Читать книгу Die Jägerin - Die Wiege des Bösen (Band 5) - Nadja Losbohm - Страница 8
5. Nullachtfünfzehn-Jägerin
ОглавлениеMein Herz fing bei der Berührung seiner Lippen schneller an zu schlagen. Mir wurde heiß, und ein angenehmer Schauer lief mir über den Rücken. Alle Streitigkeiten waren vergessen, und ich konzentrierte mich voll und ganz auf ihn. Gerne hätte ich sein Gesicht mit den Händen berührt, aber meine Arme gehorchten mir nicht, als ich es versuchte. Ich gab einen frustrierten Seufzer von mir, und instinktiv schien Pater Michael zu wissen, was ich wollte. Oder aber er sehnte sich nach dem Gefühl meiner Hände auf sich ebenso sehr wie ich, denn er umschloss meine Handgelenke, hob langsam meine Arme und führte sie zu seinem Gesicht, bis sich meine Finger auf seine Haut legen konnten. Sobald er meine Wärme spüren konnte, gab er ein zufriedenes Seufzen von sich und vertiefte den Kuss noch.
Ich war froh, ihn endlich so spüren zu können, dennoch tat es mir in der Tiefe meines Herzens weh, als ich unter meinen Fingerspitzen die Nähte auf seiner Wange fühlte. Ich bemerkte, wie sie zuckte, und es tat mir umgehend leid, dass ich Pater Michael Schmerzen zugefügt hatte. Also nahm ich meine Hand von ihm. Kraftlos fiel sie auf seine Schulter, blieb dort liegen und stahl sich etwas von der Wärme, die von ihr ausging. Ich fühlte die Muskeln sich bei jedem seiner Atemzüge bewegen, die von Augenblick zu Augenblick schwerer wurden. Ich spitzte die Ohren und lauschte für eine Weile diesem Klang, bis ich mich auf ein anderes Geräusch konzentrierte, an dem ich Gefallen gefunden hatte: dem Schlagen seines Herzens. Ich richtete meine Aufmerksamkeit also darauf, doch so sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht, es neben seinen tiefen Atemzügen herauszuhören. Zunächst war ich nur überrascht, aber dann machte es mir Angst, auf die Irritation folgte. Was war los mit mir? Wieso konnte ich plötzlich seinen Herzschlag nicht mehr hören? Seit dem Moment, in dem ich meine Super-Kräfte bemerkt hatte, hatte ich es doch klar und deutlich hören können!
Pater Michael schien zu merken, dass ich mit meinen Gedanken ganz woanders war anstatt bei unserem Kuss, und er löste sich von mir. „Was ist los? Was hast du? Geht es dir nicht gut?”, fragte er.
Als ich zu ihm aufblickte, sah ich, wie sehr er sich um mich sorgte. Ich schüttelte den Kopf und starrte auf den Kragen seines Hemdes. „Ich kann dein Herz nicht schlagen hören,” sagte ich traurig. „Ich kann es nicht mehr hören, Michael. Ich glaube, mein Super-Gehör ist verschwunden,” fügte ich hinzu und spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte und ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen, weil ich ahnte, dass das nicht das Einzige war, das sich verändert hatte. „Wenn mein Super-Gehör weg ist, sind wahrscheinlich auch alle anderen Super-Kräfte verschwunden,“ hauchte ich fassungslos und schaute mich völlig durcheinander in meinem Zimmer um. Am liebsten wäre ich sofort aufgesprungen und hätte gleich getestet, ob ich noch superstark und superschnell war. Aber das in Erfahrung zu bringen, würde noch dauern. Erst musste ich wieder Herr über meinen Körper werden.
Die Erkenntnis frustrierte mich! Es ärgerte mich enorm! Ich hatte mich so sehr über meine tollen Kräfte gefreut und bereits an sie gewöhnt. Doch im Gegensatz zu mir schien es Pater Michael nicht zu stören, dass ich nun wieder eine nullachtfünfzehn-Jägerin war. Ganz im Gegenteil, er schien sich regelrecht darüber zu freuen, dass ich wieder „normal” war und trauerte meinen Super-Ohren, der Super-Kraft und der Super-Geschwindigkeit kein Stück hinterher. Nur ich war unendlich traurig. „Alle meine Super-Fähigkeiten sind wohl samt meinem Blut aus mir herausgeflossen,” sprach ich meine Überlegung laut aus und hörte, wie Pater Michael bei meinen Worten scharf den Atem einzog, als ich uns daran erinnerte, was geschehen war.
„Was ist an dem Abend, als du verschwunden bist, genau passiert, Ada?“, fragte er, ergriff meine Hand und hielt sie sanft umschlossen.
Ich schüttelte den Kopf und antwortete: „Ich weiß nicht genau. Ich weiß nur noch, dass ich grübelnd durch die Straßen zog und über unser Rätsel nachdachte, was der Ursprung des Monstertreibens sein und wo er liegen könnte. Das hat mich wohl so sehr abgelenkt, dass ich nicht mitbekam, was um mich herum vor sich ging, denn das Nächste, an das ich mich erinnere, ist die völlige Dunkelheit, in der ich aufwachte, und die Feststellung, dass man mich eingeschlossen hatte. Dann öffnete sich die Kis…der Sarg, in dem ich lag, und ein Paar rot leuchtende Augen schwebte über mir.” Ich kniff die Augen fest zusammen, weil ich den Vampir wieder deutlich vor mir sehen konnte, und fing an zu weinen, als ich mich an das erinnerte, was danach mit mir gemacht worden war. Wieder spürte ich die Nadeln in meiner Haut, spürte die Kühle des Metalltisches an meinem Rücken und den brennenden Schmerz, als mich die Vampirfrau geschlagen hatte, weil ich meine große Klappe nicht hatte halten können und Witze über ihren Gefährten gemacht hatte. Sie war zwar nun zu Staub zerfallen, dennoch hasste ich diese Kreatur abgrundtief! Nicht nur, weil sie mir das alles angetan hatte, sondern auch deshalb, weil sie mir so verdammt ähnlich gesehen hatte! Etwas, das sich unbedingt ändern musste. Die Frage war nur, wie?
Federleichte Küsse, die meine Finger bedeckten, holten mich auf liebevolle Weise aus meinen Gedanken an die Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Pater Michael hob meine Hand an, drückte sie gegen seine Brust und gab mir Zeit, um mich zu beruhigen. Ich war froh, dass er mich nicht drängte, sondern geduldig darauf wartete, dass ich bereit war weiterzusprechen. Nach ein paar Minuten hatte ich mich wieder so weit im Griff, dass ich ihm erzählen konnte, was man mir gesagt hatte. „Sie erwähnte eine Prophezeiung, dass es einen Jäger geben würde, der etwas ganz Besonderes an sich haben soll, etwas, das noch kein Jäger vor ihm gehabt hat und das dafür sorgen würde, dass die Monster ein für alle Mal vernichtet würden. Sie konnte nicht sagen, was dieses geheimnisvolles Etwas ist, aber sie war wirklich davon überzeugt, dass ich dieser Jäger bin, Michael, und sie wollte mit meinem Blut ihre Armee von Vampiren stärken. Sie dachte, die angebliche Macht, die darin liegt, würde auf sie alle übergehen,” sagte ich und blickte ihn mit großen verweinten Augen an. Pater Michaels Stirn runzelte sich, und er sah mich nachdenklich an. Anscheinend wusste auch er nicht, was er von dem Ganzen halten sollte. „Außerdem sagte sie mir, dass sie mich nur nicht töten würde, weil die Vampire mich brauchen, damit ich sie von den anderen Monstern, den niederen Kreaturen, befreie. Nett, nicht wahr?”, fügte ich hinzu und zwang mich zu einem Lächeln. Ich war mir nicht sicher, ob der Pater es sah. Er blickte mir zwar ins Gesicht, dennoch wirkte er, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders. „Michael,” flüsterte ich seinen Namen. Er blinzelte ein paar Mal. Sein Blick klärte sich, und er war wieder bei mir. „Was hältst du von alldem? Weißt du, was es zu bedeuten hat? Wusstest du von solch einer Prophezeiung?”, wollte ich von ihm wissen.
Zu meinem Bedauern verneinte er. Ich hatte gehofft, wenigstens sein kluger Kopf würde wissen, wie das Puzzle zusammengefügt werden musste, damit es einen Sinn ergab. „Ich wünschte, ich könnte dir diese schrecklichen Erinnerungen nehmen,” sagte er, lehnte sich vor und umarmte mich fest.
Seufzend lehnte ich mein Gesicht gegen seine Brust und atmete tief seinen Duft ein. „Das ist unmöglich, Michael. Aber ich überstehe das schon,” sagte ich zuversichtlich, was Pater Michael umgehend zum Lachen brachte.
„Ich weiß, Liebste. Du bist stark und überlebst alles. Denk jetzt nicht an das, was war. Denk an das, was vor dir liegt, und im Moment müssen wir uns auf deine vollständige Genesung konzentrieren. Deine Muskeln, Bänder und Gelenke sind verkrampft und verkümmert. Sie müssen trainiert, massiert und gedehnt werden.”
Gegen seine Brust gelehnt nickte ich. Ich lehnte mich etwas zurück und sah zu ihm auf. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte ich. Pater Michael erwiderte es und gab mir einen verspielten Kuss auf die Nasenspitze. Er lehnte seine Stirn gegen meine, und für eine Weile schloss ich die Augen und genoss diesen ruhigen Moment. Als ich sie wieder öffnete, fiel mein Blick auf sein Kinn, auf dem die Ausläufer der Wunde zu sehen waren. Ich lehnte mich zurück, damit ich sein Gesicht besser betrachten konnte, und begutachtete nachdenklich die Nähte. „Wer hat deine Wunde versorgt?”, fragte ich unverwandt.
„Ich,” war seine knappe Antwort.
„Ha!”, rief ich aus, während Pater Michael mich erschrocken anstarrte. „Hab ich’s doch gewusst!”, meinte ich und grinste breit.
Herzhaft lachte er. „Du kennst mich eben sehr gut, Ada. Ich bin ein offenes Buch für dich.”
Bei seinen Worten wurde ich wieder ernst und schüttelte den Kopf. „Nein, nicht immer. Eigentlich ist es eher so, dass du für mich die meiste Zeit ein Rätsel bist. Es fällt mir oft schwer zu sagen, was in dir vorgeht, oder zu erahnen, was du tun wirst,” offenbarte ich ihm mit leiser Stimme.
„Das tut mir leid,” erwiderte er, und sein Gesicht verzog sich, als hätte er Schmerzen. „Ich habe wohl zu lange allein gelebt und bin es nicht gewohnt, über meine Gefühle und Gedanken zu reden, die so lange Zeit nur mich etwas angingen. Ich muss es noch lernen, diese Dinge zu teilen und nicht alles für mich zu behalten.”
Lächelnd nickte ich. „Nur teilen ist schöner,” entgegnete ich ihm mit einem Zwinkern und spitzte in Erwartung eines Kusses die Lippen.