Читать книгу KISHOU II - Michael Kornas-Danisch - Страница 6
Neue Erfahrungen
ОглавлениеDas Untere Squatsch wiegte nachdenklich seinen zu großen Kopf ...
„Was ist ein Rjuchhu?!“, wiederholte Kishou noch einmal ihre Frage.
„Nun – also ... das Rjuchhu ist eine unangenehme Verdrängung vom Allsein. Sehr unangenehm!“
„ja und? – wieso?
„Nun – das Rjuchhu verdrängt ein großes Revier vom Allsein. Viel Raum. Sehr viel Raum! Es duldet niemals andere Verdrängungen vom Allsein in seinem Revier – auf keinen Fall. Nein – niemals. Sehr gefährlich für all die anderen Wesen, die in diesem Drom das Allsein verdrängen! Sehr gefährlich!“
„Aha ...!“
„Nein! ... nicht einmal ein anderes Rjuchhu wird von ihm geduldet. Darum sind nicht viele Rjuchhus bemessen in der Zweiten Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms. Nein – nein. Nicht sehr viele. Das Rjuchhu bemisst die Verdrängungen aller Zeiten vom Allsein, als sein Revier! Sein Revier!“
„Aha – und was hat das mit den Gräben von den Grabenmachern zu tun?!“, bohrte Kishou weiter.
„Nun ja ... Ich bemaß es bereits in euch ... bemaß ich bereits. Die Stämme der Grabenmacher verdrängen viele Gräben, Tunnel und Stollen um ihre Oasen herum vom Allsein – verdrängen sie. Wie einst für den Lauf der Wasser. Gräben und Stollen verdrängen nun auch einen Schutz vom Allsein gegen das Rjuchhu vom Allsein! ... einen Schutz – ja!“
Kishou gab sich erst einmal zufrieden. Nicht zuletzt, weil sie feststellte, dass die Sonne in diesem Drom offenbar eine spürbare Wirkung zeigte. „Es wäre schön, wenn wir einen etwas schattigeren Weg finden könnten. Es ist ganz schön warm hier!“ Sie bedauerte es ein weiteres Mal, keinen Hut von zu Hause mitgenommen zu haben.
Zu Hause ... Sie sah in ihrem Geist ihren großen, bunten und wilden Garten vor sich, in dem immer etwas zu beobachten war – und sie hörte den Ruf Trautel Melanchfuls, wenn sie gekocht hatte ... Sie schaute um sich. Zuweilen war auch hier etwas zu hören. Aber es war gerade einmal das Knacken kleiner Zweige in den traurigen Buschresten, die sie zuweilen mit ihren Körpern striffen. „Übrigens – als wir noch da waren, wo wir aus dem Allsein gekommen sind – also bevor wir losgingen – hast du so komisch reagiert, als ich meinte: wer weiß, was uns auf dem Weg ins Dritte Drom noch alles bevorsteht! Wieso hast du da so komisch geguckt? – Weißt du was ich meine? – grad' als Boorh nach diesem Kurluk rief!“
„Oh – oh ja. Oh ja!“, erinnerte sich das Unteren Squatsch.
„Und? – wieso hast du so komisch reagiert?!“
„Nun ja ... es verdrängen gewissermaßen ... durchaus ... Schwierigkeiten das Allsein. Durchaus!“
„Schwierigkeiten? ... wie meinst du das?!“, horchte Kishou auf.
„Nun, also – bedenkt ... bevor ihr das Dritte Drom vom Allsein verdrängt, ... also ...!“ Er machte ein paar fahrige Bewegungen mit seinen kurzen Ärmchen. „... müsst ihr zunächst einmal das Zweite Tal der Zweiten Ebene des Zweiten Droms vom Allsein verdrängen ...!“
„Ja klar – und?!“ So zögerlich, wie das Untere Squatsch auf die Frage reagierte, konnte das sicherlich noch nicht alles gewesen sein, was es dazu sagen konnte.
„Ja – nein. ... es sind die Grenzen!“
„Die Grenzen?!“
„Ja – ja ... es sind immer die Grenzen. Sehr schwierig – sehr schwierig!“ Sein Kopf wackelte nur so hin und her.
„Was ist mit der Grenze zum Zweiten Tal der Zweiten Ebene des Zweiten Droms?!“
„Oh – nun ... es verdrängt sich dort ein Labyrinth vom Allsein!“
„Ein Labyrinth?“
„Ja. Nein ... nicht einfach ein Labyrinth ...!“
„Sondern ...?“
„,Das Labyrinth des Unbegreiflichen’!“
„Was ist das denn nun wieder?!“ Kishous Stirn verzog sich in Falten.
„Keine Ahnung. Keine Ahnung. Ich kann es nicht bemessen, ... und schon gar nicht vom Allsein verdrängen!“ Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Eine kleine Verdrängung Suäl Graals. ... damit die Afetiten sich nicht in Vollkommenheit bemessen können ... also ... sich vollkommen vom Allsein verdrängen können, in den Afetonen!“
„Du meinst, sowas wie die ,Falle der Zeit’ im ersten Drom! Seh’ ich das richtig?“
„Äh ... Eine Falle der Zeit?“, Wunderte sich das Untere Squatsch, und seine Augenbrauen zogen sich nach oben. "Aber natürlich. Zweifellos. Ihr musstet ja schon einmal eine Grenze Suäl Graals überschreiten! ... musstet ihr ja. Und ohne meine Wenigkeit. Sehr beachtlich! Sehr beachtlich. Eine Falle der Zeit war darin bemessen, so sagt ihr? ... Falle der Zeit?"
„Ja!“, Klärte Kishou ihn auf. „Die Grenze zum Ersten Tal der Ersten Ebene des Ersten Droms war sowas. Boorh meinte, Suäl Graal wollte ursprünglich damit die Kyiten daran hindern, zu den Kyaten zu kommen ...”
„Zweifellos! – Zweifellos! in solcher Weise verdrängt es auch hier das Allsein!“, wurde sie sofort vom Unteren Squatsch bestätigt.
„Oh man ...!“ Kishous Blick richtete sich verzweifelt in den Himmel. „Ich hätt’s mir denken können. Weiß wenigstens irgendwer, warum es ,das Labyrinth des Unbegreiflichen’ heißt?“
„Niemand. Niemand!“ Das Untere Squatsch schüttelte bedauernd sein Haupt.
Kishous Blick suchte erneut mit einem tiefen Seufzer den Himmel auf ... „Natürlich nicht. Natürlich nicht! Wissen Mo und Boorh davon?!“
„Nein – nein ... Mo und das Zwergenhirn ... Oh – oh, verzeiht meine kleine unbemessene Verdrängung ... Mo und äh ... Boorh verdrängten das Allsein in all den Zeiten im Ersten Drom!“
„Und die Grenze zum Dritten Drom?“ Fragte Kishou nun Böses ahnend.
Der Kopf des Unteren Squatsch verlor wieder seine stabile Lage. „... führt durch ,Das Tal der Fügung’!“
„Das Tal der Fügung?!“
„Das Tal der Fügung!“, bestätigte der mit bedauernder Geste. "Zumindest trennte man so etwas in mir vom Allsein. Vor langer Zeit schon. Sehr langer Zeit schon. ..ein kleiner Ausflug im Allsein. ... war noch einmal kurz im Zweiten Tal der Zweiten Ebene des Zweiten Droms. Sehr viele Zeiten sind seither vergangen. ... nur ein kleiner Ausflug im Allein – nicht der Rede wert. Nicht der Rede wert ...aber niemand kann das Allsein verlassen, der es betritt ...!", äffte er noch einmal mit rollenden Augen Boorh nach.
„Was für eine Fügung?“ Wollte Kishou wissen.
Das Untere Squatsch hob in einer erneuten bedauernden Geste beide Arme in die Höhe. „Legenden ... Legenden!“
„Du hast mal wieder keine Ahnung, stimmt's?“
Das Untere Squatsch nickte zaghaft mit seinem Kopf.
„Und auch sonst kann es uns niemand sagen, oder? Fragte sie noch, der sicheren Antwort gewiss.
Der Kopf des Unteren Squatsch wechselte erwartungsgemäß die Richtung und bewegte sich nun etwas beschämt von links nach rechts.
Kishou seufzte laut. „Schöne Aussichten!“
„Ihr werdet einen Pfad durch die Grenzen vom Allsein verdrängen. Kein Problem. Kein Problem für euch! Und mit meiner bescheidenen Hilfe ...!“
„Nun fang du auch noch an ...!“, stöhnte Kishou missmutig. „Is’ ja auch egal!“, sagte sie sich, und versuchte, an etwas anderes zu denken ... An die Oasen zum Beispiel. Hatte nicht Trautel Melanchful mal eine Geschichte erzählt, wo solche Oasen vorkamen. ... nein – in der Geschichte hießen sie ,Inseln’, und waren über ein weites großes Wasser verstreut. Es war die Geschichte von dem Fährmann, der es irgendwann zu mühevoll fand, mit seinem kleinen Boot immer zwischen den Inseln hin und her zu fahren. Da hat er große Brücken gebaut zwischen den Inseln, dass es wie ein einziges großes Land war. Die Bewohner der Inseln konnten nun nach belieben und ohne Mühe und wann immer sie wollten in ihren bequemen Kutschen von einer Insel zu jeder anderen gelangen, und es war ein reger Verkehr zwischen ihnen.
Bald schon vermischten sich die Bewohner der vielen Inseln untereinander, und mit ihnen die Tiere, die Bäume, die Sträucher und die Blumen.
Doch dann versiegte der Verkehr zwischen ihnen, bis niemand mehr die Brücken betrat. Es gab zu jener Zeit keinen Grund mehr, sie zu überqueren, denn es war nun auf jeder Insel genau so, wie auf jeder anderen. Und alle Bewohner auf allen Inseln langweilten sich, und auch der Fährmann langweilte sich auf seinem kleinen Boot.
Da verstand er endlich, dass er all die Brücken gar nicht gebaut hatte, um sich vor der Mühe zu bewahren, sondern um zu verstehen, warum er die Mühen einst auf sich genommen hatte ...
Vielleicht hätte sie sich ja in ihrem großen Garten auch irgendwann einmal gelangweilt, überlegte Kishou, als die Sonne gerade jenen Ort am Himmel fand, von dem sie sich schon bald verabschieden würde. Sie wollte die letzten Strahlen nutzen, um noch in ihrem Licht den Tag mit einer Mahlzeit zu beschließen. Also machten sie Rast. Sie setzte sich auf einen großen, trockenen Grasbüschel und begann in ihrem Bündel herumzukramen. „Gibt es hier auch Tiere?!“, fragte sie in die Runde. „Ich hab’ manchmal was gehört, aber ich war mir nicht sicher!“
„Boorh entscheidet: Die Zweite Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms verdrängt sehr viele Wesen vom Allsein!“
„Nicht viele!“, widersprach das Untere Squatsch. „Nicht viele! Meine Wenigkeit bemisst nicht mehr ,sehr’ viele!". Er warf einen kleinen Seitenblick auf Boorh, der durchaus etwas spöttisches hatte. „Nun ja, es verdrängen hier noch durchaus viele Wesen das Allsein – durchaus. Aber über die Zeiten der versiegenden Wasser ist ihre Zahl geschwunden. Versiegt! ... wie die Wasser!“
„Ich hab’ aber noch keines gesehen!“, gab Kishou mit vollem Munde zu bedenken!“
„Wo eines ist, kann ein anderes nicht sein! Sie sind im allgemeinen bemüht ... bemüht den Raum zu respektieren, ... zu respektieren, der euer ist!“
„Wie meinst du das?!“
„Sie sind bemüht euer Revier nicht zu verletzen – und das ihre zu schützen!“ Erklärte Mo mit ihrer klaren Stimme.
„Hab’ ich ein Revier?“, fragte Kishou erstaunt.
„Madame KA sagt, in jedem Wesen verdrängt ein ein Revier das Allsein – sein Körper ist sein Zentrum. So ist es entschieden!“, antwortete Mo.
„Und so verdrängt es das Allsein!“, lachte Kishou kauend und streckte schulmeisterlich den Zeigefinger in die Höhe. Immerhin hatte sie ja schon bemerkt, dass in diesem Drom das Allsein offenbar nicht nur 'getrennt', sondern vor allem 'verdrängt' wird. Die Mahlzeit tat ihr offenbar sehr gut.
Das erwartete Lächeln Mos blieb aber aus. Stattdessen verengten sich plötzlich ihre Augen, und ihr Blick fiel nach innen. Auch das Untere Squatsch und Boorh wandten sich wie verabredet zu Mo. In ihren Gesichtern lag eine Spannung. Es war nicht zu übersehen, dass irgend etwas nicht stimmte.
Kishou blickte fragend von einem zum anderen. „Ist was?“, fragte sie verunsichert.
Niemand antwortete. Doch plötzlich weiteten sich die Augen Mos wieder, und ihr Kopf erhob sich. „Wir haben ein Revier verletzt!“, sagte sie leise und erhob sich. „Bereitet euch vor!“ Sie wendete sich ab, und verschwand kurz darauf zwischen den hohen, trockenen Gräsern, Büschen und Baumgerippen.
~*~