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KAPITEL 10

Sieben der Kelche

Nachdem Julie endlich in ihre Einfahrt eingebogen war und den Motor abgestellt hatte, zog sie als Erstes die Handschuhe aus und warf sie aus dem Fenster. Zweifel­los würde sie die verflixten Dinger morgen früh wieder einsammeln, aber im Moment tat es gut, sie einfach ins Gebüsch zu schmeißen. Sie betrachtete das Buch auf dem Beifahrersitz und zögerte.

Was war nur in sie gefahren? Sie hatte es gestohlen, und es war nicht einfach ein beliebiges Taschenbuch. Nein, sie hatte eine Rarität aus einem Museum an sich genommen. Andererseits gehörte dieses Grimoire ihrer Familie, und zwar seit Generationen. Müde strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Warum hatte Mrs Saintclair gesagt, man solle es nicht mit bloßen Händen berühren? Zaghaft tippte sie mit einem Finger an den Buchrücken und atmete erleichtert aus, als nichts geschah.

»Du wirst mir nichts tun, oder? Ich bin eine Mireau«, sagte sie. Es kam ihr nicht einmal albern vor, mit dem leblosen Bündel Papier zu sprechen, zumindest nicht alberner als ihre böse kleine Show im Hexenmuseum von Salem. Entschlossen packte sie das Buch und stieg aus.

Plötzlich wurde ihr schwindelig. Sie schaffte es ge­­rade noch bis zu ihrer Veranda, aber dort musste sie sich an einem Pfosten festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Langsam ließ sie sich zu Boden sinken, bis sie sicher auf einer der Stufen saß. Sie legte das Grimoire neben sich und barg den Kopf zwischen den Händen.

»Ach, Laurie«, stöhnte sie leise. »Ich wünschte, du wärst noch hier und ich könnte dich nach den Dingen fragen, die du mir all die Jahre verschwiegen hast.« Wenn sie schon mit Büchern sprach, konnte sie auch mit Toten reden, die längst unter der Erde lagen.

Zum ersten Mal zweifelte sie an der Weisheit ihrer Tante, die sie von der okkulten Seite der Mireaus ferngehalten hatte. Natürlich war sie aufgewachsen in der festen Überzeugung, Teil einer Hexenfamilie zu sein. Doch als Teenager hatte sie begonnen, sich von allem Paranormalen abzuwenden und sich stattdessen für die rationale Welt der Wissenschaft zu interessieren.

»Kein Wunder, dass ich nicht weiß, wo ich hingehöre«, stellte sie fest.

»Sind Sie nicht ein bisschen zu alt, um mit einem ­imaginären Freund zu sprechen?«

Erschrocken sah Julie nach oben. Gegen das Licht einer Straßenlaterne zeichnete sich eine breitschultrige Gestalt ab, die von einem roten Schimmer umgeben war. Sie konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken, als sie Mr Blair erkannte.

»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Was machen Sie mitten in der Nacht auf meinem Grundstück? Und müssen Sie sich so anschleichen und mich halb zu Tode erschrecken?«

Lachte er sie etwa aus? Sie konnte sein Gesicht nicht richtig erkennen. Zum Glück war wenigstens diese merkwürdige rote Aura verschwunden.

Julie stand auf und schob dabei das Grimoire et­­was weiter nach hinten – unauffällig, wie sie hoffte. »Ich frage Sie noch einmal: Verfolgen Sie mich? Vielleicht sollte ich mich bei Ihrem Vorgesetzten über Sie be­schweren.«

»Viel Vergnügen!«, erwiderte Mr Blair lässig. Er zog ein Handy aus seiner Tasche und tippte auf dem Display herum. »Sie heißt Catherine Belcott.«

In der Stille der Nacht hörte Julie den Freiton und dann eine Frauenstimme.

»Cat, hier ist Madoc«, meldete sich Mr Blair. »Tut mir leid, dass ich so spät noch störe, aber jemand möchte sich bei dir über mich beschweren.«

Die Frau sagte etwas.

»Ja, schon wieder«, antwortete Mr Blair. »Und nein, ich habe nichts abgefackelt. Nicht einmal ein kleines Lagerfeuer habe ich mir gegönnt.« Er reichte Julie das Telefon.

Einen Moment lang starrte sie es nur an, doch dann reckte sie das Kinn vor. »Hallo! Mein Name ist Julie Mireau. Spreche ich mit der Vorgesetzten von Mr Blair?«, fragte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

Ein Seufzer drang durch den Hörer. »Ja, Catherine Belcott. Was kann ich für Sie tun, Ma’am? Hat er sich in irgendeiner Weise unangemessen verhalten?« Die Frau hatte eine angenehme tiefe Stimme. Die Art, wie sie die Silben präzise und melodisch zugleich aussprach, ließ Julie an eine Südstaatenschönheit mit milchkaffeefarbener Haut und glutvollen Augen denken.

»Er verfolgt mich«, platzte Julie heraus und merkte gleich, wie albern das klang. »Ich meine«, korrigierte sie sich hastig, »er taucht dauernd in meiner Nähe auf und … und … Ich will das nicht.«

Catherine Belcott machte ein Geräusch, das verdächtig nach einem unterdrückten Lachen klang. »Warum sagen Sie es ihm nicht?«

Julie seufzte. Die Frage war durchaus vernünftig. Aber wie sollte sie jemandem dieses undefinierbare Gefühl erklären, das sie bei Mr Blairs Anblick überkam, wenn sie es nicht einmal für sich selbst klar definieren konnte?

»Nun, wenn das alles ist, was Sie mir mitteilen wollten, dann geben Sie ihm doch das Telefon jetzt bitte zurück! Ich hätte noch etwas mit ihm zu besprechen«, sagte Catherine Belcott sachlich.

Julie reichte Mr Blair das Handy. Diesmal war sie auf die Wärme seiner Haut gefasst und zuckte nicht zusammen. Widerstrebend zog sie die Hand zurück. Es musste praktisch sein, sich in der kühleren Jahreszeit an je­­manden wie ihn kuscheln zu können.

»Ja?«, sagte Mr Blair in das Gerät.

Es wurde ein einseitiges Gespräch. Mr Blair hörte nur zu. Catherine Belcotts Stimme drang undeutlich an Julies Ohr und sie überlegte, wann sie zum letzten Mal etwas gegessen hatte. Heute Morgen? Sie spürte, wie sie zu schwanken begann. Plötzlich packten Mr Blairs Hände sie an den Schultern. Offenbar hatte er sein Telefonat beendet. Sie hatte es gar nicht bemerkt.

Es wäre so angenehm, sich endlich einmal fallen zu lassen – oder jemanden zu haben, dem sie alles er­­zählen konnte und der sie nicht für verrückt erklärte. Den Kopf nur ein einziges Mal an Mr Blairs muskulöse Brust legen, seinen Duft einatmen, die feurige Wärme spüren, die von seinem Körper ausging … Energisch verbannte sie diese Gedanken aus ihrem Kopf und schwor sich, in Zukunft weniger kitschige Liebes­romane zu lesen.

»Wollen Sie sich setzen?«, fragte Mr Blair und sah ihr in die Augen.

»Nein, nein, es geht schon«, erwiderte Julie. »Ich wür­de jetzt nur gern ins Bett gehen, es war ein langer Tag. Oder wollten Sie noch etwas von mir?«

Mr Blair antwortete nicht darauf, sondern bückte sich und hob das Grimoire auf, das die ganze Zeit über auf der Stufe gelegen hatte. »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie sich damit ins Haus holen«, bemerkte er und hielt das Buch fest in beiden Händen.

Julie blinzelte. Von den Fingerspitzen bis zu den Handgelenken lag eine Schicht aus Flammen auf seiner Haut. Doch im Unterschied zu einem normalen Feuer brannten sie golden und bewegten sich in regelmäßigen, winzigen Wellen. Wenn Magie so schön war, dann konnte sie daran glauben.

Fasziniert vergaß sie all ihre Vorsicht und näherte ihren rechten Zeigefinger einer der tanzenden Flammen. Er durchbohrte das Feuer, das rötlich aufglühte und sich nun auch auf ihm ausbreitete. Ohne ein Wort hob Julie den Finger näher an ihr Gesicht. Die Flammen zuckten, dann erstarben sie und ließen eine prickelnde Wärme zurück.

»Was sind Sie?«, fragte sie leise.

Das Grimoire war mit einem Mal unwichtig geworden, ebenso die Übelkeit erregenden Puppen auf Tante Lauries Grab. Nichts außer ihr und dem Mann, der das Feuer zum Tanzen brachte, existierte.

Mr Blair legte den Kopf schief und betrachtete sie. Wie hatte sie seine Augen jemals für kalt und distanziert ­halten können?

»Vielleicht werde ich es Ihnen eines Tages erklären«, sagte er schließlich. »Bis dahin hüten Sie sich vor voreiligen Schlüssen. Es könnte Sie das Leben kosten.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Julie verwirrt. »Was verbergen Sie vor mir, Mr Blair?«

Er zog die Brauen zusammen. »Dieselbe Frage habe ich Ihnen schon mehrfach gestellt, Miss Mireau. Was halten Sie vor mir zurück?« Seine Stimme wurde weich. »Sie können mir vertrauen. Ich will Ihnen nichts Böses.«

»Ich … Ich weiß einfach nicht, was mit mir geschieht«, brach es aus Julie heraus. »Seit dem Tod meiner Tante ist alles so eigenartig. Alles, woran ich geglaubt hatte, scheint auf einmal nicht mehr wahr zu sein.«

»Und deshalb wollen Sie sich mit schwarzer Magie schützen?« Seine Missbilligung war unüberhörbar. »Dieses Grimoire ist gefährlich. Wo haben Sie es überhaupt her?« Jetzt klang er wieder wie ein Polizist, streng und unnachgiebig.

»Soweit ich weiß, ist der Besitz von alten Büchern nicht strafbar«, entgegnete sie schnippisch und hoffte, dass er nicht nachforschen würde. »Kein Gericht der Welt würde mich verurteilen, weil ich ein Buch mit angeblichen Zaubersprüchen habe. Selbst wenn ich ei­­nen Kreidekreis um mich ziehe, Kerzen anzünde und den Teufel höchstpersönlich beschwöre – welcher Richter würde mich dafür verurteilen?«

»Darum geht es nicht«, bemerkte Mr Blair ruhig, »sondern um Ihre Sicherheit.« Noch immer hielt er das Buch in den Händen. »Ich könnte Sie notfalls einweisen lassen.«

»Nur wenn ich eine Gefahr für mich selbst oder andere darstelle«, konterte Julie selbstsicher, denn das war vertrautes Gebiet.

»Ach ja, ich vergaß: Sie waren ja eine Zeit lang im Bridgewater beschäftigt.«

Es wunderte Julie nicht, dass er in ihrer Vergangenheit herumgeschnüffelt hatte. »Dieses Gespräch ist beendet«, sagte sie so kalt wie möglich und streckte die Hand aus. »Geben Sie mir mein Buch!« Diesen Satz hatte sie heute schon einmal gesagt, in einem ähnlichen Ton. Sie rief sich das Gefühl von Macht in Erinnerung, das sie vom Scheitel bis zu den Zehen erfüllt hatte. Gänsehaut bedeckte ihren Körper und die Luft um sie herum begann zu knistern. »Geben Sie mir mein Buch, sofort!«, befahl sie noch einmal und legte all ihre Willenskraft in diese Silben.

»Ich denke nicht, Miss Mireau«, entgegnete Mr Blair und lächelte sie an. Er senkte den Kopf. Seine Finger zuckten und Flammen schossen aus ihren Spitzen, aber diesmal waren sie blau, nicht golden.

Ein Wimmern ertönte, das sich zu einem schmerzerfüllten Kreischen wandelte. Julie stockte der Atem. Das Feuer – es griff auf das Buch über! Der verdammte Kerl verbrannte ihr Grimoire, ihr Erbe!

Nach nur wenigen Sekunden verstummte das quälende Geräusch. Von dem Buch war nichts als ein Häufchen Asche geblieben. Entsetzt starrte Julie darauf, dann schaute sie zu Mr Blair. Er wischte sich die unversehrten Finger an seiner Lederhose ab und sah sie ebenfalls an. Immerhin war sein Blick weniger triumphierend als mitfühlend.

»Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Miss Mireau: Fangen Sie noch einmal bei null an! Packen Sie Ihre Koffer, setzen Sie sich in Ihren Wagen und fahren Sie so weit, wie Sie können, Hauptsache fort von Yarnville! Und es wäre besser für Sie, nie wieder zurückzukehren.« Er drehte sich um und war nach wenigen Schritten in der Dunkelheit verschwunden.


Die Fälle der Shifter Cops

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