Читать книгу Die Jägerin - Unter der Erde (Band 4) - Nadja Losbohm - Страница 13

11. Kapitel

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~ Ada ~

Es war keine Lüge, als ich sagte, dass ich ihn verstand. Ich tat es wirklich. Ich verstand seine Beweggründe. Allerdings muss ich gestehen, dass ich es mir nur schwer vorstellen konnte, selbst so etwas zu tun. Mir fielen nur zwei Menschen auf dieser Welt ein, für die ich zur Mörderin werden würde und bereits geworden war: Pater Michael und meine Tochter. Aber als ich Pater Michael gerächt hatte, waren die Untiere der Nacht durch meine Hand getötet worden und keine Menschen. Das war etwas völlig anderes. Oder?

Ich war über sein Geständnis schockiert. Ich hätte ihm so etwas nicht zugetraut. Ich wusste, dass er manchmal aufbrausend sein konnte. Wenn er wütend war, machte er mir Angst. Er hatte auch mir bereits oft mit Worten wehgetan. Aber nach allem, was er mir eben erzählt hatte, wusste ich, dass ich das gesamte Ausmaß seines Zorns, seiner Wut noch nicht einmal annähernd kennengelernt hatte. „Zum Glück!“, musste man da wohl sagen. Ich war froh darüber, dass ich weitaus öfter seine liebevolle, herzliche, sanfte und fürsorgliche Seite zu Gesicht bekommen hatte. In meinen Augen war er ein guter Mann und nicht der kaltblütige Killer, der Rache genommen hatte. Doch ich würde niemals vergessen, was ich in diesem Zimmer gehört hatte, und ich hatte keine Ahnung, ob und inwiefern es mich beeinflussen würde. All das war vor so unglaublich langer Zeit geschehen. In den letzten Stunden hatte ich so wahnsinnig viele neue Informationen von ihm erhalten. Es war eine einzige riesengroße Welle, die über mich hinweggerollt war. Noch immer spürte ich ihre Kraft und wie sie mich niederdrückte. Wie sollte ich mit all diesen Informationen nur zurechtkommen? Wie konnte ich verarbeiten, was er mir erzählt hatte? Ich kannte die Antwort auf diese Fragen nicht. Nur die Zeit würde mir dabei helfen, mit allem klarzukommen. Sei es mit seinem wahren Alter, dem ungestraften Wüten der Monster außerhalb meiner Stadt oder die Tatsache, dass Pater Michael eine Gruppe von Männern im Alleingang, ohne mit der Wimper zu zucken, ermordet hatte. Ja, es würde eine Weile dauern, bis ich das verdaut hatte.

„Was passierte danach?”, fragte ich ihn mit monotoner Stimme und starrte weiterhin auf meine Hände hinunter. Ich spürte Pater Michaels Blicke auf mir. Er beobachtete mich von der Seite. Für einen kurzen Augenblick huschten meine Augen nach links, und ich sah sein verschwommenes Gesicht. Hastig richtete ich meine Augen wieder geradeaus und dachte darüber nach, was in seinem Kopf vor sich ging, weil ich so schnell das Thema gewechselt hatte. Aber ich wollte einfach nicht weiter über das reden, was er in dem Wald von Brocéliande getan hatte. Dazu gab es nichts weiter zu sagen. Ich fand es mutig von ihm, dass er es gestanden hatte. Es zeugte von seinem Vertrauen in mich. Nichtsdestotrotz war ich immer noch in einer Art Schockzustand, und bis ich diesen verwunden hatte, wollte ich nicht mehr über diese Angelegenheit sprechen.

„Als wir schließlich hier ankamen, war mit dem Bau der St. Mary’s Kirche bereits begonnen worden. Die Baumeister waren schon sehr weit mit ihrer Arbeit, und die unterirdische Anlage gab es ebenfalls schon. Allistair blieb natürlich hier. Als die Arbeiten beendet waren, wurde die Kirche geweiht, und ich erhielt die Priesterweihe. Möchtest du wissen, wie es vonstattenging?”, fragte er mich zaghaft. Ich nickte. „Zur gleichen Zeit, als die St. Mary’s Kirche fertiggestellt wurde, hielt sich der Bischof von Chartres, Fulbert, hier in der Gegend auf. Man kann es als Zufall bezeichnen oder Schicksal, dass er zu dem Tag, an dem ich geweiht werden sollte, ganz in der Nähe war. Fulbert war nämlich ein ehemaliger Schüler von Gerbert von Aurillac, den ich unter dem Namen Silvester II vor zehn Jahren als Papst kennengelernt hatte. Ich bin mir nie sicher darüber gewesen, ob es so vorhergesehen war, aber irgendwie schien sich damit ein Kreis zu schließen, der einst im Lateranpalast begonnen worden war. Es war für mich eine große Ehre, geweiht zu werden. Doch es war noch Ehrfurcht einflößender, dass der Bischof von Chartres die Weihung vornahm, und ich konzentrierte mich voll und ganz auf seine Stimme und die Worte, die er sagte, als er mich über meine Pflichten als Priester belehrte: ,Opfere, weihe, predige, stehe vor und taufe.‘ Dann musste ich mich flach auf den Boden zu den Füßen des Bischofs legen und rief die Heiligen des Himmels an, mir ihren Segen zu geben und auch den des Bischofs. Anschließend erhob ich mich wieder, Fulbert von Chartres legte mir seine Hände auf das Haupt, wodurch er mir ein unsichtbares Zeichen verlieh, das ich niemals verlieren würde, ganz gleich, wie groß die Versuchung auch sein mag.”

Seine Stimme war zu einem Flüstern geworden, sodass die letzten Worte nur zart gehaucht herauskamen. Verwundert darüber wandte ich den Kopf ein Stück zur Seite und entdeckte das sanfte Lächeln auf Pater Michaels Gesicht. Er gestattete sich einen Moment, in dem er mich einfach nur betrachtete, und ich sah die Liebe und das Glück in seinen Augen. Ich fragte mich, was in seinem Kopf vorging, während er mich so ansah. Aber eigentlich gab es nur eine Erklärung, die im Zusammenhang mit „Versuchung” zutreffend sein konnte: ich. Ich war für ihn die personifizierte Versuchung, der er erlegen war und wegen der er trotz allem dieses Brandzeichen, oder wie er es bezeichnete, nie verloren hatte. Ich freute mich, dass er es anscheinend nicht mehr als ganz so tragisch ansah, dass er sein Gelübde gebrochen hatte, aber so wie er mich in diesem Moment ansah, war es mir unangenehm, und es machte mich nervös. Ich drehte meinen Kopf herum und richtete meinen Blick wieder nach vorn.

Pater Michael schien meine Verunsicherung zu spüren, denn ein plötzliches Räuspern zerriss die Stille, und er beendete den Augenblick des Schweigens. „Nachdem ich das Zeichen erhalten hatte, sprach der Bischof ein Gebet und ein Chor begann zu singen. Doch dann brach der Bischof abrupt ab und sprach das Weihegebet. Ich erhielt die priesterlichen Gewänder, und die Salbung der Handinnenflächen erfolgte. Chrisma, ein Olivenöl, das mit duftendem Balsam vermischt worden war, wurde zuerst auf die Daumen und Zeigefinger gegeben, dann wurden die Innenflächen meiner Hände mit dem Öl gesalbt. Die ganze Zeit über war die Luft erfüllt von dem Gesang des Chors, dem Duft des Salbungsöls und dem Gebet, das der Bischof leise zu mir sprach. Als er geendet hatte, schloss er meine Hände und band sie mit einem Leinentuch zusammen. Es war üblich, dass neu geweihte Priester dieses Tuch an ihre Mutter weitergeben, die für den Rest ihres Lebens darauf aufpassen und es sogar mit ins Grab nehmen würde. Doch meine Mutter lebte bereits seit Jahren nicht mehr. Sie wusste nichts davon, dass ihr Sohn nun in den Stand des Priesters getreten war, und ich hatte nicht einmal eine Ahnung davon, ob mein Vater ihre Überreste begraben hatte. Statt es ihr zu überreichen, behielt ich es und verwahre es seitdem in meinem Büro. Den Rest der Messe verfolgte ich von meinem Platz auf einer der hölzernen Bänke aus. Als der Bischof ein weiteres Gebet zu Ende gesprochen hatte, brachte ich mein erstes Opfer dar. Dann sprach ich das Apostolische Glaubensbekenntnis… ,” sagte er, aber an dieser Stelle musste ich ihn unterbrechen.

„Das was?”, hakte ich nach und sah ihn fragend an.

„Das Apostolische Glaubensbekenntnis,” wiederholte Pater Michael es noch einmal ganz langsam für mich. „Spricht man es, bekennt man sich zum christlichen Glauben. Seine Bedeutung ist von Land zu Land unterschiedlich. In manchen Ländern spricht man es morgens und abends. In anderen wird es an Sonn- und Feiertagen gesprochen, und es ist auch der Beginn des Rosenkranzgebetes,” erklärte er mir, wobei er den Rosenkranz seiner Mutter, der sichtbar auf dem Stoff seiner Soutane ruhte, zärtlich mit den Fingern berührte. „Vor dem Bischof von Chartres musste ich es auf Latein rezitieren. Aber übersetzt lautet es:

,Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden,

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben.

Amen.‘

Ich selbst spreche es zu Beginn des Rosenkranzgebetes, wenn ich allein bin, und innerhalb der Gemeinde nutze ich es zu den Taufen. Es gibt jedoch erstaunlich wenig kleine Kinder in meiner Gemeinde. Das Durchschnittsalter müsste etwa bei fünfzig Jahren liegen. Die kleine Sarah ist seit mehr als vier Jahren die Letzte, bei der wir die Taufe vollzogen haben. Du kamst erst kurze Zeit später hierher. Daher kennst du das Apostolische Glaubensbekenntnis auch nicht.”

Irre ich mich oder schwang tatsächlich so etwas wie ein Vorwurf in dieser Bemerkung mit? Hey, ich konnte doch auch nichts dafür, dass es von einer höheren Macht, oder wem auch immer, so eingerichtet worden war, dass ich erst mit 21 „reif” geworden war! Und was kirchliche Riten und Gebete anging, zählte ich mich immer noch zu den blutigen Anfängern.

Plötzlich veränderte sich etwas an der Art, wie er sprach. Seine Stimme klang belegt, bei einzelnen Worten versagte sie völlig, und er musste sich räuspern, um es dann erneut zu versuchen. „Ich hätte gern auch unsere Tochter getauft, solange sie noch bei uns war. Aber ich wusste nicht, ob du damit einverstanden sein würdest, wenn ich die Wahl des Glaubens für sie übernommen hätte. Wir hatten das nie besprochen, und ich wollte nicht über deinen Kopf hinweg entscheiden,” verriet er mir.

Ich spürte abermals seine Blicke auf mir und war mir unschlüssig, ob ich zu diesem Geständnis etwas sagen sollte. Erwartete er eine Antwort darauf? Sollte ich mich bedanken, dass er so rücksichtsvoll gewesen war, in dieser Sache nicht den Alleingang gewagt zu haben? Doch ich konnte nichts erwidern, konnte ihm nicht sagen, was er vielleicht gerne gehört hätte. Ich war einfach zu erstaunt darüber, dass er an die Taufe überhaupt gedacht hatte. Zugegeben, als Priester musste er wohl automatisch an diesen feierlichen Akt denken, aber ich für meinen Teil hatte nie mit dem Gedanken gespielt, unser kleines Mädchen taufen zu lassen, und ich hatte keine Ahnung gehabt, dass es Pater Michael wichtig war.

Nach einigen langen und unangenehmen Momenten des Schweigens, gab er ein Räuspern von sich und sagte, nun mit etwas festerer und klarer Stimme: „Diesen bedeutenden Ritus kann man natürlich auch noch in ein paar Jahren nachholen, wenn sie selbst auch den Wunsch hat, und ich hoffe, bete und wünsche mir sehr, dass ich dann derjenige sein werde, der sie tauft.“ Das war das Letzte, was er zu diesem Thema sagte. Offenbar hielt er es für klüger, mit seiner eigentlichen Erzählung, von der er unwillkürlich oder willkürlich abgekommen war, fortzufahren. „Als ich das Glaubensbekenntnis abgeschlossen hatte, legte mir Bischof Fulbert noch einmal seine Hände auf das Haupt, und ich musste Ehrfurcht und Gehorsam schwören. Dann gab er mir den Friedenskuss, und meine Weihung zum Priester war vollendet. Doch damit war nur der erste Teil vollzogen worden. Da ich mich dazu entschieden hatte, den Posten des Lehrers anzunehmen, fehlte noch der größte und komplizierteste Ritus. Es dauerte volle drei Tage, bis er beendet und mein Leben an diese Kirche gebunden war. Genaueres darf ich dir darüber nicht erzählen. Ich habe geschworen, mit niemandem darüber zu sprechen. Ich sage nur dies: Die ganze Zeit über fürchtete ich mich, weinte wie ein Kleinkind und hatte starke Schmerzen, die nichts im Vergleich zu denen waren, die ich hatte, als mich der Mönch auspeitschte,” gestand er mir und rieb sich nachdenklich das Kinn. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verfinstert, während er daran dachte, was er vor so vielen Jahrhunderten durchgemacht hatte.

Ich überlegte, ob er es in jenen drei Tagen wenigstens einmal bereut hatte, sich dazu entschieden zu haben, sein normales Leben aufzugeben und sich hier einsperren zu lassen. Aber hatte er mir nicht gesagt, dass er nie gezögert hätte, als man ihn gefragt hatte? So wie ich Pater Michael kannte, war es zu 99,9 Prozent unwahrscheinlich, dass er seine Entscheidung, selbst unter höllischen Schmerzen, bereute.

„Ich brauchte ein paar Tage, um mich von den Strapazen des Rituals zu erholen. Allistair war, ohne dass ich etwas davon mitbekommen hatte, ebenfalls in die unterirdische Anlage eingezogen. Als ich in meinem Bett lag und mich ausruhte, besuchte er mich und fragte, ob ich eine Veränderung an meinem Körper verspüren würde. Ich konnte diese Frage nur verneinen. Alles fühlte sich normal an. Mein Herz schlug, ich war warm und verspürte all die menschlichen Bedürfnisse, die ich auch vorher schon gehabt hatte. Nur die Tatsache, dass ich nun nicht mehr stundenlang in der Welt umherlaufen konnte, deutete darauf hin, dass sich etwas geändert hatte. Um aufrichtig mit dir zu sein, Ada, am Anfang glaubte ich nicht einmal daran, dass es wirklich so war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mich nur noch sechzig Minuten außerhalb der St. Mary’s Kirche aufhalten durfte und ließ es sogar einmal darauf ankommen.”

„Wie bitte?“, rief ich aus, überrascht und entsetzt darüber, dass er so leichtsinnig gewesen war.

Pater Michael legte den Kopf schief und betrachtete mich nachdenklich. Es schien, als würde er meine Sorge um ihn in Frage stellen. „Ich ging vor das Portal, trat auf den Platz vor der Kirche und hatte keinerlei Verbindung mehr mit dem heiligen Boden. Allistair stand neben mir und achtete darauf, wie es mir ging. Damals gab es noch keine Uhr, an der wir die ablaufende Zeit verfolgen konnten. Daher mussten wir nach meinem Gefühl gehen,” entgegnete er mir und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Ich hingegen konnte nur den Kopf darüber schütteln, dass er den Teufel zum Tanz aufgefordert hatte. „Zuerst merkte ich gar nichts, aber je länger ich dort draußen stand, desto schwächer wurde ich. Mit zunehmender Zeit fiel mir das Atmen schwerer, dann verlor ich die Kraft in meinen Beinen und konnte mich nicht mehr aufrecht halten. Daraufhin schleppte mich Allistair zurück in die St. Mary’s Kirche. Sobald ich ihren Boden mit meinen Füßen berührte, ging es mir besser, und ich war erleichtert und erstaunt über die Größe Gottes und die Macht dieser Kirche. Ich hatte den Beweis erhalten, den ich gebraucht hatte, um zu glauben, dass es wahr war. Und das war es. Jedes Wort, das man mir gesagt hatte, stimmte, und ich forderte nicht noch einmal das Schicksal heraus.”

„Nun, da ich an die St. Mary’s Kirche gebunden war, kamen die Jäger zu mir und führten von hier ihre Aufgabe aus. Sie kamen immer noch aus aller Welt, wurden in ihren Heimatländern von Sehern entdeckt und hierher geschickt.”

„Aber Richard Connelly kam von hier, nicht wahr? Bernard hat ihn doch auch erkannt?”, unterbrach ich ihn.

Der Padre nickte. „Es kommt selten vor, dass zwei aufeinanderfolgende Jäger aus der gleichen Gegend stammen. Aber bei euch beiden ist es so gewesen,” erklärte er mir. Pater Michael räusperte sich, und ich hörte seinen Hintern über das Polster des Sessels schubbern. Meine Augen schweiften zu ihm hinüber, und ich beobachtete ihn dabei, wie er seine Sitzposition veränderte. Er hielt den Kopf unten, sodass ich nur auf seine dunkle Haarpracht blickte und nicht sein Gesicht sehen konnte. „Leider starb Allistair schon sehr zeitig während einer nächtlichen Jagd,” knüpfte er an seine eigentliche Erzählung an, die ich mit meiner Frage unterbrochen hatte. „Ich machte mir lange Zeit Vorwürfe, weil ich nicht bei ihm gewesen war. Ich konnte ja nicht mehr mit auf Patrouille gehen, da mein Leben an die Kirche gebunden war. Er war auf sich allein gestellt, und ich hatte ihm nicht helfen können. Es hat lange gedauert, bis ich darüber hinwegkam.”

„Wie alt war er?”, wollte ich wissen.

„Er wurde nur 38 Jahre alt,” antwortete Pater Michael und hob plötzlich seinen Kopf an. Unsere Blicke trafen sich. Ich wich seinen Augen nicht aus, sondern behielt den Kontakt bei. Von uns beiden war er der Erste, der wegsah und seinen Blick auf meine Bettdecke richtete. Ein Lächeln tauchte schließlich auf seinem Gesicht auf, und ich fragte ihn, was so lustig sei. „Ich musste mich gerade an ein Abenteuer mit ihm erinnern. Wir übernachteten an einem See. Das Gras dort stand sehr hoch, und sobald man sich hinsetzte, verschwand man gänzlich darin. Mitten in der Nacht brach plötzlich ein ohrenbetäubender Lärm los. Erschrocken sprangen wir auf und blickten uns um. Und wir sahen ein Ungeheuer im See schwimmen,” erzählte er mir.

„Seeungeheuer? Du meinst, wie „Nessie“?”, fragte ich verblüfft und sah, wie sich sein Gesicht schmunzelnd verzog.

„Nessie gab es nie. Nein, es war etwas wesentlich Älteres, das in dem See lebte. Wir hatten die Geschichten der Einheimischen nicht geglaubt, die uns gewarnt hatten, aber dann sahen wir es mit unseren eigenen Augen. Allistair und ich lachten später noch oft über das entsetzte Gesicht des jeweils anderen,” erinnerte er sich.

„Was habt ihr gemacht? Habt ihr es getötet?”, wollte ich wissen.

Diese Frage brachte Pater Michael dazu, wieder aufzublicken. Seine schwarzen Augen sahen mich ausdruckslos an. Die Freude, die zuvor in ihnen gelegen hatte, so wie sie es immer tat, wenn er lächelte, war verschwunden. „Nein. Warum hätten wir das tun sollen? Es hatte uns nichts getan. Es war friedlich und ernährte sich von dem, was sich im Wasser befand. Es gab keinen Grund, dieses einzigartige Geschöpf zu vernichten. Wer weiß, vielleicht lebt es heute noch immer dort,” gab er zu bedenken.

Die Jägerin - Unter der Erde (Band 4)

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