Читать книгу Die Jägerin - Die Wiege des Bösen (Band 5) - Nadja Losbohm - Страница 9
6. Schmerzliche Lektion
ОглавлениеAls er zum ersten Mal die Dehnübungen mit mir durchführte, wollte ich schreien, aber ich biss mir auf die Lippen und schluckte die Flüche, die ich ihm am liebsten an den Hals gewünscht hätte, hinunter. Ganz verstecken konnte ich es vor Pater Michael natürlich nicht, und als ich ihm ins Gesicht blickte, sah ich, wie es auch ihm Schmerzen zufügte, weil er mir wehtat. Aber wir wussten beide, dass es sein musste, wenn ich irgendwann wieder in der Lage sein wollte, mich richtig zu bewegen, und bei den nächsten Misshandlungen, wie ich sie gern bezeichnete, waren die Qualen zwar noch da, aber zumindest erträglich. Das Dehnen und Trainieren meiner Muskeln und Bänder war absolut kein Vergnügen. Die Massagen dagegen schon eher. Pater Michaels Hände auf mir zu spüren, wie sie meinen gesamten Körper kneteten, war wirklich nicht die furchtbarste Art und Weise, wie ich meine Zeit verbringen konnte.
„Noch ein Stückchen höher…etwas mehr nach rechts…und noch etwas höher bitte,” versuchte ich seine Hände, die meinen Oberschenkel massierten, dorthin zu dirigieren, wo ich sie gern gehabt hätte. Was denn? Ich langweile mich nun einmal schnell. Warum also nicht versuchen, die ganze Sache etwas aufzupeppen?!
Pater Michael verzog missbilligend den Mund und schüttelte den Kopf. „Woran du wieder denkst, Frau!”
„Hey, das ist die beste Medizin, die es gibt,” entgegnete ich entschieden und lächelte ihn unschuldig an.
„Wer sagt das?”, fragte er, und seine Hände kamen auf der Innenseite meines Oberschenkels zur Ruhe.
„Dr. Pearce. Ada Pearce,” antwortete ich. Entschlossen packte ich seine Hände und schob sie weiter nach oben, weiter in Richtung…na, Sie wissen schon! Es fehlten nur noch wenige Millimeter. Ich schloss verzückt die Augen, und ein wohliges Seufzen kam mir über die Lippen.
„Hör auf damit!” Was war nun? Also, das hatte ich nun wirklich nicht erwartet! Abrupt schlug ich die Augen auf und zog einen Flunsch, als Pater Michael seine Hände fortzerrte. „Das hier ist kein Spiel, Ada! Wir müssen dafür sorgen, dass du wieder fit wirst. Ich meine es ernst!”, fuhr er mich mit lauter Stimme an.
„Ich auch,” säuselte ich und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen, woraufhin sich tiefe Falten in des Paters Stirn gruben und er mich mit einem Blick anstarrte, der fragte: „Was soll ich nur mit ihr machen?” Nun, mir fielen da so ein, zwei Sachen ein. Leider stimmten sie nicht mit der Grobheit überein, mit der mich der Pater am Arm packte und halb aus dem Bett herauszerrte. Mhh, also in meiner Fantasie hatte ich mir etwas mehr Zärtlichkeit vorgestellt.
„Zeig mir, wie gut du dich schon wieder bewegen kannst, Ada! Zeig mir, in welch guter Verfassung du bereits bist!”, forderte er mich unwirsch auf. Seine Art verschlug mir die Sprache. Die Hitze stieg mir ins Gesicht. Ich fühlte mich unendlich gedemütigt, und mir traten Tränen in die Augen, als mein Oberkörper über die Bettkante hing und ich unter Schmerzen versuchte, mich auf der Matratze zu halten.
„Das ist gemein, Michael!”, jammerte ich und suchte nach einem Zipfel des Lakens hinter mir, an dem ich mich wieder zurück ins Bett ziehen konnte. Pater Michael half mir nicht einmal, obwohl er genau sah, welch große Schwierigkeiten ich hatte. Erst als ich anfing zu betteln, schien ich sein Herz zu erweichen, und er half mir zurück auf die Matratze.
„Siehst du nun ein, dass das hier nicht zum Spaß ist?”, fragte er. Behutsam deckte er mich zu und setzte sich zu mir. Er legte einen Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf an, damit ich ihn ansah.
„Ich wollte dich doch nur ein bisschen auf andere Gedanken bringen. Du wirkst immer so ernst,” bemerkte ich.
„Du wurdest entführt und gefoltert, und dir wurden Unmengen an Blut abgenommen! Du bist beinahe erneut in meinen Armen gestorben! Verzeih mir bitte, dass ich bei diesen furchtbaren Dingen nicht zu Späßen aufgelegt bin,” erwiderte er.
„Du hast Recht. Es tut mir leid,” sagte ich kleinlaut. Auch wenn ich seinen Worten zustimmte, seine grobe Aktion aber verstand ich nicht. Sicherlich hatte er damit bewiesen, wie weit entfernt ich noch von der alten, agilen Ada war. Aber es änderte nichts daran, dass es unfair und unnötig gewesen war. Er hätte es auch anders tun können! „Das war wirklich nicht schön,” ließ ich ihn daher mit Tränen in den Augen wissen. Ich versuchte, mich zusammenzureißen. Aber je mehr ich mich anstrengte, desto mehr bebte mein Kinn, und meine Sicht auf Pater Michael wurde immer wässriger.
„Ich weiß, es war nicht richtig. Ich entschuldige mich bei dir, Ada. Bitte verzeih mir meine Grobheit,” hörte ich ihn sagen. Unter mir spürte ich, wie sich die Matratze bewegte, als er näher zu mir rutschte. Seine Hände legten sich um meine Schultern, und er zog mich zu sich heran. Für einen Moment kämpfte ich noch gegen ihn an, doch dann gab ich es auf, und die Dämme in meinem Innern stürzten ein. Völlig aufgelöst schluchzte ich gegen den Pater und durchnässte mit meinen Tränen dessen Kleidung. „Shh, Ada. Es tut mir so leid! Bitte verzeih mir,” flehte er mich an. Mein Gefühlsausbruch schien ihn aufs Äußerste zu beunruhigen. Langsam wiegte er uns vor und zurück. Seine Hände streichelten sanft über meinen Rücken. Er hoffte wohl, es würde mich trösten. Aber statt mit dem Weinen aufzuhören, wurde es nur noch schlimmer. Ich konnte einfach nicht anders. Ich kann nicht sagen, woher all das auf einmal kam. Ich wusste nicht, ob es nur wegen seiner Demütigung war oder einfach alles aus mir herausplatzte, was sich in der letzten Zeit angestaut hatte. Vielleicht war es aber auch die Angst, dass ich mich nie wieder erholen würde, die mich dazu brachte, mich in Tränen aufzulösen. Letztendlich war es wohl ein Zusammenspiel aller genannten Gründe, das diesen Nervenzusammenbruch ausgelöst hatte.