Читать книгу Animus oder Die Seele eines Stärkeren - Nik Morgen - Страница 24
Christophorus
ОглавлениеAm drauf folgenden Tag sah ich, wie ein strahlender König in majestätischen Kleidern ehrfurchtsvoll eine mit Gold beschlagene Schatztruhe an den Fuss der Krippe stellte. Als er die Schatulle öffnete, strömte warmes Licht aus deren Inneren hervor, bis der ganze Raum davon erfüllt war. Weil ich selber keinen solchen Schatz besass, mich der Gegenstand aber derart faszinierte, machte ich mir darüber Gedanken, wie ich auch zu einem solch kostbaren Schatz gelangen könnte. So sehr beschäftigte ich mich damit, dass mir die Truhe sogar des nachts im Schlaf erschien.
Nur dass jetzt der warme Schein in gleissendes Licht verwandelt war und mich derart blendete, dass mir das Unterscheiden von einzelnen Gegenständen unmöglich war. Wie ein Blinder tappte ich in der Hitze herum. Die Umgebung war in eine Wüste von heissem Goldstaub verwandelt, und ich wusste weder mich an einem schattigen Ort zu bergen noch in welche Richtung der Lichtquelle zu entfliehen, da ich ihren Ausgangspunkt nicht feststellen konnte.
Als ich erwachte und über den Traum nachdachte wurde mir bewusst, dass die Schatztruhe keine Gabe von mir sein konnte, da sie mir im Traum fremd und unzuträglich erschienen war. Weil ich aber wusste, dass das Jesuskind eine Person von unermesslichem, innerem Reichtum und grosser Ausstrahlung war, wollte ich ihm etwas schenken, das ihm entsprach und worüber er sich freuen würde.
Da stieg mir seit langem wieder ins Bewusstsein, dass sich in meinem Innern so etwas wie eine goldene Kugel befand, die sich bei meiner Taufe gebildet und auf welcher die Konturen eines Medaillons oder einer Skulptur eingezeichnet waren. Weil das Sujet aber nicht fertig ausgebildet war, war es mir bis dahin nicht gelungen, das Motiv des Kunstgegenstandes auszumachen. Nichtsdestotrotz war ich gewillt, auch diese unvollendete Kostbarkeit dem Jesuskind zu übergeben und in die Krippe zu legen.
Kaum hatte ich das getan, stieg Jesus aus der Krippe heraus und wiederholte an mir das Ritual der Taufe durch Segnung mit flüssigem Öl auf Stirn und Brust. Und wie vor meinem inneren Aug formte sich die Goldkugel vollständig aus zur Figur des heiligen Christophorus, der das Jesuskind über den reissenden Fluss trägt. Anders aber als bei bekannten Motiven drückte die Last des Jesuskindes, der in seinem Schoss im Symbol einer kleinen Goldkugel den Globus trug, den Heiligen nicht nieder. Es machte vielmehr den Anschein, dass Christophorus das Kind als eine Trophäe stolz auf seiner Schulter trug.