Читать книгу Die Jägerin - Die Wiege des Bösen (Band 5) - Nadja Losbohm - Страница 15
12. Ein leidiges Thema
ОглавлениеSeufzend wälzte ich mich in meinem Bett herum und warf einen Blick auf die Uhr auf meinem Nachttisch. Es war bereits halb ein Uhr vormittags. Ich hatte mehr als acht Stunden geschlafen und konnte mich auch nicht über irgendwelche körperlichen Beschwerden beklagen, die ich befürchtet hatte zu verspüren. Das Einzige, was mich störte, war, dass noch gute fünf Stunden vergehen mussten, ehe ich wieder auf Patrouille gehen konnte. Es war merkwürdig, aber ich hatte einen beinahe unbändigen Drang, sofort wieder loszuziehen. Kennen Sie das, wenn Sie…sagen wir…einen wirklich tollen Film gesehen haben, das Kino verlassen und am liebsten gleich noch einmal hineingehen würden? Genauso fühlte ich mich jetzt. Nur musste ich warten, bis es dunkel war. „Verdammt! Wie soll ich denn diesen Tag überstehen?”, nuschelte ich und rieb mir mit den Händen über das Gesicht. Ich hatte wirklich keine Idee, was ich in den nächsten Stunden tun sollte. Nur eines war sicher: Es war Zeit fürs Frühstück/ Mittagessen. Also schwang ich die Beine aus dem Bett und verschwand unter der Dusche.
Die ersten eineinhalb Stunden brachte ich problemlos hinter mich. Duschen, essen, in der Bibliothek herumlungern. Aber dann ging es los: die große Langweile! Um mein „Leid” zu teilen, begab ich mich auf die Suche nach Pater Michael. Nachdem ich alle Türen in unserem unterirdischen Zuhause geöffnet und nach ihm gerufen hatte, fand ich ihn schließlich im Wohnzimmer. Als ich in den Raum eintrat, rührte er sich nicht, und ich war verwundert darüber, wie vertieft er in seine Arbeit sein musste, um das Gehen der Tür oder meine schlurfenden Schritte, die sich zum Sofa bewegten, nicht zu hören. Erst als ich mich seufzend in die Polster fallen ließ, drehte der Padre seinen Kopf zu mir und kommentierte mein Eintreffen. „Hast du das Mittagessen, das ich im Kühlschrank für dich bereitgestellt hatte, gefunden?”, wollte er wissen.
„Ja, danke. Es war wirklich gut,” antwortete ich, und mir lief das Wasser erneut im Munde zusammen, als ich an das Hühnchen und den Reis dachte. Im Kochen konnte man dem Pater wirklich nichts vormachen.
Pater Michael lächelte und nickte zufrieden. Dann wandte er sich wieder dem Computerbildschirm zu und widmete sich seiner Arbeit, wie ich dachte. So viel zum Thema „Geteiltes Leid ist halbes Leid”! Den Padre schien mein theatralisches Seufzen, zu dem sich schon bald das Trommeln meiner Finger auf der Tischplatte vor mir gesellte, keinen Deut zu interessieren. Ich wollte aber, dass er seine Aufmerksamkeit mir zuwandte. Also seufzte und trommelte ich lauter. Aber merkwürdigerweise reagierte er auch darauf nicht! Immer noch völlig gebannt von dem Kirchenkram, wie ich vermutete, starrte er geradeaus, während ich vor Langeweile fast verging und sich in meinem Inneren der Drang, hinaus in die Straßen zu gehen und so viele Monster zu töten, sodass die Straßen meiner Heimatstadt mit ihnen gepflastert wurden, ins Unermessliche steigerte. Vielleicht aber hörte er mich ganz genau und ignorierte mich einfach nur gekonnt. Dieser Gedanke trieb mich dazu, eine andere Methode anzuwenden: lautstarkes Jammern. „Mir ist so langweilig!”
Keine Reaktion.
Zweiter Versuch. „Ist mir langweilig!”
Abermals keine Reaktion.
Aller guten Dinge sind drei. „Laaaangggweillliiggg!”
„Wie kann dir langweilig sein, Ada, wenn du damit beschäftigt bist, mir wiederholt zu sagen, dass dir langweilig ist?”
Ah! Na endlich! Er hörte mir also doch zu. „Selbst das ist mittlerweile langweilig geworden,” erwiderte ich, stand vom Sofa auf und ging zum Schreibtisch hinüber.
„Lies doch ein Buch,” schlug Pater Michael, unbeirrt auf den flackernden Bildschirm starrend, vor.
„Hab ich schon. Es war langweilig,” entgegnete ich ihm seufzend und ließ mich hinter seinem Stuhl auf den Boden plumpsen. Ich saß im Schneidersitz, stellte die Ellenbogen auf meine Oberschenkel und stützte meinen Kopf auf den Händen ab. Frustriert starrte ich auf die Rollen des Schreibtischstuhls und die Sohlen von Pater Michaels Schuhen. Ein Knarren ertönte, als sich der Stuhl bewegte und der Padre sich zu mir herumdrehte. Ich hob den Kopf und entdeckte ein belustigtes Glitzern in seinen schwarzen Augen.
„Natürlich,” kommentierte er meine Äußerung und grinste sein schiefes Grinsen. „Hör doch etwas Musik,” war sein nächster Tipp.
„Ich kenne alle deine antiken Schallplatten, und die Songs auf meinem MP3-Player habe ich mir auch schon übergehört. Langweilig, langweilig, langweilig!”, jammerte ich weiter und sah ihn flehend an. Ich hoffte, er würde verstehen, dass ich wollte, dass er mir etwas mehr von seiner Zeit und Aufmerksamkeit schenkte. Aber meine Wunschträume verpufften umgehend, als er sagte: „Du könntest aber auch deinen Bruder anrufen.”
Verdutzt sah ich ihn an. Wollte er mich ärgern? „Also, so langweilig ist mir nun auch wieder nicht!”, erwiderte ich patzig.
„Wieso denn nicht? Du musst doch nicht lange mit ihm reden. Frag ihn, wie es ihm geht, was er macht. Plaudert einfach ein wenig,” drängte Pater Michael.
„Ruf du ihn doch an, wenn es dich so brennend interessiert, wie es ihm geht!”, war meine schnippische Antwort auf seinen absurden Vorschlag. „Ich rufe ihn sicherlich nicht an! Er hat gesagt, er meldet sich bei mir. Ergo krümme ich keinen Finger. Basta!”, teilte ich ihm mit, hievte mich vom Boden hoch und stapfte Richtung Zimmertür. Aber ich hörte sehr wohl das Grummeln, das von der anderen Seite des Raumes kam und auf meinen Dickkopf abzielte.
Obwohl ich mich mit Pater Michael wieder einmal in die Haare gekriegt hatte, hatte das meine Langweile kurzweilig bekämpft. Doch ich war nicht so sadistisch veranlagt, um zu ihm zurückzugehen und mich abermals mit ihm über ein leidiges Thema zu streiten, bei dem wir uns niemals einig werden würden, wie ich wusste. Somit war ich wohl oder übel während der letzten Stunden vor meiner Patrouille auf mich allein gestellt. Meine Verzweiflung war so groß, dass ich sogar meinen Kleiderschrank aufräumte! Für gewöhnlich schmiss ich meine Sachen nur in die Fächer hinein, wo sie sich kreuz und quer bis zu dem Moment stapelten, in dem das Gebilde zusammenstürzte, sobald man die Tür öffnete. In dieser Aufgabe ging ich so sehr auf, dass die Zeit im Nu vorüberging und es bald Abend war.
Bevor ich meine Arbeitskleidung und die Waffen anlegte, ging ich in die Küche, um noch einen Happen zu essen. Ich erwartete den Padre dort anzutreffen und hoffte insgeheim auch darauf, dass er etwas Leckeres gezaubert hatte. Mit einer köstlichen Mahlzeit im Magen ließen sich die Monsterlein doch gleich viel leichter verfolgen. Doch als ich in der Küche ankam, musste ich erstaunt feststellen, dass alles sauber und ordentlich an seinem Platz stand und es nicht nach frisch angebratenen Würstchen roch, nach denen mir der Sinn stand. Enttäuscht zog ich einen Flunsch. Ich hatte mich schon so sehr auf ein fertig zubereitetes Mahl gefreut! Wieso gab es das nicht? Wo versteckte sich der Pater, und was trieb er dort? Lustlos lief ich zum Kühlschrank hinüber. Seufzend öffnete ich die Tür, suchte zwischen Gemüse, Wurst und Eiern nach meinem Abendessen und entschied mich letzten Endes für Käse. Ich zerrte die Packung aus dem Kühlschrank heraus und warf sie auf die Arbeitsfläche. Aus dem Brotkasten holte ich das angefangene Toastbrot hervor, nahm mir eine Scheibe und legte sie vor mich hin. Ich machte mir nicht die Mühe, sie mit Margarine zu bestreichen, sondern schmiss sofort liebevoll den Käse oben drauf. Mit wenig Appetit biss ich von meiner Mahlzeit ab und kaute und kaute und kaute, aber das Brot wurde immer mehr in meinem Mund. Der Toast klebte mir bald am Gaumen, und der Käse machte alles noch schmieriger. Mit meiner Zunge versuchte ich, die weiche, klebrige Masse von meinen Schleimhäuten und Zähnen abzubekommen. Nach fünf Minuten gab ich es auf und wandte mich zur Spüle. Ich drehte den Wasserhahn auf, hängte meinen Kopf darunter und ließ das kühle Nass direkt in meinen Mund laufen. Ich füllte mir die Backen voll, schloss den Mund und bewegte das Wasser darin umher, als wäre ich beim Zähneputzen. Zufrieden stellte ich fest, dass sich mein Abendessen allmählich geschlagen gab und ich es endlich samt dem Wasser hinunterschlucken konnte. Das musste als ausgewogene Ernährung für heute reichen. Es war Zeit, sich startklar zu machen.
Das Anziehen meiner Arbeitskleidung und das Anlegen der Waffen hatte dieses Mal noch kürzer gedauert als sonst, und nur zehn Minuten später befand ich mich bereits auf der Treppe, die hinauf zu Pater Michaels Büro führte. Ich öffnete die Tür und fand die in Schwarz gekleidete Gestalt des Padres, die den Telefonhörer mit der Hand fest umklammerte, am Schreibtisch sitzend vor. Aber in der Sekunde, in der er mich in der Tür stehen sah, nahm er den Hörer von seinem Ohr und legte ihn auf die Gabel. Mit einem Lächeln auf den Lippen, aber Wachsamkeit in den Augen, sah er zu mir herüber.
„Du hättest nicht extra auflegen müssen, Michael,” meinte ich und trat in den Raum ein. Langsam schlenderte ich zu dem Schreibtisch und stellte mich davor.
„Schon gut,” wiegelte er ab, legte seine Unterarme auf die Tischplatte und verschränkte die Finger miteinander.
„Mit wem hast du denn gesprochen?”, fragte ich ihn.
„Ich sprach mit niemandem. Es hob niemand ab,” beantwortete er mir meine Frage, und ich staunte über die Präzision seiner Aussage.
„Lass mich die Frage anders formulieren: Mit wem wolltest du denn sprechen?”, versuchte ich es erneut, Informationen aus ihm herauszubekommen.
Pater Michael legte den Kopf schief und musterte mich nachdenklich. Anscheinend war er sich unschlüssig darüber, ob es ratsam war, mir die Wahrheit zu sagen oder sie mir doch lieber vorzuenthalten. Er schien sich dann aber doch mehr vor einer Lüge zu fürchten als vor meiner Reaktion auf die Wahrheit und sagte: „Mit Alex.”
Ich spürte ganz genau, wie meine Lippen sich langsam öffneten und mir das Kinn auf die Brust fiel. Mir blieb die Spucke weg! Mit großen Augen starrte ich den Pater an. „Ich fasse es nicht! Du hast wirklich versucht ihn anzurufen,” hauchte ich.
Pater Michael nickte. „Ja, das habe ich. Du hast mir doch dein Einverständnis gegeben, ihn anzurufen und ihn nach seinem Befinden zu fragen. Schon vergessen?”
Wollte er mich verarschen? Natürlich erinnerte ich mich an meine eigenen Worte, die ich ihm aufgebracht entgegengeschleudert hatte, aber das war doch keine wirkliche Aufforderung gewesen! Und warum musste er mich ausgerechnet in so einer Situation beim Wort nehmen? Ich musste mir fest auf die Unterlippe beißen, damit ich ihm keine Flüche an den Kopf schmiss.
„Im Gegensatz zu dir gehe ich auf die Menschen zu,” bemerkte er, stand auf, kam um den Tisch gelaufen und baute sich dicht vor mir auf, „während du dich querstellst und sie von dir schiebst.”
„Ich schiebe hier überhaupt nichts!”, widersprach ich ihm vehement und trat einen Schritt zurück, um wieder etwas Abstand zwischen uns zu bringen. „Ich wiederhole mich nur ungern, aber dir zuliebe will ich mal nicht so sein. Alex sagte, er meldet sich bei mir. Bis heute hat er das nicht getan. Er geht auch nicht ans Telefon, wie du unschwer mitbekommen hast. Eins und eins ergibt: Alex wird sich niemals ändern! Er kapiert es einfach nicht, was er anderen damit antut, wenn er sie zum Warten verdonnert! Und ich habe dieses Verhalten ebenso gründlich satt wie das Warten! Du kannst es gern noch weiter versuchen und deine Zeit verschwenden, Michael, aber ich gehe jetzt und tue etwas wirklich Sinnvolles!”, sagte ich und klopfte dabei mit der Hand auf meine Hüfte, an der mein Schwert baumelte. Dann drehte ich mich auf dem Absatz herum und stapfte entschlossen davon, nicht ahnend, dass mich zwei Wochen später eine noch größere Überraschung ereilen würde…