Читать книгу Reportagen 1+2 - Niklaus Meienberg - Страница 10

Eine Adventsansprache, gehalten vor den Mitgliedern des Art Directors Club Zürich, der Dachorganisation für Reklamiker, am 12. Dezember '88 (anlässl. der Vernissage des neuen ADC-Jahrbuchs)

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Liebe Gemütsingenieure und Seelenmasseure, Soul-Brothers und Eisschrankverkäufer,

liebe Weltgeistverwalter,

geschätzte Zeitgeistsurfer und Whiskyschlörfer;

verehrte Agenten aller Agenturen,

liebe Seelengerber und Schönfärber, Flüstermaschinen und Produktesouffleure,

verehrte Marketingmakler, Art Directors, Printproducers, Creative Directors, Illustrators, Texters, Gesamtverantworters, Cutters, Grafikers, Kamerapeople, Psycho-Directors,

ihr fleissigen Versprüher der creativsten und creatifigsten Kreativität,

ihr Einpeitscher und Vorsteher des gesunden Geschmacks,

ihr schmatzenden Köche der allgemeinen Bouillabaisse,

ihr subtilen Spezialisten der Sinngebung,

ihr Semantiker des rasenden Konsumismus,

verehrte Agenten der Agenturen Jux und Rubikon, Ogilvy & Nahtlos, Farmer Pubertis, Busch, Putz und Bums, Stulder und Sater,

Marti und Zarti, Eberhupf und Schwartenstein, CASH Mash & Trash, Saatchi und Pflaatschi, Aeby u. Schnaeby: kurzum,

liebe Reklamiker –

im ersten Jahre Belsazars, des Königs von Babylon, hatte Daniel einen Traum, und was er auf seinem Lager vor Augen schaute, ängstigte ihn. Da schrieb er den Traum nieder: Ich, Daniel, schaute bei Nacht ein Gesicht, und siehe, die vier Winde des Himmels erregten das grosse Meer, und es stiegen vier grosse Tiere aus dem Meere herauf, ein jedes verschieden vom anderen. Das erste sah aus wie ein Löwe und hatte Adlerflügel. Ich schaute hin, und auf einmal wurden ihm die Flügel ausgerissen, und es wurde von der Erde aufgehoben und wie ein Mensch auf zwei Füsse gestellt, und Menschenverstand ward ihm gegeben. Und siehe, ein anderes Tier erschien, ein zweites, das glich einem Bären, es war nur auf einer Seite aufgerichtet und hatte drei Rippen im Maul zwischen den Zähnen, und es ward ihm geboten: Auf, friss viel Fleisch! Darnach schaute ich, und siehe, ein weiteres Tier erschien, das glich einem Panther und hatte vier Vogelflügel an seinen Seiten, auch vier Köpfe hatte das Tier, und Macht ward ihm gegeben. Darnach schaute ich in den Nachtgesichten, und siehe, ein viertes Tier erschien, furchtbar und schrecklich und überaus stark. Es hatte grosse eiserne Zähne, es frass und zermalmte, und was übrigblieb, zerstampfte es mit den Füssen; es war anders als alle die Tiere vor ihm und hatte zehn Hörner. Und ich gab acht auf die Hörner: siehe, da wuchs zwischen ihnen noch ein kleineres Horn empor, und drei von den ersten Hörnern wurden ihm ausgerissen; und siehe, an diesem Horn waren Augen wie Menschenaugen und ein Maul, das redete grosse Dinge (Weissagungen Daniels, Kap. 7, Vers 1–8).

Fürwahr und parbleu, diese Tiere haben ein grosses Maul und fressen viel Wortfleisch und zermantschten unser Sprachgemüt zwischen ihren eisernen Zähnen, und was übrigbleibt, schmeissen sie uns an den Kopf und nehmen uns auf die Hörner, und der Panoramablick ihrer Augen hat uns überall unter Kontrolle, ob wir nun lesenderweise in Zeitungen und Magazinen schneuggen wollen und mühsam die Artikel aus der happy Reklamewelt herausklauben müssen oder uns in der Landschaft ergehen und dabei von der Freilandreklame heimgesucht werden und die Landschaft nur noch so sehen können, wie die Landschaftsreklamiker sie uns serviert haben. Unsere Zukunft ist rosa, unser Stuhlgang ist gelb, es gibt kein Entrinnen weder auf dem Abtritt Haklelujah noch im Kino; den Filmen, die wir gern sehen möchten, ist das obligatorische Reklameklistier vorgeschaltet. figugegl, ob wir wollen oder nicht. Hands up Jogup. Wir möchten gern leer schlucken, aber unsere Mäuler werden gestopft wie Mastgänseschnäbel.

Gibt es noch Örtchen, wo wir Ruhe finden? Aber nicht doch. Aus dem Radio schallt's und knallt's und prallt's –

(Vater erzählt, Kind möchte etwas fragen)

«Ja also dann würd ich sägä gömmär hindärä is Jakobstäli vielleicht det am Furzbächli verbii det chöntemer ä chlini Rascht machä uf dä Grill chöntat mär an Cervelat, Suppä, Wurscht und» –

«Papi!»

«Brot brätä, ja, dann gömmar da Wanderwäg hindärä, lueg da hindärä» –

«Aber Papi iiii –»

«Da hämmär äs wunderbars wart jetzt» –

«Aber Papiiiii»

«Alpäpanoramaaaaa»

«Aber Papi, wo schlafäd mir?»

«Ja uf äm Hirschörli am Waldrand bim Majelisgrättli im Zelt vom VILAN» (darauf Musik VILAN).

Jawohl, so schallt's und prallt's, und erfunden ist es nicht von mir, sondern von Frank Baumann und von der Firma ASGS/BBDDO kreativ verwirklicht, und dieses am Furzbächli ersonnene Reklamefürzchen wurde vom ART DIRECTORS CLUB auf den Schild erhoben und mit Gold prämiert, wie Sie im ART-DIRECTORS-JAHRBUCH, Jahrgang 1988, auf Seite 279 unschwer feststellen können. Tatsächlich, le beaujolais nouveau est arrivé. Und ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen dieses ART-DIRECTORS-BUCH druckfrisch vorzustellen, worin sich Dutzende von Produkten befinden, die etwa auf demselben Niveau liegen wie das eben zitierte sample.

Also wie gesagt, im Kino hat man keine Ruhe vor euch. In der Aussenwelt auch nicht. Ihr beschallt uns ausserdem auch zu Hause unablässig und bespringt uns mit aggressiven Bildern, die der ART DIRECTORS CLUB ebenfalls prämieren zu müssen glaubt. Wir sehen einen Reporter vor Wolkenkratzern ins Mikrofon sprechen –

Es stinkt zum Himmel. Unheimliche Invasoren – die Killerzwiebel, der Würgeknoblauch und das Kariesmonster – bedrohen die City.

Dann sieht man Superman mit flatterndem Umhang über die Wolkenkratzer fliegen, welch originelle, bisher noch nie verwurstete Idee, Superman siegt sehr schnell und streckt ein Rezeptakel in die Höhe mit dem Schriftzug SIGNAL, und im Off hört man eine Stimme –

Fluidman fliegt zum Kampf an. Mit seiner umwerfend frischen Puste macht er den Eindringlingen den Garaus. Dank Signal Fluid – der superfrischen Lösung, die vor Karies schützt.

«Puste» ist übrigens gut, das hört man besonders gern.

So werden zwar unsere Zähne, aber nicht unsere Hirne vor Karies geschützt, und ich habe mir sagen lassen, dass dieser Spot nicht etwa von munteren Sekundarschülern, die sich in ihrem Videolabor einen Jux machen wollten, fabriziert worden sei, sondern von der als seriös geltenden Agentur FARMER PUBERTIS, und dass dieses bescheidene Witzchen, wie andere TV-Witzchen auch, mit allem Drum und Dran seine 60'000 Franken gekostet haben dürfte, also etwa so viel, wie ich in einem guten Jahr verdiene. Wäre das Geld nicht in diesen Werbespot, sondern in einen guten Journalisten investiert worden, so hätte dieser z.B. genügend Musse gehabt, den Fall Kopp/Kopp, d.h. sowohl die Affäre Trans W. Kopp als auch die Geschehnisse im Flagellantenbüro Kopp und andere Connections beizeiten zu untersuchen; der Journalist oder die Journalistin hätte sich in aller Gründlichkeit mit dieser gesellschaftlichen Karies beschäftigen können, und so wären uns sowohl der Signal-Fluid-Werbespot erspart geblieben als auch Bundesrätin Kopp; und zwar schon vor vier Jahren.

Abonnenten haben mehr im Kasten. Tun Sie etwas gegen Zahnstein, bevor Sie Berge davon haben. Katzen würden Whyski kaufen. Den Computer NCR 9800 kann so gut wie nichts ausser Betrieb setzen, höchstens vielleicht eine PERSHING-Rakete. Es ist Käse, dass der Fendant Les Rocailles nur zu Fondue passt. Konsumentinnen, Konsumenten, wie wollt ihr euren Emmentaler geschnitten sehen? Wir haben ihn am liebsten schnittig. Wollt ihr den totalen Emmentaler? Vor Aids schützen, Feldschlösschen Bier benützen. Aebi und Partner, habt ihr euch entschieden? Um Antwort wird gebeten, u.a.w.g.

Fitness ohne Stress/macht die Betten näss. Lieber zwäg als träg. Klosterfrau Melissengeist macht die dümmsten Mönche feist.

Jawohl, meine sehr verehrte Zuhörerschaft, wir haben es geschnallt: Glatt für alli, Sauglattismus, bis die Schwarten krachen und die Grosis schunkeln. Integration, Partizipation, Kremation im Feuer der Werbekohlen, allgemeine Kommunion. Das Mittelstandsglück der generellen Enthirnung und der wütenden Munterkeit. Wie sagt meine Kollegin Isolde Schaad in ihrem Artikel über «Schweizer Werbung in den Achtzigern», erschienen in der «Wochen-Zeitung» vom 5.8.1988?

«… Partizipieren wir alle persönlich, und nirgends ist das Leben so persönlich geworden wie in der Reklame. Wir partizipieren am Chästeilet, am Candlelight, am Parcours und an der Direttissima. Die Reklame ist die Inkarnation der Klassenlosigkeit, in der alle als Charakterköpfe ganz ausgeprägt individuell geniessen. Es gibt keine Elite, keine Minderheit und keine Aussenseiter in der Totalen des Mittelstandsglücks, weil da alle mit allen identisch sind. Pardon, auch Sie, Madame, sind die Omi des sprudelnden Seniorenwesens und das Happy Baby, und Sie, Esquire, sind der Ferdi Kübler der Versicherungen und der Daddy der reparierenden Munterkeit. Alle passen fugenlos in den Selbsterfüllungsapparat und sind Alle für Alli. Auf dem gesunden Zahnschmelz von Eiger, Mönch und Chästeller erfüllt sich das Schwiizer Qualitätsglück, die eidgenössische Fassung des Kommunismus.»

Und wirklich, liebe Reklamiker, ihr produziert das Gemüt einer herzlosen Welt, die Labsal der verdürstenden Gesellschaft, die Ambulanz der Verzweifelten, die Tünche auf dem Saustall, und ihr verhelft den Massen nicht zu ihrem Recht, aber doch zu ihrem Ausdruck. Die von euch produzierte Scheinhaftigkeit wird künftigen Historikern Rückschlüsse auf die Wirklichkeit zu ziehen erlauben, und insofern erfüllt ihr wenigstens für die Nachwelt eine wichtige Funktion. Die unberührten Landschaften und wilden Naturwüchsigkeiten der Reklame deuten auf Landschaftszerstörung in der realen Welt, die ewig strahlenden Visagen der Select- und Strumpfhosengirls geben einen Fingerzeig auf die triste Welt der Grossraumbüros, und das Negativ des gsünsen Rhäzünsers ist der von den Fischen befreite – wenigstens temporär befreite – Rhein bei Basel. Je verreckter die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt, desto glücklicher strahlt die Kleinfamilie aus den Inseraten von «Haus und Herd».

Man muss es umgekehrt proportional sehen, dann kommt man den Verhältnissen auf den Sprung, vermutlich. Als Anästhesisten und Narkotiseure habt ihr eure Verdienste. Darin, liebe Reklamiker, seid ihr ganz tüchtig, und das ist eure ideologische Funktion: von den Tatsachen abzulenken und uns zu führen aus diesem Jammertal ins Alpamare der diversen Happylands. Eine volkswirtschaftliche Funktion habt ihr demgegenüber kaum mehr, oder sie ist an einem kleinen Ort, d.h. besteht in der Erfüllung eurer ganz persönlichen finanziellen Wünsche und Lüste. Ihr verdient ja wirklich nicht schlecht, hueregopfertamisiech. In den Sechzigern und Siebzigern war das ein bisschen anders, da konnte man noch glauben, dass die Werbung, bitte sehr, Bedürfnisse wecken musste, die man eigentlich nicht hatte, weil bestimmte Produkte sonst nicht zu verkaufen gewesen wären, was wiederum Arbeitsplätze in der realen Produktion gefährdet hätte. Aber heute ist das nicht mehr so. Isolde Schaad bringt es auf den Punkt: «In den achtziger Jahren trifft nicht mehr zu, was für die Siebziger galt: dass die Werbung Bedürfnisse weckt, die man gar nicht hat. Man hat sie längst, und die Werbung bestätigt sie bloss, nachdem sie gestillt sind. Die Reklamelandschaft ist jetzt das Projektionsfeld des Erworbenen, Vorhandenen. Das Umfeld ist ausgeklügelt, weil entscheidend, der Gegenstand beliebig. Die Bedeutung löst sich allmählich vom Symbol und verdunstet in der Diffusion.»

Und woraus besteht diese Diffusion? Und wie verkauft man Produkte, die sich alle gleichen? Es ist unterdessen völlig wurscht, ob wir einen VW kaufen oder einen Mitsubishi oder Hatschamutschli oder Citroën oder Kurasawa oder Kamasutra 6-Zylinder oder was auch immer: Auto ist Auto, und nur bei den Luxusschlitten gibts noch entscheidende Nuancen. Hermann Burger wird Ihnen bestätigen, dass ein Ferrari Testarossa nicht dasselbe ist wie ein Ferrari Rossatesta. Aber item, bei den Waschmitteln kommts doch auch schon lange nicht mehr auf die Marke an. Herr Marti von der Werbeagentur Marti & Marti & Marti hat das Problem richtig erkannt und schreibt deshalb seinen Kunden folgendes:

«Wir sehen unsere Aufgabe vor allem darin, in enger Zusammenarbeit mit den Marketingspezialisten einer Unternehmung einen vorhandenen Ansatz emotional aufzubauschen, dass die Werbung richtig unter die Haut –» wobei er wohl die Füdlihaut meint – «geht, und zwar so, dass unsere Zielsetzungen voll erreicht werden.» Es heisst jetzt nicht mehr wie im Vietnamkrieg: SEARCH AND DESTROY, sondern SEARCH AND BUILD UP, nämlich die Emotionen der potentiellen Käufer. Aber Krieg ist auch jetzt, erbarmungsloser Kampf zwischen Closettpapierherstellern und Jeansfabrikanten z.B. Bemerkenswert, dass hier das negativ besetzte Wort «aufbauschen» zum erstenmal in seiner Geschichte positiv umgepolt wird. «Aufbauschen» hiess früher «auf degoutante Art übertreiben». So wird den Wörtern der Hals umgedreht, wenn sie auf den Strich gehen. Aber man muss auch sagen: Herr Marti ist eine ehrliche Haut. Er sagt stracks, was er macht, und bringt die Perversität der Branche unverhüllt ans Licht. Hallelutschah!

Uns bleibt nur noch, wenn wir an Martis Plakaten vorbeischleichen, an Hakle- und Rifle-Ärschen vorbeipromenieren, die Frage: Ist es dasselbe Tschick, das hier seinen Hintern so verkauft wie Marti sein Hirn, oder sind es deren zwei? Und mit aller Macht versuchen wir dann jeweils, unsere Emotionen abzubauschen, und führen zu diesem Zweck immer einen Wattebausch mit uns, damit wir nicht in Bausch und Bogen überfahren werden von unseren Gefühlen.

Ihr lieben Durchlauferhitzer der Kauflust und Kaufwut, ich möchte hier nicht ein bestimmtes specimen eurer Gattung vertrampen und darüber die Gattung vergessen, Marti ist nicht schlimmer als die andern, nur quicker. Reklame ist hierzulande allgemein doof, das neue ADC-Jahrbuch beweist das, da hilft euch keine Geistreichelei. Vielleicht war sie einmal besser. Ich glaube mich zu erinnern, dass Herbert Leupin in den fünfziger Jahren eine gewisse Eleganz zustande brachte, und wenn es auch nur im Dienst von Coca-Cola war. Vielleicht war der Konkurrenzkampf damals noch nicht so hart, und es war noch eine Art von Gelassenheit möglich und weniger Gschaftlhuberei. Aber heute in diesen euren Kreisen: Da liegt die Ästhetik im Clinch mit der Warenästhetik. Erquickender Scherz, Witz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung sind nicht möglich im Dienste von Möbel Pfister oder Wohnland oder Tivolino, euer genre und eure Arbeitgeber gestatten nur Gags, Flips, Flops. Denn der wirkliche Humor ist bekanntlich unberechenbar und befreiend, könnte den Konsumismus gefährden. Vergesst eure literarischen Ambitionen, solange ihr dieses Gewerbe betreibt, und verputzt ruhig euren Lohn chez Max oder chez Agnes oder chez Mireille, in der BLAUEN ENTE oder im GRÜNEN ARSCH und in der toskanischen Zweitresidenz, solange der Stutz in derart rauhen Mengen auf eure Konten niederprasselt. Es ist ja wirklich interessant, wie schnell auch die unbegabtesten Pörschtlis und Maitlis in eurer Branche zu Geld kommen und wie rasant sie, quer durch die Werbelandschaft, via Radio-24-TV-Spots und Rincovision, in die Höhe katapultiert werden. Es gibt zwar ein paar Talente in euren Kreisen, aber wie schnell sind sie verhurt! Einen kenne ich, der macht Käsereklame, und siehe da, wirklich, an seinen Wörtern konnte man sich delektieren, man bekam nicht nur Lust auf Emmentaler, sondern auch auf weitere Kostproben seiner Sprache. Wie könnte sich dieses Talent entwickeln, wenn es sich, ausser vom Käse, noch von andern Objekten inspirieren liesse. Wenn der schnelle Mann einmal nicht mehr den Stutz, sondern nur noch eine Sache im Auge hätte, für die sich sein Herz erwärmt. Aber es soll halt Leute geben, ihr lieben Einpeitscher und Vorsteher des guten Geschmacks, welche von Existenzängsten befallen werden, wenn sie im Monat weniger als 20'000 Franken verdienen.

Aber das geht mich ja alles nichts an, ich habe andere Sorgen. Es genügt anscheinend nicht, dass ich beim Schneuggen in Zeitungen und Magazinen mir mühsam die Artikel aus der happy Reklamewelt herausklauben muss, sondern die Artikel selbst und auch das Layout werden zusehends von der Reklameindustrie kontaminiert bzw. vergällt. Die verhurte Pseudo-Ästhetik der Werbung färbt ab auf alle übrigen Inhalte. Sie ist ja technisch, oder in Sachen Gags, immer auf dem neuesten Trip, und der wird dann prompt im redaktionellen Teil ein paar Monate später imitiert. Das führt den Journalismus in die Scheissgasse. Ich lese oder las regelmässig die Wochenendbeilage einer Zeitung, deren Textseiten heute reklamiger daherkommen als der eigentliche Reklameteil, und darob könnte man wütig werden, auch über die talentierten Jungfilmer, welche ihr Métier beim Werbefilm gelernt haben und dann ihre ernsthaft gemeinten Filme so schmissig/rassig schneiden, als ob sie immer noch Zahnpasta verkaufen müssten. Ein bisschen Wut werdet ihr, ihr unentwegten schnellen Brüter, mir in diesem Zusammenhang ganz allgemein gestatten müssen und vielleicht ein Quentchen Trauer über all das verschleuderte Talent eurer zum Teil begabten Köpfe, die evtl. etwas anderes produzieren könnten als Schubidu und Judihui, nämlich Aufklärung statt Verklärung betreiben könnten.

Wenn ihr einmal den Finger herausnähmet!

Aber wie gesagt, ich sah ein Tier auftauchen, es hatte grosse eiserne Zähne, es frass und zermalmte, und was übrigblieb, zerstampfte es mit den Füssen, und dann biss es sich in den eigenen Schwanz und, wie es bei gefangenen Tieren im Zoo manchmal vorkommt, zerfleischte es seine eigenen Pfoten und verzehrte seinen Penis – und übrigens: Werdet ihr gern gepfitzt? Ich bin aber nicht eure Mireille, bin keine Domina noch Dominus – soviel habe ich jetzt mit dieser Rede auch wieder nicht verdient. Aber vielleicht könnt ihr eure Triebökonomie wirklich nur noch masochistisch regulieren?

Item. Wenn dann, beim Tubaton des Weltgerichts, eure Gerippe sich erheben aus den Gräbern oder auch nicht und dann an eurem rechten skelettierten Fuss noch ein halbvermoderter Timerlandschuh hängt und das Schlüsselbein von einer gut erhaltenen Dior-Krawatte garniert wird und ihr mühsam euch aufrappelt aus euren Design-Särgen Marke Vitra und euer Steiss von den letzten Resten eines Slip Eminence bedeckt ist: Dann, spätestens dann, werden sich die Joghurtköpfe fragen müssen oder gefragt werden, wie sie ihre Erdentage hingebracht haben.

Jedoch halt, was sage ich, so kann man euch natürlich nicht kommen, denn für euch, ihr Plünderer aller Wortschätze und Umwurster der Bedeutungen, ist das Jüngste Gericht ja höchstens ein Fondue.

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