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10. Zeit für Veränderung

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Es war gar nicht so einfach, meinen Plan, bei deren Umsetzung mir Sarahs Mutter half, vor dem Pater geheim zu halten. Meine Idee war so spontan aufgekommen, dass ich keine Zeit gehabt hatte, um über entscheidende Dinge nachzudenken, und somit hatten meine Komplizin und ich weder unsere Telefonnummern ausgetauscht noch einen festen Termin ausgemacht, an dem die Übergabe stattfinden sollte. Ich wusste, dass Pater Michael für Notfälle eine Liste der Telefonnummern aller seiner Gemeindemitglieder irgendwo in seinem Büro herumzuliegen hatte. Doch jedes Mal, wenn ich nach dem Nummernkatalog suchen wollte, platzte der Padre in den Raum, und ich musste mir eine Ausrede einfallen lassen, wieso ich mit meiner Nase über seinem Schreibtisch hing oder mit dem Kopf in den Schränken steckte. Von Mal zu Mal wurden meine Anmerkungen absurder, und es war nicht verwunderlich, dass Pater Michael mich immer misstrauischer beäugte. Als ich dann auch noch anfing, stundenlang vor dem Portal zu lauern, platzte dem Padre der Kragen. „Verdammt noch mal, Ada! Ich habe allmählich genug von deinem seltsamen Verhalten! Ich verlange zu erfahren, was hier vor sich geht!”, polterte er los und baute sich bedrohlich vor mir auf, sodass ich weder links noch rechts an ihm vorbeikam. Mir blieb nur die goldene Mitte, wo Pater Michaels breite Brust, seine starken Arme und durchtrainierten Beine waren, die mit den grauen Steinplatten unter seinen Füßen verwachsen zu sein schienen. Kurz entschlossen sprang ich an ihm hoch und hing wie ein Klammeraffe an ihm. Überschwänglich bedeckte ich sein verärgertes Gesicht mit zahlreichen Küssen. Ich war eigentlich immer eine glühende Verfechterin der Bartlosigkeit gewesen, aber mittlerweile empfand ich das Kratzen als angenehm und sogar aufregend. Trotzdem war ich froh darüber, dass der Padre seine Gesichtsbehaarung regelmäßig stutzte. Ein Rumpelstilzchen wollte ich nun wirklich nicht küssen.

Meine Aktion überraschte ihn so sehr, dass er seine Standfestigkeit vorübergehend verlor. Ich kletterte von ihm herunter. Problemlos konnte ich mich an ihm vorbeischieben und ließ ihn verwirrt am Portal zurück. Ich war noch einmal davongekommen, aber das Zusammenleben mit Pater Michael machte es nicht einfacher. Meine Verschwiegenheit, meine Geheimnistuerei trieb ihn beinahe in den Wahnsinn! Er war mürrisch, verließ das Zimmer, wenn ich eintrat und gab mir nur noch einsilbige Antworten auf Fragen, die ich stellte. Ich bin versucht zu sagen, dass er eine eingeschnappte Leberwurst war, aber ich will mal nicht so sein. Außerdem wurde er zwei Tage später von diesen unsäglichen Qualen erlöst, als für mich ein Päckchen abgegeben wurde. Da ich meinen Posten am Portal hatte aufgeben müssen, fiel die Lieferung leider als erstes in Pater Michaels Hände. Doch ich rechnete es ihm hoch an, dass er seine Neugierde so weit im Griff hatte und mir das sorgsam zugeklebte Päckchen unangetastet ins Wohnzimmer brachte, wo ich es mir auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Als ich sah, was es war, sprang ich hastig auf und durchquerte im Nullkommanichts den Raum, um die Schachtel aus seinen Händen zu reißen, in denen er das Päckchen hin und her drehte und es sogar schüttelte, um am Klang zu erkennen, was sich darin befand.

„Na endlich,“ rief ich aus und fügte beim Verlassen des Wohnzimmers hinzu, „freu dich, Michael! Du wirst des Rätsels Lösung bald erfahren. Ach, und ich möchte für eine Weile nicht gestört werden, klar?!” Und schon rannte ich den Gang entlang und auf mein Zimmer zu.

Für eine erstaunlich lange Zeit respektierte Pater Michael meinen Wunsch, aber nachdem ich Stunden in meinem Zimmer zugebracht hatte, machte er sich wohl Sorgen um meinen Verbleib, und ich hörte ihn aus meinem Zimmer rufen: „Ada? Bist du da?” Wo sollte ich denn sonst sein? Dachte er etwa, dass ich mir heimlich einen Tunnel nach draußen gegraben hatte?

„Ja, ich bin im Bad,” rief ich zurück und entriegelte die Tür. Vorsorglich hatte ich sie während meines Vorhabens verschlossen gehabt. So ganz hatte ich Pater Michaels Rücksicht auf meine Privatsphäre nicht vertraut. Jedenfalls nicht nachdem, was in den letzten Tagen in unserem kuscheligen Zuhause los gewesen war. Es vergingen keine fünf Sekunden zwischen dem Geräusch des sich im Schlüsselloch drehenden Schlüssels und dem Erscheinen des Paters in der Badezimmertür und er das Chaos sah, das ich in dem kleinen Raum angerichtet hatte. Auf dem Boden lagen verdreckte Handtücher, die nur noch zum Wegwerfen waren. Im Waschbecken lagen zerdrückte Pappschachteln und ausgequetschte Tuben. Das Becken selbst war rot verschmiert, und auf dem Boden lagen benutzte Latexhandschuhe, die in Wasserlachen umherschwammen. Auch die Duschkabine war in Mitleidenschaft gezogen worden und schrie dringend nach Reinigung. Nachdem der Pater alles verachtend betrachtet hatte, richtete sich seine Aufmerksamkeit auf mich. Sein Mund öffnete sich. Die Zurechtweisung bezüglich der Unordnung lag ihm auf der Zunge, doch als er mich sah, verschlug es ihm die Sprache. Ich glaube, er war in eine Art Schockzustand verfallen. Die Kinnlade fiel ihm auf die Brust. Die Augen wurden so groß wie Untertassen, und um die Nase wirkte er äußerst blass. Er wird doch nicht in Ohnmacht fallen???!!!

„Gefällt es dir?”, ergriff ich das Wort, um die erdrückende Stille zu beenden, und warf einen raschen Blick in den Spiegel, der mir gegenüber hing. Ich grinste mein neues Ich an. Im Gegensatz zu Pater Michael freute ich mich riesig über meine neue Haarfarbe: Feuerrot! Ich fand meinen neuen Look ziemlich cool. Das Rot bildete einen äußerst starken, aber auch interessanten Kontrast zu meiner weißen Haut und den türkisfarbenen Augen. Ich hatte doch gesagt, dass ich den Gedanken hasste, dass diese Vampir-Frau, die der Padre einst geliebt hatte, mir zum Verwechseln ähnlich sah! Die Haarfarbe zu ändern, erschien mir der schnellste Weg zu sein, um mich von ihr zu unterscheiden. Abgesehen von ihrem ziemlich staubigen Zustand, in den mein Lehrer sie versetzt hatte.

„Es muss mir wohl gefallen, schließlich ist es bereits geschehen,” erwiderte Pater Michael endlich, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte. Allerdings klang er überhaupt nicht glücklich. War er etwa sauer, weil ich diese Typ-Veränderung vorher nicht mit ihm besprochen hatte? Also ehrlich! Wenn mir etwas an mir nicht passt, dann ändere ich es und diskutiere es nicht mit jemandem aus! Schon gar nicht mit einem Mann!

Abermals wanderte Pater Michaels Blick über die Unordnung in meinem Badezimmer, wobei sein Mund zu einer schmalen Linie wurde. Es war schwer zu sagen, worüber er sich mehr ärgerte: das Chaos oder meine neue Haarfarbe.

„Ich räume das gleich auf, wenn es das ist, woran du gerade denkst, Michael,” meinte ich.

Sein Kopf drehte sich zu mir, und erneut musterte er meine roten Haare. „Das ist es nicht, woran ich gerade denken musste. Ich dachte daran, dass man dich so,” er deutete mit dem Finger auf mein flammend rotes Haupthaar, „im sechzehnten Jahrhundert auf dem Scheiterhaufen verbrannt hätte.”

„Das heißt, es gefällt dir nicht,” meinte ich und zog vor Enttäuschung einen Flunsch. Ich gestehe, dass es mich schon ein wenig verletzte, dass ihn mein neuer Look nicht so sehr vom Hocker riss wie mich. Auch wenn ich nicht auf seine Genehmigung aus gewesen war, gefallen will man doch seinem Liebsten trotzdem, oder nicht?

Pater Michael kam auf mich zu und stellte sich direkt vor mich hin. „Ich kann noch nicht sagen, ob es mir gefällt. Gib mir etwas Zeit, um mich daran zu gewöhnen,” sagte er und hob seine Hand zum Kinn. Mit einem Finger tippte er sich nachdenklich dagegen. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er mich aus der Nähe begutachtete. Mit jeder verstreichenden Sekunde machte mich sein Schweigen nervöser, und ich fing an, mir Sorgen zu machen. Vielleicht redete ich es mir nur ein, dass das Rot gut an mir aussah und Pater Michael mochte mich nun weniger gern ansehen? Ob er mich wohl deswegen hinauswerfen würde? Allmählich kam der Gedanke in mir auf, eine neue Packung Haartönung zu ordern und das altbewährte Schwarz wieder anzulegen.

„In Ordnung. Ich habe mich daran gewöhnt,” verkündete Pater Michael nach einigen nervenaufreibenden Momenten und klatschte in die Hände. Das ging ja fix! Ich starrte ihn überrascht an und sah, dass es um seinen Mund herum zuckte, während er gegen ein Lachen ankämpfte, das mein verblüffter Gesichtsausdruck bei ihm hervorlockte. Doch als ich breit grinste, erlaubte er es sich ebenfalls zu lachen. Glücklich und erleichtert warf ich mich gegen seine Brust und umarmte ihn. „Das ist es also, worüber du dich mit Sarahs Mutter unterhalten hast,” stellte er fest. An ihn gelehnt nickte ich. „Gibt es sonst noch irgendwelche Überraschungen, auf die ich mich einstellen sollte? Bitte sag es mir lieber gleich, damit ich mich darauf vorbereiten kann. Ich glaube nämlich, dass mein uraltes Herz so viel Aufregung nicht noch einmal verträgt,” sagte er über mir und seufzte theatralisch.

Ich lachte. „Nein, das war’s,” antwortete ich und lehnte mich zurück, um zu ihm aufzublicken.

Pater Michael lächelte mich liebevoll an. Er nahm eine Strähne meines feuerroten Haars und wickelte sie sich um den Finger. „Darf ich fragen, was der Auslöser für diese plötzliche und doch recht einschneidende Veränderung war?”, fragte er und legte seine Hände auf meine Schultern.

Ich zuckte mit den Schultern und senkte den Blick auf den weißen Priesterkragen an seiner Soutane. Mit Bedacht wählte ich meine Worte und antwortete ihm: „Ich wäre beinahe gestorben. Ich lag bereits in meinem Sarg! Aber ich habe es überlebt. Ich möchte das hinter mir lassen, mit der Vergangenheit abschließen.” Als ich geendet hatte, hob ich meinen Kopf und warf Pater Michael einen unsicheren Blick zu. Ich hoffte, er verstand die tiefere Bedeutung meiner Worte, denn ich wagte es mich nicht, offener zu sprechen und ihm direkt zu sagen, was mich dazu getrieben hatte. „Es war einfach Zeit für etwas Neues,” fügte ich leise hinzu und lächelte zaghaft.

Einen Moment lang sah mir Pater Michael eindringlich in die Augen, als würde er in ihnen den wahren Grund meiner radikalen Veränderung lesen können. Nach einer Weile lächelte er und zog mich an sich. Fest umarmte er mich und vergrub sein Gesicht in meinen roten Haaren. „Es sind nicht deine Haare oder ihre Farbe, die dein Wesen ausmachen, Ada. Das ist nicht der Grund, wieso ich dich so sehr liebe, und ich wünschte, du würdest das endlich begreifen,” murmelte er über mir.

Gegen seine Brust gelehnt lächelte ich. Oh ja! Er hatte mich genau verstanden. Er hatte genau verstanden, dass mir die äußere Ähnlichkeit zu der Vampir-Lady so sehr zuwider war, sodass es mich dazu gedrängt hatte, mich auch optisch von ihr zu unterscheiden.

Die Jägerin - Die Wiege des Bösen (Band 5)

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