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Erster Teil 1 – Speicherstadt, Hamburg

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Vielleicht hätte Rosa Peters es tunlichst vermeiden sollen, in die fensterlose, im Innern des alten Speichergebäudes liegende Teeküche zum Kaffeeholen zu gehen, während sie mit ihrem Vorgesetzten Sebastian von Schirach an diesem 27. Dezember nachmittags alleine in dem Loftbüro war. Und vielleicht hätten bei ihr spätestens dann die Alarmglocken schrillen müssen, als aus den in sämtlichen Räumen befindlichen Lautsprechern Weihnachtsmusik verdächtig laut zu spielen begann.

Doch die attraktive Einunddreißigjährige war eine von Grund auf optimistische, fröhliche und lebensbejahende Person, der dunkle Gedanken für gewöhnlich fernblieben. Und so kam es, dass sie unbekümmert bei „Last Christmas“ von Wham! mitsingend Arabica-Bohnen in den Kaffee-Vollautomaten nachfüllte, bis zwei schwielige Männerhände ihre schlanken Hüften umfassten. Im nächsten Moment schon drückte sich ein erigierter Phallus durch eine Jeans an ihren Schurwollrock.

Sie erschrak. Als sie sich ruckartig umdrehte, verschüttete sie die Hälfte der Kaffeebohnen.

Es war von Schirach, der Leiter der Abteilung investigative Recherche beim homo oeconomicus, dem sie direkt unterstellt war. Sie arbeitete für das Wirtschaftsmagazin nunmehr schon seit etwas über einem Jahr auf der Basis eines revolvierenden Praktikantenvertrags. Auf der Weihnachtsfeier im vergangenen Jahr kannte sie nach kaum einer Woche dort noch niemanden. Von Schirach war ein gut aussehender belesener Mann und sie war seinem Charme nach ein paar Gin Tonics erlegen gewesen. In der Hoffnung, dass niemand sie zusammen sehen würde, hatten sie sich damals mit etwas zeitlichem Abstand von der Party wegstibitzt. Erst als von Schirach sich nach zwei Stunden in ihrem Bett heimlich davonmachen wollte und sie ihn dabei erwischte, hatte Rosa von ihm kleinlaut erfahren, dass er verheiratet und Vater zweier Töchter war.

Angewidert angesichts von Schirachs Untreue und verärgert darüber, sich selbst dafür bereitwillig als Mittäterin hergegeben zu haben, erstickte sie seine zahlreichen Annäherungsversuche in den folgenden Monaten bereits im Keim. Irgendwann hörte er schließlich mit den mehr oder weniger subtilen Avancen auf. Sie hoffte, damit die unappetitliche Affäre für immer ad acta legen zu können. Ein großer Irrtum, wie sich jetzt herausstellte, als sie sich vergeblich aus seinem Griff zu befreien versuchte. Sie bekam Angst, verbarg dies aber, indem sie es mit entwaffnendem Witz probierte:

„Es entbehrt mit unserer gemeinsamen Historie nicht einer gewissen Ironie, wenn ich hier in deiner unvermuteten Anwesenheit mit Wham!‚ Last Christmas I gave you my heart. But the very next day you gave it away‘ singe, findest du etwa nicht, Sebastian?“

Hämisches Gelächter. Von Schirachs Atem roch nach Alkohol und ging flach in ihrem Nacken, sodass ihr ein eiskalter Schauer den Rücken herunterlief.

Er säuselte: „Last Christmas you gave me your pussy. But the very next day you took it away.”

Rosa war jetzt vollends alarmiert. Irgendetwas war heute anders. Von Schirach schien sich so lange an seinem Schreibtisch Mut angetrunken zu haben, bis er sich schließlich in diesen Zustand völliger Triebsteuerung katapultiert hatte. Sie ärgerte sich darüber, dies nicht früher bemerkt zu haben. Gleichzeitig musste sie sich zwingen, nicht in Panik zu verfallen.

„Sei nicht albern, Sebastian.“

Rosa nannte ihn nun schon zum zweiten Mal beim Vornamen, um sich auf diese Weise womöglich unterbewusst sein Wohlwollen zu erschleichen. Unter dem Ablenkungsmanöver eines taktischen Lachens versuchte sie ein weiteres Mal mit aller Kraft, der Zange zwischen von Schirachs andrängendem Leib und der Küchentheke zu entkommen. Keine Chance. Seine Hände wanderten jetzt ihren Rock herunter und zogen ihn am Saum hoch. Sie schrie:

„Stopp Sebastian, ich will das nicht!“

Krampfhaft bot sie Widerstand, der jedoch Wachs in von Schirachs mehrmals wöchentlich im Fitnessstudio gestählten Armen war. Ihr 1,72 Meter großer zierlicher Frauenkörper war nichts weiter als ein Spielball in den Händen des brünstigen Eins-neunzig-Hünen.

„Das ist Vergewaltigung. Hör damit sofort auf!“

Von Schirach hechelte seine Antwort, als er ihr die Strumpfhose samt Slip herunterzog:

„Ach ja, was meinst du, wer dir glauben wird, Schlampe? Hast du schon vergessen, dass wir es schon einvernehmlich getrieben haben und die halbe Belegschaft davon weiß?“

Er riss jäh an ihren Haaren und gab nicht nach. Rosa musste ihren Kopf in den Nacken gelegt halten, um den ohnehin schon kaum aushaltbaren Schmerz nicht noch zu verstärken.

„Rennst du zu den Bullen oder sonst wohin, sage ich einfach, dass du mich heute verführt hast, als wir hier alleine zwischen den Jahren gearbeitet haben; dass du ganz heiß auf mich gewesen bist; dass du dich erst dann dazu entschlossen hast, mir eine in Wirklichkeit niemals geschehene Vergewaltigung anzuhängen, als ich reumütig zurück zu meiner wunderbaren Frau wollte; dass du dich schlichtweg nicht mit dem Umstand hast abfinden können, niemals mit mir zusammen sein zu können; dass du ein bemitleidenswertes kleines Ding bist und es keine Sekunde alleine in deinem miserablen WG-Zimmer aushältst.“

Lüstern flüsterte er ihr jetzt seine ernüchternde Schlussfolgerung ins Ohr:

„Dann steht nämlich Aussage gegen Aussage, Prinzessin. Kannst du dich daran erinnern, wie dieser ARD-Wetterfrosch damit gefahren ist? Ganz zu schweigen davon, dass du einen langen und teuren Prozess durchstehen musst, während deine Karriere brachliegt und langsam zerbröckelt.“

Rosa schäumte vor Wut. Verzweifelt schmiss sie mit einer weit ausholenden Armbewegung alles um, was vor ihr auf der Theke stand. Der dadurch verursachte Krach wurde von der lauten Musik beinahe vollständig verschluckt.

„Nur zu, schmeiß alles um, du Furie. Ich sag einfach, dass du rauen Sex wolltest und dich dabei komplett vergessen, dich ganz purer Leidenschaft überlassen hast.“

Trotzig ruderte sie weiter mit den Armen. Eine Tasse fiel zu Boden und zerbrach. Eine Lache von Milchkaffee breitete sich aus. Jetzt drückte von Schirach sie nieder. Rosa lag auf einmal bäuchlings im kalten Milchkaffee auf den Porzellanscherben. Über ihr der zwei Zentner schwere von Schirach. Der Schmerz wuchs ins Unerträgliche. An Bewegung war schon deshalb nicht mehr zu denken, weil die scharfen Kanten des Porzellans riesige Schnittwunden reißen würden.

Sie schrie wie am Spieß.

Gewaltige Mengen Adrenalin schossen ihr in die Adern. Ihr Verstand raste. Sie machte sich keine Illusionen darüber, dass sie kurz davor stand, Opfer einer grausamen Vergewaltigung zu werden. Ihr Hinterteil war entblößt und wenn sie sich nicht täuschte, öffnete von Schirach gerade seinen Hosenschlitz. Sie bereute, heute keine ihrer hautengen Skinny Jeans angezogen zu haben. Vielleicht hätte sie es ihrem Peiniger dadurch einen Deut schwerer gemacht, der die Teeküche für sein Verbrechen perfekt ausgewählt hatte.

Es war mit Ausnahme der Toiletten der einzige Ort in dem Loft, an dem niemand sie aus den alten Speichergebäuden am Brooksfleet auf der einen und aus den Neubauten am Sandtorkai auf der anderen Seite beobachten konnte. Die laute Musik übertönte jedes Geschrei. Hinzu kam, dass ein plötzlich auftauchender Kollege äußerst unwahrscheinlich war. Die paar, die keinen Urlaub zwischen Weihnachten und Neujahr genommen hatten, waren bereits zur frühen Mittagszeit nach Hause gegangen.

Nie hätte sie sich träumen lassen, dass dies eines Tages tatsächlich passieren würde. Sie hatte über zahlreiche Vergewaltigungen tiefer gehend gelesen. Dieses Verbrechen war so alt wie die Menschheit selbst. Stets hatte sie sich geschworen, sich die Seele aus dem Leibe zu schreien und zu kämpfen bis zum Schluss. Aber ihre Kräfte schwanden. Die Handgelenke schmerzten. Sie ächzte unter dem gewaltigen Gewicht des von Schirach. Zudem war der Mann stark wie ein Stier. Ihr Wille brach. Leise weinend ergab sie sich ihrem Schicksal und hoffte inständig, dass es nur bald vorbei sein würde.

Der Schneeball

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