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Ferdinand Althoffs Ur-Kino

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Der 1871 geborene Althoff betrieb das Zirkusgeschäft wie andere Familienmitglieder. Früh entdeckte er für sich die Chancen des Films. 1903 gründete er seinen Kinozirkus, mit dem er fortan unterwegs war. Das 2 000 Besucher fassende Zirkuszelt war gleichzeitig ein Wanderkino, und am 23. Dezember 1905 erhielt er dafür vom Bezirks-Ausschuss Potsdam den Wandergewerbeschein (dieser im Bestand des Schriftgutarchivs der Stiftung Deutsche Kinemathek). 1908 war Althoff einer der ersten, die ein Filmvorführer-Zeugnis erhielten. Nur der Erste Weltkrieg brachte das Unternehmen über einige Jahre zum Erliegen, weil die Zirkuszelte und Dampfmaschinen für Kriegszwecke requiriert wurden. Danach konnte sich die Familie an den Neuanfang machen. Man konzentrierte sich auf das Kino. 1935 war Althoffs Ton-Film-Schau zuletzt in Deutschland unterwegs – mit einem Tross von sechs großen Wohn-, Transport- und Küchenwagen und drei Tonfilm-Autos sowie Traktoren, die die Wagen zogen. Danach beschloss Althoff, dem Publikum künftig den Zirkus vor 100 Jahren mit dem Ur-Kino nebst einer Apparate-Schau nahe zu bringen (FK Nr. 77 und 79 vom 1. und 3. April 1935). Seine nächste Station war das «Ur-Kino im Sechsmastzelt», das 700 Personen Platz bot. Damit machte Althoff Anfang August 1935 auf dem Fehrbelliner Platz in Berlin Station. Für die Film-Abteilung hatte er einen neuen alten Film-Erklärer gewonnen, den ehemaligen Wanderkino-Unternehmer Henry Becker (FK Nr. 179 vom 3. August 1935). Der Anteil alter Filme an dem kombinierten Programm war groß und sorgte für beste Stimmung unter den Zuschauern. Nach Wochenschau- und Kulturfilmen waren tragisch-dramatische Spielfilme wie DAS HUHN MIT DEN GOLDENEN EIERN und DIE SCHATTENSEITEN DES EHESTANDES zu sehen. In letzterem Streifen gerät der gehörnte Ehemann bei der Verfolgung seiner ungetreuen Ehefrau unter einen Fahrstuhl und wird zusammengequetscht. Schutzleute müssen ihn wieder auf seine normale Länge ausziehen. Dieser Gag wurde in Slapstickfilmen aufgegriffen, von Billy Bevan in ON PATROL (1922) und von Laurel und Hardy in LIBERTY (1929). Eine womöglich dramatische Variante war Ende 1964 in der ersten Staffel der ZDF-Serie OPAS KINO LEBT zu sehen. Dazu ließ Althoff die Zuschauer teilnehmen an einer filmischen Reise auf den Meeresgrund aus Pappmaché mit menschenköpfigen Seesternen, einer bösen Hexe, die arme kleine Kinder verwünschte, und einer guten Fee, die sie wieder erlöste (FK Nr. 181 vom 6. August 1935). Zu seinen Plänen gehörte auch die Produktion von Filmprogrammen über den frühen Film. Sein erstes Projekt war PERLEN VON DUNNEMALS. Es bestand aus zwölf Streifen und dem Begrüßungsfilm GUTEN ABEND IN PERLEN VON DUNNEMALS, zusammen 2 583 m Film. Dazu gehörten Ausschnitte aus Wochenschauen und Dokumentarfilmen in FERDINAND ALTHOFFS ZEITSCHAU IN PERLEN VON DUNNEMALS. Die Spielfilme des Programms waren zum Beispiel DIE SCHATTENSEITEN DES EHESTANDES, HUMORESKEN! HUMORESKEN! HUMORESKEN! und DER STUMPFE SÄBEL. Nach der teilweise jugendfreien, teils aber auch mit Jugendverbot versehenen Zulassung der FPS am 2. Dezember 1935 gastierte Althoff bereits Anfang 1936 mit PERLEN VON DUNNEMALS in mehreren deutschen Städten und nahm die Rolle des Film-Erklärers wieder selbst in die Hand (FK Nr. 2 vom 3. Januar 1936). Bis Juli 1936 legte er noch vier weitere Streifen vor, von denen die ersten beiden ein Jugendverbot der FPS erhielten: FLIMMERSTERNE IN PERLEN VON DUNNEMALS (491 m), LACHEN VON DUNNEMALS (489 m), DIE LETZTE GELEGENHEIT (556 m) und ALLEZ-HOPP (582 m). Von ALLEZ-HOPP stellte er im Winter 1936 noch eine zweite, kürzere Fassung (354 m) her. ALLEZ-HOPP und LACHEN VON DUNNEMALS, die auch als Schmalfilme im Umlauf waren, deckten Althoffs beide Unterhaltungssparten ab: den Stummfilm, wie er nach rund 30 Jahren komisch wirkte, und die Zirkus-Artistik. Die Kritik staunte über die alten Filmzeugnisse: «In der Tat setzen die großen Humsti-Bumsti-Späße dieser Ur-Filme eine große Portion Körperbeherrschung und persönlichen Wagemut voraus. Mit einigem Erstaunen stellt man fest, mit welcher Selbstverständlichkeit in diesen ersten Filmen tricktechnische Mittel, wie Zeitraffer und rückwärts vorgeführte Aufnahmen, verwendet wurden.» DIE LETZTE GELEGENHEIT wiederum brachte einen Querschnitt durch ein «Schmuggler-Drama, eine Eifersuchtskeilerei und den Ausstattungsfilm um den römischen Kaiser» NERO UND DIE KAISERIN OKTAVIA (FK Nr. 299 und 301 vom 22. und 24. Dezember 1936).


Zeichnung vom Frühjahr 1935: Ferdinand Althoffs Ton-Film-Schau

Den Reiz und die Bedeutung filmhistorischer Zeugnisse entdeckte auch die Gaufilmstelle Berlin für sich. Sie richtete am 22. August 1936 mit dem Kreis III der NSDAP eine große Freilicht-Tonfilmveranstaltung im Adolf-Hitler-Stadion in Berlin Lichterfelde (vor dem Dritten Reich und danach wieder: Stadion Lichterfelde) aus, in deren Pausen der Musikzug des KreisesIII spielte. Das Programm VOM KINTOPP ZUR FILMKUNST hatte die Parteiorganisation offenbar nicht der Zensur vorlegen müssen. Es wurde auf eine zehn mal zwölf Meter große, durch eine Gitterkonstruktion besonders verstärkte Leinwand projiziert. Dem Titel gemäß befasste sich der erste Teil des Programms mit der Frühzeit der Kinematographie. «Die Wiedergabe von Filmen aus dem Jahr 1895 und den folgenden Jahren lösten beim Publikum starke Heiterkeit aus, zumal sie durch eine witzige Ansage belebt wurden.» (FK Nr. 197 vom 24. August 1936). Weitere Veranstaltungen dieser Art mit Spielfilmen scheint es nicht gegeben zu haben. Das könnte bedeuten, dass die Parteiorganisationen der NSDAP wahrscheinlich nicht darauf bedacht gewesen sind, Jerven und Althoff Konkurrenz zu machen. Auf einem Filmabend der Kameradschaft Deutscher Künstler führte Frank Hensel, der Leiter des Reichsfilmarchivs, Dokumentarfilme im Rahmen einer Sondervorführung vor. Nach den Zusammenstellungen BILDDOKUMENTE 1914–1918 und FILM – DAMALS UND HEUTE wurde der Wunsch geäußert, auch einmal einen alten Spielfilm zu zeigen (FK Nr. 274 vom 25. November 1937). Die spätere Ausstellung «Vom Kintopp zum Filmtheater» zur Jahrestagung der Reichsfilmkammer in den Foyers und im Rittersaal der Berliner Krolloper war 1939 keine Fortsetzung des gleichnamigen Kinoprogramms VOM KINTOPP ZUR FILMKUNST. Die Ausstellung behandelte die Entwicklung der Filmwerbung von 1895 bis 1939 (FK Nr. 58 vom 9. März 1939).

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