Читать книгу Animus oder Die Seele eines Stärkeren - Nik Morgen - Страница 18
Blumenbeethoven
ОглавлениеIch möchte beten für einen Freund, der am 26. März 1827 in Wien gestorben ist. Ich möchte ihn in Blumen betten, die ich aus Worten wie Flügel spriessen sah, die von ihm selber stammen. Bei allem Zwielicht, in dem die Menschen stehen, so dürfen sie doch denen einen Kranz winden, die sie lieben. Denn lieben können sie sie ja nur deshalb, weil sie in ihnen ein Abbild des Wahren sehen.
Christus, du weisst, weshalb ich meine Blumen für Beethoven unnotwendigerweise zu rechtfertigen suche. Du weisst, dass ich ihn einst für dich, den Messias, gehalten hab und von ihm dachte, dass er der einzige sei, der mich verstehen und mir helfen kann. Leid und Dunkel seiner Person zogen mich an und ich bewunderte die Kraft dieses nicht selten wütigen Komponisten, mit der er sich gegen alle Widerstände auf eine Weise durchsetzte, die ihm den Ruhm und Glorie ganz grosser Kunstwerke einbrachte.
In seinen hart errungenen Orchester-Siegen, die sein Leiden nie bezwingen konnten, versuchte ich mich selber zu sehen und meine eigene Hoffnung anzuknüpfen, was nicht sehr klug war, aber ich wusste es nicht besser.
Die Motive für Zuneigung und Liebe zu einem Menschen sind selten unvermischt. Und dennoch bleibt der Liebesimpuls der kostbarste im Menschen überhaupt.
Wie wenig unvermischt nun meine Empfindungen der Liebe sind. Herr, zumindest Dir gegenüber möchte ich sie nicht verleugnen. Für wen immer ich glühen mag und ob die Motive falsch sind oder echt, du läuterst diese Liebe; du lösest und knüpfest Bindungen, damit Dein Werk gelingt.
In Bezug auf dich erhält Bee seine menschliche Leuchtkraft zurück, die so bedeutsam auf mich wirkt in seiner Kunst und Liebenswürdigkeit. Er ist jetzt ein Heiliger, der glücklich in deiner Wohnung lebt, ohne Scherereien mit unbefriedigendem Personal.
Nun ist er zur Ruhe gekommen und versucht nicht mehr von tauber Angst getrieben, dir in den Rachen zu greifen. weil er daraus die grässlichste Diktion über sich selber aufzusteigen fürchtete. Seine Taubheit ist gewichen, nach seinem langen Komponieren vernimmt er, ganz Ohr geworden, deine überragende Stimme. Der Sehnsucht nach Frieden und Einheit, die er zeitlebens, aber nochmals vernehmbar in seiner Choral-Symphonie, genährt und aufgebaut hat, wird endlich genüge getan.
Nun bist du ihm Vater, und zwar ein ganz anderer, als jener alkoholsüchtige Kappelmeister, der den Sohn noch nachts zu endlosem Geigenspiel gezwungen hat. Die Angst und Aggression gegen Autorität hat sich verwandelt, und seine Kunst, die grosse Kompensation seines Herzen, ist ganz geworden.
Wohltun, wo man kann! - Freiheit über alles lieben! - Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht, verleugnen!
Mit seinem Gehörleiden wurde Bee existentiell attakiert, denn in diesem Körperteil war eine wesentliche Quelle seiner Freude beheimatet; und diese Freude, die gleichzeitig ein Bindeglied zur menschlichen Mitwelt war, war nun wesentlich beschnitten.
Notgedrungen kehrte er noch weiter gegen innen, um sich mit noch mehr Intensität und Ernst mit den zwei Seiten seiner selbst auseinanderzusetzen, die offenbar unermesslich viel hergaben.
So lange schon ist der wahren Freude inniger Widerhall mir fremd. - O wann - o wann - o Gottheit - kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen?
Mag sein, dass ihn die schmerzliche Entbehrung menschlicher Bindung zu Einsichten führte, die deutlich ins Gebiet der Mystik hineinreichen. So will ich folgende Aussage aus seinen berühmten Briefen an die "Unsterblich Geliebte" verstehen und mit der "Geliebten", die durch die Bee-Forschung nicht eindeutig identifiziert werden konnte, die "Gottheit" meinen, wie neben Bee auch Meister Eckhart das letzte Geheimnis der Dreifaltigkeit nennt.
Du leidest, mein teurestes Wesen! Du leidest! - Ach, wo ich bin, bist auch Du mit mir!
Das Grab ist zu und der Kranz aus seinen eignen Worten ist gewunden, ich lege ihn an seine Ruhestätte - Blumenbeethoven, Beethoven-Fioretti; Erinnerungen, Blümlein, mit deren Hilfe man den Heiligen gedenkt. Heilige, die nach der Bibel diejenigen bezeichnen, die jetzt im Himmel, im Reich Gottes sind. So wage ich, dich, Bee, direkt anzusprechen: Danke, dass auch du stellvertretend geliebt und gelitten hast, wie es Christus unüberbietbar und endgültig für alle getan hat, und nicht zuletzt auch deinetwillen. Mögest du nun glücklich sein und den Segen des Stück-für-Stück-Erkennens der Gesamtherrlichkeit für die erbitten, für welche du als Compositeur, der Harmonie auf der Grundlage von innerem Leid und Unfrieden schuf, selber ein herzergreifendes Stück Menschenleben darstellst, und der seinem Fidelio noch im Gefängnis Liebesarien aus der Brust aufsteigen liess, um befreit zu werden.
So wär’s geschehen. (So schreibst du, erst 31jährig, im Heiligenstädter Testament.) – Mit Freuden eil‘ ich dem Tode entgegen.– Komm, wann du willst, ich gehe dir mutig entgegen.
Lebt wohl und vergesst mich nicht ganz im Tode! Ich habe es um euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen. Seid es!
Beethoven, bitte für uns!