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Gefühle beim Öffnen der täglichen Post und Hinweis auf das «Interstellar Gas Experiment» (Ein Tagebuch)

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Da ist wieder viel Post in den Briefkasten geknarrt, geknallt, geknattert, und oft von Leuten, denen ich nie geschrieben habe und die sich doch angesprochen fühlen. Lebhaftestens! Andere Sendungen kommen leise angeflattert, sanft herbeigerauscht. Das ist eine ewige Sauna, kalt/heiss, heiss/kalt, und man wird dann mit der Zeit doch abgehärtet. (Liäbs Büsi/Bösi Chatz). Zwei, drei Briefe pro Tag, bei feierlichen Gelegenheiten, Dreizack-Manöver oder Bundesratwechsel, sind es auch mehr. Die feierlichen Gelegenheiten häufen sich in letzter Zeit.

Herr Niklaus Meienberg.

Sie, nur Sie sind die grauenhafte Maus. Sie wollen geschult, ein Schurnalischt sein, und beweisen, dass Sie auf den Rollschuhen durch die Kinderstube sausten, d.h. keine Erziehung genossen und keinen Funken Anstand haben.

Warum bleiben Sie denn in der Schweiz, wo eine so miese Regierung regiert? Warum melden Sie sich nicht selber als Bundesrat, da Sie es doch viel, viel besser machen könnten? Geben Sie doch das Schweizerbillet ab und verschwinden Sie irgendwohin ins Ausland, Sie Hetzbruder.

Das war ein guter Tip, und ist der Adressat dann nach Weihnachten auch wirklich ins Ausland verschwunden; konnte aber genau deshalb sein Schweizerbillet nicht abgeben, weil ohne: kein Grenzübertritt. Daran hat Frau P. nun wieder nicht gedacht. Und wie stellt sie sich die Zustände in der Meienbergschen Kinderstube vor? Ich war ein verträumter Bub, viel zu ruhig, die Mutter machte sich Sorgen, wär' ich doch nur auf Rollschuhen in der Stube herumgesaust, aber Rollschuhfahren wollte der Zweitjüngste nicht mal auf der Strasse. Frau P., Sie haben abenteuerliche Fantasmagorien, und Ihr Name ist etwas kurz geraten. Wie lautet Ihr voller Name? Purtschikofer? Postillon? Pizza? Piazza? Pestalozzi? Frau Punktum?

Nach dem P. haben Sie einen Punkt gemacht, Unterschrift: Frau P. (Poststempel Lenzburg). Vielleicht sind Sie aber auch ein Herr, der letzte Satz deutet auf physische Kraft und Männlichkeit: «Euch gehörte der Kopf umgedreht.» Aber vielleicht bedeutet er Ohnmacht? Ich stelle mir vor, wie das knirscht im Genick, wenn der Kopf gehörig umgedreht wird.

Am nächsten Tag ist ein Paketchen im Milchkasten, das hätte dem Empfänger beinahe den Kopf verdreht. Zuoberst ein Brief auf rosarotem Papier:

Lieber Niklaus Meienberg! Ich bin 13jährig und habe ein etwas seltsames Hobby. Mein Götti hat mir vor mehr als einem Jahr ein Fotoapparat geschenkt, mit dem ich nicht nur Familienbildchen knipsen möchte.

Ich sammle nämlich Fotos von schweizerischen Persönlichkeiten, die ich verehre. Zuerst schrieb ich Herrn Nationalrat Jaeger und prompt schrieb er zurück und die Filme ergaben tollste Fotos von ihm, und das mit meinem Föteler geknipst! Ich bin «an Sie geraten», weil mein Papa ein Buch von Ihnen las. Ich schnupperte ein wenig darin und geriet an «Herr Engel in Seengen …». Diese Geschichte gefällt mir sehr, nicht zuletzt darum, weil ich in der Nähe wohne. Ich bin viel mit Ihnen gleicher Meinung nur nicht bei der Abschaffung des Militärs. Mit einem ein klein wenig schlechten Gewissen schicke ich Ihnen nun meinen Föteler und hoffe, dass Sie ein wenig Zeit finden, um ein paarmal abzudrücken (damit Sie gut drauf sind, roter Punkt vorne = Selbstauslöser, den Rest müssen Sie in der Beschreibung nachlesen). Alles ist eingestellt, Film und Batterien drin, Sie können nun drauflos knipsen soviel Sie wollen. Vielen Dank zum Voraus und entschuldigen Sie bitte die Störung, Ihre Sabrina G. – Beilage: Apparat, Foto von mir, Rückantwortadresse und Porto.

Nun hätte also der umgedrehte bzw. verdrehte Kopf gefötelet werden müssen, aber eine unüberwindbare Scheu vor der Technik hinderte den etwas in Verlegenheit geratenen Exploranden daran, und so stand der Föteler lange in einer Ecke des Vestibüls, halb lockend, halb drohend, und das dritte Auge von Sabrina G., welches so weit gereist war, ist blind geblieben. Es ging einfach nicht, obwohl es bei Franz Jaeger auch gegangen war. Aber vielleicht hätte man doch drauflos knipsen und u.a. ein Foto an Frau P. in Lenzburg schicken sollen mit der Unterschrift: «Schweizerische Persönlichkeit».

Damit man nicht übermütig wird, kommt am nächsten Tag ein Geschenk von Philipp Engelmann ins Haus geplumpst, nämlich sein nun in Buchform erschienenes Theaterstück «Die Hochzeitsfahrt» (Ammann Verlag). Darüber hatte Andreas Simmen in der WOZ eine Glosse geschrieben – ziemlich scharf. (Und intelligent.) Und Philipp Engelmann schenkt mir nun also sein Buch mit der Widmung: NIKLAUS DEN SCHAFSECKEL I. KLASSE. (Er hat halt gern Dialekt.) Und Dieter Bachmann schreibt im Vorwort: «Es ist bei Engelmann so, als schreite einer auf einer hauchdünnen Schicht Hochdeutsch, einer sprachlichen Trag- oder Oberfläche, unter der der See oder das Reservoir des unermesslichen reicheren Mundartlichen sich abteuft.» (Aha!) Der junge aufstrebende Geschäftsmann Engelmann hatte mich seinerzeit dringend ersucht, eine Besprechung seines Schwankes zu liefern, auch ein Verriss sei ihm recht, nur einfach etwas von mir müsse es sein, so eine tüchtige Kontroverse würde der Sache Beine machen. Und, so sagte er noch vor der Uraufführung seines Stückleins, er habe Angst, dass sein opus II, welches er jetzt gleich zu schreiben beginnen wolle, nicht mehr so toll gerate wie «Die Hochzeitsfahrt».

Ja, so sind die Zustände am Schauspielhaus.

Nun muss man ihm wohl etwas antworten und die nette Widmung verdanken –

Sehr geehrter Zappel-Philipp, handelt es sich um einen Knall i de Bire? Ich habe Ihr Stück aufmerksam gelesen, noch im ungebundenen Zustand, und habe Ihnen detailliert meine Kritik daran telefoniert. Ich fand es missglückt (das ist wohl meine Freiheit?). Dann habe ich es gesehen und fand es noch missglückter. Darauf habe ich mir die Freiheit herausgenommen, nichts darüber zu schreiben. Ihre Vermutung, «Andreas Simmen» sei ein Pseudonym für «Meienberg», ist nicht die intelligenteste. Wenn ich ein Pseudonym benutze, dann sicher nicht die echten Namen von WOZ-Redakteuren. Simmen ist, wie Sie vielleicht notieren mögen, ein exzellenter Kultur-Kritiker (vgl. seine Artikel zur südamerikanischen Literatur) und ein selbständig urteilender Mensch. Sie sind also auf dem falschen Dampfer und sollten den Gedanken, dass dieser N.M. alles manipuliert und fernlenkt, aus Ihrem Köpfchen verbannen. Es ist ein typischer NZZ-Gedanke. Mit zahlreichen Grüssen und Wünschen für einen frohen Lebensabend, Ihr N.M.

Auch Herrn Pest A. Lozzi in Herrliberg habe ich veranlasst, einen Brief zu schreiben. Den schickte er allerdings nicht mir, sondern der «Zürichsee-Zeitung», und dort las ihn mein Cousin, der Kantonsrat G., und hat ihn mir geschickt. Dergestalt hat man wieder einmal Kontakt mit der Verwandtschaft! Lozzi, auch so ein Energiebündel wie Engelmann, soll identisch sein mit dem Hersteller des Kraftfutters BIOSTRATH, wovon er offensichtlich ein Kilo verschlungen hat, bevor er schrieb:

Ärgerliche Tagesschau. – In den Abendnachrichten vom Mittwoch, 19.30 Uhr, brachte das Schweizer Fernsehen zum Abschluss des kurzen Manöverberichts eine einmalig schlechte Einlage, die vom Kamerateam wahrscheinlich als Gag gedacht war. Auf die gezielte Frage des Journalisten an den im Feld anwesenden Schriftsteller Niklaus Meienberg, weshalb er hier sei, meinte dieser, «er wolle noch einmal die Schweizer Armee sehen, bevor sie abgeschafft würde …». Eine Ohrfeige ins Gesicht all jener, die zur Zeit gern oder ungern und unter meist widrigen Umständen für unser Land ihre Bürgerpflicht erfüllen. Allen Wehrmännern sei hierfür gedankt. F. Pestalozzi, Herrliberg.

Da ist er aber falsch orientiert, ganz falsch. Die Wehrmänner, welche damals in der Kaserne Kloten ihr Abendessen verzehrten, während die Tagesschau lief, haben sehr laut applaudiert und Freude gehabt, als sie jene Äusserung hörten. Das war eine richtige Freuden-Explosion, die konnten fast nicht mehr essen vor Freude. Allen Wehrmännern sei hierfür gedankt! Ich hab' ja auch nur meine Bürgerpflicht erfüllt und gern darauf hingewiesen, dass nun bald die Initiative zur Abschaffung der Armee vor das Volk komme und eben deshalb diese Maschine noch einmal besichtigt werden müsse. Diesen Zusammenhang hat der Kraftfutter-Fabrikant P. offensichtlich nicht ganz begriffen.

Bisschen aufpassen das nächste Mal, Herr Biostrath!

Lieber Niklaus. Du kennst mich bestimmt nicht, aber das ist das Schicksal aller Schriftsteller. Ich schreibe Dir eigentlich aus zwei Gründen:

Als Leser hast Du mich schon so oft unterhalten und vergnügt oder auch nachdenklich gemacht, dass es an der Zeit ist, Dir das einmal dankend mitzuteilen, (…), und habe ich beschlossen, Dir dafür ein Exemplar meiner Diss zu widmen. Sie ist zwar im Gegensatz zu Deinen Produkten fast unlesbar und sie macht mit ihrem nackten Rücken auf jedem Büchergestell den denkbar schlechtesten Eindruck. Notfalls kann man sie aber immer noch als Notizbuch benutzen, halt von hinten nach vorne, umgekehrt in den Händen haltend. Ich hoffe, Du entschuldigst mein ungebetenes Eindringen in Deinen Briefkasten und bleibst weiterhin so tätig wie bisher! Alles Gute und freundliche Grüsse, Martin J.

Nun, das ist keine einfache Lektüre, aber lohnend; man kann Chinesisch lernen: «Trapping der Cu-Be-Folien. Die Qualität der BeO-Oberflächen wurde durch Testbeschüsse mit 'He von 75 eV Energie und anschliessender massenspektrometrischer Mengenbestimmung überprüft. Die Beschussdaten und die Betriebsdaten des Massenspektrometers sind in Tabelle 2 angegeben. Als Extraktionsprogramm wurde das normale Einstufen-ExtraktionsprogrammIGE EX 1 bzw. IGE EX 2 mit einer Extraktionstemperatur von ca. 1650° C verwendet.» (Seite 9, 1.1.2). Da habe ich aber nun doch meine Bedenken wegen der Beschussdaten und möchte bezweifeln, dass hier das normale Einstufen-Extraktionsprogramm zu befriedigenden Resultaten führt, ich jedenfalls hätte da andersherum getrappt und auch die Temperatur um fünf Grad auf 1655° C erhöht, auch hätte ich das Schmelzing und Glühing der Cu-Be-Folien ganz ohne Testbeschüsse durchgeführt.

Aber trotzdem ist diese INAUGURALDISSERTATION der philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern zur Erlangung der Doktorwürde, vorgelegt von Martin J. von Dürrenroth/BE, ENTWICKLUNG VON METHODEN ZUR ANALYSE DER FOLIEN DER «INTERSTALLAR GAS EXPERIMENT», ist sie von der philosophischen-naturwissenschaftlichen Fakultät auf Antrag von Herrn Prof. Dr. J. Geiss angenommen worden, Bern, den 20. November 1986. Der Dekan: Prof. Dr. A. Ludi.

Ob Ludi & Geiss da nicht ein bisschen voreilig, beinahe fahrlässig gehandelt haben? Aber in Bern ist ja nichts mehr wie früher, da wird sogar ein linker Hetzbruder wie Linder, der Politologe, welcher eigentlich auch schon lange hätte sein Schweizerbillet abgeben müssen, zum Professor ernannt.

Als Briefkopf figuriert auf dem Schreiben von Martin J. ein bläulicher Pierrot lunaire, also ein Clown, der auf dem Halbmond sitzt, um dort vermutlich das INTERSTELLAR GAS EXMPERIMENT zu beobachten.

Aus Bern kommt gleich darauf noch andere Post, direkt aus dem Ancien régime. Das ist hektographiert und also nicht persönlich gemeint, aber es ist trotzdem gut gemeint. Da steht ja auch ein Mensch dahinter, nämlich J.L. Steinacher von der «Schweizerischen Fernseh- und Radio-Vereinigung» (sog. Hofer-Club). Im Bulletin Nr. 23/86 steht u.a. geschrieben:

Faschistoides bei Radio DRS. – Niederreissen und Verächtlichmachen des Parlamentarismus und seiner Formen – das war eine konstante, wesentliche Komponente faschistischer und national-sozialistischer Massenagitation. Mit dem Parlamentarismus habe die Demokratie eine «Spottgeburt aus Dreck und Feuer» geschaffen, schrieb Hitler schon 1924 in «Mein Kampf». (…) Den Parlamenten und ihren Handlungen gilt aber der grenzenlose Hass aller Demagogen, weil sie die direkte Umsetzung hoch geschürter Emotionen hindern. Daran (…) musste man am 10. Dezember ausgerechnet vom Jugendprogramm DRS3 erinnert werden. Es war der Tag der Bundesratswahl, und DRS3 hatte den linken Schriftsteller Niklaus Meienberg beauftragt, im Parlamentsgebäude Eindrücke zu sammeln und sie nachmittags im «Graffiti» wiederzugeben. Das Hämischste und Gehässigste war zu erwarten, und so kam es dann auch. «Eine graue und eine grauenhafte Maus» seien gewählt worden, zitierte Meienberg einen angeblichen Gesprächspartner, und das muss jedenfalls auch seine Meinung gewesen sein. (…) Es geht in Richtung des linken Faschismus.

Faschistoid, Faschismus – die Linken verwenden die Etiketten heute nicht mehr so pauschal, wenn sie die Rechten beschimpfen wollen. Mit solchen Zaunpfählen schlagen heute die Rechten um sich, wenn ihnen etwas nicht passt. Sehr intelligent: linker Faschismus (= trockenes Wasser). Herr Steinacher würde zwar auch gerne schreiben, man solle uns den Kopf umdrehen, aber er ringt mit dem Ausdruck und sagt's verschlüsselt.

Vielleicht ist Frau P. in Lenzburg eine Abonnentin des Bulletins des Hofer-Clubs? Muss aber nicht sein.

Ab ins Ausland, wie gewünscht. Nach Weihnachten ein Anruf von Rose-Marie und Pat-Trick, den beiden Schlemmern, die nach Venedig gereist sind: «Hier ist die Stadt ganz von Wasseradern durchzogen und von guten Restaurants, wollt Ihr nicht auch ko…» Dann bricht die Verbindung ab, und wir kommen. Aber können wir Thomas Wagner so allein und ohne Aufsicht in Zürich zurücklassen? Der macht in der Zwischenzeit sicher wieder einen Patzer. Bei der Verleihung des Grossen Literaturpreises an Federspiel hat er zum Beispiel gesagt, in Federspiels Schaffen sei «kaum Zürcherisches zu finden, Zürich sei vielleicht zu klein oder zu schwach ausgebildet, um als Sujet Federspiel zu genügen», und er kennt also offensichtlich Jürgs ausgedehnte, starke Reportage, in welcher die Biographien von Fritz Zorn, dem Sprayer und dem Telefonzentralen-Sprengfachmann Hürlimann miteinander verschränkt sind, nicht; und trotzdem hat er die Frechheit, Federspiel zu gratulieren. Er kennt übrigens auch die typhoide Mary nicht und hat überhaupt, wie sich im Gespräch mit ihm herausstellt, noch nie etwas von Federspiel gelesen. Macht aber nichts, er gratuliert trotzdem. Er muss ja pro Woche mindestens sechsmal gratulieren: dem Gärtnermeister-Verband, den kantonalen Fischzüchtern, dem Dachverband einheimischer Organisten, der Libellen-Gewerkschaft und den Hündelern (kynologischer Verein). Warum also nicht auch Federspiel? Die Zeremonie der Preisverleihung war denn auch entsprechend festlich und ungemein läbtig. Zuerst spricht der Sargschreiner (Wagner), dann der Friedhofsgärtner (Egon Wilhelmini), dann der Krematoriumsbeamte (Anton Krätzli).

Ja, das passt ins Schauspielhaus, so gut wie ein Stück von Engelmann. Es passt aber nicht zu Federspiel. Und soll man also wirklich dieser Plüsch- und Schnapsbourgeoisie unsern Schriftsteller ganz überlassen? Er hat das nicht verdient. Also muss der Auferstehungsbeamte noch eine improvisierte, auf dem Programm nicht vorgesehene Rede halten. Auch dem Unseld kann man ihn nicht ausliefern. Unseld hat die Stirn, aus Anlass der Preisverleihung ein Suhrkamp-Federspiel-Inserat erscheinen zu lassen, in welchem eine zwanzig Jahre alte Rezension zitiert wird: «… man mag sich getrost dem neuen Buch des begabten Schweizer Schriftstellers Jürg Federspiel anvertrauen.» Begabt! Das hat ihn gefreut, dass er jetzt endlich als begabt gehandelt wird. Hätte man nicht etwas Neueres bringen können, z.B. Robert Wilson aus «USA Today», welcher geschrieben hat: «An existential Dickens: Thats J.F. Federspiel», oder «Our disquiet mounts imperceptibly; something is winching us higher and higher. This is a chilly work, but it is a chill we catch.» War wohl zu teuer, neue Rezensionen zu sammeln.

Der alte Unseld ist nicht da, der Anlass war ihm vielleicht zu wenig wichtig, also ist der junge gekommen, welcher die Firma aber auch ganz vorteilhaft vertritt. Der ist hübsch und tipptopp gedresst und wird den Laden bald einmal erben, so wie der Sohn von Kim il Sung dereinst Nordkorea erben wird. Zu Federspiel hat er eine Beziehung wie die Katzen zum Schwimmen. Frau Denise, Wagners Gemahlin, ist auch gekommen und geht furibund auf mich los, auch sie hat noch kein Wort von Federspiel gelesen, scheint mit meiner Stegreif-Rede nicht zufrieden gewesen zu sein und sagt, sie hoffe, dass ich jetzt nicht auch noch ins Muraltengut zum Essen komme, nachdem ich mich im Schauspielhaus so schlecht aufgeführt habe, aber ich komme doch, Denise, Jürg hat mich nämlich eingeladen. Und Wagner sagt, mit einem Cocktailglas in der Hand: «Sie, was Sie im Schauspielhaus gemacht haben, ist eine Frage des Karakters, für mich sind Sie eine non-valeur», worauf man wohl auch auf französisch etwas erwidern darf: der Ausdruck «nullité» ist angebracht, und damit wird Thomas Wagner bezeichnet.

Worauf sich das Cocktailglas entfernt. Das Muraltengut ist übrigens ein schöner Rahmen für solche Feiern, und nachdem Wagners dann um Mitternacht verschwunden waren, uf widerseh, ich mues zu mine Chinde, sagte Denise, schien es uns zu gehören. Am Boden im ersten Stock liegt ein Teppich, den der Monarch Haile Selassie der Stadt Zürich geschenkt hat. Man kann dort die Monarchie mit Füssen treten, und Zigarren gab es auch und viele Schnäpse. Fedi blühte auf.

Lieber Nikl. Meienberg. Oft schreibe ich Briefe an Menschen, die es gar nicht gibt, oder die es nicht mehr gibt, die es vielleicht eines Tages gibt, die es gerade jetzt gibt. Es ist gleich, ob die Briefe gelesen werden. Meistens habe ich keinen Grund zum Schreiben. Denn schliesslich bin ich fast bildungsunfähig. Ich schreibe, weil mich Namen berühren. Rosa Luxemburg, Onkel Tom, Naomi Uemura, Frau Holle, Johann Sebastian Bach, Niklaus Meienberg. Manchmal denke ich, dass diese Silbengruppe, die einen Vor- und Nachnamen ergeben, einem ein viel präziseres Gefühl über einen Menschen geben als all die Daten, die man unter demselben Namen auflisten kann. Ich frage mich, ob dem Niklaus Meienberg seine Freundin wohl Marie Juniwald* * Nein, sondern Kreszenz Lautenschlager.heisst. In Rom habe ich einen gefährlichen, ganz jungen Menschen kennengelernt, durchgefüttert – und so, der hiess Sirius Freud. Er war von der deutschen Polizei gesucht. Er war voll von Rachegelüsten und von bösen Plänen. Aber tief innen, da war er eine Feldlerche und ein Kaninchen und ein Glühwürmchen.

Das kam aus dem Freiamt, war aber nicht von Silvio Blatter, Erika Burkhart oder Toni Halter, und C., die Verfasserin, arbeitet im ehemaligen Kloster Muri als Psychiatriepflegerin und erzählt, wie es den internierten alten Bauernknechtlein dort ergeht.

Habe Holz geholt fürs Feuer. Es ist Mittag. Die Fliegen sterben jetzt. Da ist eine. Ich weiss nicht, wie es kommt, dass sie wie viele andere jetzt auf den Rücken zu liegen kommt. Verzweifelte fliegenleichte Fliegenenergie. Das tut und macht. Eins, zwei Minuten. Fliegenende.

Sehr geehrter Herr Faschist. Herr non-valeur. Lieber Johann Sebastian Bach. Tschau Niklaus. Was ich von Ihnen zu Augen bekomme, lese ich. Liebe Frau Holle. Sehr geehrter Herr Hetzbruder. Endlich erlaube ich mir den Versuch zu wagen, Sie mit einem aufrichtigen Verehrerbrief zu erreichen. Sehr geehrter Herr Kaputtmacher und Herunterreisser. Niklaus, wenn Du einmal in der Gegend bist, kannst gern hereinschauen und da sein. Ich wünsche Dir festliche Tage, Deine C. Es geht in Richtung des linken Faschismus. An Gehirnwäsche für junge Hörer wurde ganze Arbeit geleistet. Lieber Onkel Tom von der Eisfeldstrasse. Si sind dä truurigschti Lumpesiäch (Telefon) – und damit ist wohl immer derselbe gemeint, und das bin anscheinend ich.

Aber nicht sicher.

Einmal war auch wieder ein Paket in der Post, aber kein Föteler, sondern eine Honigbüchse, sauber verpackt, Poststempel Länggasse, Bern. Zackige Schrift, offensichtlich angestrengt-verstellt. Obenauf lag ein Zettel, dieselbe Schrift: «Hier weiterer Rohstoff zum Nestverschmutzen.» Der Inhalt, wie sich sofort zeigte, stank dann stark. Da war einer nicht über die anale Phase herausgekommen und liebte mich auf seine Weise. Wenn man sich die Verumständungen vorstellt, bitte sehr, Büchse suchen, sauber in dieses doch recht kleine Rezeptakel hineinkacken, Büchslein geruchsfrei verschliessen, verpacken, auf die Post tragen – vermutlich ein Lehrer, sagt Bichsel, der auch schon solches empfangen hatte, das sei eine typische Lehrer-Schrift.

Aber nicht sicher.

Kürzlich kam ein Brief aus dem 18. Jahrhundert, Poststempel Muri, und stammte von einem Verwandten, der dort im Kloster gewohnt hat, als es noch nicht Irrenanstalt war. Monachus Muriensis. Ein Freund, von Beruf Historiker und Aktengrübler, hatte in Sarnen, wo sich ein Teil der ehemaligen Murienser Klosterbibliothek befindet, ein Büchlein aufgestöbert, einen sogenannten «Geistlichen Blumengarten», lat. Areola sacra, und mir eine Fotokopie der Titelseite geschickt. Verfasser oder «Collector», also Sammler, dieser geistlichen Blumen, ist ein gewisser P.F. (Pater Frater) Bonifacius Meienberg, Ord. S. Bendicti, also ein Benediktiner. Alle Achtung! Und wer hätte nicht gern, als Schriftsteller, einen Schriftsteller im Stammbaum. Man fühlt sich dann sicherer in diesem Land, man kann auf einen Präzedenzfall verweisen.

Das Büchlein wird man aufstöbern und genauestens lesen müssen. Vielleicht sind die Gedichte, unter einem scheinheiligen Titelblatt, das die wahre Absicht kaschiert, erotischer oder sadomasochistischer oder gar politisch-aufklärerischer Natur, sodass sich die Pupillen des naiven Lesers bei der Lektüre jählings erweitern müssten.

Wer macht eine Diss über Meienberg (Bonifaz)? Da liegt ein Thema, ein interstellarisches, begraben, und nach der «Analyse der Folien des Interstellar Gas Experiment» klemmt sich mein Freund Martin J. von Dürrenroth/BE vielleicht hinter das Geistliche Blumengärtchen und wird eine zweite Inauguraldissertation präsentieren, von der philosophisch-geisteswissenschaftlichen Fakultät der Univ. Zürich auf Antrag von Prof. Dr. Urs Herzog ermuntert.

Zakes Mofokeng bekommt auch Briefe, und einer davon wurde an mich weitergeleitet. Mofokeng, der politische Asylant, stammt aus Soweto und lebt gegenwärtig in der wüstenartigen Gegend hinter der Verbrennungsanlage Zürich, Nähe Leutschenbach. Fast schon eine township. Er ist Schriftsteller, vor allem Theaterautor, und Musiker, hat in der Basler Theaterwerkstatt mitgewirkt (Südafrika-Veranstaltungen), und kürzlich hat Radio DRS ein Hörspiel von ihm ausgestrahlt. Jetzt sucht er einen Job als Küchenbursche. Die letzte Telefonrechnung hat er nicht mehr zahlen können, also wurde sein Anschluss gesperrt. Das ist ungünstig, weil's dort draussen keine Telefonkabinen gibt. Die Februarmiete kann er gegenwärtig nicht aufbringen. In südafrikanisch-literarischen Kreisen ist er recht bekannt, hat dort, wie man so sagt, einen Namen. Nachdem er gefoltert worden ist und mit einer langjährigen Gefängnisstrafe rechnen musste, floh er (zuerst nach Deutschland), Frau und Kinder blieben in Südafrika zurück. Nach der Ausstrahlung seines Hörspiels durch Radio DRS bekam er einen Brief:

Mister, I did not understand your name yesterday evening at the radio, never mind, its not important. But I will try to help you a bit to understand Swiss people and help you to find your own way. I have heard your commentary and critics about Switzerland and your stay here. Then first I will ask you why did you quit Germany? And why did you quit your country, letting your children and wife … Your are not a good fighter nor father. You run only for your own life, never a good European father would do that (…).

Wer, als Schweizer, schon anonyme Briefe bekommen hat, der weiss, wie belämmernd das wirken kann. Wie fühlt sich einer, der hier im Exil lebt und solche Post von den Eingeborenen bekommt?

What we white people do not like is your noise, your music, its all sexy and loud, only tam-tam and noise. We do not like your smell of sweat and skin, its otherwise. With kind regards, a hard-working Swiss man.

Da hat er schon recht, der hart schaffende, aber nicht schwitzende Swiss man. Die Neger sind «otherwise», ein bisschen anders sind sie schon. Bisher wurde Zakes Mofokeng aber noch nicht der Sprung in die Verbrennungsanlage empfohlen.

Wer übrigens Zakes Mofokeng helfen möchte, seine Telefonrechnung und Miete zu begleichen, kann ihm, via WOZ, ein bisschen Geld schicken, d.h. soviel wie möglich.

Wieviel spenden Sie, Herr Stadtpräsident?

Reportagen 1+2

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