Читать книгу Die Jägerin - Unter der Erde (Band 4) - Nadja Losbohm - Страница 5
3. Kapitel
Оглавление~ Ada ~
Ich hörte merkwürdige Geräusche. Sie klangen wie klapperndes Geschirr. Ich hörte das Knarren einer Tür, von der ich wusste, dass sie zu einem Schrank in der Küche gehörte. Es war seltsam, dass ich all diese Geräusche hören konnte. Dabei lag zwischen der Küche und meinem Zimmer noch das des Paters, und ich hatte bisher noch nie Geräusche aus der Küche hören können. Ich starrte meinen Kleiderschrank an, hinter dem die Wand war, die mein Schlafzimmer von Pater Michaels trennte. Je länger ich dorthin sah, desto mehr konnte ich sehen. Meine Blicke konnten die massiven Wände durchdringen, als wären es nur dünne durchsichtige Gardinenstoffe. Plötzlich stand ich in der Küche, sah den Tisch vor mir, die Schränke, den Kühlschrank und die Spüle. Zwischen all diesen Dingen sprang Pater Michael umher und öffnete hier eine Tür und zog dort eine Schublade auf. Er lief zum Kühlschrank. Glas klirrte, als er ihn öffnete. Und Glas klirrte, als er ihn wieder schloss. Seine Schuhe quietschten auf dem Boden, weil er ausgerutscht war. Die Geräusche spielten sich in so schneller Reihenfolge ab, sodass ich wusste, dass sich Pater Michael schnell und hastig bewegte. Er hatte es aus irgendeinem Grund eilig und nahm sich nicht viel Zeit, um die Schränke vorsichtig und leise zu schließen.
Was ich hörte veränderte sich. Plötzlich kam es aus einer etwas anderen Richtung. Weiter von rechts. Die Schritte wurden lauter. Sie kamen näher. Und als sich die Tür zu meinem Zimmer öffnete, war ich noch immer in meiner neuen, geräuschvolleren Welt gefangen. Ich schüttelte den Kopf, um die eben gesammelten neuen und unerwarteten Eindrücke zu verdrängen, und lächelte Pater Michael, der mit einem Tablett auf den Armen in der Tür stand, an. Er hatte mir also etwas zu essen mitgebracht. Wie schön. Ich war am Verhungern. Ich streckte meine Nase in die Luft und schnupperte, konnte aber nichts riechen. Enttäuschung machte sich breit, denn ich hatte gehofft, dass sich nicht nur mein Gehör verbessert hatte, sondern auch meine anderen Sinne. Pater Michael schien mein merkwürdiges Geschnüffel nicht bemerkt zu haben oder ignorierte es höflich und kam an mein Bett. Er beugte sich nach vorn und stellte das Tablett auf meinem Nachttisch ab. In voller Vorfreude auf mein Frühstück, wandte ich mich zu ihm um und schaute mit leuchtenden Augen auf das, was er mir mitgebracht hatte. Missbilligend verzog sich mein Mund, als ich sah, was es war: ein Teller mit Reiswaffeln und eine Kanne Wasser samt Glas. Kein Wunder, dass ich nichts hatte riechen können. Reiswaffeln haben keinen Geruch, und sie schmecken auch nach nichts. Dieses Mahl verdiente nicht einmal die Bezeichnung „Mahl“. Es war eine Strafe!
Ich verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust und drehte meinen Kopf abweisend zur Seite. „Soll das alles sein? Das ist ja nicht gerade viel,“ meckerte ich und schaffte es nicht einmal, das Knurren meines Magens zu übertönen.
„Dr. Fields hat mir genaue Anweisungen dagelassen, was du zu dir nehmen darfst und was nicht. Er sagte, dass dein Magen sich erst wieder daran gewöhnen muss, dass er etwas bekommt. Du hast tagelang nichts gegessen, Ada. Du darfst deinen Magen nicht überanstrengen. Wenn du die Reiswaffeln gut verträgst, können wir morgen etwas anderes versuchen,” erklärte mir der Padre und hielt mir eine weiße krümelige Waffel unter die Nase.
Ich betrachtete die kleinen aufgeplatzten Reiskörner für einen Moment, rümpfte die Nase und sah grimmig zu Pater Michael auf. „Morgen? Du meinst, ich kriege heute nichts anderes als das da?”, fragte ich empört und schnippte mit meinem Zeigefinger gegen den Taler aus Puffreis, der daraufhin in der Mitte zerbrach. Eine Hälfte segelte so luftig leicht wie eine Feder auf meine Bettdecke. Die andere hing noch zwischen den Fingern des Paters, dessen Mund zu einer schmalen Linie geworden war. Er war sichtlich unerfreut darüber, dass seine Patientin nicht kooperierte. „Bitte, Ada. Es geht doch nur um heute. Morgen kannst du etwas anderes haben,” flehte er mich an.
„Bis morgen bin ich verhungert. Da kann mir der gute Doktor auch wieder die Infusion anlegen. Davon werde ich ja satter als von diesem Fraß,” presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Es widerstrebte mir zutiefst, die Waffel zu nehmen und sie zu essen. Aber Pater Michael sah so unglücklich darüber aus, dass ich mich weigerte, sodass ich seufzend klein beigab und ihm den Rest des Talers abnahm. „Bläh! Widerlich! Wer so etwas als Essen bezeichnet, ist doch verrückt!”, schimpfte ich und knabberte an meinem Frühstück herum. Sofort blieb mir das trockene Zeugs an den Lippen kleben, und in meinem Mund fühlte es sich auch nicht besser an. In jeder Ecke spürte ich die Reste hängen. Ich versuchte Spucke zu sammeln, damit ich das Ganze hinunterschlucken konnte. Aber zu viel brachte ich es nicht. Ich machte einen langen Hals und schluckte und würgte. Pater Michael reichte mir ein Glas Wasser. Verzweifelt riss ich es an mich, nahm einen großen Schluck und endlich lösten sich die trockenen Krümel der Reiswaffel von meinen Schleimhäuten. Sobald ich das Glas abgesetzt hatte, tauchte vor meinen Augen auch schon die zweite Hälfte meiner kärglichen Mahlzeit auf. Ich zog einen Flunsch und blickte bettelnd zum Pater auf. Hatte er denn gar kein Mitleid mit mir? Oder stand er selbst auf dieses gesunde Zeugs? Mir war das zuvor nie aufgefallen. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass wir so etwas im Hause hatten. Komisch! Nach einigen vergeblichen Versuchen, ihn mit meinen Augen um Gnade anzuflehen, fügte ich mich in mein Schicksal und stopfte die halbe Reiswaffel zwischen meine Zähne.
„Möchtest du noch mehr? Es ist noch reichlich da,” teilte mir der Padre freudig mit. Er dachte wohl, er würde mir mit einem Nachschlag einen Gefallen tun. Nun ja, Einbildung ist bekanntlich auch eine Bildung.
„’ein, ‘anke,” prustete ich an den Resten des Puffreis vorbei und wischte mir den Mund ab, an dem ein paar staubige Krümel hingen.
Pater Michael zuckte nur mit den Schultern und schenkte mir noch ein Glas Wasser ein. Ich leerte es in einem Zug. „Wenn du doch noch etwas möchtest, ich lasse das hier stehen. Du kannst dir also jeder Zeit etwas nehmen,” teilte er mir mit und nahm mir das leere Glas wieder ab. Ich nickte und lächelte, als wäre ich begeistert von seinem Vorschlag. „Gut,” meinte er daraufhin und klatschte so laut in die Hände, dass ich erschrocken zusammenfuhr und ihn mit großen Augen anstarrte. „Ich glaube, es ist an der Zeit, aus deinem Schlafzimmer wieder ein Schlafzimmer zu machen und kein Krankenhauszimmer,” teilte er mir mit und schaute sich um.
Ich folgte seinen Blicken, und mir fiel auf, dass er absolut Recht hatte. Es sah hier drin wirklich wie in einem Krankenhauszimmer aus. Überall lag medizinischer Krimskrams herum. Nadeln, Verbandszeug, Infusionslösungen. Und natürlich die klobigen Geräte, wie das EKG, an dem ich noch vor einer Weile gehangen hatte. Bei dem Anblick lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, und ich fing zu zittern an. Pater Michael dachte wohl, dass es von meiner noch nicht völlig überstandenen Krankheit herrührte und eilte zu meinem Kleiderschrank, um darin nach einer Strickjacke für mich zu suchen. Er fand schnell das gewünschte Kleidungsstück und kehrte zu mir zurück. Behutsam legte er es mir um die Schultern. Ich nahm es dankend an, doch mir war nicht kalt wegen meiner Erkrankung, von der das Meiste zwar überstanden war, aber zu einhundert Prozent war ich noch nicht wiederhergestellt. Ich fühlte mich immer noch schwach, erschöpft und müde. Aber mein Zittern hatte einen anderen Grund. Als ich die Geräte, die um mich herum aufgebaut worden waren, sah und zum ersten Mal bewusst wahrnahm, wurde mir klar, was geschehen war. Schon merkwürdig. Medizinische Geräte, die die Funktionen des Körpers überwachen und anzeigen, machten mir mehr Angst als die Monster, die in den Straßen herumliefen. Wahrscheinlich lag es daran, weil ich diese kannte. Ich wusste, was mich erwartete, wenn ich auf meine nächtlichen Patrouillen ging. Aber unförmige elektronische Apparate, deren Enden an mir klebten und meine lebenswichtigen Werte kontrollierten, waren mir unheimlich. Pater Michael hatte Recht. Dieses ganze Zeug musste verschwinden.