Читать книгу KISHOU II - Michael Kornas-Danisch - Страница 21
Kurluk
ОглавлениеKishou, Mo, Boorh und das Untere Squatsch hatten die ersten Ausläufer des Feuerbergs erreicht. Der Weg wurde steiniger und stieg langsam an. Vereinzelt standen verkrüppelte Baumskelette herum, und kündeten von dem zur Linken, in der Entfernung sichtbar beginnenden Wald. Die Erde war über und über bedeckt mit großen und kleinen Felsbrocken. Sie waren zum Teil sehr zerklüftet, porös und von dunkler Farbe. Viele von ihnen waren stark abgerundet und regelrecht zu Kugeln geformt. Sie mochten einst vom Berg heruntergerollt, und sich abgeschliffen haben.
Kishou starrte fasziniert zum Gipfel des Berges, der ihr erschien, wie ein überdimensionaler Schornstein. Sie betrachtete die schwarze, säulenförmige Rauchwolke, wie sie die Strahlen der Sonne zerschnitt, und einen langen Schatten über das Land warf – als ihr Mos Arm, in dem sie noch immer eingehakt neben ihr lief, entglitt.
Mo war plötzlich stehengeblieben, und schien auf irgend etwas konzentriert. Kishou schaute um sich. Sie erwartete, dass Mo wieder einmal die Richtung wechseln würde, was immerhin seit ihrem Zusammentreffen mit dem Rjuchhu nicht mehr geschehen war. Doch Mo machte keine Anstalten, den Marsch in irgendeiner Richtung fortzusetzen. Ihr Kopf wendete sich langsam nach links, und ihre Augen bestrichen aufmerksam das grobe Umland.
„Was ist denn?“, fragte Kishou etwas besorgt.
„Es ist eine Grenze überschritten!“, antwortete Mo abwesend, während ihre Augen weiter die Umgebung zu ihrer Linken abtasteten.
„Eine Grenze?!“, erschrak Kishou, „Suäl Graal? ... ich seh’ nix – auch keine Pyramiden ...!“ Sie drehte sich aufgeregt im Kreise und suchte nach den möglichen Boten des Unheils. In dem Schreck vergaß sie ganz und gar, dass auch jedes Revier sich in einer Grenze bemaß – wie sie es bei den Knüppelhörnern ja bereits erfahren hatte.
„Es ist ein Sein, dessen Raum eine große Zeit bemisst. Wir haben bereits die Grenzen seines Reviers überschritten!“, sagte Mo ohne von ihrer Konzentration abzulassen.
„Aber ich seh’ nichts!“, stellte Kishou nervös fest, und begab sich vorsichtshalber in die Nähe Boorhs. „Vielleicht wieder unter der Erde ... Ein Rjuchhu!“, kam es ihr in den Sinn.
Mo schüttelte langsam den Kopf. „Kein Rjuchhu verdrängt hier das Allsein. Doch es ist in der Erde entschieden!“
„Der Feuerberg!“, blitzte es plötzlich im Unteren Squatsch laut auf. „Ja ... ja – der Feuerberg! Kann schon sein ... Wenn ich ihn so vom Allsein verdränge?! ... Kann schon sein ... Verzeiht meine Unbemessenheit ...!“, wendete er sich kurz an Kishou. „Aber dieser Ort ... dieser Feuerberg hier ...!“
„Kurluk!“, fiel es wie ein Donner aus Boorh heraus, und sein Mund wollte sich nicht mehr schließen. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er begann aufgeregt hin und her zu laufen – kniete sich auf den Boden und betastete ihn, als würde er den Gesuchten darunter spüren können.
Mos Arm streckte sich, und wies in die Richtung, die ihre Augen schon eine Weile fixierten. Alle Blicke folgten ihrem Hinweis. Unscheinbar, doch bei näherer Betrachtung dennoch erkennbar, wies der flache Boden dort eine seichte Vertiefung auf – als wäre im Laufe vieler Zeiten eine Lockere Erde unter ihrem Gewicht etwas abgesunken, bevor sie sich wieder verhärtet hatte.
„Kurluk!“, brüllte Boorh, und war schon auf dem Weg. Noch im Laufen riss er seine Axt aus dem Schulterhalfter, und schon nach wenigen Schritten war er am Ort. Mit einem wahren Urschrei trieb er die Klinge seiner Axt in den harten Boden, dass die festen Erdbrocken nur so auseinander stoben. „Kurluk!“, brüllte er immer wieder um seine Axt erneut in den Boden zu schlagen.
„Da sehr ihr’s – Da seht ihr’s ...!“ Das untere Squatsch wiegte auf dem kurzen Hals sein kugeliges Haupt bezeichnend hin und her. „Ein großes Borstenvieh mit dem Hirn eines ,Kleinen Sechsfüßlers’ ... will mit einer kleinen Axt ... Das Bartgesicht meint tatsächlich Kurluk aus den Tiefen des Allsein einfach so ausgraben zu können! – Und wenn ich ,Tiefen’ sage, dann meine ich ,Tiefen’! Dieser Schlankfüßler ... Oh – oh, verzeiht meine kleine Unbemessene Verdrängung!“, wendete er sich mit großen entschuldigenden Augen an Kishou. „Aber wenn ihr so entscheiden wollt, sagt doch diesem ... Boorh, dass er damit aufhören ... das er damit aufhören soll!“
Kishou wusste die ganze Situation nicht so recht einzuschätzen. Aber irgendwie tat ihr Boorh Leid, wie er da wie ein Besessener die Erde aufwühlte. Das, was dort unten irgendwo begraben war, musste ihm wohl sehr viel bedeuten. „Boorh!“, rief sie so laut sie konnte.
Boorhs Axt stoppte im Schwung über seinem Kopf, und ein fast ängstliches Augenpaar schaute zu Kishou hinüber.
„Warte ein Moment!“, rief sie dem Tobenden zu. „Das Untere Squatsch hilft dir!“ Sie hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wie das aussehen sollte, aber sie hatte ja inzwischen verstanden, dass Boorh das Untere Squatsch brauchte, wenn es um wirklich große Sachen ging – und das musste hier wohl so etwas sein.
Das Untere Squatsch schien gerade etwas gewachsen zu sein und nickte mit einem kleinen Seitenblick großmütig und verständig zu Kishou. „Na dann woll’n wir mal – dann woll’n wir mal!“, sagte er, und watschelte mit wichtigem Gang zum Rand des ausgemachten Ortes. Dort angekommen drehte er sich noch einmal lächelnd und nickend zu Kishou um. Endlich wandte er sich wieder Boorh zu, und seine Augen schlossen sich. Augenblicke später begann wieder das seltsame Schauspiel, das Kishou immer wieder auf’s Neue faszinierte.
Das Untere Squatsch verlor zunehmend seine Konturen und verblasste im selben Maße zu einer durchscheinenden klumpigen Wolke. Kurz darauf begann diese Wolke mit zunehmenden Tempo um einen Mittelpunkt zu rotieren, und bald sah es wieder so aus, als würden Tausende kleinster Insekten ihre Bahn um einen glutroten Ball in seinem Mittelpunkt aufnehmen, der schnell an Helligkeit gewann – bis sein weißblau gleißendes Licht es nicht mehr zuließ, es länger zu betrachten. Eine Sonne war geboren.
Im selben Maße veränderte sich der Ausdruck Boorhs. Sein erschrockener Blick löste sich zugunsten einer ausdruckslosen Verklärtheit. Sein Körper entspannte sich zusehends, und wie in einem Zeitraffer schob er seine Axt in den Schulterhalfter zurück um anschließend mit leicht geöffneten Beinen die Arme seitlich weit von sich zu strecken.
Das weitere Geschehen ließen Kishous Augen und Mund weit offen stehen. Eine Glocke aus flirrender Luft legte sich über den Ort des Geschehens. Eine Art kreiselnder Rüssel bildete sich an ihrem höchsten Punkt, der aber bald schon begann auf ihrer Hülle hin und her zu gleiten – begleitet von fließenden Farben auf dem Rand der bläulichen Glocke – wie das Farbenspiel auf der Haut einer Seifenblase.
Der sich schnell verjüngende Rüssel veränderte seine Form und Position ständig und scheinbar willkürlich, und fand sein Ende in der rotierenden Wolke von dem, was kurz vorher noch das Untere Squatsch war. Aber das war nicht wirklich zu erkennen, weil der gleißend helle Kern nicht zuließ, es zu betrachten.
Als würde unter der wabernden Hülle eine andere Zeit herrschen, kippte Boorh plötzlich wie in gedehnter Zeit nach hinten und schlug wie ein gefällter Baum auf der Erde auf. Sein Körper sprang nach dem ersten Aufprall noch einmal ein kleines Stück in die Höhe, um dann endlich liegend zur Ruhe zu kommen. Kishou kniff unwillkürlich die Augen zusammen, als der Körper in seiner vollen Fläche auf den Boden aufschlug. Es verlief alles zwar unwirklich langsam, aber dennoch war die Härte des Aufschlags spürbar.
Boorh indes schien von alle dem nichts zu bemerken. Seine ausdrucklosen Augen waren starr geradeaus gerichtet, als seine Arme sich langsam nach oben bewegten, um sich mit zu Fäusten geballten Händen gegen den Himmel zu strecken. Die Decke der Hülle über ihm bekam rötlich-blaue Flecken und wurde zuweilen fast undurchsichtig – als diese Flecken plötzlich ineinander in einem Punkt verschwammen und ein gleißender Blitz aus ihnen herab fuhr, und Boorhs Fäuste umhüllten. Ein dickes, waberndes Tau aus Licht verband seine Fäuste mit der Hülle der flirrenden Blase. Das Licht begann langsam an seinen mächtigen Armen herabzufließen, wie die Lava vom Gipfel eines Vulkans. Die Arme begannen zu zittern. Boorhs Mund öffnete sich und er schrie ohne das der kleinste Laut seinen Mund verlassen sollte. Dann rissen plötzlich seine Arme auseinander und teilten das Tau aus Licht in zwei Hälften.
Kishou spürte, wie der Boden erzitterte, als die brennenden Fäuste Boorhs lautlos in den Boden einschlugen.
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