Читать книгу LebensLichtSpuren - Nanaja Meropis - Страница 32
HAHNSCHLAGEN
ОглавлениеDorffeste gehören für uns Kinder zu den bewegenden und prägenden Erlebnissen unseres Daseins, auch wenn der Dorfalltag allein schon voller kleiner Abenteuer ist. Auf das Dorffest spare ich das ganze Jahr, kann es kaum erwarten, mein Geld für Süßigkeiten und die Schießbude auszugeben. In unserem Dorf gibt es eine besondere Tradition, das „Hahnschlagen“, dem ich jedes Jahr aufgeregt entgegenfiebere. Einer der Bauern im Dorf spendiert einen geschlachteten Hahn, den er in einem Leinensack dem Bürgermeister übergibt. Auf einer Wiese wird nach seiner Anweisung ein Loch ausgegraben und der Sack nebst Hahn darin vergraben. Um die Grabstelle herum wird mit einem Seil ein Quadrat mit einer Seitenlänge von ungefähr zehn Metern abgesteckt. Vorher schon werden den 16-jährigen Jungen die Augen verbunden.
In diesem Jahr stehen nun sechs „künstlich erblindete“ Jungen vor der Absperrung, alle bewaffnet mit einem Dreschflegel. Wir Kleinen liegen bäuchlings auf der Wiese, beobachten das Spektakel. Ein Junge nach dem anderen wird auf das markierte Quadrat geführt, und jeder versucht nun, mit den Füßen die Stelle zu erspüren, an der der Hahn vergraben liegt. Wer glaubt, die richtige Stelle gefunden zu haben, tritt einen Schritt zurück und schlägt mit dem Dreschflegel auf den Boden. Drei haben sich schon vertan, jetzt ist der Sohn unseres Nachbarn dran. Mit dem rechten Fuß tastet er die Erde nach einer weichen Stelle ab und wird fündig. Sein Hahnenschlag sitzt. Seiner Augenbinde entledigt, wird er auf den Schultern seiner Freunde durchs Dorf getragen. Abends wird der Hahn für ihn in der Dorfgaststätte zubereitet und er erhält für die ganze Dauer des Dorffestes seine Getränke im Festzelt umsonst. In den Augen der Dorfmädchen ist er für zwei Tage ein Held. Ich bin ein wenig neidisch.