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5 – Löwenbräukeller, München

Das Scheinwerferlicht blendete Horst Griedl. Er stand am Rednerpult auf der Bühne des Löwenbräukellers, in dem die Bits & Pretzels dieses Jahr am 28. Dezember stattfand.

Das gesamte Münchener Startup-Ökosystem war heute Morgen hier versammelt. Die Willkommensrede hatte soeben die Bayrische Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie gehalten. Das hatte für großen Zulauf vonseiten der Lokalpresse und auch einiger überregionaler Medienorgane gesorgt. Die Veranstalter sprachen von 2.000 Teilnehmern. Der mit Grünzeug-Girlanden und dem Bayrischen Blau-Weiß der Löwenbräu-Brauerei verbrämte Saal war bis auf den letzten Platz mit dem Who’s Who der Szene besetzt.

„Mein Sohn und ich stehen heute vor Ihnen“ begann Griedl, nachdem er die obligatorischen Begrüßungsfloskeln rezitiert hatte, „um die Gründung unseres Münchener Inkubators Griedl Internet bekannt zu geben.“

Er sah sich nach dem neben ihm stehenden Alois um und legte ihm jovial eine Hand auf die Schulter. Alois war in höchstem Maße entzückt. Er liebte diesen Spot-Light-Moment seiner Inauguration als Mitglied der hiesigen Startup-Welt. Zwar war der Diebstahl des Geldes durch Flash Capital ein herber Schlag für das Familienvermögen gewesen. Sein Vater hatte ihm jedoch versichert, dass selbst dann noch genug Finanzmittel für die Aus-der-Taufe-Hebung ihres Startup-Beteiligungsunternehmens vorhanden sein würden, wenn sie das verloren gegangene Kapital nicht wiederbekämen. Und die Redezeit auf diesem Meet & Greet-Event hatte sein Vater schon Monate im Voraus reservieren müssen.

Alois hatte ein sehr gutes Gefühl bei alledem. Im Publikum erkannte er sogar das ein oder andere Gesicht von der WHU wieder. So fühlte man sich also, dachte er, wenn man als jemand zu einem Klassentreffen kommt, der es geschafft hat. Mit Stolz, den der ein oder andere im Saal als Arroganz verkennen mochte, hörte der Filius dem Senior zu, als dieser fortfuhr:

„Zu diesem Zweck wurden von uns bereits vor Monaten attraktive Büroräumlichkeiten im Glockenbachviertel angemietet. So tragen wir dazu bei, die Attraktivität Münchens als Startup-Standort zu stärken und als insofern gleichwertige Alternative zu Berlin zu etablieren. Werte, auf denen unser Tun fußen soll, sind Bodenständigkeit, Kollegialität, Respekt, Fairness, Weltoffenheit, Toleranz…“

Gelächter war plötzlich im hinteren Ende des Saals ausgebrochen und hatte sich vom dortigen Herd in Windeseile wie eine afrikanische Seuche verbreitet, sodass Horst Griedl sich schließlich gezwungen sah, seinen Redefluss zu unterbrechen. Jemand an den vorderen Tischen stieß seinen Nebenmann an und bedeutete diesem mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger, zur Leinwand auf der Bühne zu schauen. Auch die beiden Griedls wandten sich schließlich zu ihr um. Was sie sahen, dimmte das kurz zuvor noch lodernde Feuer ihres Unternehmergeistes auf ein winziges Flämmchen herunter.

Auf einer PowerPoint-Folie stand:

Horst Griedl – der Bodenständige:

„Gestern hat mich eine Tussi gefragt, was ich mit zehn Millionen Euro machen würde. Ich hab ihr gesagt, dass ich mich wunderte, wo zum Teufel der Rest meiner Geldes geblieben ist.“

(Zitat aus einer von Horst Griedl am 12.4.2005 versandten Email)

Die nächste Folie erschien:

Horst Griedl – der Kollegiale:

„Eine Win-Win-Situation ist, wenn ich dich zwei Mal besiege.“

(Zitat aus einer von Griedl am 3.11.2006 versandten Email)

Danach eine weitere Folie mit einem waschechten Griedl-Zitat:

Horst Griedl – der Respektvolle:

„Die meisten Menschen werden dafür bezahlt, nicht zu denken… und das aus gutem Grund.“

(Zitat aus einer von Griedl am 7.3.2009 versandten Email)

Griedl der Ältere drückte wie wild auf dem Laserpoint herum, den man ihm für das Vor- und Zurückschalten der Folien vor Beginn seiner Rede ausgehändigt hatte. Es geschah nichts. Panisch durchbohrte er daraufhin mit seinen Blicken den Studenten, der unten vor der Bühne in Lederhosen und mit neongelber Trucker Cap den Laptop bediente, an welchem der Beamer angeschlossen war. Der Student aber zuckte bloß mit den Achseln, so als wollte er Griedl dem Älteren sagen, dass auch ihm die Kontrolle über das Geschehen hier entglitten war. Eine neue Folie erschien:

Horst Griedl – der Faire:

„Sie behaupten: Frauen verdienen 20 % weniger, obwohl sie dieselbe Arbeiten machen. Ich frage: Warum stellt ein am Shareholder Value orientiertes Unternehmen dann nicht ausschließlich Frauen ein?“

(Zitat aus einer von Griedl am 14.1.2010 versandten Email)

Unter das allgemeine Gelächter mischen sich nun mehr und mehr auch Buh-Rufe. Die nächste Folie:

Horst Griedl – der Weltoffene:

„Die Griechen mögen Sex erfunden haben, aber erst die Italiener haben der Gleichung Frauen hinzugefügt.“

(Zitat im Zusammenhang mit Bemerkungen zur griechischen Schuldenkrise aus einer von Griedl am 2.11.2012 versandten Email)

Und zu guter Letzt:

Horst Griedl – der Tolerante:

„Es macht mich immer so glücklich, wenn ein verlauster Hipster an der Sicherheitsschleuse eines Flughafens für einen Terroristen gehalten wird.“

(Zitat aus einer von Griedl am 15.5.2013 versandten Email)

Zu Griedls Bestürzung kam der junge Mann am Laptop unten dem, was man so gemeinhin als einen Hipster zu bezeichnen pflegte, gefährlich nah. Ihm wurde schwindelig. Er war sich sicher, diese Emails vor langer langer Zeit gelöscht zu haben. Als beste Verteidigungsstrategie erschien ihm ein vollumfängliches Dementi, da es sich hier ja nur um Zitate auf PowerPoint-Folien und nicht die Original-Emails handelte:

„Diese Aussagen hier sind nicht von mir. Ich habe diese nie getätigt.“

Ein älterer Staatsanwalt in perfekt sitzendem Anzug trat gefolgt von zwei Polizisten auf die Bühne. Während er die zwei Beamten zum Pult zu Griedl schickte, hielt er seinen Dienstausweis hoch und rief mehr zum Publikum als zu Griedl:

„Geben Sie sich keine Mühe, Herr Griedl. Vorgestern haben wir aus einer anonymen Quelle umfängliche Dateien unter anderem mit ihrer Email-Korrespondenz der letzten 15 Jahre erhalten. Deren Authentizität ist inzwischen durch unsere IT-Forensik bestätigt worden.“

„Das ist eine Hexenjagd. Niemals hätten Sie als Beamter derartige Materialien herausgeben dürfen.“

„Haben wir auch nicht. Den Organisatoren dieser Veranstaltung wurden sie ebenfalls von der anonymen Stelle zugeleitet. Was diese damit machen, steht gänzlich außerhalb unseres Machtbereichs. Das geschieht völlig unabhängig von unserem Erscheinen im jetzigen Moment hier. Im Übrigen sind Ihre obigen Aussagen für uns strafrechtlich nicht von Relevanz. Die mag man als lustig empfinden oder auch nicht. Mir egal. Nach meiner persönlichen Auffassung verifizieren diese einzig und allein, dass Sie ein arrogantes, elitaristisches, sexistisches, chauvinistisches Arschloch sind. Von uns von Interesse war allerdings vielmehr, dass die Datenpakete ebenfalls zweifelsfrei belegen, dass Sie sich des Betrugs in zahllosen Fällen schuldig gemacht haben. Deswegen, Herr Griedl, nehme ich Sie hiermit fest.“

Der Staatsanwalt hatte den letzten Satz kaum beendet, da klackten die Handschellen an Horst Griedls Handgelenken. Der Saal tobte. Von Alois Griedl der Jüngere war derweil weit und breit keine Spur mehr. Auf dem Pult leuchtete das Display von Horst Griedls iPhone auf. Die Nummer des Absenders der Nachricht war unterdrückt:

Und er brüstet sich frech, und lästert wild;

Die Knechtschar ihm Beifall brüllt.

Der Schneeball

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