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Mittwoch, 21.10.2015; 04:20 Uhr

Weber wurde durch Leons Weinen geweckt. Schlaftrunken ging er zum Kinderbett, um den Kleinen ins Ehebett holen. Als er Leon hochnahm war er mit einem Schlag hellwach. Der Junge war wieder total verkrampft. Sobald er Webers Nähe spürte, klammerte er sich an ihm fest.

Weber bekam einen Schock, sein Sohn hatte sich noch nie auf diese Weise festgeklammert. Es tat schon fast weh am Hals, so sehr drückten die kleinen Arme zu. Weber rief seine Frau. Yuna sprang aus dem Bett, als sie die Panik in Webers Stimme hörte. Sie machte das Licht an und erfasste die Situation mit einem Blick.

„Ich ziehe mich an und rufe Fiona an, dass sie rüberkommt.“

Fiona war die direkte Nachbarin der Webers und kümmerte sich ab und zu um die Kinder. Patty ihr Au-Pair-Mädchen, war vor einem Monat in die USA zurückgekehrt. Anfang des nächsten Jahres sollte ein neues Au-Pair bei ihnen einziehen. Weber setzte sich mit Leon aufs Bett. Als Yuna zurückkam, nahm sie ihm den Jungen ab, so dass Weber sich selber anziehen konnte. Leon anzukleiden, wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, so wie er krampfte.

Yuna legte eine Decke über sich und den Kleinen, als sie das Haus verließen und zum Auto gingen. Beide nahmen auf dem Rücksitz Platz. Weber fuhr mit quietschenden Reifen los. Fiona war zwar noch nicht da, aber sie hatte einen Schlüssel und könnte so ins Haus gehen.

Obwohl Yuna Leon nur auf dem Schoß sitzen hatte und selber angeschnallt war, fuhr Weber wie in einem Streifenwagen mit Blaulicht. Auch rote Ampeln interessierten ihn in diesem Moment nicht.

Zum Glück war um diese Uhrzeit nicht viel los auf den Straßen, so dass sie gut vorankamen. 10 Minuten schneller als sonst erreichten sie die Kinderklinik. Leon war immer noch arg verkrampft und Weber stellte seinen Passat direkt vor dem Eingang der Notaufnahme ab. Dann half er Yuna aus dem Auto.

In der Notaufnahme war es ruhig, so dass sie von der Schwester an der Anmeldung direkt in ein Behandlungszimmer geführt wurden. Leon starrte mit großen Augen im Zimmer umher. Arztpraxen und Krankenhäuser mochte er überhaupt nicht. Weber nahm ihn Yuna ab und setzte sich auf einen Hocker, der im Zimmer stand. Auf die Ärztin mussten sie noch 30 Minuten warten.

Obwohl sie so schnell in ein Behandlungszimmer geführt worden waren, mussten sie noch 20 Minuten warten, bis die Ärztin kam. Yuna und Weber waren schon total genervt, dass es so lange gedauert hatte. Leons Krampf hörte einfach nicht auf. Seine Arme ließen sich nur schwer von Webers Hals lösen, um ihn auf den Behandlungstisch zu legen.

Noch schwieriger gestaltete sich - wie erwartet - das Ausziehen des Schlafanzugs, als die Ärztin ihn abhören wollte. Schließlich gelang es den Eltern doch noch, zumindest das Oberteil und den Body so weit hochzuschieben, dass er abgehört werden konnte. Inzwischen hatte Yuna die Ärztin über die bisherigen Anfälle informiert.

„Also neurologisch ist er bereits mehrfach untersucht worden, ohne dass Auffälligkeiten gefunden wurden?“ fragte sie dann.

„Ja“, sagte Yuna.

„Einmal im Krankenhaus und zweimal beim Kinderarzt.“

Die Ärztin testete Leons Reflexe und die Reaktion seiner Pupillen.

„Ich denke auch, dass es nichts damit zu tun hat“, sagte sie dann nachdenklich. „Ich kann mir aber im Moment auch nicht erklären, was die Anfälle auslösen könnte. War er dabei jemals bewusstlos, oder nicht ansprechbar? Reagierte er nicht mehr auf sie?“

Weber und Yuna sahen sich an.

„Nein“, sagte Weber dann.

„Das ist nie passiert. Er war immer wach und schaute umher. Zwar mit weit aufgerissenen Augen, aber bewusstlos war er nicht.“

„Sie können ihn wieder anziehen“, entgegnete die Ärztin knapp. Sie setze sich auf einen Stuhl, nahm das Krankenblatt von Leon zur Hand und notierte etwas darauf. Wahrscheinlich ihre Diagnose.

„Wie gesagt, neurologisch sehe ich auch keine Probleme. Ein Krampfanfall war es nicht, weil er die ganze Zeit bei Bewusstsein war. So wie es aussieht, “ sagte sie mit einem Blick auf Leon, „entspannt er sich jetzt auch wieder.“

„Ja“, antwortete Yuna, “ aber es hat bis jetzt noch nie so lange gedauert.“

„Ändert aber meiner Meinung nach nichts an der Diagnose, zumal Leon ja schon in dieser Richtung ausführlich untersucht wurde.“

Die Ärztin machte eine kurze Pause.

„Wir können ihn gerne über Nacht zur Beobachtung hierbehalten und ihn morgen nochmal gründlich durchchecken. Allerdings rechne ich mit keinem anderen Ergebnis als dem, welches bereits vorliegt.“

„Was sollen wir ihrer Meinung machen, wenn er wieder einen Anfall bekommt?“ fragte Weber leicht gereizt, da ihm die Aussagen der Ärztin nicht gefielen.

„Solange er bei einem Krampf nicht bewusstlos wird, bleiben sie zu Hause und sitzen das aus. Sie müssen nicht immer in die Klinik kommen, wir können hier auch nichts machen. Nur, sollte er das Bewusstsein verlieren, dann müssen sie den Rettungswagen rufen.“

Damit stand die Ärztin auf. Für sie war die Sache erledigt.

„Soll ich die Aufnahme für den Kleinen vorbereiten?“ fragte sie noch, schon in der Tür stehend.

„Nein“, antwortete Weber nun schon deutlicher verärgert.

„Wir wollen ihnen keine Umstände machen“, wurde er ironisch und verließ mit Leon auf dem Arm den Raum.

Yuna folgte ihm. Weber drehte sich noch einmal zu der Ärztin um.

„Tut mir leid, dass wir sie geweckt haben“, brummte er gereizt und trat hinaus in die Nacht.

07:20 Uhr

Die drei waren so rechtzeitig wieder zu Hause gewesen, dass Weber und Yuna selbst die Kinder für die Schule fertig machen konnten. Laut Fiona hatten die Jungs ruhig durchgeschlafen.

Nachdem die beiden Großen aus dem Haus waren, rief er Chiara und Schwarzbach an und berichtete ihnen von dem nächtlichen Ausflug und bat um späteren Dienstbeginn, um noch ein wenig zu schlafen.

„Kein Problem“, meinte sein Chef.

Chiara würde sich bis dahin um die weitere Vorbereitung des Einsatzes kümmern.

13:15 Uhr

Nach vier Stunden wurde Weber von Leon geweckt, der mittlerweile wieder ganz munter wirkte. Im Büro angekommen, setzte sich Weber mit Chiara und Schwarzbach in dessen Büro zusammen, um den aktuellen Stand der Vorbereitungen für den Einsatz bei Welle zu besprechen. Chiara hatte inzwischen von den Kollegen aus Cuxhaven die Teilnehmerliste des Seminars vom letzten Wochenende erhalten. Tatsächlich waren die Kollegen der Kripo vor Ort nur mit vier Leuten in Zivil zum Hotel gefahren.

Als diese dort den Durchsuchungsbeschluss vorgelegt hatten, gab es nach ihrer Auskunft keine Probleme mehr die Liste zu erhalten. Welles Name stand tatsächlich drauf. Ansonsten war alles für den Einsatz vorbereitet und jeder eingesetzte Kollege wusste, was er zu tun hatte. Das Jugendamt war ebenfalls mit im Boot, um sich um Jasina zu kümmern, falls sie sich in Welles Haus aufhielt. Ein Dolmetscher und ein Rettungswagen samt Notarzt würden ebenfalls vor Ort sein.

16:15 Uhr

Weber ließ sich vom MEK die letzten Standortdaten von Welle geben. Der war offenbar mit seinem Pkw innerhalb Bielefeld unterwegs.

Zuletzt registrierten die Überwacher ihn in einem Supermarkt an der Arthur-Ladebeck-Straße, wo er Lebensmittel eingekauft hatte. Jetzt steuerte Welle wohl sein Haus an. Weber wollte auch nur noch nach Hause. m nächsten Morgen würde er früh aufstehen müssen, um pünktlich zum Einsatz in Bielefeld zu sein. Er ging eben den vermutlichen Ablauf in Gedanken nochmal durch, als sein Handy klingelte. Weber zuckte zusammen und rechnete fest damit, dass Yuna ihn anrief und ihm sagte, dass Leon einen weiteren Anfall hätte. Er schaute aufs Display und atmete erleichtert auf als eine unbekannte Rufnummer notiert war.

Seine anfängliche Erleichterung indes verflog schnell, als er die Stimme am anderen Ende der Leitung hörte. Er kannte den Anrufer nicht, aber er würde ein weiteres Problem haben. Das stand für Weber fest.

„Hallo, Sie wissen nicht, wer ich bin, und mein Name tut auch erstmal nichts zur Sache. Ich will, dass sie morgen um 20 Uhr zum Eros Center an der Eckendorfer Straße kommen. Dort werden sie von einer meiner Mitarbeiterinnen empfangen und zu mir gebracht. Kommen sie bloß nicht auf die Idee mich zu unterbrechen, ich werde es ihnen nur einmal sagen, “ fuhr der Mann fort als ahnte er, dass Weber etwas sagen wollte.

„Genauso wenig sollten sie auf die Idee kommen ihre Kollegen von dem Treffen zu unterrichten und nicht allein zu erscheinen. Ich weiß alles über sie und ihre Familie, besonders über Leon. Falls sie denken ich spinne, sollten sie sich fragen, wer ihnen in Pisky geholfen hat, als sie wehrlos in dem Auto saßen.“

Weber saß noch 3 Minuten mit dem Hörer in der Hand da, bevor er überhaupt bemerkte, dass der unbekannte Anrufer aufgelegt hatte.

19:15 Uhr

Als er nach Hause kam, tobte ihm zu seiner großen Freude schon Leon entgegen. Weber hatte auf der gesamten Rückfahrt an das Telefonat mit dem Unbekannten gedacht. Wer war der Typ, der von dem Vorfall wusste und seine Familie kannte? Um die Geschichte in Pisky wussten nur sehr wenige Menschen und schon mal keiner außerhalb des Präsidiums.

Weber war vor ein paar Monaten mit Laschek und dessen Bekannter Nasti nach Pisky in die Ukraine gefahren, um dort einen USB-Stick abzuholen, auf dem sich belastendes Beweismaterial befand, mit dem sie letztendlich Renner zu Fall bringen konnten. Auf der Rückfahrt waren sie kurz hinter Pisky angegriffen worden. Nasti, die den Pkw gesteuert hatte, war durch einen Kopfschuss getötet worden, das Auto war von der Straße gerutscht und gegen einen Baum geprallt. Laschek und Weber waren zwar unverletzt, aber Laschek blieb für einige Minuten bewusstlos. Der Angreifer hatte sich dem Auto genähert, wahrscheinlich um zu kontrollieren, ob er gute Arbeit geleistet hatte. Als sich Weber sicher war, dass Laschek und er nun ebenfalls erschossen werden würden, gab es vor dem Pkw einen kleinen Tumult und der Angreifer verschwand. Was mochte aus ihm geworden sein – eine Frage, die sich Weber immer wieder stellte.

Nur er, Laschek, Chiara und Schwarzbach wussten von der Sache. Das Ganze war so nie in die Presse gelangt, weil eine Zivilistin zu Tode gekommen war. Nastis Eltern erhielten lediglich eine Mitteilung, dass ihre Tochter bei einem Verkehrsunfall gestorben sei. Die Behörden in der Ukraine schwiegen auf Bitten der deutschen Ermittler, in Bielefeld und im Innenministerium NRW waren alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt worden, um den Vorfall zu vertuschen. Weber hatte damals befürchtet, dass er und Laschek aufgrund ihres eigenmächtigen Handelns für den Rest ihrer Dienstzeit Streife laufen würden. Da letztendlich jedoch einer der größten Kindesmissbrauchsskandale in der Geschichte der Bundesrepublik aufgedeckt wurde, kamen sie mit einem blauen Auge davon. Was in Lascheks Fall allerdings sehr makaber war, da er nun im Rollstuhl saß. Was allerdings keine Folge des Unfalls war.

Weber war sogar die Aufgabe übertragen worden, die weiteren Ermittlungen zu leiten. So gab es jetzt für ihn nur zwei Varianten, um wen es sich bei dem Anrufer handeln mochte. Entweder um denjenigen, der den Angreifer geschickt hatte, oder um den, der diesen erschossen hatte. Weber tippte auf ersteres.

Und wollte das Treffen annehmen.

Skalp

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