Читать книгу Altern mit geistiger Behinderung - Meindert Haveman - Страница 31
4.3.1 Aktivitätstheorie
ОглавлениеDie Aktivitätstheorie besagt, dass Menschen sich nicht zurückziehen wollen, wenn sie älter werden. Vielmehr haben Untersuchungen gezeigt, dass sie aktiv sein müssen, um eine hohe Lebenszufriedenheit zu erreichen (Carstensen, 1991; Johnson & Barer, 1992). Die Theorie geht davon aus, dass aktive ältere Erwachsene besser angepasst und zufriedener sind als weniger aktive. Dies entspricht mehr der gesellschaftlichen Betonung von Engagement in Arbeit und produktiven Aktivitäten. Diese Sichtweise des Alterns birgt jedoch auch Probleme. Es wird davon ausgegangen, dass die Menschen die Kontrolle über ihre soziale Situation haben, was angesichts des Rückgangs des sozioökonomischen Status, den Menschen im Ruhestand häufig haben, nicht immer zutrifft. Viele Menschen finden auch keinen akzeptablen Ersatz für die Verluste (finanzielle, berufliche usw.), die sie mit zunehmendem Alter erleiden.
Für Vertreter dieser Theorie stellt Aktivität die Grundvoraussetzung für Lebenszufriedenheit und erfolgreiches Altern dar. Der mit der Entberuflichung verbundene Funktionsverlust soll durch Aktivität in verbleibenden Lebensbereichen ausgeglichen und bewältigt werden (vgl. Backes & Clemens, 1998, S. 115; Gregor, 1995). Prämisse ist, dass Menschen im Alter dieselben psychischen und sozialen Bedürfnisse wie im mittleren Lebensalter aufweisen. Der Verlust an Rollen, Kontakten und Funktionen wird durch zusätzliche Kontakte und Beschäftigungen kompensiert. Jeder unfreiwillige Rückzug aus sozialen Rollen und Aufgaben wird aus Sicht der alten Menschen mit gesellschaftlichen Zwängen begründet. Ausgrenzungsprozesse begünstigen physische und psychische Abbauprozesse und eine weitere Reduzierung des sozialen Netzwerkes (vgl. Backes & Clemens, 1998, S. 116).
Die Resultate der Generali Altersstudie 2013 unterstützen teilweise die Annahmen der Aktivitätstheorie: 45 % der 65- bis 85-Jährigen engagieren sich bürgerschaftlich in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (z. B. in Kirche, Freizeit und Geselligkeit, Sport und Bewegung, Kultur und Musik, sozialer Bereich) und können sich sogar vorstellen, dieses Engagement noch weiter zu steigern. Sie unterstreichen damit die Auffassung, dass Ältere noch eine Mitverantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen und Lebensbedingungen tragen möchten (vgl. Köcher & Bruttel, 2012, S. 341). Die Autoren fanden heraus, dass das jeweilige Engagement eng mit der gesundheitlichen Situation der Person zusammenhängt: Je gesünder die älteren Menschen sind, desto aktiver ist ihr Engagement (vgl. Köcher & Brüttel, 2012, S. 350). »Die Bedeutung der eigenen gesundheitlichen Konstitution als Schlüsselfaktor für ein aktives Leben und die gesellschaftliche Teilhabe« (ebd., S. 350) spielt also eine entscheidende Rolle.
Die Aktivitätstheorie, die Aktivität als relevanten Garant für zufriedenes und erfolgreiches Altern einschätzt, ist für Menschen mit geistiger Behinderung jedoch eher kritisch zu betrachten. Ältere Menschen mit geistiger Behinderung stellen noch weniger eine homogene Gruppe dar als Gleichaltrige in der Gesamtgesellschaft. Durch erlernte Hilflosigkeit, kognitive, psychische und emotionale Probleme hat nicht jeder in dieser Zielgruppe die Möglichkeit und den Willen, durch Aktivitäten den Alterungsprozess zu verlangsamen. Bedingt durch ihre Lebens- und Wohnsituation und Beeinträchtigungen sind sie oftmals nicht in der Lage, die Phase des Alters aktiv und ohne ein erhebliches Maß an fremder Hilfe zu gestalten. Auch mit der Unterstützung anderer Personen ist die von dieser Theorie geforderte Aktivität nicht immer erreichbar.