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Kleines großes Land Gedanken über Niederösterreich

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Mit seinen knapp zwanzigtausend Quadratkilometern ist das Land an, oberhalb und unterhalb der Donau das größte der österreichischen Bundesländer. Dafür kann man sich nichts kaufen, würde der Wiener sagen. Und doch. Ein bisschen Respekt darf schon sein. Im Bundesland Wien ist man, kaum dass man drin ist, auch schon wieder draußen. Von Niederösterreich aber bekommt man nicht genug. Der Semmering, das Schremser Moor, Drosendorf und Hainburg, Baden, Armschlag, der Wagram und Mariazell. Unterschiedlicher geht nicht. Alles wird von der Hauptstadt aus regiert, in Erbpacht gewissermaßen. Und gar nicht schlecht. Der keine fünfhundert Meter außerhalb der Bundeshauptstadt und ein paar hundert Meter innerhalb des blau-gelben Landes beheimatete neo-niederösterreichische Reisende darf das schon sagen. St. Pölten ist das Maß der Dinge. Nähert man sich der Stadt per A1, sieht man allerdings nichts als Scheuklappen. Schallschutzwände nehmen die Sicht auf mehr. Wie kam die Stadt zu ihrem reichlich seltsamen Namen? Und wer, in Prölls Namen, ist der heilige Pölten? Niemand. Hinter dem Namen verbirgt sich die Mutation des Namens Hippolyt. Der Mann wurde um 170 nach Christus im griechischsprachigen Osten des Römischen Reiches geboren, war Schüler des Irenäus von Lyon und wurde einer der wichtigsten Kirchenväter seiner Zeit. Nach seinem Job als „leitender Geistlicher“ in Rom machte er prompt Karriere: Er wurde Bischof und später dann, auf Sardinien, Märtyrer.

Einem bayerischen Kloster oblag es, die ersten Reliquien zu beherbergen. St. Hippolyt wurde eine Filiale des Tegernseer Klosters, der Heiliggesprochene sein Patron. Im Spätmittelalter errichtete man anstelle des Hippolyt-Altars in der heutigen Kirche des Dompfarramts von Pölten einen Marienaltar, die Stifts- beziehungsweise Domkirche ist seither Maria Himmelfahrt geweiht. 1785, bei Errichtung der Diözese, wurde quasi als Wiedergutmachung just jener Hippolyt zur ewigen Lichtgestalt erwählt. Und noch eine Ehre wurde ihm zuteil: Nebenberuflich arbeitet er seither als Patron der niederösterreichischen Gefängniswärter und Pferde – den Namen Hippolytos trägt man schließlich nicht umsonst.

Schlendern Sie ruhig einmal hocherhobenen Hauptes durch die Hauptstadt, so empfiehlt es sich nämlich hier durch die Gassen zu gehen. Vor kurzem beschlossen Stadtund Landväter, der schlummernden Schönheit ein Face-lifting zu verpassen. Fassaden, Firste, Fenster – allerorten wurde gehobelt, geglättet, gezupft und zurechtgemacht. Und (beinahe) alle alten Backen glänzen wieder wie neu: Die Biedermeier- und Jugendstilhäuser der Innenstadt erstrahlen in glatter Pracht. Und erst der Bezirk jenseits der Traisen! Hier entstand Zeitgemäßes: modernes Bauen für Landtag und Kunst. Dass sich Politik und Kultur so friedvoll aneinanderkuscheln, ist beinahe schon bedenklich. Könnte sein, dass die Macht der Kunst die Luft nimmt, so eng hat sie sie an ihren Busen gequetscht. Das Gegenteil ist der Fall. Theaterleute und Musiker, Skulpteure, Maler, Dichterfürsten und „Freischaffende“ aller künstlerischen Couleurs treffen in Niederösterreich auf offene Ohren. Hier wird vieles ermöglicht. Nicht umsonst findet in der „schönen“ Jahreszeit, wenn allerorts Platzregen übers Land ziehen, an jeder Milchkanne ein Festival statt. Theater, Oper, Lesungen, Konzerte, Vernissagen. Hinter jedem Gebüsch verkauft man Tickets, und die Künstler, ausgelaugt und mit hängender Zunge aus der Wiener Saison kommend, machen einen drauf und spielen mit großer Geste und rollenden Augen gegen Gelsen und Gewitter an.

Das Land hat eine ganze Menge Sehenswertes in seinem Körbchen. Auch Hörenswertes, Lesenswertes. Vieles davon war mir unbekannt, vieles war es wert, entdeckt zu werden. Kulturelles Selbstverständnis nimmt Verunsicherung und Angst vor dem Unbekannten. Es lebt sich leichter in einer Gesellschaft, in der sich Kunst und Kultur entfalten können.

Heimito von Doderer, der Rätselhafte, bewohnte den Riegelhof in Prein an der Rax. Das Haus steht immer noch an seinem niederösterreichischen Platz. Ein Zitat des „Majordomus der Apperzeption“ gefällig? „Wer nicht ganz klein war, der kann nie ganz groß werden. Das gilt für das männliche Glied genauso wie für die persönliche Entwicklung eines Menschen.“ Was ist dem noch hinzuzufügen?

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