Читать книгу Die Jägerin - Unter der Erde (Band 4) - Nadja Losbohm - Страница 12

10. Kapitel

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~ Pater Michael ~

Für einen Moment hielt ich inne, um meine Worte verklingen zu lassen und Ada Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen. Vorsichtig schaute ich zu ihr auf und sah in ihr erstauntes Gesicht. Ihre türkisfarbenen Augen waren weit aufgerissen, und einige Minuten lang blinzelten sie nicht einmal. Ich schwieg weiter, wartend darauf, dass sie zu sprechen begann. Aber Ada sagte nichts. Bisher hatte sie Fragen gestellt, wenn auch wenige. Sonst war sie immer gesprächig, nie auf den Mund gefallen und hinterfragte die Dinge. Aber nun war sie in Schweigen verfallen und starrte mich an. Und was hatte es mit ihrem Ausweichen von vorhin auf sich, was ich mir immer noch nicht erklären konnte? Was dachte sie über mich? Ich wusste nicht, wie ich all das deuten sollte. Ihr Verhalten war so seltsam und ungewohnt. Hing es noch mit der Vergiftung ihres Körpers zusammen? Schwächte es sie, dort zu sitzen und zuzuhören? Wieso bat sie mich dann nicht um eine Pause, wenn es sie zu sehr anstrengte? Ich überlegte hin und her, was ich tun sollte. Adas Augen starrten mich weiterhin an. In ihnen stand das Entsetzen, die Erschrockenheit und Überraschung über mein Geständnis. Trotzdem schickte sie mich nicht fort, und Hoffnung begann in mir aufzukeimen, dass ich sie noch nicht ganz verloren hatte und sie womöglich Verständnis für meine Tat, die ich mir bis heute nicht einmal selbst verziehen habe, aufbringen konnte. Somit kam ich zu dem Entschluss, weiterzusprechen. Ich hatte angefangen, dieses Erlebnis detailliert zu beschreiben. Ich würde es zu Ende bringen.

„Ich trat aus dem Versteck. Ich fürchtete mich nicht, als ich hinter der alten Mauer des Steinhauses hervorkam und mich den Schurken offen zeigte. Die drei am Feuer blickten verwundert von ihren Fischen zu mir auf. Ihre Augen wanderten über meine Gestalt. Sie sahen ungläubig drein und hielten mich wohl für einen Geist. Aber dann entdeckten sie das Schwert in meiner Hand und entschieden sich dafür, in mir doch einen wirklichen Menschen zu sehen. Die Männer am Feuer warfen ihre Mahlzeit beiseite, sprangen auf und fingen an zu schreien. Die beiden anderen Kerle, die an der Mauer lehnten und ihren Rausch ausschliefen, wachten von dem Lärm auf und sahen sich verwirrt um. An ihren Gesichtern konnte ich erkennen, dass sie fieberhaft versuchten, die Szene zu verstehen. Nach einigen Momenten begriffen sie, was vor sich ging und waren plötzlich nüchtern. Sie zogen sich an der Mauer hoch und richteten sich auf, um den letzten Rest der Trunkenheit abzuschütteln. Ich trat in die Mitte des Lagers. Die Hitze des Feuers schmerzte auf meiner Haut, so dicht stand ich bei ihm. Die zwei Männer gesellten sich zu ihren Freunden. Eine Duftwolke des Alkohols, den sie in sich hineingeschüttet hatten, wehte zu mir hinüber. Ich zog die Nase kraus, als ich den Geruch wahrnahm. Er vermischte sich mit dem des Feuers, der gebratenen Fische und den ungewaschenen Leibern der Männer. Die fünf Räuber umstellten mich. Die Spitzen ihrer verrosteten, verbeulten und kurzen Schwerter waren auf mich gerichtet. Ich drehte mich um die eigene Achse und betrachtete die Gesichter der Männer eingehend. Oh ja, sie waren es. Ganz eindeutig! Sie hatte ich von unserem Hof fliehen sehen, nachdem sie meine Mutter getötet hatten und ich aus meinem Versteck unter den Brettern des Fußbodens in unserem Häuschen hervorgekrochen war.

„Wer bist du? Was willst du?”, fragten mich die dunklen Gestalten. Ich antwortete nicht, sondern lächelte nur. Ich lächelte über den Ausdruck in ihren Augen, als sie die Klinge meines Schwertes orange schimmern sahen, was den Eindruck vermittelte, dass es aus den Flammen des Lagerfeuers entstiegen zu sein schien. Ich lächelte, als sie sich zur Verteidigung bereitmachten. Ich konnte lächeln, weil ich wusste, dass sie gegen mich niemals bestehen konnten. Ihr Untergang war nahe. Ich war ihr Verderben. Einem nach dem anderen stieß ich mein Schwert in den sündigen Leib. Ich war der Letzte, der ihnen in die Augen sah, bevor sie starben. Und ich verfluchte jeden Einzelnen von ihnen, dass das rote, rachsüchtige Blitzen in meinen Augen und mein wahnsinniges Grinsen sie bis in alle Ewigkeit verfolgen möge.”

Die Erinnerungen an diese Momente waren so lebendig, es erschütterte mich, wie intensiv ich noch heute die Empfindungen spüren konnte, als wäre alles erst gestern geschehen. Meine Stimme verklang. Ich starrte vor mich hin, sah im Hier und Jetzt nichts Bestimmtes. Aber ich erinnerte mich daran, was nach meinem Massaker gewesen war. Vor Erschöpfung war ich zusammengebrochen und erst am nächsten Tag wieder aufgewacht. Irgendwo hörte ich das Rauschen von Wasser. Ich setzte mich auf, unter mir raschelten und knackten Zweige und Gras. Verwundert sah ich mich um und entdeckte den See, an dessen Ufer ich lag und in den ein meterhoher Wasserfall hinabfiel. Grelles Sonnenlicht blendete mich, als ich die mir unbekannte Landschaft weiter betrachtete. Kahle Bäume standen in der Nähe. Viele von ihnen waren alt und trocken, manche wiesen Brandspuren auf. Es war eine tote Umgebung, und ich wusste nicht, wo sie lag oder wie ich dorthin gelangt war. Schließlich sah ich an mir herunter und stellte fest, dass ich sauber war. Das Blut, das mir in der Nacht ins Gesicht gespritzt war, war abgewaschen worden. Mit meinen Augen suchte ich den Boden ab und entdeckte endlich mein Schwert. Es war ebenfalls gesäubert worden und glänzte rein und unschuldig. Es dauerte nicht lange und ich fand Allistair, der mich, gegen einen Baum gelehnt, beobachtete. Stumm blickte er mich an. An dem Gesicht meines Schützlings erkannte ich, dass er alles mit angesehen hatte. Er hatte nicht eine einzige Sekunde weggeschaut, hatte jede Bewegung, jeden Schwerthieb, all die rohe Gewalt beobachtet, mit der ich gewütet hatte. Er sagte nichts dazu. Weder an diesem Tag noch an irgendeinem anderen. Instinktiv schien er zu wissen, was mich dazu getrieben hatte, diese Männer zu töten, und dass ich nicht grundlos zum Mörder geworden war. Allistair verschonte mich mit quälenden Fragen. Damals war ich dankbar für sein Schweigen. Doch heute, als ich Ada von meinem dunkelsten Geheimnis erzählte, machte mir die Stille, die in ihrem Schlafzimmer herrschte, Angst. Es beunruhigte mich, dass Ada nichts sagte und sich nicht rührte. Aber auch ich war verstummt und betrachtete erneut die Falten der Bettdecke und verfolgte mit meinen Augen ihren Weg. Ich wagte es nicht, der Frau ins Gesicht zu blicken, die mich einst als Engel bezeichnet hatte und nun feststellen musste, dass ich eine teuflische Tat begangen hatte, von der sie nie eine Ahnung gehabt hatte. Bis heute.

Das Rascheln der Decke und die Bewegung der Matratze geschahen unerwartet. Die Geräusche wirkten unnatürlich laut in dem stillen Zimmer. Noch immer blickte ich nicht auf; wartete darauf, dass Ada etwas tat oder sagte, das helfen würde, die Befangenheit und Unsicherheit zu überwinden. Ich musste noch weitere lange Minuten warten, bis mich das plötzliche Ertönen ihrer Stimme zusammenfahren ließ und sie sagte: „Ich weiß, du musstest es tun. Ich verstehe, dass du es getan hast, Michael. Jeder hätte wohl so gehandelt. “

Ruckartig schoss mein Kopf hoch, und ich sah sie überrascht an. Ada hatte sich gerade hingesetzt und lehnte sich gegen die Kissen in ihrem Rücken. Die Hände lagen gefaltet auf ihrem Schoß, und sie blickte auf sie hinunter. Ich verspürte eine gewisse Erleichterung darüber, dass sie meine Beweggründe verstand, aber dass sie es strengstens vermied, mich anzusehen, verunsicherte mich, und ich fragte mich, ob sie gelogen und nur das gesagt hatte, was ich ihrer Meinung nach hören wollte. Konnte man einem Menschen, noch dazu einem Priester, solch eine fürchterliche Tat tatsächlich vergeben? Ich hatte es mir nie verziehen, dass ich mich so von meinen Gefühlen hatte leiten lassen. Wie oft hatte man mir gesagt, dass es wichtig sei, auch denen zu vergeben, die einem Leid zugefügt haben? Wie oft hatte ich diese Worte schon an andere Menschen weitergegeben, obwohl ich selbst dieses Gesetz gebrochen hatte? Wie konnte Ada verstehen, dass ich es getan hatte, und mir vergeben, dass ich fünf Menschen getötet hatte, dass ich gegen das fünfte Gebot verstoßen hatte: ,Du sollst nicht töten‘?

Die Jägerin - Unter der Erde (Band 4)

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