Читать книгу Düsterstrand - Meike Messal - Страница 16
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Benommen blieb Laura auf dem Flur stehen. Sie verstand überhaupt nichts mehr. Aber eines war ihr aufgefallen: Als sie der Lehrerin Petersen den Vornamen hinzugefügt hatte, den die Freundin ihrer Mutter trug, hatte die Sekretärin nicht das Geringste dazu gesagt. Wiebke Petersen. Sie war es, Mamas Freundin. Doch wie zur Hölle sollte sie die Frau finden? Sie konnte ja schlecht bis nach den Ferien vor der Schule herumlungern. Es war Anfang Juli, die Sommerferien würden noch fünf weitere Wochen dauern. Bis dahin war ihr Geld längst aufgebraucht. Nein, es musste doch eine andere Lösung geben.
Frustriert wollte sie gehen, als die Tür am Ende des Ganges aufgestoßen wurde und eine Frau eilig auf sie zugelaufen kam. Laura hielt den Atem an. Sie erkannte nicht nur die Frau auf dem Foto wieder. Jetzt, als sie sie sah, erinnerte sie sich auch an den geschmeidigen Gang. Bei Wiebke hatte es immer ausgesehen, als würde sie schreiten, fast schweben. Und da fiel es Laura ein: Sie war Sportlehrerin. Keine Frage, es war Wiebke! Als sie näher kam, bemerkte Laura jedoch, dass sie nicht nur älter geworden war. Sie musste jetzt um die sechzig sein, und sie sah schlecht aus. Ihr Gesicht war geschwollen, die Augen gerötet. Die langen, blonden Haare wirkten fettig und ungekämmt und hingen strähnig herunter. In ihrem gehetzten Auftreten war der leichte Gang kaum mehr zu erahnen. Ohne Laura auch nur eines Blickes zu würdigen, eilte sie in das Sekretariat.
»Hallo, Ursula« rief sie der Sekretärin zu. »Lass dich nicht stören. Ich muss nur … ich will …« Ihre Stimme brach.
»Hey, hey.« Laura sah die Sekretärin nach vorne kommen und Wiebke umarmen. »Du bist doch verrückt, jetzt an Arbeit zu denken. Wie geht es dir denn und wie geht es Thorben?«
Wiebke wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als die Sekretärin Laura erblickte, Wiebke losließ und erbost rief: »Sie sind immer noch hier? Scheren Sie sich zum Teufel, habe ich gesagt!«
Sie wollte erneut die Tür vor Lauras Nase zuschlagen, doch Laura hielt ihren Arm dagegen und schob sich nach vorne in das Büro hinein. »Wiebke, ich bin es. Ich wollte zu dir. Ich bin es, Laura!«, stieß sie schnell hervor.
Beim Klang ihrer Stimme drehte Wiebke sich um. Unglauben breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie machte einen Schritt auf Laura zu.
»Du kennst sie wirklich?«, fragte die Sekretärin misstrauisch.
»Ja. Ja, natürlich.« Wiebke griff nach Lauras Hand. Dabei schwankte sie so, dass Laura Angst hatte, sie würde umkippen. »Ich hätte dich nicht erkannt. Du … du bist ja erwachsen, natürlich. Wie lange haben wir uns nicht gesehen?« Ihre Stimme klang fahrig.
»Neun Jahre.« Mit einem Mal fühlte Laura sich fürchterlich zittrig.
»Neun Jahre«, wiederholte Wiebke. »Seit der Beerdigung.« Dann seufzte sie tief. »Und genau jetzt tauchst du hier auf.«
»Ich versteh nicht ganz …« Lauras Blick wanderte hilflos zwischen Wiebke und der Sekretärin hin und her. Beide Frauen starrten sie an.
»Er ist weg.« Wiebke flüsterte. Sie krallte sich in Lauras Arm. »Du musst doch davon gehört haben. Er ist verschwunden.«
»Meinst du … meinst du den Jungen? Tom?« Auch Laura sprach leise, heiser.
»Natürlich Tom.« Die Sekretärin fixierte Laura kalt. »Es geht doch ständig durch die Presse.«
Laura biss sich auf die Lippe. Ja, das wusste sie doch, aber nicht …
Wiebkes Stimme war immer noch leise. Doch sie bohrte sich in Lauras Gehirn: »Tom. Der Junge, der spurlos verschwunden ist. Er ist mein Enkel.«