Читать книгу Die Jägerin - Unter der Erde (Band 4) - Nadja Losbohm - Страница 10

8. Kapitel

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~ Pater Michael ~

Was ihre Reaktion auf meine unerwartete Berührung zu bedeuten hatte? Ich wusste es nicht, und dass sie vor mir zurückgeschreckt war, als wäre es für sie kaum zu ertragen, von mir angefasst zu werden, verunsicherte mich und ich fühlte mich gekränkt. Aber was sollte ich tun? Sollte ich sie fragen, was der Grund dafür gewesen war? Ich konnte und wollte sie nicht darauf ansprechen, denn in meinem Inneren fürchtete ich mich vor der Wahrheit, die sie mir eröffnen könnte. Stattdessen setzte ich mich wieder in den Sessel zurück und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie unwohl ich mich plötzlich fühlte. Mein Herz schlug mir vor Aufregung bis zum Hals. Ich hörte meinen rasenden Pulsschlag in den Ohren und mahnte mich zur Ruhe. Ich legte die Hände auf meinen Bauch und spürte, wie er sich durch meine heftige Atmung rasch hob und senkte. Angestrengt versuchte ich all die schlechten Gefühle, die in diesem Moment in mir tobten, zu unterdrücken. Sie sollten nicht an die Oberfläche gelangen und über Ada herfallen. Es kostete mich viel Kraft, meine Emotionen zu bändigen, und auch das Atmen strengte mich mehr an, als man es für möglich halten könnte. Doch schließlich gelang es mir, mich wieder zu entspannen, ohne dass Ada etwas von dem inneren Kampf, den ich ausfocht, mitbekam.

Ich senkte meinen Blick auf die Bettdecke, deren Ende über die Matratze hing. Dieses Stück Stoff wurde zu meiner Rettungsleine. Ich fixierte es und konzentrierte mich auf den Verlauf der Falten, die die Decke warf, und fuhr mit meiner Geschichte fort. „Wie ich bereits sagte, ärgerte es Allistair und mich ebenso sehr, dass wir nicht überall gleichzeitig sein konnten. Es erschien uns ungerecht, dass wir an einem Ort für Ordnung gesorgt hatten, während an einem anderen ein Mensch starb, weil wir nicht dort sein konnten. Aber wir wussten nicht, woher sie gekommen waren. Es gab keinen Ursprung, an den man hätte zurückkehren können. Sie waren einfach irgendwann aufgetaucht. Es war bekannt, dass es mit der Schlechtigkeit der Menschen in Zusammenhang stand, und daran konnten wir nur wenig ändern. Uns war klar, dass es an den Menschen selbst lag, sich zu schützen, indem sie etwas an ihrem Verhalten änderten. Mein Schützling und ich konnten nur unser Bestes tun und versuchen, schneller zu werden. Wir spürten die Monster auf, töteten sie und zogen weiter, wobei wir den Spuren der Menschen folgten. Manchmal war es allerdings auch so, dass mehrere Tage vergingen, in denen wir nichts zu tun hatten. So etwas ist heute kaum der Fall,“ bemerkte ich und sah, wie die Matratze vor mir sacht auf und ab hüpfte.

Kurz sah ich zu Ada auf und stellte fest, dass sie heftig mit dem Kopf nickte und meiner Aussage vehement zustimmte. Unsere Blicke trafen sich dabei. Für mich fühlte es sich an, als würde ein Stromschlag durch meinen Körper fahren. Alles kribbelte auf eine unangenehme Weise und fühlte sich taub an. Es war eine ganz eigenartige Erfahrung, die ich machte, und verstärkte mein Unwohlsein noch weiter. Nervös leckte ich mir über die trockenen Lippen. Meine Hände legten sich auf die Armlehnen des Sessels und umfassten die Polster so fest, sodass meine Gelenke knackten und die Knöchel meiner Finger weiß hervortraten.

„Zehn Jahre lang reisten wir umher und führten ein wahres Nomadenleben. Und es war oft sehr gefährlich. Vielerorts, wo wir hinkamen, herrschte das Chaos. Schlachten wurden um uns herum geschlagen. Wir wurden Zeugen von blutigen Kämpfen zwischen verfeindeten Clans. Plötzlich kämpften wir nicht mehr nur unseren eigenen Krieg, sondern rannten auch noch um unser Leben, weil sich die Mitglieder des einen Clans sicher waren, dass jemand aus ihrer Familie von den Mitgliedern eines anderen Clans getötet worden war. Oftmals stimmte es vielleicht, das weiß ich jedoch nicht. Aber oft irrten sie sich auch, denn ich sah einige der Toten, oder das, was von ihnen noch übrig war, und wusste sofort, dass nur die Kreaturen der Nacht die armen Menschen so zugerichtet haben konnten. Doch ich konnte es ihnen nicht sagen. Ich hatte einen Eid geschworen, dieses Geheimnis nicht an Außenstehende zu verraten. Ich hätte ihnen gern gesagt, was vor sich ging. Aber wahrscheinlich hätten sie mir nicht geglaubt und hätten ihre blutigen Fehden weiter ausgetragen. Doch die Gefahr bestand nicht nur in diesen kriegerischen Auseinandersetzungen. Wir kämpften auch gegen Gegner, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Es gab zahlreiche Seuchen, bei denen es keine Hilfe für die Menschen gab. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich in jenen Tagen den Menschen die Absolution erteilte, und ich werde nie die Massen der Toten vergessen, die sich vor mir auftürmten. Hinzu kam, dass meine Abstammung oft für Aufregung unter den Einheimischen sorgte. Allistair wurde im ersten Moment herzlich aufgenommen. Er war einer von ihnen. Er sah aus wie sie und sprach wie sie. Doch die Stimmung schlug um, sobald sie bemerkten, dass er mit mir sympathisierte, einem weitgereisten Fremden, der weder vom Äußeren noch von der Sprache her zu ihnen passte. Sie wurden misstrauisch und verjagten Allistair und mich. Das machte es oft sehr schwer, unserer Aufgabe nachzugehen. Im Jahre 1006... .” Ich unterbrach meinen Redefluss, als ich hörte, wie Ada bei der Jahreszahl ein unterdrücktes Wimmern von sich gab. Ihre offensichtliche Ablehnung meines wahren Alters gegenüber versetzte meinem Herzen einen erneuten Stich. Ich vermied es, sie anzusehen, aus Angst, welch angewiderte Miene mir entgegenblicken könnte, und folgte mit meinen Augen dem Verlauf einer Falte auf der Bettdecke, die vom Rand der Matratze bis zu meinem linken Knie reichte und dort aus meinem Blickfeld verschwand. In meinem Kopf zählte ich langsam bis drei und atmete bei jeder Zahl tief durch, in der Hoffnung, dass es meinen Puls wieder beruhigte. Dann knüpfte ich an meine Erzählung an. „Im Jahre 1006 zogen wir weiter nach Süden. Auf unserem Weg trafen wir auf die Truppen von Schottlands König Malcolm II. Sie marschierten Richtung Durham, um die Siedlung zu erobern. Allistair und ich wandten uns etwas weiter nach Westen, und wir folgten den Pfaden im Landesinneren, die uns bis nach Colchester führten, welches ursprünglich unter dem Namen „Camelot” bekannt gewesen war.”

„ „Camelot“? „Camelot” wie in König Artus’ „Camelot“?”, unterbrach mich Ada überrascht.

Schmunzelnd nickte ich, hielt meine Augen aber weiterhin auf die Matratze gerichtet. „Von Colchester oder „Camelot” aus traten wir unsere vorletzte Reise an. Mit einem Boot setzten wir nach Dänemark über. Auch dort suchten und fanden wir zahlreiche Monster und vernichteten sie. Irgendwann gelangten wir zu einer kleinen Holzkirche, die aus Eichenholz gearbeitet war. Sie besaß drei Bereiche: einen Vorraum, das Hauptschiff und den großen Hauptturm. Ich hatte so etwas noch nie gesehen und war fasziniert von ihrer Schönheit und dem ganz eigenen Charme. Allistair und ich baten dort um Unterkunft, die man uns bereitwillig gewährte. Bemerkenswert war, dass die Mönche dort bereits auf unsere Ankunft gewartet hatten. Sie hatten eine Nachricht für uns, die besagte, dass Allistair und ich hierherkommen sollten, denn man hatte herausgefunden, dass das „Epizentrum“ des Monstertreibens hier an diesem Ort, deiner Heimatstadt, lag. Die häufigen Meldungen von mysteriösen Todesfällen hatten die Kirche aufhorchen lassen. Nirgendwo sonst wurden mehr Tote, oder das, was von ihnen noch übrig war, gefunden wie hier. Wieso es so war, wusste niemand, schließlich gab es hier im elften Jahrhundert noch keine Stadt. Ein Dorf, ja, aber keine Stadt. Aber die Tatsachen konnten nicht ignoriert werden. Es musste etwas unternommen werden. Daher entschieden sie sich dazu, mir ein „Zuhause“ zu errichten und auch eine Gemeinde zu geben. Somit begaben wir uns auf den Weg hierher, reisten weiter nach Süden, dann nach Westen, bis wir ins Frankenreich kamen. Wir brauchten weitere zwei Monate, bis wir endlich ankamen. Auch in dieser Zeit gönnten uns die Kreaturen der Nacht keine Rast. Sie hielten uns mächtig auf Trab. Und je näher wir unserem Ziel kamen, desto mehr hatten wir zu tun. In dieser Zeit beging ich auch meine dunkelste Tat. Und Allistair war bei mir,” sagte ich mit leiser werdender Stimme. Ich blickte hinunter auf meine rechte Hand, deren Finger sich in das Polster der Armlehne gebohrt hatten. Als ich sie entspannte, spürte ich erst den Schmerz, der durch die verkrampfte Haltung kam. Angestrengt überlegte ich, ob ich Ada wirklich erzählen sollte, welch grausame Tat ich vor so vielen Jahrhunderten begangen hatte. Ich wusste nicht, was in ihr vorging. Sie war so schweigsam, seitdem sie vor mir ausgerissen war. Ich wusste nur, dass sich ihr Verhalten mir gegenüber in dem Moment verändert hatte, als ich ihr mein wahres Alter verraten hatte. Sie war mir in jenem Moment entglitten. Würde ich ihr jetzt sagen, dass ich Menschen getötet hatte, würde ich sie erst recht verlieren.

Die Jägerin - Unter der Erde (Band 4)

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