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4. Mindestdauer richterlicher oder rechtsberuflicher Tätigkeit vor der Ernennung

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Regelmäßig wird die Bestellung von Richtern nationaler Verfassungsgerichte an ein gewisses Mindestmaß an juristischer Berufserfahrung vor der Ernennung geknüpft. Auffällig ist dabei, dass mitunter zwischen den einzelnen Berufsgruppen im Hinblick auf die geforderte Dauer der Tätigkeit differenziert wird: So wird bei Personen, die bereits vor ihrer Bestellung zum Verfassungsrichter ein richterliches Amt ausgeübt haben, zum Teil keine Mindestdauer dieser Tätigkeit festgelegt. Ein Beispiel hierfür ist die Bestellung zum Richter an den italienischen Corte costituzionale: Als Richter an einem der obersten ordentlichen Gerichte bzw. Verwaltungsgerichte kann man auch ohne bestimmte Mindestdauer dieser Tätigkeit als Richter am Corte costituzionale bestellt werden; demgegenüber wird für Rechtsanwälte eine zwanzigjährige Berufserfahrung gefordert.[94] Sehr ähnlich ist die Situation für zu bestellende Richter am Supreme Court des Vereinigten Königreiches, wo die Kandidaten aus dem Richterkreis lediglich zwei Jahre ein hohes Richteramt ausgeübt haben müssen, jedoch von „praktizierenden Juristen“ (gemeint sind im Wesentlichen Anwälte) eine fünfzehnjährige Berufserfahrung gefordert wird.[95] Eine ähnliche Privilegierung findet sich auch bei Wissenschaftlern, deren berufliche Stellung regelmäßig vom Erfordernis einer gewissen Mindestdauer einer juristischen Tätigkeit dispensiert, wobei zu veranschlagen ist, dass regelmäßig – wie beispielsweise in Italien[96] oder Ungarn[97] – eine Professur an einer Universität gefordert ist und eine solche zumindest einige Jahre einschlägiger Berufserfahrung voraussetzt. In den meisten anderen Fällen wird eine juristische Berufserfahrung von – wie in Österreich[98] oder in Polen[99] – mindestens zehn Jahren bis hin zu – wie in Ungarn[100] – 20 Jahren verlangt. Auch hier bestätigen zwei Ausnahmen die Regel: Wo keine juristische Berufsausbildung für das Amt eines Verfassungsrichters gefordert wird, kommt auch eine Mindestdauer juristischer Berufserfahrung naturgemäß nicht in Frage – Beispiele hierfür sind Frankreich und die Schweiz. In Spanien wird demgegenüber einheitlich für Richter, Staatsanwälte, Universitätsprofessoren, Staatsbeamte und Rechtsanwälte eine fünfzehnjährige Berufserfahrung gefordert.[101]

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Insgesamt kann man im Hinblick auf die Mindestdauer richterlicher oder rechtsberuflicher Tätigkeit von einer Zweiteilung sprechen: Personen, welche entweder ein richterliches Amt ausgeübt oder den Endpunkt einer akademischen Karriere erreicht haben, werden von diesem Erfordernis in großem Umfang dispensiert. Praktiker haben demgegenüber regelmäßig eine nicht unbeträchtliche Berufserfahrung nachzuweisen.

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In manchen Staaten ist ein Berufsgruppenproporz gegeben, und zwar entweder kraft ausdrücklicher (verfassungs-)gesetzlicher Anordnung oder informeller Natur. Am weitesten geht die Regelung in Belgien, die bei den juristisch ausgebildeten Richtern nicht nur eine mindestens fünfjährige Praxis in einer von vier bestimmten Gruppen von Ämtern fordert,[102] sondern zusätzlich verlangt, dass mindestens einer der Verfassungsrichter diese Praxis als Professor der Rechte und mindestens einer der Verfassungsrichter diese Praxis als Referent des Verfassungsgerichts[103] zurückgelegt hat.[104] Faktisch bedeutet dies, dass Personen aus diesen Berufsgruppen an das Verfassungsgericht berufen werden.

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Weniger ausdrücklich sind die Regelungen in Deutschland und in Österreich. In Deutschland, wo der Kreis der möglichen Verfassungsrichter in der Verfassung mit „Bundesrichtern und anderen Mitgliedern“ umschrieben wird,[105] sind je drei Mitglieder der beiden Senate aus dem Kreis der Richter an den obersten Gerichten des Bundes zu wählen, wobei eine mindestens dreijährige Tätigkeit an einem solchen Gericht vorliegen soll.[106] Darüber hinaus wird informell auf eine Balance zwischen Richtern und Professoren geachtet.

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In Österreich ist nur für jene Hälfte der Richter (zuzüglich des Präsidenten sowie des Vizepräsidenten), die von der Bundesregierung vorgeschlagen werden, eine Begrenzung auf den Kreis der Professoren, Richter und Verwaltungsbeamten vorgesehen.[107] Bei den auf Vorschlag der beiden Kammern des Parlaments vorgeschlagenen Richter wird regelmäßig auf einen bestimmten Anteil von Rechtsanwälten geachtet.

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In einigen Staaten kommt in den Rechtsvorschriften mehr oder weniger deutlich die Erwartung zum Ausdruck, dass Richter von Höchstgerichten als Verfassungsrichter ernannt werden sollen. Neben der genannten deutschen Regelung ist hier Großbritannien zu nennen, wo auf die mindestens zweijährige Ausübung eines hohen Richteramtes abgestellt wird.[108] In Polen müssen die Verfassungsrichter jene Voraussetzungen erfüllen, die auch für Richter des Obersten Gerichtshofes bzw. des Verwaltungsgerichtshofes vorgesehen sind.[109]

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