Читать книгу Die Jägerin - Die Wiege des Bösen (Band 5) - Nadja Losbohm - Страница 7
4. Dickkopf
Оглавление„Ist das zu fassen? Er haut einfach so ab!”, sagte ich empört und starrte auf die Stelle, an der noch vor wenigen Augenblicken mein Bruder gestanden hatte. Doch dann setzte sich Pater Michael auf die Matratze und versperrte mir die Sicht. Als ich zu ihm aufsah, bemerkte ich, wie nachdenklich er war. Schweigend blickte er auf seine Hände hinunter, die er zwischen den Knien gefaltet hatte, und ich machte mich auf einen altklugen Kommentar bereit, der sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit gerade in seinem hübschen Kopf formte. Nach einigen weiteren Momenten verzog sich sein Mund zu einer schmalen Linie, und aus seiner Kehle drang eines seiner berühmten „Mhhs“. Doch anstatt etwas zu sagen, lehnte er sich vor, nahm das zweite Sandwich vom Teller und hielt es vor mein Gesicht.
„Kannst du das vielleicht mal lassen, Michael?!”, schnauzte ich ihn an. Ich weiß nicht, woher diese Wut plötzlich kam. War es wegen meinem Bruder und dessen groteskem Vorschlag? Oder war ich wütend auf Pater Michael und seine einsilbigen Antworten, die die Bezeichnung als solche nicht einmal verdient hatten? Oder war ich sogar auf mich selbst wütend, weil Alex mich daran erinnert hatte, wie schwach ich sein konnte und meine Aufgabe in Wahrheit zu viel für einen einzigen Menschen war? „Und kannst du nicht Wörter benutzen anstatt gutturale Laute von dir zu geben, Michael?”, warf ich ihm an den Kopf.
Der Arm, der das belegte Brot hochhielt, senkte sich, und der Padre schaute mich verdutzt an. „Nun, ich kann gut verstehen, dass er gegangen ist. Du hast ihm unmissverständlich klargemacht, was du von seinem Vorschlag hältst. Wozu sollte er noch hierbleiben?”, fragte er mich und zuckte mit den Schultern.
„Pfft!”, machte ich und starrte grimmig geradeaus. „Ist ja klar, dass die Kerle wieder zusammenhalten!”, grummelte ich vor mich hin. „Seinen Vorschlag ins „Jäger-Geschäft” einzusteigen, hältst du sicherlich auch für einen Geniestreich!”
„Ada, bitte,” flehte mich seine Stimme von der Seite an. Ich hörte das dumpfe Geräusch des Sandwichs, als es auf den Teller fallen gelassen wurde. Im nächsten Moment lagen Pater Michaels Hände auf meinen Wangen, und er drehte meinen Kopf zu sich herum, damit ich ihn ansah. Nur widerwillig blickte ich ihm in die schwarzen Augen. „Es gibt keine Seiten, für die man sein kann oder nicht. Ich finde lediglich, du hättest ihn anhören sollen. Er will dir doch nur helfen, Ada, und nicht schaden,” meinte er in einem sanften Ton.
„Quatsch mit Soße! Es interessiert ihn nicht wirklich! Und du irrst dich, Michael. Mit deiner Aussage hast du bewiesen, dass du auf Alex’ Seite stehst!”, entgegnete ich ihm entschieden und wand mich solange zwischen seinen Händen, bis er mich freigab. Ich hörte sein resigniertes Seufzen und sah, wie er fassungslos seinen dunklen Haarschopf schüttelte.
„Bitte, Ada, tu mir das nicht an!”, flehte er. „Du wolltest wissen, was ich denke, und ich habe es dir gesagt.”
„Ach, hör schon auf!”, murmelte ich und sah finster auf meine Bettdecke hinunter. Es war wirklich nicht nötig, dass er mich daran erinnerte! Ich hatte es herausgefordert, und nun musste ich mich mit der Antwort, die mir missfiel, abfinden. Fein! Trotzdem ärgerte es mich, dass der Padre für Alex Partei ergriffen hatte, auch wenn er es anders auslegte. Ich sah es nun einmal so, und damit basta! „Wenn es dich so brennend interessiert, was Alex zu sagen hat, kannst du ihn ja anrufen und ein bisschen nett mit ihm über Haken, Fische, Adas Dickkopf und ihr kaltes Herz plaudern!”, schlug ich ihm mit einem sarkastischen Unterton vor.
Pater Michaels Augen verengten sich. Er legte den Kopf schief und musterte mich eingehend. Dann meinte er völlig ernst: „Ja, vielleicht tue ich das sogar.”
Verwundert über seine Antwort glotzte ich ihn an und beobachtete, wie die Züge um seinen Mund herum zuckten, als er ein Lächeln zu unterdrücken versuchte. Da begriff ich, dass er mich testete, um zu sehen, wie ich darauf reagierte. Aber gleichzeitig war es auch ein Versuch, die Stimmung zu lockern. Aber wenn man mich und meine Reaktionen ins Lächerliche zog, war das die absolut falscheste Sache, die man tun konnte! Und was er konnte, konnte ich schon lange. Ich setzte also mein süßestes Lächeln auf und sagte: „Schön!”
„Schön,” wiederholte er meine Antwort.
„Schön, schön!”, meinte ich energischer.
„Schön, schön,” echote er.
Ich spürte, wie erneuter Unmut in mir aufstieg, und dass er mir das letzte Wort nicht überlassen wollte, ließ meinen Blutdruck nur noch weiter ansteigen! „Schön, schön, schön!” Dieses Mal hatte ich Pater Michael förmlich angeschrien, und zufrieden stellte ich fest, dass es ihm endlich die Sprache verschlug und er mich mit seinen dunklen Augen völlig perplex anstarrte.
Überzeugt davon, dass ich gewonnen hatte, nickte ich und gab ein selbstgefälliges „Mhh!“ von mir. Aber es war zu früh, um sich auf den Lorbeeren auszuruhen, wie ich wenige Sekunden später feststellen musste, als Pater Michael plötzlich lauthals lachte. Verblüfft schaute ich zu ihm. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und bellte geradezu meine Zimmerdecke an. Ganz offensichtlich freute er sich über irgendetwas wie ein Kullerkeks, während ich die Welt nicht mehr verstand. Schließlich packten mich seine Hände, und er zog mich an seine Brust. Wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre, hätte ich mich gegen ihn gewehrt. Doch leider konnte ich es nicht und lag stattdessen gegen ihn gelehnt da wie ein Sack Kartoffeln.
„Du bist einfach unglaublich, Ada,” sagte seine Stimme über mir.
„Freut mich, dass ich dich so amüsiere,” nuschelte ich, wobei ich mich anhörte, als hätte ich Schnupfen, da meine Nase in Pater Michaels Achselhöhle klemmte.
„Und ich finde nicht, dass du ein kaltes Herz hast. Du hast ein großes, warmes und liebevolles Herz, das voller Sorge um den Bruder ist,” meinte der Pater.
„Danke,” war meine knappe Antwort.
„Du bist nur ein bisschen stur,” fügte er dann hinzu, und an der Art, wie er es sagte, hörte ich heraus, dass er lächelte. Schließlich schob er mich ein Stück von sich und sah mir ins Gesicht. „Aber sogar deinen Dickkopf liebe ich,” flüsterte er und küsste mich sanft auf den Mund.