Читать книгу Die Jägerin - Unter der Erde (Band 4) - Nadja Losbohm - Страница 8
6. Kapitel
Оглавление~ Pater Michael ~
Ich sah es Ada an, dass sie immer noch versuchte, mit der Tatsache zurechtzukommen, dass ich im zehnten Jahrhundert geboren worden war und trotzdem atmend und lebend vor ihr saß. Sie gab sich redlich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. Aber ich kannte sie gut. Ich kannte ihre Körpersprache, wenn sie sich unwohl fühlte. Sie konnte mir nichts vormachen. Sie distanzierte sich immer mehr von mir. Aber ich rechnete es ihr hoch an, dass sie still sitzen blieb und mich nicht fortschickte. Auch wenn ich mir absolut unsicher war, wie viel Aufmerksamkeit sie meinen Worten schenkte oder ob sie mit ihren Gedanken immer noch bei dem Satz hing, den ich zuerst zu ihr gesagt hatte: „Ich wurde 982 geboren.”
Vielleicht hätte ich nicht weitersprechen sollen. Vielleicht wäre es besser gewesen, mein Wissen für mich zu behalten und sie nicht noch weiter mit in diese wahnsinnige Geschichte, die mein Leben war, hineinzuziehen, wo ich doch sah und spürte, wie sehr es ihr Schwierigkeiten bereitete. Und obwohl ich dies wusste, sprach ich weiter. „Als ich achtzehn Jahre alt wurde, war meine Ausbildung zum Mönch abgeschlossen. Ich habe dir bereits erzählt, wie sie an mich herantraten und mir von den Monstern berichteten. Ich hörte ihre Worte, spürte ihre Ablehnung gegen diese Untiere, die sich mit uns eine Welt teilten. Natürlich wollte ich es nicht wahrhaben, schien es doch einfach zu abwegig zu sein. Aber ihr Entsetzen über all das war nicht gespielt, also blieb mir nichts anderes übrig, als ihnen zu glauben. Eines Nachts nahmen mich zwei Mönche, die einem anderen Kloster angehörten, mit auf die Jagd und zeigten mir das, von dem ich nur gehört hatte. Ich war schockiert und angewidert von diesen Kreaturen und hielt es nicht aus, mit anzusehen, wie sie unschuldige Menschen töteten und sich von ihnen ernährten. Sobald meine Begleiter bemerkten, wie wütend und aufgebracht ich über das Gesehene war, boten sie mir an, mich weiterzubilden und den Posten des Lehrers einzunehmen. Ich zögerte nicht lange. Es war für mich selbstverständlich zu helfen. Ich sagte zu und verließ das alte Kloster. Es war der glücklichste Tag in meinem Leben, als ich das Stück Pergament in den Händen hielt, das mir den Weg meiner Reise beschrieb. Endlich konnte ich die unbarmherzigen Mauern und die düsteren Erinnerungen, die ich zwischen ihnen gesammelt hatte, hinter mir lassen und ein neues Leben beginnen,” sagte ich und blickte Ada ins Gesicht. „Verstehst du, wie großartig sich das anfühlte?”, fragte ich sie, wobei ich sie anlächelte, weil ich wieder die gleiche grenzenlose Freiheit und das enorme Glück empfand wie an jenem Tag vor eintausendzwölf Jahren.
Ada zuckte zusammen, als ich sie ansprach. Ihr Blick, mit dem sie mich angesehen hatte, klärte sich wieder. „Mhh,” lautete ihre einsilbige Antwort, und sie zwang sich zu einem höflichen Lächeln. Da wusste ich, dass sie mir kaum zugehört hatte. Sie war vollkommen abwesend und mit ihren Gedanken ganz woanders, nur nicht bei meiner Erzählung.
„Ada?”
„Ja?”
„Geht es dir gut?”, wollte ich wissen und lehnte mich in dem Sessel nach vorn, damit ich ihr besser in die Augen sehen konnte.
Sie sah mich mit ihren türkisfarbenen Augen, die vor Erstaunen und Verwunderung über meine plötzliche Bewegung größer geworden waren, an. „Es geht mir gut,” sagte sie mit leiser Stimme.
Ich legte den Kopf schief und musterte sie nachdenklich. „Möchtest du, dass ich aufhöre?”, fragte ich schließlich. Aufmerksam sah ich sie an und beobachtete ihre Reaktion. Zuerst weiteten sich ihre Augen noch ein Stück, dann öffnete sich ihr Mund, als wollte er etwas ausrufen. Ein „Ja!“ vielleicht? Doch er entschied sich rasch um, schloss sich wieder und schwieg. Ada schüttelte auf meine Frage hin heftig den Kopf. „Bist du dir sicher?”, hakte ich nach.
Sie nickte. „Es geht mir gut. Bitte erzähl weiter,” antwortete sie mir und entspannte ihren Körper, der die ganze Zeit über verkrampft gewesen war.
„Also gut,” dachte ich, „sie will es offensichtlich. Dann rede ich weiter.”
„Mein neues Zuhause lag weit im Süden. Es war ein langer Weg, und ich brauchte mehrere Monate, um dorthin zu gelangen. Aber ich genoss die Freiheit und war beeindruckt von der Welt, die sich vor mir auftat. Ich war bis dahin noch nie gereist und kannte nur Berichte und Zeichnungen von den architektonischen Wundern, die von Menschenhand geschaffen worden waren. Aber es war nicht nur beeindruckend, die gigantischen Gebäude zu sehen. Für mich war es noch viel erfüllender an Orte zu gehen, die eine große religiöse Bedeutung hatten und heute immer noch haben. Ich wusste, dass Gott überall war, egal wo man lebte. Aber an einigen Orten konnte ich ihn ganz deutlich spüren. In der ewigen Stadt zum Beispiel. Sie war die erste Station auf meiner persönlichen Entdeckungsreise, und dort in den Straßen zu wandeln, war für mich ein großes Bedürfnis und ein Traum, der sich für mich erfüllte. Als ich in der Maxentiusbasilika stand, verrenkte ich mir beinahe den Hals bei dem Versuch, die Malereien an der Decke zu erkennen, die mit fünfunddreißig Metern die höchste zu der Zeit war. Aber am meisten bewegte mich der Besuch im Lateranpalast, dem damaligen Sitz des Papstes. Jeder Diener Gottes wünscht sich einmal, dem Heiligen Vater zu begegnen. Ich durfte Papst Silvester II treffen und führte mit ihm eine sehr angeregte Diskussion über die Astronomie, für die auch er sich begeisterte. Leider blieb mir nicht viel Zeit, um mit ihm noch weitere ausführlichere Unterhaltungen abzuhalten. Ich hatte noch einen weiten Weg vor mir und musste nach nur wenigen Tagen aufbrechen. Ich reiste zunächst nach Messina, von dessen Hafen aus ich nach Griechenland übersetzte. Auch dieses geschichtsträchtige Land beeindruckte mich zutiefst. Es war außergewöhnlich, zu „der Wiege Europas” zurückzukehren und den Glanz dieser großartigen Kultur zu sehen, zu atmen. Wieder blieb mir nicht genügend Zeit, um all die imposanten Bauten zu genießen. Aber ich war froh, dass ich trotzdem die Gelegenheit bekam, den Parthenon zu besuchen, die Hadriansbibliothek und das Olympieion, den Tempel des Zeus. Ich bedauerte es sehr, dieses herrliche Land verlassen zu müssen. Doch ich hatte keine andere Wahl als weiterzuziehen. Ich hatte ein Ziel, das ich nicht aus den Augen verlieren durfte. Ganz gleich wie wunderschön und atemberaubend ich die fremden Länder und Kulturen fand. Von Griechenlands Zauber noch völlig gefangen, ging meine Reise weiter, und ich kam in die Türkei. Nie werde ich die Schönheit der Mosaike in der Hagia Sophia vergessen. Sie waren wirklich einmalig! Doch auch hier war mir ein langer Aufenthalt verwehrt, und ich brach wieder auf. Ich wusste, dass es von dort aus nicht mehr weit bis nach Israel war, und ich hätte nur zu gern den Boden des bedeutsamsten Ortes für Gläubige betreten: Jerusalem. Aber zu der Zeit fanden blutige Schlachten zwischen den Religionen statt, wobei auch die Grabeskirche in Brand gesteckt wurde. Christen und Juden wurden verfolgt, gedemütigt und diskriminiert. Es war einfach nicht ratsam, in dieses Land zu gehen. Also schlug ich eine andere Richtung ein, wodurch sich meine Reisezeit erheblich verlängerte. Ich wandte mich etwas weiter nach Osten und einige Zeit später wieder nach Süden, bis ich schließlich den Ort erreichte, der den Anfang meines neuen Lebens darstellte.”