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KAPITEL 8

Zehn der Münzen

Im Laufe des Tages sprach Julie einige der Ladenbesucher vorsichtig auf ihre Erfahrungen mit Voodoozauber an. Alastair hatte sie nicht erreicht, und auch im Internet hatte sie nichts wirklich Zufriedenstellendes zu den eigen­­artigen zusammengebundenen Puppen ­gefunden. Also musste sie es auf diese Weise versuchen. Doch angeblich kannte sich niemand damit aus oder wusste von jemandem, der sich darauf spezialisiert hatte.

Ist eigentlich logisch, dachte Julie nach einer Weile frustriert.

Wer ins Itchy Witchy kam, war in den meisten Fällen auf der Suche nach einem kleinen Kick in Form von harmloser Zauberei, nicht mehr. Doch Julie gab nicht auf.

»Das ist schwarze Magie«, erklärte Miss Delaney entsetzt, als Julie sie darauf ansprach.

Die Grundschullehrerin war zu ihr gekommen, um sich die Karten legen zu lassen – etwas, das Julie inzwischen anbot, da ihre Tante Laurie es auch getan hatte. Und sie vermutete, dass Miss Delaneys verlegenes Ge­­stammel weniger mit ihrem dringenden Bedürfnis nach einem Blick in die Zukunft zu tun hatte, als vielmehr mit einem gewissen rothaarigen Feuerwehrmann, nach dem sie sich mindestens drei Mal betont unauffällig erkundigt hatte.

Es war Julie ein Rätsel gewesen, warum sich die vernünftige, wenn auch manchmal leicht chaotische Miss Delaney ausgerechnet zu Red hingezogen fühlte. Aber bei genauerem Nachdenken war sie zu dem Schluss gekommen, dass die Verbindung gar nicht so unpassend war. Red brauchte eine Frau, die in der Lage war, seiner Besserwisserei Paroli zu bieten. Und dafür war Miss Delaney bestens geeignet.

Nach einem anstrengenden Tag schloss Julie nachdenklich den Laden ab. Niemand hatte ihr einen Hinweis zu den Voodoopuppen geben können oder wollen. Es schien beinahe, als wäre jede einzelne Hexe in Maine von der gütigen Sorte, webte wohlwollend ihre Geld- und Liebes­­zauber und wünschte niemandem etwas Böses an den Hals. Aber das konnte nicht sein. Irgendjemand musste schließlich die Puppen in Tante Lauries Grab versteckt haben.

Ob Julie sie vielleicht doch Mr Blair zeigen und ihn um Rat fragen sollte? Nein, leider hinderte sie seine verdammte Arroganz daran, sich ihm anzuvertrauen.

Und noch etwas wunderte sie: Keines der verbliebenen Hexenzirkelmitglieder hatte sich bei ihr gemeldet, nicht einmal Alastair. Vermutlich waren sie nach Margarets Tod zu schockiert und verängstigt, um ihre ­Häuser zu verlassen.

Am Abend goss sich Julie nach dem Essen ein Glas Wein ein und setzte sich mit den Tarotkarten ins Wohn­zimmer. Sie hatte sich angewöhnt, sie immer bei sich zu haben, auch wenn sie das manchmal selbst erstaunte. Eine lange Zeit sah sie sich die bunten Bilder nur an, ohne bewusst an etwas zu denken. Ihr fiel ein, wie sehr Alastair an die Karten glaubte. Und dann erinnerte sie sich an das Gefühl drohenden Unheils, das sie an dem Abend empfunden hatte, als sie ihm zum ersten Mal die Karten gelegt hatte. Hätte sie Jolenes oder Margarets Tod verhindern können, wenn sie die Warnung ernst genommen hätte? Und sollte sie nicht schauen, was die Zukunft bringen würde, ob noch jemand in Gefahr war?

Ihr schlechtes Gewissen siegte über ihre Skepsis. Zuerst zögernd, dann immer mehr beflügelt vom Wein, legte sie sich selbst die Karten. Sie deckte sie auf, betrachtete fasziniert die bunten Zeichnungen und versuchte, die Bilder auf sich wirken zu lassen.

Die Karte der Vergangenheit war die Zehn der Stäbe. Sie stand für Unterdrückung und schier unmenschliche Anstrengung. In der Gegenwart verhieß die Zehn der Münzen plötzlichen Reichtum, in materieller wie auch in geistiger Hinsicht. Man konnte die Karte sogar als »menschlichen Reichtum« deuten, der sich in unerwarteter Unterstützung zeigte. Julie lächelte. Etwas Unterstützung wäre tatsächlich nicht schlecht.

In der Zukunft erwartete sie die Kraft. Das Bild zeigte eine Frau, die einen Löwen bändigte. Julie erkannte die Bedeutung ohne langes Nachdenken: Selbstvertrauen und das Entdecken der eigenen Fähigkeiten lagen vor ihr. Aber vielleicht hätte sie doch lieber auf den Wein verzichten sollen, denn der Löwe schien ihr plötzlich zuzuzwinkern. Noch während sie das wilde Tier wie hypnotisiert ansah, überkam sie eine lang vermisste Ruhe. Es war seltsam und fühlte sich an, als hätte sie Frieden mit ihrer Vergangenheit geschlossen.

Ihre Granny, die ihr eine Frage nach der anderen stellte, um ihre Fähigkeiten zu testen, kam ihr in den Sinn. Sie erinnerte sich noch genau an den Blick der alten Frau, wie sie ihre Enttäuschung zu verbergen versucht hatte angesichts Julies Unfähigkeit. Laurie dagegen hatte immer versucht, ihr zu helfen. Eine Zeit lang hatte sie ihr sogar bittere Tränke eingeflößt, die ihr magisches Talent zum Erwachen bringen sollten. Aber nichts war geschehen, natürlich nicht.

Zuerst war Julie traurig gewesen, weil sie die Einzige in der Familie war, die keinen Funken Hexenkraft in sich trug. Wie sehr sie sich bemüht hatte, der Großmutter zu gefallen, wie verzweifelt sie sich danach gesehnt hatte, endlich selbst einen Zauberspruch wirken zu können! Jetzt, im Nachhinein, erschienen ihr diese Bemühungen fast schon krankhaft. Aber damals war sie noch ein Kind gewesen, das sich nach der Liebe ihrer Familie sehnte.

Julie seufzte und sah, dass die Flasche Wein bereits zu drei Vierteln leer war. Kein Wunder, dass sie so sentimental geworden war. Trotzdem, es war schon eigen­­artig, wie selbstverständlich sie an die Macht ihrer Granny und ihrer Tante geglaubt hatte. Später, als ihr klar geworden war, dass sie niemals in die Fußstapfen ihrer toten Mutter treten würde, hatte sich ihr Interesse der Psychologie zugewandt, die ihr als eine hervorragende wissenschaftliche Alternative zur Magie erschienen war.

Wann hatte sie aufgehört, an Zauberei zu glauben? Sie erinnerte sich nicht, wie alt sie gewesen war. Umso merkwürdiger war es, dass sie sich jetzt zum ersten Mal, seit sie nach Yarnville zurückgekehrt war, hier zu Hause fühlte. Das Kartenlegen hatte ihr das Gefühl gegeben, endlich angekommen zu sein. Nun ja, keiner zwang sie, daran zu glauben, aber es schadete auch niemandem, wenn sie es praktizierte.

Julie war ein wenig hin- und hergerissen. Einerseits kam es ihr so vor, als könnte sie Tante Laurie und Granny nun endlich zufriedenstellen – und das fühlte sich gut an. Aber andererseits schienen die Tarotkarten im Gegensatz zur Wissenschaftlichkeit ihres Studiums zu stehen, über das sie sich bisher definiert hatte.

Sie seufzte erneut und beschloss, endlich ins Bett zu gehen.

In den nächsten Tagen hatte Julie kaum Zeit zum Nach­­denken. Die Kunden strömten in Massen in ihren Laden. Es herrschte solch ein Betrieb, dass Julie sogar Cassandra um Hilfe bitten musste. Doch selbst mit der jungen Frau an ihrer Seite kam Julie nicht wirklich dazu, die beiden Toten zu betrauern. Außerdem nahm sie sich immer wieder vor, Alastair anzurufen, war dann aber zu beschäftigt oder zu müde. Denn wenn sie abends nach Hause kam, reichte ihre Energie gerade noch, um eine Pizza in den Backofen zu schieben.

Die Zusammenarbeit im Itchy Witchy funktionierte recht gut. Während Cassandra an der Kasse stand, Ge­schenke einpackte oder Waren einräumte, saß Julie im Hinterzimmer und legte Karten.

In den wenigen ruhigeren Momenten war ihr et­­was beklommen zumute. Die Kunde von den Sitzungen schien sich wie ein Lauffeuer zu verbreiten, immer mehr Frauen kamen zu ihr und baten sie um Hilfe. Und Julie spürte eine nie zuvor gekannte Zufriedenheit, wenn sie die Tarotkarten mischte und auslegte. Es war seltsam, irritierend, vielleicht sogar beunruhigend – aber trotzdem schön. Außerdem hatte das Ganze einen praktischen Nebeneffekt: Die Kasse klingelte.

Wenn Julie im Laden war, kamen ihr auch immer wieder Gerüchte über Jolenes und Margarets Tod zu Ohren. Aber es war nichts dabei, was sie als eine hilfreiche Spur erkannt hätte. Da war die Rede von Einbrechern, die die Frauen erst niedergeschlagen und dann ihre Häuser angezündet hatten. Auch von spontaner Selbstentzündung sprachen einige, was Julie besonders absurd fand, vor allem da ja zwei Personen betroffen waren. Von offizieller Seite gab es noch keine Stellungnahme.

Myrtle glaubte offenbar an Margarets Theorie von den organisierten Hexenjägern. Als Julie sich mit ihr unterhielt, wirkte die ältere Frau stark verängstigt. Vergeblich versuchte Julie, ihr klarzumachen, dass sie sich irren musste.

»Die Polizei wird herausfinden, wer von diesen Verbrechen profitiert«, sagte sie. »Das wird den besten Hinweis auf den oder die Täter geben.«

Myrtle starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Aber Julie!«, erwiderte sie mit einer Stimme, in der blankes Entsetzen mitschwang. »Willst du etwa ein Geständnis ablegen?«

»Warum sollte ich?«, fragte Julie, die nun wirklich ärgerlich wurde. »Ich hatte keinen Grund, Jolene oder Margaret umzubringen.«

»Das sehen nicht alle so«, kommentierte Myrtle spitz. »Sieh dich doch an! Du kommst nach Jahren wieder in die Stadt, übernimmst den Laden und tust erst einmal so, als würdest du dich gar nicht für unsere Arbeit interessieren.«

Arbeit? Welche Arbeit? Verwundert schüttelte Julie den Kopf und wollte gerade nachfragen, aber Myrtle sprach bereits weiter.

»Und kaum sind Jolene und Margaret tot, fängst du an, Karten zu legen. Noch deutlicher könntest du gar nicht zeigen, dass du es dir anders überlegt hast und nun doch den Zirkel leiten möchtest. Du«, zischte sie und deutete mit dem Zeigefinger auf Julie, »glaubst wie alle Mireau-Hexen, dass du dir einfach nehmen kannst, was du willst. Aber so ist es nicht. Alastair magst du den Kopf verdreht haben, ebenso wie Red, und nun versuchst du, diesen Grünschnabel hier«, sie sah kurz zu Cassandra, »auf deine Seite zu ziehen. Aber eines sage ich dir – die Leitung des Zirkels bekommst du nur über meine Leiche.«

»Du bist verrückt, Myrtle«, entgegnete Julie. »Ich will keine Hexe sein. Und euer Zirkel interessiert mich nicht.«

»Ich glaube ihr«, mischte sich Cassandra ein und stellte sich neben Julie.

Myrtle warf ihnen beiden einen bösen Blick zu, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verließ den Laden.

In der folgenden Nacht hatte Julie wieder einen dieser eigenartigen Träume. Die lebendigen Tarotkarten verschonten sie zwar, dafür stand sie zwischen Laurie und Alastair, die jeweils an einem ihrer Arme zerrten.

»Komm hier entlang!«, befahl ihre Tante, während Alastair sie in die entgegengesetzte Richtung zog.

Julie glaubte, dass sie jeden Moment in der Mitte auseinanderbrechen würde.

Als sie aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Nach einem Kaffee und einer heißen Dusche ging es ihr schon etwas besser. Aus einem Impuls heraus wählte sie Alastairs Nummer. Er war kein Frühaufsteher, das wusste sie, aber sie konnte ihm zumindest eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen.

Sie wollte gerade sprechen, als er ranging. »Alastair, ich bin’s, Julie«, erklärte sie.

»Wie schön, dass du anrufst! Gibt es einen besonderen Grund dafür?« Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme.

»Nein, eigentlich nicht«, behauptete sie. »Es war eine spontane Idee. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt.«

»Aber nein«, sagte Alastair. »Ist alles in Ordnung mit dir? Du klingst etwas besorgt. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, ich bin da.«

Julie dachte an die Puppen, die sie auf dem Friedhof gefunden hatte. Sie hatte sie verbrennen wollen, zögerte die Entscheidung aber immer wieder hinaus. Sicher wollte Alastair sie sich erst einmal anschauen, bevor er ihr helfen konnte.

»Es gibt da tatsächlich etwas, über das ich gerne mit dir sprechen würde«, gab sie zu. »Aber nicht jetzt. Es ist nicht weiter wichtig.« Das war zwar nicht wahr, aber sie hatte das Gefühl, Alastair bereits genug aufgebürdet zu haben.

»Für dich nehme ich mir immer gern die Zeit, meine Liebe, das weißt du doch. Vielleicht schaue ich nachher mal bei dir vorbei und wir können reden. Was meinst du?«

»Das klingt gut. Aber nun muss ich los, sonst fangen die Leute an zu randalieren, wenn ich den Laden nicht rechtzeitig aufschließe.«

Er lachte, wie sie es beabsichtigt hatte, und legte auf. Jetzt, im hellen Licht des Tages, kamen ihre Befürchtungen ihr albern vor.

Am Nachmittag betrat eine ältere Dame das Itchy Witchy und fragte, ob Julie ihr die Karten legen könne. Sie stellte sich als Mrs Saintclair vor, und zwar so, als hätte dieser Name eine gewisse Bedeutung. Julie, die gerade mit dem Gedanken an ein Sandwich und einen Kaffee geliebäugelt hatte, zögerte.

»Wissen Sie, ich kannte Ihre Tante Laurie recht gut«, erklärte Mrs Saintclair. »Sie hat mir früher auch immer die Karten gelegt und mich öfter mal besucht. Ich arbeite in der Bibliothek des Hexenmuseums in Salem. Als ich gehört habe, dass Sie nun ihre Nachfolge angetreten haben, musste ich gleich herkommen.«

Julie runzelte die Stirn. Ein paar Tage Kartenlegen hatten also genügt, um sie zu Tante Lauries Nachfolgerin zu machen.

»Und Sie sehen ihr so unglaublich ähnlich«, fuhr Mrs Saintclair in schmeichelndem Ton fort.

»Vielen Dank, Mrs Saintclair«, sagte Julie. »Es tut mir leid, aber eigentlich wollte ich gerade eine Pause …«

»Ich wäre auch bereit, Ihnen mehr zu zahlen als Ihrer Tante«, unterbrach Mrs Saintclair sie schnell.

Bevor Julie darauf antworten konnte, mischte Cassandra sich ein: »Gut. Das macht dann fünfundsiebzig Dollar für eine halbe Stunde.« Sie tippte den Betrag in die Kasse ein.

Mrs Saintclair zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie holte ihr Portemonnaie aus der Tasche und legte das Geld auf den Tresen. Dann ging sie zielsicher auf das Hinterzimmer zu.

»Bist du verrückt geworden?«, zischte Julie. »Fünfundsiebzig Dollar?«

Cassandra grinste. »Du musst lernen, dich nicht un­­ter Wert zu verkaufen, Julie. Und außerdem – wenn du mehr Geld für deine Arbeit verlangst, wirkst du seriöser.«

»Und ich dachte, du glaubst an das alles hier«, gab Julie zurück. Sie konnte Cassandra nicht lange böse sein, aber in dieser Sache war das letzte Wort noch nicht gesprochen.

»Das tue ich«, entgegnete Cassandra. »Aber auch wir modernen Hexen müssen essen. Je mehr du verdienst, desto besser kannst du mich bezahlen. Ist doch irgendwie logisch, oder?«

»Miss Mireau? Ich wäre dann so weit«, rief Mrs Saintclair aus dem Hinterzimmer.

»Darüber reden wir noch«, sagte Julie zu Cassandra und ging zu ihrer Kundin.

Nach der Sitzung war Mrs Saintclair nicht nur von Julies Fähigkeiten überzeugt, sondern auch hochzufrieden mit ihren Zukunftsaussichten. Dabei hatte Julie ihr nicht einmal etwas Schlimmes verschweigen müssen, denn die Karten sagten der verwitweten Dame nicht nur ein langes Leben, sondern auch eine baldige neue Liebes­beziehung voraus.

Mit einem herzlichen Händedruck verabschiedete sich Mrs Saintclair von Julie. »Ich wusste, dass Sie irgendwann zur Vernunft kommen und in die Fußstapfen Ihrer Tante treten würden, auch wenn sie versucht hat, das zu ver­hindern«, sagte sie und wandte sich zum Gehen.

Julie packte sie am Arm. »Wie meinen Sie das?«

Entsetzt starrte Mrs Saintclair sie an.

Sofort ließ Julie sie los und hob beschwichtigend die Hände. »Bitte entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen keine Angst machen«, versicherte sie. »Ich frage mich nur, wie Sie darauf kommen, dass meine Tante nicht wollte, dass ich ihrem Beispiel folge. Immerhin hat sie mir doch den Laden vermacht.«

»Meine Liebe, Ihre Tante war froh, als Sie endlich in Sicherheit waren. Das hat sie mir selbst erzählt, als sie das letzte Mal bei mir war.«

»In Sicherheit? Vor wem?«

Mrs Saintclair schaute Julie forschend ins Gesicht. »Kommen Sie in den nächsten Tagen zu mir in die ­Bibliothek, dann zeige ich Ihnen etwas«, sagte sie geheimnisvoll. »So schnell wie möglich, am besten gleich heute Abend. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.« Damit verließ sie das Hinterzimmer.

Zu spät wofür, fragte Julie sich. Doch sie hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken.

»Hier ist jemand, der dich sprechen möchte, Julie«, rief Cassandra aus dem Verkaufsraum.

Es war Mr Blair.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Julie und versuchte nicht einmal, ihre Ungeduld zu verbergen.

»Ich wollte mich nur in Ihrem Geschäft umsehen«, bemerkte er leichthin.

»Bitte sehr!« Mit dem rechten Arm beschrieb sie einen Halbkreis. »Dazu brauchen Sie mich ja nicht.«

»Und wenn ich Sie bitten würde, mir die Karten zu legen? Ich habe gehört, dass Sie sehr gut sind.«

»Sie sollten nicht alles glauben, was man Ihnen er­zählt«, entgegnete Julie und sah zu Cassandra hinüber.

Deren errötende Wangen ließen keinen Zweifel daran, wer ihm von Julies neuen Fähigkeiten berichtet hatte.

Julie seufzte und wandte sich wieder Mr Blair zu: »Sagen Sie mir lieber, ob Sie Fortschritte bei Ihren Er­mittlungen gemacht haben!«

Mr Blair betrachtete gerade eine brandneue Ausgabe des Necronomicons. »Das ist eine Fälschung«, stellte er fest.

Julie rollte mit den Augen. »Ach ja? Ohne Sie wäre ich wohl kaum darauf gekommen«, sagte sie ironisch. »Ich weiß, dass dieses Buch niemals existiert hat außer in Lovecrafts Fantasie.«

»Und warum verkaufen Sie diesen Schund dann?«, fragte Mr Blair.

»Weil ich essen, trinken und mir etwas zum Anziehen kaufen muss?« Julie stemmte die Arme in die Hüfte. »Und lenken Sie nicht ab! Gibt es Fortschritte? Sind Sie dem Täter auf der Spur?«

Mr Blair kam auf sie zu, bis er ganz nah vor ihr stand. Wieder fühlte sie die Hitze, die von ihm ausging. Hastig trat sie einen Schritt zurück und stieß gegen den Tresen.

»Ich habe jede Menge Einzelteile«, sagte Mr Blair und sah ihr in die Augen, »aber sie ergeben kein Gesamtbild: zwei tote Hexen, jede Menge Gerüchte und ein Feuer, das eigentlich nicht existieren dürfte.«

Julie schluckte. Was wollte er damit andeuten? Was meinte er mit einem Feuer, das nicht existieren dürfte?

»Und immer wieder stoße ich bei meinen Ermittlungen auf Sie. Aber Sie weigern sich, mit mir zu sprechen. Der nächste Tote könnte auf Ihr Konto gehen, Miss Mireau. Reden Sie mit mir, bevor es zu spät ist«, sagte Mr Blair eindringlich.

Julie überlegte. Sollte sie ihm von den Puppen erzählen, die sie auf dem Friedhof gefunden hatte? Oder von ihren Träumen? Sie blickte in seine blauen Augen, die sie ernsthaft, beinahe besorgt ansahen. Eine Sekunde lang war sie versucht, ihm alles anzuvertrauen. Doch was würde er dann von ihr denken?

»Ich werde herausfinden, was Sie mir verschweigen«, versprach er, drehte sich ohne einen Abschiedsgruß um und verließ den Laden.

Erst als er weg war, erwachte Julie aus ihrer Erstarrung. Sie kramte in ihrer Tasche und fand tatsächlich die Karte, die er ihr am Tag nach Margarets Ermordung gegeben hatte. Neugierig warf sie einen Blick darauf. Auf einer Seite standen sein Name und eine Handynummer, sonst nichts. Doch als sie die Karte umdrehte, entdeckte sie etwas Interessantes: zwei Worte unter einer Telefonnummer mit New Yorker Vorwahl – »Shifter Cops«.


Die Fälle der Shifter Cops

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