Читать книгу Die Fabrik der Zeitmaschinen - Nils Doescher - Страница 17

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Der alte Irvin hatte gerade das kurze Frühstück mit seiner Enkeltochter Sarah beendet, als es die junge Frau war, die von dem kleinen Küchentisch aufstand und zur Eile gebot.

>>Mach schon Grandpa!<<, sagte sie im liebevollen Ton, >>Du musst dich beeilen, sonst bist du wieder der Letzte und bekommst nur noch einen Stehplatz im Bus.<<

>>Ach, Kind!<<, gab dieser zur Antwort und schaute dabei betrübt auf das Glas vor ihm, in dem eine matschige Flüssigkeit darauf wartete ausgetrunken zu werden. Brotersatz in Pillenform, die sich in normalem Wasser zu Nahrungsmitteln auflöste. Das Essen der Arbeiter. Einfach und vor allem billig in der Herstellung.

>>Ich habe mein köstliches Frühstück noch nicht aufgegessen.<<, sagte Irvin und nippte erneut an dem Glas, dabei konnte er sich nur unschwer ein Lächeln abgewöhnen.

>>Du scheinst ja auf deine alten Tage tatsächlich noch Sarkasmus zu entwickeln, Grandpa.<<, spottete Sarah zurück und begann einfach damit ihren Großvater zu ignorieren. Sie durchschritt den kleinen Wohnraum ihrer Hütte und begann, hinter einem Vorhang, in ihre Arbeitskluft zu schlüpfen. Irvin schaute dabei liebevoll, auf großväterliche Weise zu, wie Sarah ihren kleinen und zierlichen Körper mit der schmutzigen Arbeitskleidung verschandelte. Sarah war schon immer ein, auf ihre eigene Art hübsches Mädchen gewesen, auch wenn die meisten Menschen sie vom ersten Blick her für einen jungen Mann hielten. Das kam sicherlich daher, dass man sie ein Leben lang nur in der alten Kleidung der Arbeiter sah, meistens handelte es sich dabei um die schmutzigen, schwarzen Overalls der Fabrik. Aber auch ihre eher flachen Brüste sorgten dafür, dass man sie nicht unbedingt auf dem ersten Blick als Frau erkennen konnte. Wäre nicht ihr lockiges, rotes Haar gewesen, welches sie sich erst seit Kurzem so lang wachsen ließ, dann wäre sie wahrscheinlich wirklich als Mann durchgegangen. Man hätte in Sarahs rotem Haar, in ihren grünen Augen und der hellen Haut, die fast so weiß wie Milch war, ohne Zweifel eine typische Irin erkennen können, wie es sie in längst vergangenen Tagen hier genug gab. Nur wusste niemand mehr etwas mit den Begriffen >>Irland>> und >>Iren<< anzufangen.

Irvin war sich einfach nur bewusst, dass seine Enkeltochter eine sehr hübsche und zugleich auch intelligente junge Frau war, die sich schon längst einen Mann hätte suchen können. Vielleicht sogar einen Mann aus der oberen Abteilung. Der Abteilung für Forschung.

Der alte Mann hatte schon oft in seinem langen Leben davon gehört, das sich solche Männer gerne Frauen aus den Arbeiterkomplexen holten, um sie zu heiraten und später ein oder sogar zwei Kinder mit ihnen zu zeugen. Vorausgesetzt, dass man von der obersten Führung die Erlaubnis zur Schwängerung bekam, was unumgänglich auf den Fabrikinseln war. Dies geschah bei Angestellten der Forschungsabteilung sehr oft. Und würde Sarah dieses Glück haben, könnte sie sogar für den Rest ihres Lebens, hier auf der Erde bleiben. Ein besseres Los konnte sich eine Frau eigentlich gar nicht wünschen.

Sarah verschloss gerade ihren Overall als sie die Blicke ihres Großvaters auf der anderen Seite des Vorhangs bemerkte. Und sie wusste sofort was dieser Blick zu bedeuten hatte.

>>Grandpa!<<, sprach sie empört, >>Fang bitte nicht schon wieder mit diesem Thema an!<<

>>Es wäre vielleicht besser für dich, wenn du mal mit einigen Männern ausgehen würdest, Liebes.<<

>>Ach, gleich mit einigen! Was denkst du dir denn?<<

>>Sarah, du weißt genau wie ich es meine.<<

>>Ja, Grandpa, das weiß ich sehr wohl.<<

Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

>>Ich weiß doch, dass du nur mein Bestes willst.<<, sagte sie so leise, dass nur sie beide es hören konnten. Ganz so als ob sich noch andere Menschen in der Hütte aufgehalten hätten, für die jene Worte nicht bestimmt gewesen wären.

Sarah wusste natürlich, was ihren alten Großvater am meisten bedrückte. Die Zeit die unweigerlich kommen würde. Die Zeit wenn er nicht mehr für sie da sein konnte.

>>Ich gehe schon einmal nach draußen!<<, fügte sie hinzu, gab Irvin noch einen zweiten Kuss und verließ dann die Hütte. Der alte Mann schlürfte weiter an seinem Frühstück aus dem Glas. Der gesunden Nahrung aus der Pille, die dafür sorgte, dass die Menschen in dieser Zeit lange und gesund lebten. Und vor allem lange für die Fabrik arbeiten konnten.

Nun war es Sarah die draußen vor der Hütte stand, nur das sie nicht den fernen Wellen lauschte. Dafür war es jetzt sowieso zu spät. Überall machten sich die Menschen auf den Weg zur Arbeit. Vor den Hütten der Nachbarn tummelten sich die Männer und Frauen schon zu Dutzenden herum, um auf den Schnellbus zu warten, der sie daraufhin zu den Unterdruckzügen bringen würde. Einige dieser Nachbarn grüßten Sarah aus der Ferne und die junge Frau erwiderte diese Grüße, auf die für sie typische, freundliche Art und Weise. Sie hob einfach einmal kurz ihren Arm und nickte dabei mit ihrem Kopf. Ihr war in diesem Moment nicht so richtig nach Freundlichkeiten zumute. Sarah hätte am liebsten laut los heulen können. Ihr Grandpa machte ihr in letzter Zeit immer mehr Sorgen, denn sie wusste, dass der alte Mann an der Tatsache zerbrechen würde, wenn er sie ganz allein auf dieser Welt zurücklassen müsste. Aber was sollte sie denn tun? Sollte sie sich wirklich an einen Mann aus einer oberen Abteilung ranmachen?

An irgend so einem Wissenschaftsidioten womöglich? An einen Menschen, den sie überhaupt nicht lieben würde und von dem sie dann auch noch Kinder in die Welt setzen sollte. In diese Welt? Allein der Gedanke daran, dass solch ein Kerl mit ihr Sex haben würde, war ihr zutiefst zuwider. Natürlich könnte es für sie wirklich eine wesentliche Lebensverbesserung bedeuten, aber Grandpa würde es absolut gar nichts nützen. Wenn seine Zeit gekommen war, musste er die Erde verlassen, und zwar für immer. All diese Gedanken schwirrten Sarah in diesem Augenblick durch ihren hübschen Kopf mit den markant männlichen Zügen. Was sollte sie bloß tun?

Wenn Dad doch noch am Leben wäre!, dachte sie nun plötzlich.

Ein Gedanke, der der jungen Frau in schlechten Zeiten immer Trost gespendet hatte. Und die Zeiten waren schlecht, hier und heute im Sommer des Jahres 10759.

Als ihr Dad noch am Leben war, war das Leben für Sarah noch besser gewesen, obwohl ihr Vater eigentlich niemals eine große Hilfe war. Clancy, so hieß er, dass wusste sie noch genau. Und der Tag an dem Clancy starb, würde sie niemals vergessen können. Die junge Frau schweifte in ihre Vergangenheit ab:

Sarahs Vater hatte, wie so viele andere Arbeiter in den Wohnkomplexen auch, ein Problem mit dem Alkohol. Auch wenn es verboten war sich mit selbstgebrannten Spirituosen zu betrinken, gab es natürlich immer wieder Menschen, die aus den unmöglichsten Zutaten Flüssigkeiten herstellten, welche die Sinne benebeln konnten. Für die Arbeiter gab es nur das herkömmliche schwarze Bier, das auf dieser Insel gebraut wurde, und nur dieses durften sie auch trinken. Die Wirkung allerdings genügte vielen nicht und somit griffen sie zu härteren Mitteln. Einer dieser Menschen war Sarahs Vater Clancy. Er war ein wunderbarer Mensch, der seine Tochter abgöttisch liebte, vor allem in jenen schweren Tagen als die Mutter bei einem Unfall ums Leben kam. Zu jener Zeit war Sarah gerade einmal drei Jahre alt und der Vater und wiederum sein Vater wurden die wichtigsten Personen in ihrem Leben. Auch wenn sie hier im Wohnkomplex B. für Burren in erbärmlichen Umständen aufwuchsen, war das kleine Mädchen zu jener Zeit noch sehr glücklich.

Nur eine alte Nachbarsfrau kümmerte sich um das kleine Mädchen während die anderen auf der Hauptinsel arbeiten waren. Bei einigen Frauen machte man solche Ausnahmen, sie durften bis zum Lebensende auf der Erde bleiben, um dann auf die Kleinkinder der Arbeiter auf zu passen. Natürlich waren es viel zu wenig Frauen, denen man dieses Recht einräumte, vor allem da sie nicht mehr für ihre Arbeit bezahlt wurden. Somit musste sich oftmals eine einzige von ihnen um einen ganzen Komplex kümmern. Aber die Frau, die damals die kleine Sarah betreute, war wirklich einmalig. Sie wurde mit der Arbeit, die ihr der Komplex verschaffte ohne Probleme fertig. Sie war eine wundervolle Person und die Welt des kleinen Kindes schien doch tatsächlich in bester Ordnung zu sein.

Allerdings kam die Zeit, in der ihr Vater nicht mehr mit seinem Leben fertig wurde und sein Vater wiederum, der alte Irvin, wurde nicht mehr mit seinem Sohn fertig. Immer wieder versuchte er vergebens auf seinen Jungen einzureden. Er solle verdammt noch einmal nicht einfach so aufgeben sagte er ihm, irgendwann würden die Zeiten auch mal wieder besser werden. Natürlich gab es keinen Menschen auf der Welt, der wirklich daran glaubte, bis auf die unschuldigen Kinder, die sich die schönsten Hoffnungen für die Zukunft machten.

Die Zeitmaschinen wurden nun schon fünftausend Jahre lang hier auf der Erde produziert und in alle Winkel der Galaxis verkauft. Ein unglaublich lukratives Geschäft für alle Zeiten, wie es schien. Niemals würden sich die Zeiten ändern und das Leben dieser einfachen und armen Menschen dadurch besser werden. Bis in ein gewisses Alter glauben die Menschen nun einmal noch an Wunder. Allerdings nur so lange, bis der Tag kommt, an dem ihnen bewusst wird, dass dieses Wunder niemals eintreten wird. Bis ihnen bewusst wird, dass sie bis ins hohe Alter für die Fabrik arbeiten, um dann irgendwohin abgeschoben werden. Abgeschoben zum Sterben, wenn sie nicht vielleicht vorher das Glück haben und auf der guten alten Erde starben. Denn dann wurden ihre Leichen verbrannt und in das schmutzige und tote Wasser des Ozeans gestreut.

Die einzige Möglichkeit mit der guten, alten Erde eins zu werden.

Einige Menschen wurden einfach damit fertig und lebten ihr Leben so gut es ging weiter, andere wiederum schafften es nicht und zerstörten sich und ihren Körper. Einer dieser Menschen war Clancy, der Vater, der kleinen Sarah.

Am Ende, so hieß es, soll er sogar schon den Reinigungsalkohol aus Verbandspackungen getrunken haben. Viele Menschen, die Clancy noch kannten, erzählten es zumindest so, dass sie ihn oft genug dabei gesehen hatten. Eine traurige Geschichte für einen traurigen Mann und seiner noch viel traurigeren Familie. Clancy war kein Einzelfall. Viele Arbeiter starben durch Alkoholeinfluss oder durch Selbstmord, der in den meisten Fällen folgte.

An einem kalten und nebligen Morgen durchschritt Clancy den Absperrzaun am Rande des Komplexes, an dem die kleine Familie lebte und gelangte auf die andere Seite. In der Hauptzentrale wurde sofort Alarm ausgelöst und nur wenige Minuten später erschienen zwei Shuttles am Himmel, die die Jagd auf den angeblich flüchtigen Arbeiter sofort eröffneten, wobei Clancy in diesem Moment garantiert nicht an eine Flucht dachte. Zu fliehen, dass ist noch niemals einem Arbeiter gelungen. Wo sollte er denn auch schon hin? Durch den unendlich weiten Ozean schwimmen? Allein der Gedanke war töricht.

Und an diesem tragischen Morgen, als Clancy durch den Zaun schritt, da war er schneller als die Leute von der Sicherheitsabteilung, die in ihren Shuttles über ihm kreisten. Er schaffte die wenigen Hundert Meter bis zu den Klippen, bevor die schwer bewaffneten Männer und Frauen aus den Fluggeräten springen konnten, um den Flüchtigen festzunehmen, der ja auch noch die Frechheit besaß, einen elektronisch gesicherten Zaun der Firma zu beschädigen. Man legte bereits die Feuerwaffen an und befahl ihm, sich flach auf den Boden zu legen, als Clancy sich nur einen Schritt weit vom Abgrund befand.

Und er ging diesen letzten Schritt.

Zweihundert Meter stürzte er in die Tiefe und prallte auf das Wasser des atlantischen Ozeans, dass so hart wie Beton gewesen sein muss.

Nach kurzen Anfragen in der Hauptzentrale beschlossen die Leute von der Sicherheitsabteilung, den Leichnam des armen Clancys nicht einmal zu bergen und die kleine Sarah sah ihren Vater niemals wieder.

Von diesem Tage an lebte sie nur noch mit ihrem Grandpa, hier im Wohnkomplex B. für Burren. Im selben Haus aus Aluminium in dem die kleine Familie auch schon damals lebte. Genau neben dem Zaun, den einst ihr Vater durchschritt um sich danach von den Klippen in den Freitod zu stürzen.

Dies waren Sarahs Gedanken, aus denen sie nun gerissen wurde durch den zweiten Signalton der Sirenen. Jetzt mussten die Arbeiter den Schnellbus besteigen, der sie zu den jeweiligen Stationen der Unterdruckzüge brachte. Und diese schnellen Züge würden dann die Menschen binnen weniger Minuten zur Arbeit auf die Hauptinsel verfrachten.

Damit das System auch weiterhin tadellos funktionierte.

Die Fabrik der Zeitmaschinen

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