Читать книгу Skalp - Michael Giezek - Страница 11

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Freitag, 16.10.2015; 11:55 Uhr

Es war eine Mordkommission eingerichtet worden, da allgemein davon ausgegangen wurde, dass diese Person, der der Skalp abgezogen worden war, nicht mehr lebte. Windmann hatte gleich sechs Kollegen zur Unterstützung erhalten. Allerdings war die Spurenlage mehr als dürftig.

Sie hatten zwei Tage damit verbracht, auf dem Gelände der Uni Befragungen der Studenten und Dozenten durchzuführen. Das Ergebnis war gleich Null. Zwei Kollegen kümmerten sich um den Abgleich von Vermisstenmeldungen, zunächst beschränkt auf das laufende Jahr und den Großraum Bielefeld. Man glaubte, dass der Täter nicht eigens in diese Stadt gefahren wäre, um den Skalp zu deponieren, wenn die Tat woanders stattgefunden hätte. Zudem war sich die Polizei relativ sicher, dass der Täter sein Opfer nicht zuvor lange festgehalten hatte.

Es wurde davon ausgegangen, dass der Täter sein Opfer entführt und dann den Skalp abgezogen hatte. Die Beschränkung dieser Recherche sollte die Anzahl der Treffer in Grenzen halten. Es waren acht Personen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren. Allerdings war das weitere Vorgehen nicht ganz leicht, man konnte schlecht zu den Angehörigen gehen und fragen:

“Entschuldigen sie, aber sind das die Haare von ihrem Mann, Vater oder Bekannten?“

Die Kollegen versuchten zunächst, anhand von Fotos mehr herauszufinden. In einem weiteren Schritt sollte dann ein DNA-Abgleich erfolgen. Drei Personen konnten bereits ausgeschlossen werden, da sie entweder eine Glatze hatten, oder die Haarfarbe absolut nicht passte. Bei den anderen dreien versuchten die Kollegen noch Bilder aufzutreiben, da in den Vermisstenakten keine vorhanden waren.

Windmanns Hoffnung auf einen Treffer tendierte gegen Null. Sollte es mit den Vermisstenfällen aus Bielefeld nicht gelingen, wollten sie den Suchradius auf ganz OWL ausweiten.

15:45 Uhr

Kurz vor Feierabend erhielt Chiara die Nachricht vom MEK, dass der Sender an Welles Pkw, einem zwei Jahre alten SUV, angebracht worden war. Die Spezialisten hatten das Auto vor dessen Firma ohne gesehen zu werden, präparieren können. Ab jetzt würde ein ganzes Team die Bewegungen des Pkw rund um die Uhr überwachen. Sollte Welle zu einem Objekt fahren, das bis jetzt noch nicht bekannt war und wo die Möglichkeit bestünde, das Mädchen zu finden, würde Chiara sofort verständigt werden.

Weber hoffte, dass den Kindern und Jugendlichen nichts zugestoßen war. Er hatte die Befürchtung, dass einige von Renners Kunden Panik bekommen hatten, als Renner verhaftet wurde und die Kinder und Jugendlichen weggeschafft haben könnten. In welcher Weise auch immer.

„Tschüss bis morgen“, schreckte ihn Chiara aus seinen Gedanken hoch und verließ das Büro in Richtung Feierabend.

Weber las noch ein paar dienstliche Mails und fuhr nach Hause.

Als er eine Stunde später dort ankam, wurde er von seinem Sohn Leon begrüßt, der ihm in die Arme lief, sobald er aus dem Auto gestiegen war. Der Kleine hatte sich in den vergangenen Wochen sehr gut entwickelt. Mittlerweile konnte er sehr sicher laufen und es machte ihm von Tag zu Tag mehr Spaß durch die Gegend zu rennen. Weber und seine Frau Yuna mussten aufpassen, dass Leon nicht vom Grundstück lief. Weber nahm seinen Sohn auf den Arm und Leon drückte sich an seine Schulter. Dann lehnte der Knirps sich zurück und zeigte mit dem linken Arm in Richtung Garten.

„Auto“, sagte er und Weber wusste, dass er sein Bobby-Car meinte. Beide gingen zu dem kleinen Wagen, Leon setze sich auf das Bobby-Car und raste davon. Schon lange bevor er laufen konnte, war er mit dem Teil durch die Wohnung und über das Grundstück gefahren. Mittlerweile war er so schnell, dass sogar die anderen Kinder in der KiTa ihm kaum folgen konnten. Weber stellte seinen Rucksack ab und lief hinter Leon her, der zielstrebig auf die Grundstücksausfahrt zuhielt. Dabei drehte er sich um und lachte seinen Vater an. Der konnte ihn rechtzeitig vor der Straße abfangen.

Nachdem sie noch etwas draußen gespielt hatten, gingen sie ins Haus. Webers Frau Yuna hatte bereits den Tisch für das Abendessen gedeckt und die anderen beiden Jungs saßen schon am Tisch. Während des Essens berichteten die Kinder von ihrem Tag in der Schule, Leon mogelte sich auf Yunas Schoß, um von ihr gefüttert zu werden. Eigentlich konnte er schon sehr gut alleine essen, aber anscheinend bezog sich diese Fähigkeit nur auf die KiTa.

Danach verzogen sich die beiden Größeren auf ihre Zimmer und Weber machte Leon fürs Bett fertig. Da Yuna zum Nachtdienst musste, brachte er seinen Jüngsten ins Bett. Nachdem Leon eingeschlafen war, stand Weber wieder auf und kümmerte sich um die beiden anderen Jungs, dann genoss er die Ruhe vor dem Fernseher und ging irgendwann ebenfalls schlafen.

16 Uhr

Die Feierabendbesprechung brachte keine neuen Ergebnisse. Den Kollegen war es gelungen, von den restlichen drei Vermissten Fotos zu besorgen. Wie Windmann befürchtet hatte, konnten daraufhin zwei weitere Personen ausgeschlossen werden. Einer hatte ebenfalls eine Glatze und der andere war wieder aufgetaucht, ohne dass die Vermisstenanzeige zurückgenommen worden war.

Bei dem dritten sah die Sache etwas anders aus. Die Haarfarbe passte und auch die Frisur schien ähnlich zu sein, soweit man das überhaupt sagen konnte. Es handelte sich um einen 42-jährigen Mann, der seit fünf Tagen abgängig war. Seine Frau hatte die Anzeige erstattet, nachdem er drei Tage nicht von einer Geschäftsreise aus Berlin zurückgekehrt war. Hugo Mensch sollte eigentlich am Sonntag aus der Hauptstadt zurückkommen. Er war Inhaber einer Maschinenbaufirma in Bielefeld, seine Frau hatte abgewartet, weil sie, wie sie selbst erklärte, wusste, dass erst ein paar Tage vergehen mussten, bevor die Polizei bei einem vermissten Erwachsenen überhaupt tätig wurde. Einer der Sachbearbeiter aus der A1 hatte Kontakt mit den Kollegen in Berlin aufgenommen, die das Hotel überprüften, in dem Mensch gewohnt hatte. Dort wurde bestätigt, dass Mensch am Sonntagmorgen ausgecheckt hatte.

Aufgrund der Kreditkartenabrechnung konnte 10:26 Uhr als Abreisezeit notiert werden, und ja, gaben die Angestellten an, Herr Mensch sei ohne Begleitung an- und abgereist. Unterwegs gewesen war er mit seinem schwarzen SUV, von dem Wagen fehlte jede Spur, eine Handyortung hatte nichts ergeben. Entweder, das Mobiltelefon war ausgeschaltet worden, oder der Akku war leer. Zuletzt an war es offenbar hinter Magdeburg gewesen.

Für den Vergleich der DNA mit dem Skalp gab Frau Mensch den Beamten eine Zahnbürste und einen Kamm ihres Mannes mit. Die Gegenstände sollten am nächsten Morgen von den Kollegen direkt zum LKA gebracht werden.

Windmann hoffte, dass die Ergebnisse bis Mitte der folgenden Woche vorliegen würden. Ihm fiel auf, dass er derzeit ganz auf Ergebnisse von DNA-Untersuchungen angewiesen war. Er hatte seinen Kollegen in der A1, der den Vermisstenfall Mensch bearbeitete, darum gebeten, mit den Kollegen in Magdeburg Kontakt aufzunehmen, um dort weitere Ermittlungen zum Verschwinden von Mensch abzusprechen. Sollte dieser tatsächlich in der Nähe von Magdeburg verschwunden sein, war die Frage, warum der Täter sein Opfer dort entführt und nicht dessen Rückkehr nach Bielefeld abgewartet hatte. Windmann war deshalb mehr als skeptisch, dass sie das Opfer tatsächlich schon identifiziert hatten.

Nach der Besprechung schickte er seine Mitstreiter ins Wochenende. Er selbst blieb für die Magdeburger Kollegen erreichbar. Falls es neue wichtige Infos gab, sollten sie sich bei ihm melden. Windmann, seit drei Jahren geschieden, hatte sich für das folgende Wochenende eh nichts vorgenommen. Im Gegenteil, er wäre froh, wenn er angerufen würde.

Der Ermittler blieb noch eine Stunde im Büro, um die Akte für die Staatsanwaltschaft auf den aktuellsten Stand zu bringen. Doch dann fiel auch ihm nichts mehr ein, was er noch Sinnvolles machen könnte, und so fuhr er nach Hause.

Sonntag, 18.10.2015; 11:55 Uhr

Die Hoffnung am Wochenende arbeiten zu dürfen, wurde am Sonntag endlich erfüllt.

Am Samstagabend hatte er zwar einen Anruf von den Kollegen aus Magdeburg erhalten. Allerdings gab es keine Neuigkeiten, die eine Fahrt in Windmanns Büro gerechtfertigt hätten. Die letzten bekannten Koordinaten, an denen sich das Handy eingeloggt hatte, waren abgesucht worden. Sie lagen im Norden der Stadt und umfassten unter anderem den Bereich der dort verlaufenden A2 und der Barleber Seen. Für die Suche war eine Einsatzhundertschaft der Magdeburger Polizei eingesetzt worden.

Hinweise fanden sich nicht. Auf die Suche mit Tauchern im Wasser wurde verzichtet. Windmann stimmte zu, diese Aktion erst durchzuführen, wenn es konkretere Hinweise gab. Damit war die Sache erstmal erledigt. Windmann überlegte, ob eine Öffentlichkeitsfahndung erfolgversprechend sei, kam aber noch zu keinem endgültigen Ergebnis. Das wollte er gleich am Montag mit seinem Team diskutieren. Der Anruf, der sein Wochenende rettete, kam von der Kriminalwache.

Kurz zuvor, um 10:35 Uhr

„Johannes, lauf nicht immer so weit vor“ rief Katrin Tahlin ihrem 6-jährigen Sohn zu, der 10 Meter vor ihr den Weg entlang hastete.

Die Mutter konnte ihm mit dem Kinderwagen, in dem ihre vier Monate alte Tochter lag, kaum folgen. Sie fluchte lautlos auf ihren Mann, der eigentlich versprochen hatte, mit ihr und den Kindern in den Tierpark Olderdissen zu fahren. Aber am Abend zuvor hatte er mit seinen Kumpels so lange und viel gesoffen, dass er heute mit einem dicken Kater nicht aus dem Bett gekommen war. Da Katrin ihrem Sohn diesen Ausflug aber versprochen hatte, und der sich auch schon seit Tagen darauf freute alle Tiere wieder zu sehen, war sie ohne ihren Mann gefahren. Nun hatte sie das Problem, dass Johannes seinem Bewegungsdrang freien Lauf ließ. Vom Parkplatz bis zum Gehege der Esel war Johannes noch brav neben dem Kinderwagen gelaufen.

Als er jedoch nach zwei Minuten genug von den „langweiligen Eseln“ hatte, war er losgelaufen, um sich seine Lieblingstiere, die Bären, anzusehen. Den Weg kannte er genau. Katrin hielt kurz an, schaute, ob die Kleine schlief und schreckte wieder hoch, als sie ihren Sohn hörte:

„Mama, guck mal was ich gefunden habe.“

Zuerst erkannte sie nicht, was ihr Sohn in der Hand hielt, die er ihr entgegenstreckte. Sie sah nur ein wirres Bündel Haare und dachte, dass Johannes eine Perücke gefunden hätte. Erst als er näherkam, bemerkte sie die rote Flüssigkeit, die an seiner Hand und seinem Arm herunterlief.

Einen weiteren Moment später erkannte sie, dass es sich dabei um Blut handelte.

12:20 Uhr

Windmann stand auf dem Spielplatz des Tierparks und schaute auf das Haarbüschel, das vor ihm auf dem Boden lag. Der Skalp war dort liegengelassen worden, wo ihn der Junge nach Aufforderung seiner Mutter hatte fallen lassen. Katrin Tahlin, kreideweiß im Gesicht, berichtete den Beamten, dass sie im ersten Moment dachte, sie würde ohnmächtig werden, als sie realisierte, was ihr Sohn da in der Hand umklammert hielt. Sie hatte sich dann aber schnell gefangen und Johannes in ruhigem Ton Anweisungen gegeben. Anscheinend hatte der Sechsjährige an der Stimme seiner Mutter bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie hatte ihren Sohn auf eine Bank gesetzt und einen Mann angesprochen, der ihr am nächsten stand. Ihm zeigte sie, was Johannes gebracht hatte und der Fremde begriff sofort, dass er da keine Perücke vor sich hatte. Er rief übers Handy die 110.

Dann hatte er Katrin gebeten, sich auf die Suche nach einem Mitarbeiter des Parks zu machen. Sie wollte indes nicht nur einen solchen finden, sondern auch schnell zur Toilette kommen, um ihrem Sohn Arme und Hände zu waschen. Neben den WC-Anlagen befand sich eine Scheune, in der die Mitarbeiter des Parks einen Teil ihrer Fahrzeuge und Arbeitsgeräte aufbewahrten. Dort fand sie einen jungen Mann, der gerade eine Zigarette rauchte. Hektisch schilderte sie ihm, was vorgefallen war. Er verständigte über Funk sofort einen weiteren Mitarbeiter und beorderte ihn zum Spielplatz.

Erst dann ging Katrin mit dem Kleinen zum Waschbecken. Dabei hatte sie festgestellt, dass auch die Kleidung ihres Sohnes mit Blut beschmiert war. Doch das ließ sich nicht ändern. Dann war sie mit den Kindern zum Spielplatz zurückgegangen. Dort waren mittlerweile drei Mitarbeiter damit beschäftigt, diesen zu räumen. Windmann spürte plötzlich, dass jemand neben ihm stand.

Es war Roman Schäfer, einer seiner Mitarbeiter in der MK.

„Haarige Sache, was, “ sagte er mit einem dicken Grinsen im Gesicht.

„Wie oft ich den Spruch wohl noch im Laufe der Ermittlungen hören werde“, dachte Windmann wenig amüsiert.

„Was neues?“, fragte er, ohne auf die Bemerkung einzugehen.

„Ich habe zusammen mit Lisa nochmal die Mutter und den Jungen befragt, der die Haare gefunden hat. Die Mutter konnte nicht mehr angeben, als sie bereits gesagt hat. Der Junge bleibt dabei, dass er die Haare vor der Höhle gefunden hat, in der die Fledermäuse sitzen.“ Bei dem Wort Fledermäuse, malte Schäfer Anführungszeichen mit den Fingern in die Luft.

Bei der Fledermaushöhle handelte es sich um einen kleinen Einlass, der in die Steinwand gegenüber dem Spielplatz geschlagen worden war. In die Höhle hatte man Fledermausattrappen hineingesetzt und den Zugang mit einem Eisentor gesichert. Von außen gab es einen Schalter, betätigte man diesen, waren die Geräusche von Fledermäusen zu hören.

„Der Junge sagt, dass die Haare auf dem Eisentor gelegen haben. Er hat sie runtergenommen, um sie seiner Mutter zu zeigen. Und dabei nicht mitbekommen, dass etwas Rotes an seinem Arm herunterlief.“

Windmann nickte.

„Also nichts wirklich Brauchbares von dieser Seite, “ bemerkte er.

„Nein, leider nicht. Die anderen sind noch dabei Leute aufzutreiben und zu vernehmen, die zu dem Zeitpunkt auf dem Spielplatz, oder in der Nähe waren. Bis jetzt will aber keiner was gesehen haben.“

„Wir sind hier fertig“, sagte in diesem Moment Jörn Zimmermann, der am heutigen Tag Bereitschaft für die Spurensicherung hatte.

„Viel gab es hier eh nicht festzuhalten. An dem Tor und dem Knopf dürften sich tausende unterschiedliche Fingerabdrücke befinden.

Da kommt nichts bei raus. Wir haben Proben von dem Blut an dem Tor und von dem Skalp genommen. Was machen wir mit den Haaren?“, fragte Zimmermann an Windmann gewandt.

„Das gleiche wie im ersten Fall. Wir tüten sie vorsichtig ein, und bringen sie in die Pathologie im städtischen Krankenhaus. Dort können sie dann von der Gerichtsmedizin untersucht werden.

Ich rufe dort gleich an und frage, wann sie hier sein können.“

Zimmermann deutete ein okay an. Dann nahm er eine große Papiertüte aus einer Box und legte die Haare hinein. Die Papiertüte steckte er in eine Plastiktüte, um ein Durchsickern des Blutes zu verhindern. Zimmermann und sein Kollege nickten Windmann zu, der bereits sein Handy am Ohr hatte, und machten sich auf den Weg zum Krankenhaus.

Von der Gerichtsmedizin in Münster erfuhr Windmann, dass der zuständige Pathologe am nächsten Morgen um 9 Uhr in Bielefeld sein wollte, um sich den Skalp anzusehen. Er rief Zimmermann auf dessen Bereitschaftshandy an und teilte ihm den Termin für die „Autopsie“ mit, damit dieser ihn ans Krankenhaus weitergeben konnte. Anschließend wandte er sich wieder an Schäfer, der noch immer neben ihm stand.

„Ich fahre ins Büro und erledige den Papierkram. Ihr kümmert euch weiter um die Vernehmung möglicher Zeugen. Danach treffen wir uns im Präsidium.“

16 Uhr

Windmann hatte seine schriftlichen Berichtspflichten gegenüber dem LKA erledigt und seinen kommissarischen Leiter telefonisch über die neuesten Entwicklungen informiert. Nun saß er mit seinen Kollegen zusammen. Ein Mitarbeiter der Pressestelle war alarmiert worden und nahm an der Besprechung teil. Aufgrund der großen Öffentlichkeitswirksamkeit des Fundes waren bereits zahlreiche Anfragen von Medienvertretern eingegangen. Nach der Besprechung sollte zunächst eine kurze schriftliche Presserklärung aufgesetzt werden, bevor am nächsten Tag eine Pressekonferenz stattfinden würde. Es wurde vereinbart, in dem Rahmen einen Aufruf zu veröffentlichen, dass sich Personen melden sollten, die im Tierpark etwas Verdächtiges beobachtet hatten. Weil es schön und sonnig war, ging die Polizei von vielen Besuchern aus und rechnete mit entsprechend hohen Zahlen an Anrufern. Dass immer auch ein paar Spinner sich melden würden, das war allen klar.

Die direkte Vernehmung von Besuchern vor Ort hatte nichts Neues ergeben. Niemandem war aufgefallen, dass jemand etwas an das Tor der Fledermaushöhle gehangen hatte. Überwachungskameras gab es in dem Park keine. Wie bereits befürchtet, konnte auch die Spurensicherung nichts Erhellendes beitragen.

„Also haben wir wie im ersten Fall, abgesehen von einem neuen Skalp, nichts“, fasste Windmann resigniert zusammen.

„Gehen wir von einem Serientäter und weiteren Opfern aus?“ fragte ein Kollege aus der Runde.

Windmann schwieg.

Begriffe wie „Serientäter“, oder „Serienmörder“, gehörten zu den Worten, die niemand im Zusammenhang mit einer Mordermittlung gerne hörte.

„Sagen wir mal so“, wandte sich Windmann an den Kollegen.

„Wenn man bei zwei Taten von einem Serientäter sprechen kann, dann ja. Alles Weitere ist Spekulation.“

Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:

„Allerdings habe ich ein sehr schlechtes Gefühl bei der ganzen Angelegenheit. Ich befürchte, dass unser Täter noch nicht fertig ist.“

Montag, 19.10.2015; 8 Uhr

Windmann räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der anderen Anwesenden auf sich zu lenken. Außer den Mitgliedern seiner MK waren noch Schwarzbach, Alexander Meindl als Leiter der Kriminalpolizei und die Spurensicherer vom Vortag anwesend.

Die bisherigen Ergebnisse erschienen niederschmetternd. Wie beim ersten Tatort gab es auch hier nicht viele Spuren. Die Untersuchung des Skalps stand noch aus. Die Kollegen, die gestern die Besucher des Tierparks befragt hatten, konnten auch keine konkreten Ergebnisse präsentieren.

Die nähere Umgebung des Fundortes war gestern noch abgesucht worden, jede Mülltonne, jeder Strauch, aber es wurde nichts gefunden, wo man hätte ansetzen können. In den online-Ausgaben der Zeitungen und im Lokalradio war der Aufruf veröffentlicht worden. Es wurde auch darum gebeten, dass sich Besucher meldeten, die in der Nähe der Fledermaushöhle Fotos oder Videos gemacht hatten. Nach der Besprechung mit der MK gab es eine weitere Besprechung zwischen Windmann, Schwarzbach und Meindl.

Meindl machte den anderen Beiden sehr deutlich klar, dass so schnell wie möglich Fortschritte zu erkennen sein müssten.

9 Uhr

Nach einem relativ entspannten Wochenende saß Weber gut gelaunt in seinem Büro. Yuna hatte das komplette Wochenende Nachtdienst gehabt, so dass er mit der Betreuung der Kinder beschäftigt gewesen war. Da das Wetter mitgespielt hatte, waren sie viel draußen gewesen, hatten den Garten aufgeräumt, die Hecke geschnitten und waren am Sonntag nach einem Spaziergang durch den Wald auch noch Eis essen gewesen. Leon war am Abend so müde, dass er einschlief, ohne dass Weber sich zu ihm legen musste. Danach konnte er sich in aller Ruhe ein Footballspiel seiner Lieblingsmannschaft, den Green Bay Packers, anschauen. Es war ein spannendes Spiel gewesen, das die Packers am Ende aufgrund einer überragenden Leistung ihres Quaterbacks mit 35:32 gewannen. Und das trug auch zu Webers guter Stimmung am Montagmorgen bei.

Chiara saß ihm gegenüber und berichtete von ihrem Wochenende, das wohl nicht so harmonisch verlaufen war, da sie sich am Samstagabend mit ihrem Freund ziemlich heftig gestritten hatte.

Nachdem der private Teil erledigt war, gingen sie zum dienstlichen über. Chiara unterrichtete Weber über die neuesten Erkenntnisse in Sachen Welle.

„Ich habe vom MEK die Auswertung der Daten des Senders von Welles SUV bekommen. Demnach ist er am Wochenende viel unterwegs gewesen, am Freitagnachmittag ging die Tour von Bielefeld nach Cuxhaven. Zurückgekommen ist er erst am Sonntagnachmittag.“

„Haben wir irgendwelche Hinweise, was er in Cuxhaven gemacht hat?“ fragte Weber.

„Er hat dort in der Nähe eines Tagungshotels geparkt.

Ich werde dort gleich mal anrufen und nachfragen ob am Wochenende dort ein Meeting war und wenn ja, von wem.“

Weber nickte.

Die nächsten Minuten verbrachte Chiara mit telefonieren, während Weber seine Mails checkte. Er schaute überrascht auf, als Chiara wütend den Hörer aufknallte.

“So eine dumme Kuh“, sagte sie aufgebracht.

Weber schaute sie belustigt und fragend zugleich an.

„Die Schnepfe vom Hotel wollte mir keine Auskunft geben, ob Welle bei der Tagung war oder nicht. Sie hat mir lediglich gesagt, dass es am Samstag von 10 bis 18 Uhr ein Treffen gab.

Aber sie wollte mir noch nicht einmal verraten, wer die Tagung veranstaltet hat. Scheiß Datenschutz,“ schnaubte sie verächtlich.

„Ich rufe jetzt direkt bei der Staatsanwaltschaft an, und die sollen einen Durchsuchungsbeschluss für das Hotel beantragen. Dann schicke ich die Kollegen vor Ort mit allen Streifenwagen dorthin, die sie haben. Wollen doch mal sehen, ob wir die Infos nicht doch bekommen.“

Schon hatte Chiara wieder zum Hörer gegriffen und die Nummer der Staatsanwaltschaft gewählt. Weber hielt sie nicht auf. Er hatte selber schon oft genug vor dem Problem gestanden, dass er auf Anfrage keine Auskünfte bekommen hatte, da man sich auf Seiten von Geschäften und Banken immer wieder auf den Datenschutz berief. Selbst wenn er anbot, ein Fax mit dem Dienstkopf seiner Dienststelle zu schicken, oder man ihn unter seiner Büronummer zurückrufen konnte, um sich zu überzeugen, dass er wirklich bei der Polizei war, blieben die meisten hart und rückten keine Daten heraus. Der Umweg über die Staatsanwaltschaft war allerdings mühsam und kostete viel Zeit.

Zeit, die sie gerade im Rahmen ihrer Ermittlungen nie hatten. Chiara legte den Hörer des Telefons diesmal wesentlich behutsamer auf.

„Die Staatsanwaltschaft stellt den Antrag für den Durchsuchungsbeschluss. Ich schreibe das gerade zusammen und schicke es dann mit dem Eilvermerk ans Gericht. Hoffe, dass wir dann morgen schon den Beschluss haben.“

Weber nickte.

Dann klingelte sein Telefon. Er nahm ab, meldete sich und hörte einige Minuten schweigend zu.

„Ok. Danke für ihren Anruf. Ich werde pünktlich da sein,“ sagte er zum Abschluss des Gesprächs und legte auf.

Weber stierte wie betäubt schweigend auf das Telefon. Chiara machte sich Sorgen und sprach ihn an:

„Was ist passiert? Ist etwas mit Leon?“

Weber schaute verwirrt auf.

„Mit Leon?“ fragte er.

Und schüttelte den Kopf, als wenn er diesen erst freibekommen müsste, um zu antworten.

„Nein, das war Renners Anwalt“, antwortete er dann.

„Renner will mich morgen um 10 Uhr in der JVA sprechen.“

Bevor Chiara etwas darauf erwidern konnte, klingelte Webers Telefon erneut. Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Dann hörte er eine Zeitlang zu und Chiara bemerkte, dass sein Gesichtsausdruck immer verwunderter wurde.

Dann hörte sie ihn „Danke“, sagen und er legte auf.

Weber schaute Chiara einen langen Augenblick an, bevor er sprach.

„Ich glaube ich bin im falschen Film. Das war Krügers Anwalt.

Krüger will mich morgen um 14 Uhr in der JVA sprechen“.

14 Uhr

Weber schaute aus dem Fenster. Chiara war wegen eines Zahnarzttermins bereits weg. Er dachte unablässig an die beiden Telefonate, die so überraschend gekommen waren. Was hatte es zu bedeuten, dass nach wochenlangem Schweigen auf einmal Renner und Krüger mit ihm sprechen wollten? Hatte sie in der JVA das schlechte Gewissen eingeholt?

Kaum vorstellbar. Beide galten als eiskalte Verbrecher, die gar kein Gewissen hatten und wohl nicht einmal wussten wie das Wort überhaupt geschrieben wurde. Hatten sie zu Gott gefunden und wollten nun eine Beichte ablegen? Weber musste lachen, alles aber nicht das. Die beiden hätten auch den lieben Gott selbst verkauft, wenn es sich für sie gelohnt hätte.

Und damit war Weber beim eigentlichen Thema, um das es in den Treffen wohl gehen würde. Das Gespräch mit ihm musste sich für sie lohnen. Wollten sie einen Deal? Gegen den anderen aussagen, wenn sie dafür Hafterleichterungen bekämen? Wer zuerst redet, bekommt den Deal?

Auffällig war, dass die Anwälte am gleichen Tag angerufen hatten und die Termine ebenfalls am gleichen Tag stattfinden sollten. Passend war, dass die Zusammenkünfte so lagen, dass Weber beide nacheinander wahrnehmen konnte, ohne einen zu verschieben. Das roch doch geradezu nach Absprache. Renner und Krüger wurden von Anwälten aus den bekanntesten Kanzleien in Bielefeld vertreten. Konnte da tatsächlich eine Absprache erfolgt sein? Aber mit welchem Ziel? Dass Beide einen Vorteil für sich heraushandeln wollten?

Normalerweise sahen Absprachen so aus, dass der eine Verdächtige gegen den anderen aussagte. Wenn aber beide jeweils gegen den anderen aussagten, blieb es bei einem Patt und keiner konnte sich einen Vorteil sichern. Von daher machte eine Absprache unter den Anwälten keinen Sinn. Weber grübelte noch eine Zeitlang darüber nach, kam aber zu keinem Ergebnis. Morgen würde er es erfahren.

Zeit, nach Hause zu fahren.

Skalp

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