Читать книгу KISHOU II - Michael Kornas-Danisch - Страница 14
Vereinigung
ОглавлениеSie hatten das angestrebte Ziel ihres Umwegs erreicht. Eine kleine Gruppe seines Gefolges bildete ein schweigendes Spalier, um Rahon den Weg zu der Stelle auf der Anhöhe frei zu machen, von dem man am besten auf das weite Feld der Verbotenen Stätte blicken konnte. Sie lag inmitten einer ausgedehnten, flachen Lichtung, die nur spärlich mit trockenen Gräsern überwuchert war, und bestand aus vier gigantischen dreieckigen Platten aus Felsgestein, die sich an den Ecken ihrer Fundamente vereinten, und sich nach außen geneigt, schräg in den Himmel erhoben, wie die Blätter einer gigantischen farblosen Blüte in der Morgensonne. Den Blütenkelch bildete gewissermaßen ein quadratischen Innenhof, den die vier gigantischen Felsplatten begrenzten.
Dieser Innenraum – die eigentliche ,Verbotene Stätte’ – die vielleicht 200 Schritte durchmaß, unterschied sich in nichts von seiner äußeren Umgebung. Ein kahler, trockener Boden breitete sich darin aus. Nichts außergewöhnliches war innerhalb seiner Begrenzung zu erkennen – wenn man davon absieht, dass man an diesem Ort nicht einmal einen einzigen vertrockneten Grashalm fand. Und doch würde kein Afetit es jemals wagen, diesen Hof zwischen den vier weit geöffneten Felsplatten zu betreten. Viele Legenden rankten sich um diesen Ort. Ihnen gemeinsam war ein Bezug zu Suäl Graal, die dort ihr Unwesen trieb – oder die sich zumindest zuweilen dort aufhalten sollte. Es war ein unheiliger Raum, um den man einen möglichst großen Bogen machte.
Rahons Hände krampften sich um den Schaft seiner Lanze. Es dürfte wohl kaum das erste Mal gewesen sein, dass er von einer Anhöhe herab den Feind erspähte. Aber noch niemals waren es so viele auf einmal – und noch undenkbarer war es, dass er nicht herabsteigen sollte, um gegen sie zu kämpfen.
Das ganze Unterfangen ergab für Rahon wenig Sinn – und noch weniger gab es einen Grund, Suäl Graal zu trauen. Was, wenn es nur eine Falle war – wenn sie sich mit den Langen Schatten verbündet hatte? – Was freilich auch nicht viel Sinn ergab.
Die einzig unumstößliche Tatsache war: die Langen Schatten waren da. Es mochten drei oder vier Stämme sein, die sich dort unten zusammenfanden – Stämme der Grabenmacher waren nicht auszumachen. Zeitlich betrachtet sollten zumindest zwei der Stämme der Grabenmacher zugegen sein. Sie wären räumlich ebenso wie er in der Lage, diesen Ort in der zur Verfügung stehenden Zeit zu erreichen. Das allerdings musste nicht bedeuten, dass sie nicht doch wenigstens in der Nähe waren. Sie würden sich nicht viel anders Verhalten als er selbst, und erst einmal aus sicherer Distanz das Geschehen erkunden. Die Grabenmacher mussten, so lange es irgend möglich war, vermeiden, sich mit den Langen Schatten in einem Nahkampf zu befehden. Sie wären ihnen in gleicher Stärke unterlegen – einfach schon von daher, weil die Langen Schatten um einiges größer waren als sie, und folglich mit ihren Handwaffen über eine größere Reichweite verfügten. Sie waren zudem hervorragende Nahkämpfer und trotz ihrer klobigen hölzernen Schilde äußerst beweglich.
Solange es also möglich war, bekämpften die Grabenmacher den Feind aus der Distanz mit ihren Bögen. Hier genossen sie den Vorteil der besseren Schützen – und den des Fängers, der jedem Schützen zugeordnet war. Sie trugen keine Schilde, wie die langen Schatten . Der Schütze brauchte zwei freie Hände für sein Tun. Die Aufgabe des jeweiligen Fängers war es daher, den Schützen zu sichern, und mit seinem Spinschuh die gegnerischen Pfeile abzufangen und möglichst zurück zu schleudern.
Aber auch die langen Schatten waren sich offenbar nicht sicher, ob Suäl Graal nicht versuchte, sie zu hintergehen. Das dumpfe Stampfen aus der Ferne zeugte davon, wie Rahon sofort erriet.
Eine besondere Kriegsstrategie der Grabenmacher bestand darin, sich unter die Stellungen der Langen Schatten zu graben, um dann überraschend mitten unter ihnen aufzutauchen – oder sie in unterirdisch ausgehobene Fallen stürzen zu lassen. Die Langen Schatten erwehrten sich gegen diese Strategie mit bolzenartig zugehauenen großen Steinen, die sie mittels einer auf Kufen gelagerten Hebevorrichtung herumzogen, um sie regelmäßig auf den Boden aufschlagen zu lassen. Auf diese Weise versuchten sie, etwaige Hohlräume und Untertunnelungen zum Einsturz zu bringen, bevor sie ihnen gefährlich werden konnten.
Das Ganze konnte natürlich auch genauso ein Zeichen dafür sein, dass sich die Langen Schatten auf einen Kampf vorbereiteten ... Dagegen sprach aber dann wiederum die Offenheit ihrer Stellung, die als Treffpunkt ausgewiesen war. Die Langen Schatten vermieden normalerweise tunlichst den Kampf im freien überschaubarem Feld, in dem sie zur ungehinderten Zielscheibe der Bogenschützen ihrer Feinde wurden.
Rahons Blick wandte sich zum Himmel. Für eine Untertunnelung der Langen Schatten war die Zeit nicht mehr. Die Sonne hatte längst ihren Zenit überschritten, und sie brauchten noch eine kleine Zeit, bevor sie jenen Schatten erreichten, den einer der dreieckigen Felsplatten in der Abendsonne auf den Boden warf, und der bereits die eingetroffenen Stämme der Langen Schatten zu überfluten begann. Ihm blieben also wenig Möglichkeiten mit der Situation umzugehen.
Wortlos rammte er seine Lanze in den Boden, streckte beide Arme weit von sich, und spreizte dabei die Finger auseinander. Die Grabenmacher verstanden die Aufforderung, die in dieser Geste lag, und begannen, sich gleichmäßig links und rechts von ihm zu einer langen Front auszubreiten. Auf diese Weise boten sie den Schützen der Langen Schatten kein klares Ziel und sie selbst behinderten sich nicht gegenseitig in ihrem Schussfeld.
Sie machten ihre Bögen bereit, und die jeweiligen Fänger traten einige Schritte vor sie. Dann kam das Zeichen von Rahon, und das lange und nunmehr lückenhafte Band seines Stammes setzte sich in Bewegung. Bevor sie den Rand des lichten Areals erreichen würden, war es eher unwahrscheinlich, dass sie von den Langen Schatten entdeckt wurden,. So war die Aufmerksamkeit auf jenen Augenblick gerichtet, da sie aus dem Schutz der verdorrten Vegetation heraustreten würden, um die weite Lichtung zu betreten.
Dieser Augenblick war nicht sehr fern, und als er eintrat, kündigte sich ihre Entdeckung unmissverständlich damit an, dass augenblicklich das dumpfe Stampfen der Bolzen verstummte.
Rahon hob seine Lanze über den Kopf und richtete sie entlang der Kampflinie seines Gefolges aus, und die Grabenmacher stoppten ihr weiteres vordringen. Es waren weniger als tausend Schritte, die beide Heere noch voneinander trennte. Noch zu weit für die Bogenschützen, aber jeder weitere Schritt wollte nun abgeschätzt werden.
Rahon wartete. Sein Blick durchstreifte aufmerksam die Ebene. Zwei Richtungen schienen ihm dabei besonders wichtig, denn dort verharrte sein Blick immer wieder für einen Moment. Die eine lag etwas seitlich rechts von ihnen, die andere zur Linken, fast ein Stück hinter der verbotenen Stätte. Das Verhalten der Langen Schatten war aus dieser Entfernung noch schwer abzuschätzen. Größere Bewegungen waren nicht zu erkennen.
Rahons Augenlider ruckten nach oben. Das worauf er lauerte war eingetreten. Fast gleichzeitig traten in den erwarteten Richtungen zwei weitere langgezogene Kampflinien in das freie Feld. Ihre Aufstellung und ihre Richtung ließ keinen Zweifel daran, dass es sich um Stämme der Grabenmacher handelte. Soweit entsprachen die Ankündigungen Suäl Graals also der Wahrheit.
Er hob wiederum seine Lanze, dessen Spitze nun nach Vorn wies. Mit verhaltenem Marsch setzte sich die Formation wieder in Bewegung. Kurz darauf konnte man bereits erkennen, dass die beiden anderen Stämme es ihnen gleichtaten. In einem großen Sternmarsch bewegten sich die drei Gruppen auf das Heer der Langen Schatten zu.
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