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Das Fehlen nach dem Abschied

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Ich wusste jetzt mit Sicherheit, dass mich nur der blosse Gedanke an meinen Vater niederschmettern konnte. Daher versuchte ich, mit dem Fiasko meiner Letztbegegnung mit ihm nachsichtig umzugehen. Als ich über den lichtbeschienenen Markusplatz taumelte, wurden die Eindrücke dieses Abschieds noch einmal klar und stark. Mich überkam die jähe Einsicht, dass ich wieder einmal meinem eigenen Paradox in die Falle gelaufen war. Wollte ich den Bann, der von meinem Vater ausging, tatsächlich mit einer Gürtelschnalle und Gamaschen lösen?! Da stolperte ich wie über meinen eigenen Schiedsspruch, fiel mitten aufs Kopfsteinpflaster und blieb schluckzend liegen. Das Erbe meines Vaters war unter mir begraben. Ich betete um Erbarmen und einen Gnadenstoss, so ergeben fühlte ich mich in meiner Nichtsnutzigkeit. Ich kam mir vor wie ein Pilger, dessen Glaubenskraft kurz vor der Wallfahrtskirche versiegt war. Die Sonne gleiste auf mich herab, aber ich war unbeweglich und wie gebunden. Ich war Isaak, der auf dem Brandopferalter seinem Schicksal harrte. Über mir spürte ich ein konkaves Glas, welches die Sonnenstrahlen auf meinem Mantel bündelte, und ich wartete darauf, entfacht zu werden. Da legte ein Engel seine Hand an mich und half mir auf die Beine.

HÄNDLER: Kommen Sie. Ich helfe Ihnen aufstehen.

Es war ein Händler, der hier in der Nähe sein Geschäft haben musste und vom Mittagsgebet in der Kirche zurückkam. Er trug ein reich besticktes, gelbes Kleid und einen Bart, ähnlich wie mein Vater, aber blond. Ich konnte nicht anders als ihn schluchzend umarmen; das Erbe drückte ich ihm in den Rücken. Er versuchte mich zu beruhigen. Aber als ich meine Umklammerung nicht löste, wurde es ihm unangenehm. Er befreite sich und strich mich aufmunternd über den Hinterkopf.

HÄNDLER: Haben Sie Mut, junger Mann. Und beten Sie zu San Marco, dem

Löwen, um Kraft.

Auch er war wie alle andern schönen Männer auch, nur eine Variation meines Vaters. Und er war ein Abbild des allmächtigen, himmlischen Vaters. Mein Vater aber war nicht Gott, sondern ein Götze, ein Bronzeschmied aus Tyrus, ein Kraftprotz und ein Heide. Und ich war sein Erbe, der Riemen um seine Lenden, der Schutz seiner Schuhe vor dem Schmutz der Strasse. Und als solcher fühlte ich mich in diesem Moment auf seltsame Art geliebt, wenngleich ich mich in dieser Liebe verloren fühlte.

Ich blickte dem reichen Händler nach und seinen kräftigen Waden. Bestimmt war er so reich, dass er sich das Almosen leisten konnte, mich zu umarmen. Es bedeutete ihm nichts. Mir aber war sein Almosen geschenkt worden, und nun war ich wieder allein mit Gott.

Animus oder Die Seele eines Stärkeren

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