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1. Wieder zuhause

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Sorgfältig stellte er meine Schuhe beiseite. „Selbst jetzt, in solch einem Moment, kann er von seinem Ordnungswahn nicht ablassen,” dachte ich, und eine Welle der Zuneigung überkam mich, während ich an diese belanglose Macke des Paters dachte, die mir merkwürdiger Weise gefehlt hatte, wie ich plötzlich bemerkte.

Nach und nach entkleidete er mich. Er tat es langsam und mit einer Ruhe, als würde es keine Zeit gäben. Vielleicht gab es sie auch nicht mehr. Denn was bedeuteten schon Minuten oder Stunden, wenn man dem Tode gerade noch so entkommen war? Nur mir schien es etwas auszumachen, und es gab einen triftigen Grund dafür. Schließlich war ich diejenige, die mit jedem Moment, der vorüber zog, mehr entblößt wurde und der deswegen die Hitze vor Scham ins Gesicht stieg. Ich fühlte mich ohnehin wegen dem, was geschehen war, verletzlicher als sonst. Doch die Nacktheit verstärkte dieses Gefühl noch um ein Vielfaches. Aber mir fehlte die Kraft, um mich zu wehren, als Pater Michael um mich herum griff, den Verschluss meines BHs öffnete, die Träger über meine Schultern und Arme schob und das Stück Wäsche ebenfalls sorgsam zur Seite legte. Beschämt schlug ich die Augen nieder, als mir auffiel, wie verschmutzt die Unterwäsche war und dazu noch unangenehm roch. Natürlich war die Zeit an meinen Kleidungsstücken nicht unbemerkt vorübergegangen, und von jedem einzelnen Stück ging ein säuerlicher Geruch aus, der sich an dem Stoff festkrallte wie ein Symbiont an seinem Wirt. Seit mehreren Tagen hatte ich mich nicht mehr waschen können, und der Gestank meines eigenen Schweißes widerte mich entsetzlich an. Ich war mir sicher, dass es dem Pater ebenso gehen musste. Jedoch ließ er es sich nicht anmerken, sondern machte unbeirrt mit seiner Aufgabe weiter. Ich ließ ihn gewähren.

In gewisser Weise, so denke ich, war es für ihn auch eine Art Ritual. Pater Michael wollte es tun. Er MUSSTE es tun, weil er begreifen wollte, dass ich wieder an seiner Seite war. Aber ich hatte zuvor auch Reue auf seinem Gesicht gesehen, und ich wusste, dass er es mit der Weise, wie er sich um mich kümmerte, wiedergutmachen wollte, dass er mich nicht vor dem hatte bewahren können, was mir widerfahren war. Seine plötzliche Bitte, mich zu erheben, holte mich aus meinen Gedanken. Mühsam kämpfte ich mich auf die Füße. „Stütz dich auf meinen Schultern ab,” flüsterte Pater Michael, der vor mir kniete und das Zittern meiner Beine bemerkt hatte, die sich mit jeder verstreichenden Sekunde mehr anstrengen mussten, um mich aufrecht zu halten. Es wurde umso schwieriger, als mich eine noch größere Welle der Scham überrollte, sobald ich bemerkte, dass wir nicht allein waren. Mein Wahrnehmungsfeld war nur auf den Padre beschränkt gewesen, aber nun, wo ich den Blick durch mein geliebtes Zuhause schweifen ließ, entdeckte ich meinen Bruder in der Zimmertür stehend. Alex sah besorgt aus, knabberte nervös auf seiner Unterlippe herum und beobachtete den Pater und mich. Ich hielt die Luft an, als mir bewusst wurde, dass ich entblößt vor ihm stand, und meine Verlegenheit nahm nicht ab, als ich spürte, wie Pater Michaels Hände unter den Stoff meines Slips glitten und er das winzige Stückchen Stoff von meinen Hüften schob. In einer einzigen fließenden Bewegung rutschte es zu meinen Fußknöcheln hinunter, und der Pater half mir, aus es herauszusteigen. Ich wimmerte und verzog beschämt das Gesicht, weil ich nun nackt wie ein Baby vor den zwei Männern stand, die mir auf dieser Welt am meisten etwas bedeuteten. Ich begann zu zittern und versuchte, mich so gut es ging mit den Händen zu bedecken. Erst als Pater Michael mich auf seine Arme hob und in mein Badezimmer trug, erlöste er mich von der bedrückenden Gegenwart meines Bruders.

Von der Toilette aus, auf deren Deckel ich saß und darauf wartete, dass Pater Michael die Temperatur des Wassers einstellte, betrachtete ich ihn von oben bis unten. Seine schwarze Kampfkleidung schmiegte sich eng an seinen muskulösen Körper. Der Stoff seines Pullis war an einigen Stellen zerrissen, und ich konnte die Wunden deutlich erkennen. Sie hatten aufgehört zu bluten, und das Rot war zu einem dunklen Braun geworden. Nichtsdestotrotz sahen die Verletzungen schmerzhaft aus. Pater Michael schien es jedoch nicht zu stören. Nicht einmal die tiefen Schnitte auf seiner Wange, die aussahen, als müssten sie genäht werden, schienen ihn zu kümmern. Ich dachte gerade darüber nach, ob er Narben davontragen würde, als der Pater sich zu mir umdrehte. Sobald er mich erblickte, zog er scharf den Atem ein. Es schien, als wäre er sich im gnadenlosen hellen Licht dieses Raumes eben erst bewusst geworden, welche Qualen ich durchlitten hatte, die sich ihm nun in ihrem ganzen Ausmaß schonungslos zeigten. Pater Michaels Augen begannen plötzlich feucht zu glänzen. Er bemühte sich, seine Gefühle zu verbergen, sie niederzukämpfen. Es war rührend, wie er versuchte, stark für mich zu sein. Nach einigen weiteren Augenblicken hatte er sich wieder so weit im Griff, dass er zu mir herüberkam, mich hochhob und zu der Dusche trug. Als er in die Kabine steigen wollte, erinnerte ich ihn daran, dass er noch vollständig bekleidet war, doch der Padre unterbrach meinen Protest und flüsterte: „Shh! Das ist nicht von Bedeutung, Ada. Nur du zählst jetzt.” Mit diesen Worten ging er in die Hocke und zog mich mit sich hinunter. Entschlossen drückte er mich auf seinen Oberschenkel, der mir eine willkommene Sitzmöglichkeit bot. Bereitwillig setzte ich mich und gab mich dem warmen Wasser und den sanften Händen des Paters hin. Mit jedem Streichen seiner Finger über meine Haut und jedem Tropfen aus dem Duschkopf schien es mir, als würde der Schmerz und die Folter der letzten Tage von mir abgewaschen, und all die Qualen verschwanden im Abfluss. Lächelnd drehte ich meinen Kopf zu Pater Michael und ließ meine Augen über sein Gesicht wandern. Es wirkte streng und verbittert, düster und zornig, traurig und ernst, nachdenklich und schuldig.

„Ich weiß nicht, ob ich es gut finden oder lieber zur Schere greifen soll, um deine Haare abzuschneiden,” flüsterte ich und beobachtete zufrieden, wie sich Pater Michaels Gesichtszüge entspannten und er lächelte. „Deine Haare hatten viel zu viel Zeit, um zu wachsen. Ich muss eine Ewigkeit fort gewesen sein,” sagte ich mit kratziger Stimme und griff nach einer der langen dunklen Strähnen, die nun nass und schlaff von seinem Kopf herunterhingen.

„Das warst du auch,” sagte Pater Michael mit belegter Stimme und ließ meine Spielereien mit seinen Haaren geduldig über sich ergehen. „Aber sie waren bereits länger, bevor…” Die Stimme versagte ihm, und seine Miene verdunkelte sich plötzlich wieder. Er räusperte sich und beendete seinen Satz. „Bevor du mir weggenommen wurdest. Wir führten bereits mehrere Diskussionen darüber, ob meine Haare geschnitten werden müssen oder nicht. Erinnerst du dich nicht mehr daran?”, fragte er und strich vorsichtig mit dem Schwamm über meine Armbeuge, wo die Einstichlöcher der Kanülen blaurot leuchteten.

Verwundert starrte ich den Padre an. Meine Augen glitten von den nachdenklichen Falten, die auf seiner Stirn lagen, zu seiner Nase und den fest aufeinander gepressten Lippen und gelangten schließlich zu seinem Hals. Ich gab ein Wimmern von mir, als ich die zwei Löcher sah, die die Vampirfrau mit ihren Zähnen in seine Haut gerissen hatte. Der Anblick erinnerte mich unweigerlich an meinen eigenen grausamen Kuss. So lange hatte ich es geschafft, solch eine innige Begegnung zu verhindern, aber schließlich hatte es mich doch erwischt. Das Blut an Pater Michaels Hals, das aus den Wunden geflossen war, war in dunklen Bahnen getrocknet. Doch nun, da wir beide unter dem Wasserstrahl der Dusche hockten, wurde es langsam aufgelöst und hinfort gewaschen. Das Gleiche geschah auch mit der Verletzung auf seiner linken Wange, wie ich erkennen konnte, nachdem ich meine Hand zu seinem Kinn gehoben und sein Gesicht so zu mir herumgedreht hatte, sodass ich es besser betrachten konnte. Vorsichtig berührte ich die Wunde, die sich geradlinig durch den Bart, den er ebenfalls hatte wachsen lassen, zog. Der bloße Anblick ließ selbst mich Schmerzen verspüren. Aber mehr als ein Augenzwinkern und ein Zucken seines Mundwinkels entlockte ihm der Schmerz nicht. Seufzend ließ ich meinen Arm wieder in meinen Schoß fallen, legte den Kopf zurück und lehnte ihn gegen die Fliesen an der Wand. „Nein, ich habe es wohl vergessen,” beantwortete ich enttäuscht Pater Michaels Frage. Genau genommen, konnte ich mich an nichts mehr erinnern, was vor meinem Aufwachen in der Holzkiste, dem Sarg gewesen war.

„All dies ist auch nicht wichtig, Ada. Es ist nur wichtig, dass du wieder bei mir bist. Ich sorge für dich. Ich helfe dir dabei, wieder zu Kräften zu kommen.”

Die Jägerin - Die Wiege des Bösen (Band 5)

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