Читать книгу LebensLichtSpuren - Nanaja Meropis - Страница 8
WORTE PRÄGEN
ОглавлениеIn unserem Haus wohnte auch die Schwester meines Großvaters. Bei ihr verbrachte ich täglich – nicht nur, wenn meine Eltern berufsbedingt keine Zeit für mich hatten – mehrere Stunden meiner Kindertage. Damals gab es noch keine flächendeckenden Kindergärten, und nicht einmal im letzten Jahr vor meinem Schuleintritt besuchte ich einen solchen regelmäßig, obwohl dies viele Pädagogen und auch manche Pseudopädagogen als sehr hilfreich anpriesen.
Aus einer viel früheren Zeit rührt meine erste Lebenserinnerung: als ich mit knapp zwei Jahren erlebte, dass meine Großmutter gestorben war. Man brachte mich zu meiner Tante, von deren Wohnung aus man ideal in den Hof blickte konnte, was sie auch viele Stunden am Tag praktizierte.
„Jetzt tragen sie deine Großmutter hinaus!“, sagte sie mit lauter, aber keinesfalls trauriger Stimme zu mir, und irgendwie prägte sich dieser Satz bis zum heutigen Tag fest in meinem Gedächtnis ein.
Vielleicht war es von meiner Tante genau so gewollt, entscheidende Lebensschnittstellen mit großer Entschiedenheit weiterzugeben, wie das schon die Ureinwohner vieler Stämme taten, ohne jemals auf Geschriebenes oder auf Film, Internet und andere moderne Medien zugreifen zu können. Dieser Gedanke allein führt mich zu der Erkenntnis, dass meine Tante eine sehr weise Frau mit großer Lebenserfahrung gewesen sein muss.
Auch wenn meine Familie große Festvorbereitungen tätigte, „durfte“ ich zu meiner Tante gehen, was ich auch immer mit Begeisterung tat. Ich liebte es, bei ihr zu sein und ich liebte sie. Bei ihr durfte ich Kind sein, wie ich es wollte, ohne Einschränkungen.
So verbrachte ich auch einmal einen Heiligen Abend bei ihr, als meine Eltern an diesem Tag, für mich völlig unverständlich, beschäftigt waren. Es schneite, als meine Tante sich plötzlich aus ihrem Lehnstuhl erhob, zum Fenster ging und mit leiser, aber fester Stimme sagte: „Schau, jetzt fliegt das Christkind vorüber!“
Ich sah zum Fenster hinaus und sah tatsächlich das Christkind! Seit jenem Tag glaube ich an das Christkind, wenngleich in den Folgejahren immer mehr Freunde und Mitmenschen diese Tatsache energisch bestritten. Meine Tante war doch eine weise Frau.