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Ein kleines Stück Freiheit Strombad Kritzendorf, Rondeau 30, 3420 Klosterneuburg

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Lido di Crido“ steht auf einer Vereinstafel am ausladenden Eingang zum Bad. Es könnte auch stehen: „Riviera an der Donau“, „Kritz-les-Bains“ oder „Gelsenstadt“. Auch „Kratzendorf“ würde stimmen. Der Ort an der Donau hat eine bewegte Vergangenheit am Buckel. Hier ging die Crème de la Crème der Wiener Gesellschaft aus und ein, baute Villen oder ließ bauen, feierte, badete – und kratzte sich. Kritzendorf stand seit jeher als Synonym für lästige Plagegeister, die sommersüber Nackerpatzln überfielen, um sich an ihnen zu delektieren. Hier lagen sie alle, die Reichen und Schönen der Zwischenkriegszeit, die jüdischen Bankiers, die Künstler, die Textil- und Wurstfabrikanten. Im Strandpavillon gaben die Wiener Symphoniker ihre Sommerkonzerte. Torberg schrieb darüber in der Tante Jolesch und Hermann Leopoldi sang „Komm mit nach Kritzendorf, wo jeder mit mir schwitzen dorf“. Die Freude der Wiener schien grenzenlos und ewig.

Und irgendwann war Schluss mit lustig. Dunkle Wolken zogen auf und mit ihnen kam das braune Gesindel. Quer durch die Promenaden, Alleen und Gartenzeilen wurde arisiert. Badehäuschen und Villen gerieten unter die Hufe der über sie hinwegfegenden apokalyptischen Reiterhorden. Plötzlich reckten die Parteigenossen und ihre fettgefressenen Nazi-Weiber ihre Schmerbäuche in die Sonne, man protzte und prahlte, indes die rechtmäßigen Besitzer enteignet, außer Landes gejagt oder getötet wurden. Der braune Hochwasserspiegel gärte zwischen Kabinen und Kabanen und eine widerlich stinkende Brühe überzog das Strombad mit einer undurchdringlichen Schlammschicht. Die Kloake stieg den Kritzendorfern bis zum Hals und spülte jenen Urschleim hoch, der über Jahre das ganze Land überzog. Ein Sozialist namens Hans Reif, provisorischörtlicher Badeverwalter, erschien am Horizont des frühen Nachkriegswien und begann in einer beispiellosen „Rückarisierung“, die Hütten an ihre ursprünglichen Besitzer zu retournieren. Doch nur die wenigsten Juden wollten oder konnten in ihre Heimat zurück. Die Zeit hatte sie überlebt.


Donauufer in Kritzendorf


In Kritz-les-Bains steht die Zeit still.

Seit 1977 ist das Areal wieder frei zugänglich. Irgendwann wurde der Rondeau-Platz, Epizentrum der Anlage, renoviert und in seine ursprüngliche Form zurückgebaut. Seither versprüht das Strombad wieder jene seltsam nostalgische Atmosphäre, derentwegen schon unsere Großeltern hier ihre Sommerflirts suchten. „The party goes on“, als wäre hier nie etwas anderes passiert. Wieder zieht die Strandwiese an schönen Wochenenden unzählige Besucher aus der Großstadt an. Und alles kratzt wieder an den lästigen Insektenbissen herum, schwimmt gegen den Strom und genießt die wunderbar schöne Aulandschaft.

So auch ich. Ich spaziere an den Pfahlhäusern vorbei, spähe über Zäune, nicke den schrebergrantelnden Kleingärtnern zu und beobachte, wie sie an den noch blattldürren Ligusterhecken herumschnipseln, Tulpen jäten und Ribiseln düngen – und freue mich des Lebens.

Ein Häuschen sticht mir ins Auge. Es sieht aus wie ein hölzerner Donaudampfer, mehr hoch als breit. Der Oberstock gleicht einer Kapitänsbrücke, vom Balkon wehen blaue Sonnensegel, als wollte das kleine Haus die nächste Brise nutzen und sich hinaustragen lassen auf hohe See. Oben auf der Kommandobrücke taucht eine Frau auf. Sie winkt mir zu.

„Nehmen Sie sich ruhig, was Sie mögen!“

Erst jetzt bemerke ich den Korbsessel, der auf dem Treppelweg vor dem Grundstück steht. Ein paar Bücher liegen da, offenbar soll überschüssiger Ballast abgeworfen werden. Das sagt man mir nicht zweimal. Ich greife zu. Den Einband des Buches ziert das Bild eines fußballspielenden Jungen. Ich beginne zu blättern. Es handelt sich um die Geschichte eines palästinensischen Buben, der in Ramallah unter israelischer Militärbesetzung lebt. „Die Kinder in diesem Buch stehen für all jene, die unter solchen Bedingungen leben müssen und es dennoch schaffen, erwachsen zu werden“, steht da. Jetzt erst lese ich den Titel. Er lautet: Ein kleines Stück Freiheit. Die Frau am Balkon ist verschwunden. Ich kann mich nicht mehr bedanken für das Geschenk. Ich werde das Buch behalten, es bekommt einen Ehrenplatz in meiner Bibliothek. Es erzählt vom Überleben. Das richtige Buch am richtigen Ort.

Schottis Niederösterreich-

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