizbuch auf, nahm den Kuli, der an der Seite steckte, und schlug gedankenverloren mit dem Stift auf das Blatt. Sie würde in Burg in einer Pension ein kleines Zimmer buchen. Als Nächstes wollte sie Wiebke finden. Wiebke war die Freundin ihrer Mutter gewesen, sie hatte auf Fehmarn gelebt. Laura konnte sich dunkel an eine schlanke Frau mit langen, blonden Haaren erinnern. Leider wusste sie weder den Nachnamen, noch wo Wiebke wohnte. Ob sie überhaupt noch auf Fehmarn wohnte. Sie war Lehrerin gewesen, wie ihre Mutter. Und sie konnte Laura vielleicht mehr über den Sommer vor zehn Jahren erzählen.

Laura seufzte. Sie gab zu, der beste Plan war das nicht. Aber alles, was sie hatte. Irgendwo musste sie anfangen. Und jemand, der vor zehn Jahren dabei gewesen war, war besser als nichts. Charlotte war damals in Hamburg geblieben, sie war nie mit auf die Insel gefahren. Andere feste Bekanntschaften hatten sie auf Fehmarn nicht. Also Wiebke. Laura musste sie finden.

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