Читать книгу Die Jägerin - Unter der Erde (Band 4) - Nadja Losbohm - Страница 3
1. Kapitel
Оглавление~ Ada ~
Ich holte tief Luft. Meine Lunge schmerzte dabei. Ein Stechen durchfuhr mich. Doch es hielt mich nicht davon ab, erneut einen Atemzug zu nehmen. Ich brauchte es so sehr zu atmen. Schnell und hastig zog ich die Luft ein. Es brachte mich zum Husten. Mein Körper bäumte sich auf. Der Anfall wurde schlimmer. Es kam mir vor, als würde das Liegen dafür sorgen, dass die Luft nicht auf direktem Wege in meine Luftröhre gelangte, sondern erst noch eine Achterbahnfahrt in meinem Rachen unternahm, zu meiner Speiseröhre wollte und dann erst begriff, wo sie tatsächlich hingehörte. Ich musste mich einfach aufsetzen, damit ich besser atmen konnte. Doch als ich es versuchte, hielt mich jemand fest. Ich spürte es an meiner Hand, an meinem Arm, meinen Schultern. Starke, warme Hände packten mich und drückten mich zurück nach hinten. Ich schob sie von mir und drängte mich an ihnen vorbei. Ich lehnte mich nach vorn, krümmte mich in einem weiteren Hustenanfall zusammen. Es war so heftig, dass ich Kopfschmerzen bekam. Meine Augen tränten und mir wurde heiß.
„Ada, oh Gott, Ada!”, schrie eine Stimme dicht neben mir. Sie klang aufgeregt, fassungslos und ungläubig. Ich hustete immer noch heftig. Gleichzeitig schnappte ich gierig nach Luft. „Ganz ruhig, Ada. Du musst durch die Nase atmen. Langsam,” sagte die Stimme.
Jetzt erst begriff ich, dass ich die ganze Zeit durch den Mund geatmet hatte. Ich tat, wie mir befohlen wurde, und allmählich ging es mir besser. Ich musste nicht mehr husten, das Atmen fiel mir leichter und das Stechen in meiner Lunge ließ nach.
Ich spürte erneut die Hände auf mir, die sanften, aber beständigen Druck auf mich ausübten. Doch sie brauchten mich nicht dazu zu drängen, dass ich mich zurücklegte. Ich tat es von ganz allein. Langsam sank mein Kopf wieder auf die weichen Kissen. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf das Atmen. Diese kleine alltägliche Aufgabe, die wir sonst kaum wahrnehmen, kam mir nun wie das größte Geschenk vor, das uns Menschen gegeben worden war. Ein wahres Wunder, das einfach nur guttat und sich niemals zuvor so wunderbar angefühlt hatte.
„Ada, du lebst! Ich kann es nicht glauben! Ist es wirklich wahr?” Pater Michaels Gesicht tauchte vor mir auf. Es wirkte, als würde er über mir schweben. Seine Hände ruhten auf meinen Schultern. Ich spürte ihre Kraft und Wärme ganz deutlich. Die Berührung war mir vertraut, und nach und nach verstand ich, dass sie es gewesen waren, die ich in dem Meer aus Licht und Farben auf mir gespürt hatte, die an mir gezogen hatten. Er war es, der die ganze Zeit über bei mir gewesen war.
Zitternd hob er seine Hände zu meinem Gesicht. Sie legten sich auf meine Wangen und umschlossen sie. Langsam drehte er meinen Kopf erst nach links und dann nach rechts. Eingehend musterte er mich. Seine Augen leuchteten vor Freude, aber es war ersichtlich, dass er es immer noch nicht begreifen konnte, dass ich atmete, dass ich lebte. Daher begutachtete er mich wie eine Rarität. Die ganze Zeit über betastete er mit seinen Fingern mein Gesicht. Er strich über meine Augenlider, um sich zu vergewissern, dass sie sich bewegten. Er befühlte meine Wangen, von denen ich wusste, dass sie immer noch gerötet waren. Er legte sogar einen Finger unter meine Nase, damit er den Windzug meines Atems spüren konnte. Er seufzte, als er ihn auf seiner Haut spürte. Schließlich legte er eine Hand auf meine Brust und wartete gebannt darauf, dass sie sich hob. Sobald er die Bewegung spürte, lächelte er mich an. Doch sein erfreutes Gesicht verschwand recht bald und wich einer traurigen, verzweifelten Grimasse. Tränen rannen aus seinen Augen und strömten über seine Wangen. Sein Mund öffnete sich, und ein schmerzerfüllter Schrei kam heraus. Es klang entsetzlich, und in ihm lag all die Hoffnung und Trauer, die Pater Michael in seinem Inneren zurückgehalten hatte. Jetzt bahnten sich seine Gefühle ihren Weg nach draußen.
Er sank über mir zusammen und vergrub sein Gesicht an meinem Hals. Ungehemmt schluchzte er, immer wieder Worte murmelnd, die mir sagten, wie unfassbar es war, dass ich lebte, wie dankbar er war, dass ich zu ihm zurückgekehrt war und wie sehr er mich liebte.
Ich ließ ihn gewähren und unterbrach ihn nicht in seinem Redefluss. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich hätte ihn nicht noch einmal abwehren können. Mein Hustenanfall hatte mich mehr angestrengt, als ich es für möglich gehalten hätte. Ich musste mich ausruhen und war froh, dass ich die Gelegenheit bekam. Auch wenn es bedeutete, dass Pater Michael sich auf mir ausweinte.
Es dauerte einige Minuten, ehe er sich wieder so weit im Griff hatte, dass er sich aufsetzen konnte. Er wischte sich mit den Händen über das Gesicht und atmete tief durch. Auf seinem Gesicht erschien wieder der gleiche Ausdruck wie vor seinem Gefühlsausbruch, und ich erwartete, dass er erneut in Tränen ausbrach. Aber er riss sich zusammen und betrachtete mich nur staunend. Erleichterung, Dankbarkeit und das pure Glück ließen ihn regelrecht strahlen, als er mich anlächelte. „Ich kann es einfach nicht glauben, dass du tatsächlich lebst! Du atmest, bewegst dich und siehst mich an,” sagte Pater Michael völlig überwältigt und strich mit seiner Hand sanft über meinen Arm, als würde er meine Körpertemperatur testen wollen und sichergehen, ob sie über dem Gefrierpunkt lag. „Ich habe gesehen, wie du gestorben bist. Ich habe deinen letzten Atemzug gehört, deinen letzten Herzschlag gefühlt. Du warst…,” begann er zu sagen. Doch seine Stimme brach weg, so ergriffen war er. Ich ahnte aber, welches Wort er hatte aussprechen wollen.
Tot.
Ich war tot.
Gewesen.
Aber nun lebte ich wieder.
Ich war zurück aus dem Jenseits.
„Da war ein Licht. Es schimmerte in den wundervollsten Farben. Fast wie ein Regenbogen. Und eine Stimme sprach zu mir. Es war deine Stimme,” sagte ich und sah ihm in die Augen, die von seinen Tränen feucht glänzten.
Er zwinkerte mehrmals, um sie wegzublinzeln. Als es ihm nicht gelang, wischte er sich mit den Daumen über die Lider. „Was habe ich zu dir gesagt?”, fragte er mit belegter Stimme und schaute mich erwartungsvoll an.
Ich blickte zur Zimmerdecke und überlegte. „Du sagtest, dass meine Zeit noch nicht gekommen sei und dass ich wieder zurückkehren müsse. Aber ich wollte nicht gehen. Es war dort so friedlich und ruhig. Ich hatte keine Schmerzen mehr und war einfach nur glücklich. Aber du hast darauf bestanden, dass ich zurückkehre. Du sagtest, dass es noch viel für mich zu tun gäbe und ich deshalb nicht bleiben dürfe. Du sagtest, es würde viel mehr hinter allem stecken, als wir glauben, und ich müsse zurückkehren zum Anfang, um herauszufinden, was es ist. Ich verstand nicht, was du meintest und rief dir nach. Aber du warst bereits fort. Sag mir, was das zu bedeuten hat, Michael,” bat ich und sah ihn flehentlich an.
Aber Pater Michael schüttelte nur den Kopf, und mir fiel auf, dass ihn meine Worte betrübt gemacht hatten. „Ich habe die ganze Zeit über neben dir gesessen und deine Hand gehalten,” sagte er, hielt jedoch inne, als er sah, dass ich lächelte. „Das habe ich gespürt. Ich habe deine Hand an meiner gefühlt,” erklärte ich ihm.
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Ich wusste nicht, ob es ihn freute oder eher erschreckte, was ich auf der anderen Seite erlebt hatte. „Ich war bei dir, Ada. Aber ich habe nichts von dem gesagt, was du gehört hast. Ich kann dir nicht sagen, was es zu bedeuten hat,” teilte er mir mit.
Seine Antwort enttäuschte mich. Ich war mir so sicher gewesen, dass er es gewesen war, der zu mir gesprochen hatte. „Wenn du es nicht warst, der gesprochen hat, wer war es dann?”, dachte ich laut nach und betrachtete nachdenklich die Decke meines Schlafzimmers. Ich hätte nie vermutet, dass ich sie jemals wiedersehen würde. Aber nun bestaunte ich die kunstvollen Schnitzereien der Holzplatten. Mir war nie aufgefallen, wie wundervoll sie gearbeitet waren. „Glaubst du, es war Gott, der mit mir geredet hat?”, fragte ich schließlich und wandte meinen Blick wieder dem Pater zu. „Vielleicht hat Er mit deiner Stimme gesprochen, damit ich Vertrauen fasse. Er weiß, dass ich sie kenne und liebe,” fügte ich hinzu.
Pater Michael lächelte mich warmherzig an. „Es muss wohl so sein. Er hat dich zu mir zurückgeschickt, damit du mir all das berichten kannst. Ich weiß zwar noch nicht, was mit Seinen Worten gemeint ist, aber wir sind jetzt wieder zusammen und können gemeinsam nach einer Lösung suchen,” antwortete er mir, hob meine Hand zu seinen Lippen und küsste sie. Vorsichtig legte er meinen Arm wieder ab und streichelte über meine Haut. „Aber das ist im Moment unwichtig. Wichtig ist nur, dass ich dich wiederhabe. Du bist zu mir zurückgekommen,” meinte er. Er lehnte sich vor und bedeckte mein Gesicht mit zahlreichen Küssen. Doch bereits nach kurzer Zeit setzte er sich abrupt auf und sah entsetzt auf mich hinunter. „Entschuldige bitte, dass ich so stürmisch bin und mich so unvorsichtig bewege. Ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan,” meinte er und streckte seine Hand nach mir aus.
Ich fand die Bewegung merkwürdig und wunderte mich, was er vorhatte. Schließlich berührte er mich am Hals, und ich bemerkte, dass dort irgendetwas war, das dort nicht hingehörte. Erschrocken flog meine Hand zu der Stelle, und ich betastete das fremde Etwas, das dort lag. Meine Finger konnten jedoch nicht erkennen, um was es sich handelte, aber ich wusste, dass es in mir steckte. Vor Schreck weiteten sich meine Augen. Panik stieg in mir auf. Ich wollte dieses seltsame Ding, von dem ich nicht wusste, was es war, aus meinem Hals herausziehen. Es musste weg! Ich wollte es nicht in mir haben! Mein Puls raste, und meine Atmung wurde schneller, weil ich Angst hatte.
„Nicht! Hör auf!”, ermahnte mich Pater Michael und löste meine Finger, die sich völlig verkrampft hatten, von meinem Hals.
„Was ist das? Mach es weg, Michael, mach es weg! Ich will das nicht!”, schrie ich hysterisch und fing zu weinen an.
Pater Michael hielt meine Hände fest und lehnte sich über mich. Ich war zwischen ihm und der Matratze meines Bettes eingeklemmt und konnte mich nicht mehr bewegen. „Shh! Ganz ruhig, Ada. Es ist alles in Ordnung,“ redete er besänftigend auf mich ein. Seine Stirn lag an meiner, und ich spürte den zarten Windzug seines Atems über meine Nase und die Lippen streichen. „Dr. Fields hat dir die Zugänge gelegt, die dich mit dem versorgen sollten, was dein Körper brauchte, aber du ihm nicht geben konntest. Du hast nicht mehr gegessen und nicht mehr getrunken. Es war notwendig, verstehst du?”, fragte er mich.
Gegen seine Stirn gelehnt, nickte ich. Schniefend gab ich ein Ja von mir. Ich verstand endlich, was es war und wieso. Trotzdem gefiel es mir nicht. Ich hasste Nadeln und ganz besonders dann, wenn sie in meinem Körper steckten.
„Ich rufe Dr. Fields. Er wird kommen und dich bald von den Schläuchen befreien. Aber bis dahin darfst du sie nicht anfassen. Du könntest dich verletzen. In Ordnung?“, sagte er. Wieder nickte ich. Mir blieb nichts anderes übrig. In meiner kranken Fantasie stellte ich mir vor, wie ich mir die Schläuche selbst aus dem Leib riss und dabei irgendwelche großen Blutgefäße zerfetzte, woraufhin mein Blut in sämtliche Himmelsrichtungen sprudeln würde. Und das wollte ich nun wirklich nicht. Also holte ich tief Luft, mahnte mich zur Ruhe und entspannte mich. Pater Michael war ja bei mir. Ich brauchte also keine Angst zu haben. Er würde auf mich aufpassen und sich um mich kümmern.