Читать книгу Animus oder Die Seele eines Stärkeren - Nik Morgen - Страница 7
Androhungen
Оглавление(Klopfen an der Tür. VERENA öffnet.)
VERENA: Ivo. Komm rein.
IVO: Ist ihr Mann zuhause?
VERENA: Nein, er ist beim Arzt.
IVO: Was hat er?
VERENA: Depressionen.
IVO: Das ist nicht wahr.
VERENA: Komm herein, damit wir uns kennenlernen.
IVO: Ihr Mann war bis heute kerngesund. Ich weiss das. Ich habe ihn gesehen.
VERENA: Ein psychisches Leiden ist körperlich nicht sichtbar.
IVO: Doch. Schauen Sie mich an.
VERENA: Warum? Was fehlt dir?
IVO: Ich habe perverse Gedanken, die mich verderben.
VERENA: Was für Gedanken?
IVO: Ich bin Ihnen nicht freundlich gesinnt.
VERENA: Das kann ich verstehen. Du liebst meinen Mann.
IVO: Ja. Ich bringe mich um, wenn ich ihn verliere.
VERENA: Ich habe nichts gegen eure Freundschaft.
IVO: Sie haben ihn krank gemacht.
VERENA: Nein. Er hatte immer Depressionen. Ich liebe ihn und es ist mein Wunsch, dass er gesund wird.
IVO: Er hat mir nichts von seiner Krankheit gesagt.
VERENA: Vielleicht dachte er, du würdest ihn von alleine verstehen.
IVO: Ich traue Ihnen nicht. Sie haben ihn allein gelassen.
VERENA: Bist du dafür nicht dankbar? Ihr hättet euch sonst nicht kennengelernt.
IVO: Natürlich hätten wir das. Sie können das nicht verhindern. Das hat Gott gewollt.
VERENA: Möchtest du etwas trinken?
IVO: Wo ist das Kind?
VERENA: Im Zimmer. Es schläft.
IVO: Ich möchte es sehen.
VERENA: Komm. (Sie führt ihn zum Zimmer und öffnet die Tür.) Bitte sei leise.
(Stille. Babygeräusche. Sie treten aus dem Zimmer und schliessen die Tür.)
IVO: Sie sieht aus wie ein Engel mit ihren Pausbacken und blonden Haarringel. – Haben Sie ein Fotoalbum?
VERENA: Ja. Möchtest du es sehen?
IVO: Wann kommt Ihr Mann zurück?
VERENA: Nicht vor fünf Uhr.
IVO: Ja. Dann möchte ich es sehen. Aber sagen Sie ihm nicht, dass ich da war.
VERENA: Natürlich werde ich es ihm sagen.
IVO: Bitte!
VERENA: Nein. Dazu gibt es keinen Grund.
IVO: Dann lasse ich mich nicht mehr blicken. Und Sie wissen jetzt, was das bedeutet.
VERENA: Was ist es denn, was er nicht wissen soll? Dass du ihn liebst?
IVO: Das geht Sie nichts an. – Entschuldigung. Er darf nicht wissen, wie frech ich zu Ihnen bin; dass ich weiss, dass er angeblich krank ist und dass ich mich umbringe.
VERENA: Mein Mann hat schon vieles durchgemacht. Ihn kann nichts so schnell erschüttern.
IVO: Sie verstehen nicht, dass ich nur so rede, weil ich völlig ausser mir bin. Es ist mir egal, wenn dies mein letztes Gespräch überhaupt wird. Es tut mir auch nicht leid um Sie.
VERENA: Du bist verletzend. Dabei hab ich dir nichts getan.
IVO: Doch. Sie haben mich durchschaut.
VERENA: Ich verurteile dich nicht. Im Gegenteil. Ich kann dich gut verstehen.
IVO: Warum? Haben Sie auch schon mit Frauen geschlafen?
VERENA: Nein.
IVO: Und Ihr Mann? Mit Männern?
VERENA: Das musst du ihn selber fragen.
IVO: Vorher bringe ich mich um.
VERENA: Aber warum denn? Weil du die Wahrheit nicht erträgst?
IVO: Weil ich verdorben bin.
VERENA: Mein Mann mag dich. Er hält dich für einen sensiblen, intelligenten Jungen.
IVO: Das ist nicht wahr.
VERENA: Natürlich ist es wahr. Warum sollte er sich sonst so zu dir verhalten?
IVO: Wie verhalten?
VERENA: Er hat mir von euren Begegnungen erzählt.
IVO: Pervers. Nicht wahr?
VERENA: Ich halte es überhaupt nicht für pervers. Mein Mann ist nicht pervers. Er ist ehrlich und integer. Und leidenschaftlich.
IVO: Er ist eine Ikone.
VERENA: Ja. Siehst du? Wir stehen auf einer Seite. Wir können Freunde sein.
IVO: Schon nicht. – Ihr Mann ist nur aus Mitleid gut zu mir.
VERENA: Ihr versteht euch gegenseitig. Sympathie und Anteilnahme braucht es für eine Freundschaft.
IVO: Freundschaft? Ich bin einfach sein Kostgänger. Er ist freundlich, solange es ihm nicht zuviel wird. Und das wird es ihm, wenn er hört, was ich heute gesagt habe. Deshalb komme ich auch nicht mehr.
VERENA: Er empfindet ehrliche Gefühle für dich. Er will dir helfen. Und damit hilft er sich auch selber.
IVO: Sagen Sie nicht dauernd Dinge, die mich glücklich machen. Sie sind falsch. Sie können unsere Freundschaft nicht wünschen, wenn Sie normal sind.
VERENA: Normal? Normal ist meine Ehe nicht. Ich habe nichts dagegen, dass du meinen Mann lieb hast. Vor allem nicht, wenn ich sehe, dass du ihm auch etwas bedeutest.
IVO: Sie sind zu freundlich um ehrlich zu sein. Zeigen Sie mir bitte die Fotos. Ich möchte eine Erinnerung an ihn haben.
VERENA: Ich zeige sie dir, wenn du das nächste Mal kommst.
IVO: Ich komme nicht mehr. Ich werde tot sein.
VERENA: Du machst mir Angst. Das wäre für meinen Mann sehr schlimm.
IVO: Ach, er wird erleichtert sein. Es befreit ihn von einem Skandal.
VERENA: Bist du wirklich so unvernünftig wie du sprichst? Ich hoffe, du hast irgendwo ein Gefühl für Verantwortung. Oder bist du so egoistisch, dass du nur an dich selber denkst?
IVO: Wie soll ich damit leben, was ich Ihnen anvertraut habe? Sie können sich nicht in mich einfühlen.
VERENA: Natürlich kann ich das. Aber du bewertest alles viel zu schwer. Was du gesagt hast, ist im Grunde ganz normal. Es wäre Wahnsinn, deswegen dein Leben wegzuschmeissen, jetzt wo du einen so wunderbaren Freund gefunden hast.
IVO: Was glauben Sie wird er dazu sagen, wenn Sie es ihm erzählen?
VERENA: Er wird nichts sagen. Er wird nur hoffen, dass du wiederkommst, damit er dir zeigen kann, dass für ihn alles in Ordnung ist.
IVO: Ich kann es nicht glauben. Mich ekelt die Vorstellung, dass jemand mich mag, geschweige denn jemand wie er. Ich liebe ihn. Ich will ihn nicht verlieren. Es macht mich traurig, dass er krank ist. Schauen Sie, da hängt ein Bild von ihm. Er sieht so stark und glücklich aus. Wenn ich so wäre wie er, dann könnte ich auch leben. Ich nehme dieses Bild mit.
VERENA: Aber du kommst wieder.
IVO: Ja.
VERENA: Versprochen?
IVO: Ja. Ich bringe mich nicht um. Ich möchte ihn wiedersehen. Das verspreche ich. (Er geht zur Tür und rennt hinaus. Die Türe lässt er offenstehen.)