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III. Begründetheit (dazu u.a. im 6. Kapitel = Urteilsverfassungsbeschwerde)
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Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn der Bf. durch die angegriffene Maßnahme in einem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht verletzt ist.
1. Prüfungsmaßstab/-umfang
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Prüfungsmaßstab im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist das gesamte Grundgesetz.
Ist eine Verfassungsbeschwerde überhaupt zulässig, nimmt das BVerfG eine umfassende Prüfungsbefugnis für sich in Anspruch, da es die Verfassungsbeschwerde auch als spezifisches Rechtsmittel des objektiven Verfassungsrechts sieht.
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Das BVerfG beschränkt – in einer allerdings schwankenden und uneinheitlichen Judikatur – aus funktionellrechtlichen Gründen wie auch angesichts seiner beschränkten Kapazität – seine Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen auf die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“.
2. Grundrechtsgeltung, Art. 1 Abs. 3 GG
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Nach Art. 1 Abs. 3 GG sind an die Grundrechte gebunden Gesetzgeber, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Der Staat ist auch dann an die Grundrechte gebunden, wenn er privatrechtlich handelt (Fiskalgeltung der Grundrechte). Eine – im Einzelnen jedoch umstrittene – (mittelbare) Drittwirkung der Grundrechte kommt auch in privatrechtlichen Beziehungen in Betracht.
3. Einschlägige Grundrechte
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Grundsätzlich besteht ein lückenloser Grundrechtsschutz. Zu prüfen ist, ob nach Wirkung oder Zielsetzung der angegriffenen Maßnahmen spezielle Grundrechte möglicherweise betroffen sind.
4. Grundrechtsverletzung
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Eine Grundrechtsverletzung liegt vor, wenn Freiheits- oder Gleichheitsrechte verletzt sind.
a) Freiheitsrecht
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Die Verletzung eines Freiheitsgrundrechts liegt vor, wenn rechtswidrig in den Schutzbereich des Grundrechts eingegriffen wird.
aa) Schutzbereich
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Die Bestimmung hat unter Heranziehung der normalen juristischen Auslegungsmittel wie Text, Geschichte, Genese, systematische Stellung bzw. Zusammenschau mit anderen Grundrechten und sonstigen Verfassungsbestimmungen zu erfolgen.
bb) Eingriff
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Eine Grundrechtsverletzung kommt nur in Betracht, wenn in rechtserheblicher Weise in das Grundrecht eingegriffen wird. Ein Eingriff ist stets dann gegeben, wenn dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird, gleichgültig, ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich (faktisch), mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt.
cc) Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen
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Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn er sich im Rahmen der für das Grundrecht geltenden Schrankenregelung bewegt; er könnte rechtswidrig sein, weil das die Grundrechtswirkung einschränkende Gesetz oder seine Anwendung rechts- bzw. verfassungswidrig sind.
(1) Art der Grundrechtsschranke
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Jede Einschränkung von Grundrechten muss im Grundgesetz vorgesehen (gestattet) sein.
(a) Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt
181
Die meisten Grundrechte (vgl. z.B. Art. 2 Abs. 2 S. 3; Abs. 1 S. 2 GG) unterliegen einem (ausdrücklichen) einfachen oder qualifizierten Gesetzesvorbehalt, welcher es dem Gesetzgeber gestattet, in die Rechtsposition des Grundrechtsträgers unter bestimmten Voraussetzungen nach seinem Ermessen einzugreifen.
(b) Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt
182
Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtspositionen sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen.
(2) Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ermächtigung
183
Das grundrechtsbeschränkende Gesetz muss formell wie materiell verfassungsgemäß sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Beschränkungen – auch unverständlich „Schranken-Schranken“ genannt – beachtet worden sind, die für den Gesetzgeber gelten, wenn er dem Grundrechtsgebrauch Schranken zieht. Das Gesetz muss formell wie materiell verfassungsmäßig, vor allem verhältnismäßig sein.
(3) Verfassungsmäßigkeit der Anwendung der gesetzlichen Ermächtigung
184
Auch die Anwendung des Gesetzes muss verfassungskonform durch die Verwaltung und Rechtsprechung vorgenommen werden. Sie hat insbesondere auch dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Wie bei dem zugrundeliegenden Gesetz ist daher zu prüfen, ob
• | der vom Staat verfolgte Zweck als solcher verfolgt werden darf, |
• | das eingesetzte Mittel eingesetzt werden darf, |
• | der Einsatz des Mittels geeignet ist und |
• | zur Erreichung des Zwecks notwendig (erforderlich) ist sowie |
• | die Verhältnismäßigkeit i.e.S. (Angemessenheit) gewahrt ist. |
b) Gleichheitsrecht
185
Die Verfassungsbeschwerde kann auch dann begründet sein, wenn ein Gleichheitsrecht, sei es ein spezieller oder der allgemeine Gleichheitssatz, durch ein Gesetz oder dessen Anwendung verletzt sind.