Читать книгу Das Märchen von der Gleichheit - Michael Brand - Страница 8
ОглавлениеWas ist Leben?
Es ist nun ganz entscheidend, dass wir verstehen, was Leben ist, was es erhält und was es gefährdet. Die Physik und die Biologie liefern uns die Theorien dazu, den „Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik“ und die „Theorie der Offenen dissipativen Systeme“. Sie zeigen, wie dieses einzigartige Phänomen überhaupt möglich geworden ist auf unserem Planeten und wie unwahrscheinlich seine Existenz eigentlich ist. Besonders menschliches Leben gleicht einem „Turmbau zu Babel“, der schneller stürzen kann als wir ahnen. Erst wenn wir dieses Phänomen begriffen haben, werden wir auch Gefahren erkennen, wo wir sie bisher nicht vermutet haben.
Das Wichtigste sofort: Alles Leben tritt nur örtlich begrenzt auf, nur als Insel, und es verkörpert höchste Ordnung. Leben ist also eine Insel von Ordnung in einem Meer von Unordnung. Das gilt für Pflanze, Tier, Mensch, für jede andere Art. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Ordnung, sondern um eine ganz besondere Ordnung, die ein System erst zu einem lebendigen macht. Diese Ordnung in ihrem Insel-Dasein stellt auch nichts Festes dar, sondern lässt sich mit einer stehenden Welle vergleichen, ständig im Wandel und immer in Gefahr zu vergehen. Darum muss diese Ordnung ununterbrochen um ihren Erhalt kämpfen, denn ohne ihre hochgeschraubte, filigrane Strukturiertheit stirbt sie. Leben ist also die Strategie eines hochkomplexen Systems, seine Identität auf Dauer zu bewahren, also zu überleben: als Individuum, als Population, als Spezies, in einer Vielzahl von Formen, unter allen Umständen und in einer ständig sich wandelnden Umwelt.
Auch die Nahrung dieses Systems ist nicht beliebig. Es kann nur am Leben bleiben, wenn ein nie versiegender Strom ganz besonderer Energie, Information oder komplexer Ordnung es ständig durchfließt. Erwin Schrödinger drückt das ganz lapidar aus: „Leben frisst Ordnung“. Im Kapitel „Information und Komplexität“ werden wir zeigen, dass „Energie“ und „Ordnung“ mit „Information“ gleichzusetzen sind. Darum formuliert Konrad Lorenz es anders: „Leben frisst Information“. Wird diese Zufuhr unterbunden, stirbt das System.
Es soll auch deutlich werden, dass Leben ein durch und durch natürliches Phänomen darstellt. Weil wir vor allem anderen die Natur befragen und nicht die Philosophen, müssen wir die Welt nicht spalten. Die Vorstellung von der materiellen Einheit der Welt charakterisiert die Evolution als ein Kontinuum, das einen Dualismus von Geist und Materie nicht zulässt.