Читать книгу Muttermilch - Nora Ikstena - Страница 18

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Serafima veränderte sich vor unseren Augen. Mindestens jeden zweiten Tag kam sie ins Institut und brachte uns selbstgekochte und gebackene Köstlichkeiten. Sie behauptete, Frieden und Erleuchtung hätten ihren Mann überkommen. Er würde kaum noch trinken, sei aufmerksam und höflich und bemühe sich um sie. Schließlich trage sie sein Kind unter dem Herzen. Wir passten großartig zusammen: diese forschenden Ärztinnen, borstige Blaustrümpfe, die sich nur für ihre Reagenzgläser interessierten, für die Rätsel der Zellen unter ihren Mikroskopen, für Kaffee, Zigaretten, Koffein und Spiritus; die Ehe und Kindererziehung den Rücken kehrten und sich der Wissenschaft hingaben anstatt ihren Männern, und Serafima – Milch und Blut, die treue Ehefrau, die blühende Madonna, die lebende Praxis all unserer Theorien.

Serafima hing an mir, wie man an Lehrern oder Heiligen hängt. Manchmal konnte ich ihren Blick nicht aushalten, in dem sich kindliche Naivität, Staunen und hündisches Vertrauen mischten. Oft, wenn niemand zusah, versuchte sie mich heimlich zu streicheln oder ein Kreuz über mir zu schlagen. Auch das ging mir auf die Nerven, aber ich versuchte es nicht zu zeigen, um sie nicht zu verletzen.

Eines Nachmittags tranken wir Tee im Institut und ich erzählte Serafima, dass ich eine Tochter habe. Und dass ich nicht nur keine gute Mutter bin, sondern überhaupt nicht fühle, dass ich Mutter bin. Serafima schaute mich mit schreckgeweiteten Augen an und sagte, ich solle nicht weiterreden. Aber ich redete weiter, denn ich wollte diese Nabelschnur der Bewunderung durchschneiden. Ich erzählte Serafima, dass ich nicht an Gott glaube, und wenn es ihn doch geben sollte, so sei ich durch ein großes Missverständnis seinerseits Mutter geworden. Ich erzählte ihr, dass ich meine Tochter nicht stillen wollte, damit sie nicht gleichzeitig mit der Muttermilch meinen Alb einsaugte. „Alb?“ fragte Serafima überrascht. Ja, Serafima, ein Alb oder ein Teufel, wie das in deiner Sprache heißen würde. „Aber es ist kein Teufel in dir, du bist heilig,“ rief Serafima, und das kam so tief aus ihrer Seele, dass es mir die Sprache verschlug.

Sie nahm meine Hand, legte sie auf ihren schwellenden Bauch und sagte: „Das hast du mir geschenkt.“ Sie sah mich mit erleuchteten, funkelnden Augen an, und für einen Moment schien mir, ich fühlte es. Das Mutterglück, das diesen leeren, unwirtlichen Flur mit einem sanften Licht erfüllte, das diesem sinnlosen Zeitalter, in dem es uns bestimmt war geboren zu werden und zu leben, Sinn verlieh, das in die Ewigkeit hineinragte, von der wir nichts wussten, nur spürten, mit einer leichten Berührung wie im Märchen, die einen Alb in einen Rosenstrauch verwandelte und den Teufel in eine glückbringende Natter.

An dem Abend blieb ich länger im Institut. Das Gespräch mit Serafima hatte in mir eine lange nicht verspürte Sehnsucht nach meiner Tochter geweckt. Ich hätte gerne ihre langen, widerspenstigen Haare gekämmt, sie zu ordentlichen Zöpfen geflochten. Kämmen und flechten, kämmen und flechten. Vor meinen Augen erschien das Zimmer, in der sie alle drei den Abend verbrachten: Tochter, Mutter und Stiefvater. Ein Hafen der Ruhe, ein Nest. Der Stiefvater las sicher einen historischen Roman über die Schlacht bei Stalingrad, Mutter strickte oder nähte etwas, und meine Tochter machte gewissenhaft Hausaufgaben in Mathematik oder Schönschreiben. Im Fernsehen war das Panorama zu Ende gegangen und Nora und Viktors sangen „Zur Laternenstunde“. Zur Laternenstunde verließ ich das Institut. Ich musste über die Newa, bevor die Brücken hoch gingen.

Larisa Nikolajewna war an mein spätes Heimkommen gewöhnt. In dieser Nacht wartete sie in der Küche auf mich. Sie war bleich, auf dem Tisch standen ein Glas Wasser und ihre Herztropfen. Was war geschehen? Serafima sei gekommen. Mit völlig zerschlagenem Gesicht. Sie habe hier gesessen und geweint. Ihr Mann sei über irgendeine Kleinigkeit in Rage geraten, hätte vermutlich zu viel getrunken. Ein Wort ergab das andere und er hatte losgeprügelt. Larisa Nikolajewna half Serafima, ihr Gesicht zu waschen, legte Kompressen auf, kochte einen Beruhigungstee. Dann war Serafima zurück in ihre Wohnung gegangen. Larisa Nikolajewna hatte vor Aufregung nicht einschlafen können.

Etwas geschah in mir. Ich nahm den Fleischhammer aus der Schublade und ging, ohne mir den Mantel auszuziehen, ins Treppenhaus, zu Serafimas Wohnung. Die Tür war angelehnt. Am Küchentisch saß Serafimas Mann und trank. Sie selbst war bestimmt irgendwo im Hinterzimmer im Halbdunkel eingeschlafen. Oh, die Frau Nachbarin, setz dich doch, sagte er. Wir tranken jeder ein Wasserglas voll Wodka. Gehen wir eine rauchen, sagte ich. Wir gingen ins Treppenhaus und steckten uns Zigaretten an. Mit dir trinkt es sich gut, sagte Serafimas Mann. Und dann zog ich den Fleischhammer und schlug dem Scheißkerl mehrmals ins Gesicht. Und er konnte sich in seiner Trunkenheit nicht wehren und schrie nur wie ein abgestochenes Schwein.

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