Читать книгу Reportagen 1+2 - Niklaus Meienberg - Страница 17

Da taar me nöd

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Wer ein Buch oder einen Film veröffentlicht, setzt sich der Kritik aus. Die freut ihn oder ärgert ihn. Wer zu den literarischen Bundesratsparteien gehört, kann in unserm schweizerischen Konkordanzsystem auf wohlwollende oder doch schonende Kritik zählen. Es gibt hier einen Konsens, wonach Max Dürrenmatt Friedrich Frisch Adolf Bichsel Peter Muschg Otto F. Nizon Paul Walter keine langweiligen, schlechten oder ganz schlechten Bücher schreiben können. Die dürfen so etwas einfach nicht. Das Friedensabkommen in der Literaturindustrie schützt die Sozialpartner. Jeder ist auf den andern angewiesen, jeder kann den andern, von einem bestimmten Bekanntheitsgrad an, fördern oder behindern. Da ist einer z.B. nicht nur Schriftsteller, sondern auch Dozent, kann seine eigenen oder verwandten Produkte von einem Kollegen ins Lehrprogramm aufnehmen lassen (Hermann Burger). Er weiss, wie der germanistische Karren läuft, welche Bücher von den Mitgermanisten der Besprechungsindustrie erwartet werden, und kann das Gewünschte liefern. Oder er ist (Hermann Burger) ausserdem noch Feuilletonredaktor und kann Bücher besprechen. Oder er arbeitet (Hermann Burger) noch am Fernsehen und kann dort Kollegen vorstellen. Oder er bedient noch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG und DIE WELTWOCHE und weitere allgemeine Zeitungen mit Literaturkritik (Hermann Burger). Ein anderer wiederum ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Verleger und hat glänzende Beziehungen zu allen möglichen Verlagshäusern, nicht nur zum eigenen. Wer ihn hart bespricht, muss damit rechnen, dass sein Buch von dem einflussreichen Mann verhindert oder behindert wird. Und da nicht wenige Kritiker (Burri, Fringeli etc.) auch als Autoren auftreten … Besprichst du mein Buch gut, dann besprech' ich deines gut oder lass es gut besprechen.

Bücher sind Produkte, die auf handwerklich-altväterische Weise entstehen, in der Abgeschiedenheit von Schreibstuben, und auf industrielle Art vervielfältigt und vermarktet werden. Ihr Vertrieb ist auf die Zeitungen angewiesen. Ein Verriss in grossen Zeitungen behindert meist die Vermarktung und wird von den Autoren – das kann ich nachempfinden, das hab' ich auch schon so empfunden – als Geschäftsschädigung betrachtet. (Totschweigen oder eine laue Besprechung schadet aber noch mehr als ein Verriss.) Da hat man zwei oder mehr Jahre gearbeitet und wird von einer Hudelkritik, die in zwei, drei Stunden verfasst worden ist, zerfetzt. Das tut weh, tut der Auflage (meist) nicht gut und ist oft ungerecht. Aber es gibt Unterschiede. Ein schlechter Verriss unterstellt dem Schriftsteller einen Stil und Absichten, die er gar nicht hatte: um sie dann in den Boden zu stampfen. Er deformiert das Buch, damit es leichter verhohnepiepelt werden kann. Ein guter Verriss (und manche davon sind selbst Literatur geworden, sind unterdessen literarischer als die Bücher, auf welche sie zielen, vgl. Besprechungen aus der Feder von Voltaire, Lessing, Kraus) stellt das Buch möglichst sachgerecht und umfassend dem Leser vor, misst den Autor an seinem eigenen Anspruch, bevor er das Werk mit einleuchtenden, evtl. glänzenden, das heisst brillanten Argumenten auseinandernimmt. Aber auch solche Verrisse werden, wenn es um die Bücher unserer berühmten, unter Heimatschutz stehenden Autoren geht, als unanschtendig empfunden. Da taar me nöd. Hingegen darf man mündlich alles Wüste über die Kollegen erzählen, hinter ihren Rücken gifteln und schnöden – und dann eine nette, wenn auch etwas laue, Besprechung schreiben. Über BLAUBART von Max Frisch habe ich weitherum die verheerendsten Urteile gehört und nachher die nettesten Besprechungen gelesen, beides von denselben Leuten produziert. Ähnlich war es bei NOCH EIN WUNSCH von Adolf Muschg, da hatte nur Urs Herzog (im KONZEPT) sehr brillant den Konsens gestört, worauf ihm nicht wenige Germanistenkollegen mit Naserümpfen begegneten und mit vornehmer Abscheu.

Dieses unser Land ist klein, so klein. Der Besprecher trifft den scharf Besprochenen spätestens eine Woche nach der Besprechung wieder. Man verkehrt in denselben Kreisen, Radio-TVU-Zeitungen, ist in der gleichen Zunft gewerkschaftlich organisiert (Gruppe Olten) – kann man jetzt noch ein Bier miteinander trinken, ohne einen Teil davon sich an den Kopf zu schütten? Geht man mit abgewandten oder gesenkten Augen aneinander vorbei? Was schreibt der literarische Verhaltenskodex in solchen Fällen vor? Sagt man SALI oder SOUHONG oder gar nichts? Die Gruppe Olten hat für solche Fälle noch keine allgemein verbindlichen Regeln ausgearbeitet. Sich streicheln oder um den Hals fallen (ohne den Besprecher dort zu würgen!) kann man auch nicht, dann wäre die scharfe Besprechung nicht ernst gemeint gewesen vom Besprecher und vom Besprochenen nicht ernst genommen worden.

Die Schriftsteller sind in einer Zunft organisiert und verhalten sich nach aussen manchmal solidarisch, und innerhalb dieser Zunft sind sie Konkurrenten und hassen sich oft sehr, genau wie andere Gewerbetreibende. Der Markt ist klein, die Zahl der Schreibenden nimmt in letzter Zeit gewaltig zu, von den Älteren sterben nur wenige, und die Leute, welche Bücher lesen, werden nicht zahlreicher. Da muss jeder hart um seinen Marktanteil kämpfen. Erst ein minimaler Marktanteil garantiert ihm literarisches Prestige und ein Häuchlein Ruhm, und keiner bleibt gerne zeitlebens ein Geheimtip. Bücher, die nicht besprochen und kaum verkauft werden, existieren nicht. Einen kenne ich, der prüft in den Buchhandlungen, ob seine Bücher wirksam plaziert sind, eine aufreibende Beschäftigung. Ein anderer geht bei Gelegenheit mit einem Rosensträusschen bei seinem Verleger vorbei, um ihn bei Laune zu halten. Ein dritter lädt periodisch Rezensenten zu Tisch, und alle bedrängen den Frisch, er solle ihr neues Buch doch bitte, bitte im SPIEGEL besprechen, aber einer drängt so stark, bis Frisch es dann wirklich tut, und einer wird sauer, weil Silvio Blatter von Böll, und ein anderer wird grantig, weil Gerold Späth von Grass gesponsort wird, und einen kenne ich (mich), der hat schon eine Gegendarstellung geschrieben, als er eine böse Kritik bekam, und alle beobachten die Auflagen ihrer Kollegen, WIE VIEL HAST DU VERKAUFT ist eine gefürchtete oder beliebte Frage, und warum, denkt A, wird B zu so vielen Lesungen eingeladen und er nicht, und warum hat dieses Huhn den Aufmunterungsförderungsunterdiearmegreifenpreis bekommen und er nichts und C darf im Radio lesen oder wird gar, denkt D, von Hermann Burger oder Wehrli P.K. am Fernsehen vorgestellt, aber D, der seine eigenen Werke besser findet als die von C, nicht? Und warum darf E, denkt F, eine Kolumne schreiben, wo er doch gar nicht schreiben kann?

Bei den Filmern: ganz ähnlich, nur äussern sich die noch heimlicher übereinander als die Schreibenden. Es gedeihen dort die prächtigsten Hass- und Verabscheuungsblumen in der Einsamkeit der Herzen, oder am Biertisch, in Abwesenheit der Gehassten. Beim Filmen ist bekanntlich viel Geld auf dem Spiel, und alle sitzen im gleichen Boot, welches voll ist. Man will nichts riskieren, weil die meisten Kollegen ausserdem noch in einer Kommission sitzen und über Finanzierungen irgendwie mitentscheiden. Einige Filmer, die privat ebenso klare wie harte Äusserungen zu Koerfer, Lyssy etc. machten, wurden kürzlich angefragt: ob sie in der WOZ etwas in der Richtung schreiben möchten. Sie schlugen sozusagen die Hände über dem Kopf zusammen, und einer sagte: Das könne er sich nicht leisten.

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Vor kurzem den Schriftsteller S. getroffen, beim Wein in Zürich, mit andern. Dies und das wird gemütlich beschwatzt, bis die Rede auf meinen Artikel über Koerfer/Walter kommt («Ein Werkstattbesuch bei zwei hiesigen Subrealisten»). S. droht, nur halb im Spass, unsern Tisch zu verlassen, wenn jener fürchterliche Schrieb nochmals erwähnt werde. Auf die Frage, was denn an der Argumentation nicht stimme und wie er selbst das Buch von Walter finde, sagt S., er habe erst einen kleinen Teil davon gelesen, aber so dürfe man einfach nicht über Walter schreiben. Kurz darauf sagt S.: Er habe gehört, von Walter, dass Walter bereits 18'000 Stück seines Buches verkauft habe, und das sei doch wohl nicht möglich, höchstens 8000 können es sein, oder was glaubt ihr?

Der Schriftsteller S. und andere Kollegen sind mir gram wegen meiner Kritik, ich komme mir schon fast ein wenig kriminell vor. Was ist das Delikt? Ich habe den Realitätsgehalt von Walters Buch (und Koerfers Film) nach meinem Gefühl und Verstand abgehandelt, habe den Autor an seinem eigenen Anspruch gemessen, in einer Zeitung mit kleiner Auflage, die vorher ganzseitig ein uneingeschränktes Lob auf dieses Buch gebracht hatte. Das Thema schien mir wichtig genug, ich schrieb so ehrlich wie möglich. (Natürlich bin ich nicht gegen Fiktion schlechthin, nur weil ich die verunglückte Fiktion von Otto F. Walter kritisiere, die von einer, wie mir scheint, ungenau erfassten Realität ausgeht. Mein Lieblingsautor ist Joyce, nicht unbedingt ein Dokumentarist, und als nach meinem Artikel über ihn, WOZ 6/82*, * Abgedruckt in «Vorspiegelung wahrer Tatsachen», S. 102. fünf Leute mir sagten, sie hätten IHN daraufhin zu lesen begonnen, war ich glücklich wie selten). Auf diesen Artikel konnte Walter antworten im Blatt, so viel über mich wie ich über ihn, ganz ausführlich. Darauf gab es noch Leserbriefe. Unterschlagen wurde nichts, jeder Leser kann sich eine Meinung bilden. Nicht anzunehmen, dass ein Artikel in der WOZ, bei der kleinen Auflage, für Walter geschäftsschädigend war: das Buch läuft weiterhin prima. Nachdem in den grossen Zeitungen alle Besprechungen hierzulande sehr positiv für Walter gewesen sind, komme ich abschliessend zur Überzeugung: Das Delikt ist der Dissens.

In der Politik lehnen die Linken den erstickenden Konsens ab, die erzwungene Konkordanz. Warum akzeptieren wir das in der Literaturkritik?

Reportagen 1+2

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