Читать книгу Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte - Norbert Aping - Страница 32
Raritäten aus der Flimmerkiste leben weiter
ОглавлениеAls Dühlmeyer sich 1954 bei einer Aufführung von IM WEISSEN RÖSSL in der Rolle des Sigismund Sülzheimer das rechte Knie verletzte und es operiert werden musste, war dies das Ende seiner Bühnenkarriere. Er musste sich nach etwas anderem umsehen. In dieser Situation brachte Schwier ihn als Schauspieler mit komödiantischem Talent und Filmliebhaber auf die Idee, ebenfalls mit Stummfilmen und einem Pianisten in Kinos und Theatern als Film-Erklärer aufzutreten. Und damit begann eine neue Karriere, mit der Dühlmeyer die Präsenz des Kintopps neben Schwier und Elfers verstärkte und schließlich bis 1963 fortführte, als Schwiers TV-Serie ES DARF GELACHT WERDEN in die zweite Staffel ging. Damit gehört auch Dühlmeyer zu den Wegbereitern des endgültigen Formats von Schwiers Serie.
Mittlerweile war Friedrich Martin verstorben, und dessen Witwe Dorothee Martin in Frankfurt a. M. besaß die Filme für das Programm RARITÄTEN AUS DER FLIMMERKISTE im Format 16 mm. Zu ihr nahm Dühlmeyer Kontakt auf. Sie stellte ihm die Filme ihres verstorbenen Mannes zur Verfügung. Ab Jahresbeginn 1955 präsentierte nun Dühlmeyer das Programm (Angaben Dühlmeyers in Handzetteln und gegenüber der Hannoverschen Presse vom 24. August 1957). Sein Pianist während der ersten Vorstellungen war Hellmut Pape, Repetitor und dritter Kapellmeister am Hannoveraner Opernhaus. Bald aber schon löste ihn Hartwig Bernstorf ab, mit dem Dühlmeyer befreundet war. Dühlmeyer, Pape bzw. Bernstorf, Kinobetreiber und Billetteusen/Platzanweiserinnen trugen Kleidung sowie Haartracht aus der Großväterzeit. Die Akteure wurden in einem Ford-T-Modell 1906 «mit Comfort ungeheuren Ausmaßes» chauffiert, das es gerade noch auf 20 km/h brachte (Interview Christine Dühlmeyer und Dühlmeyers Geleitwort im Programmheft UND DAS IST AUCH GUT SO). Wie Jerven hatte Dühlmeyer als Film-Erklärer einen großen Zeigestock dabei und zog kabarettistisch-parodistisch alle Register seines schauspielerischen Könnens. Manchmal spielte er dazu auch eine Drehorgel. Das «kabarettistische Vergnügen» und die umfangreiche «Sonder-Monster-Schau mit schaurig-schönen Dramen» wie VOM BAUERNFÄNGER ZUM VATERMÖDER, SEELISCH GEHEMMT. ROMAN EINES ARZTES und ein Sittengemäldenamens DRAMA AN DER RIVIERA wurden mit Handzetteln, Plakaten, Programmzetteln und Zeitungsannoncen angekündigt. Man tourte durch Volkshochschulen, Volksbildungswerke, Filmclubs, Kulturvereine, Bäder, Filmkunsttheater und Universitäten. Besonders gut kamen die RARITÄTEN AUS DER FLIMMERKISTE in Filmkunsttheatern und kulturellen Einrichtungen an, wie zur Eröffnung des VII. Internationalen Filmtreffens in Bad Ems im Oktober des Jahres. Aber auch in kleinen und mittleren Städten des Bundesgebietes ließen «Wanderschausteller» Dühlmeyer und Bernstorf als «genialer Begleiter auf dem Pianoforte» ihr Publikum bei rund 100 Auftritten über das Jahr 1955 kräftig lachen. Presse, Radio, Fernsehen (NWDR) und die Neue Deutsche Wochenschau berichteten.
Werbeprospekt RARITÄTEN AUS DER FLIMMERKISTE, 1955: Helmut Pape (links) und Charly Dühlmeyer
Die ersten nachgewiesenen Kritiken datieren vom Februar 1955 aus Nordrhein-Westfalen, wo Programm und Präsentation gleich als Bereicherung des Faschings gefeiert wurden: «[…] Dann kam der Wanderschausteller selber, eine urkomische Karikatur, Kreuzung etwa zwischen dem Schmierentheaterdirektor Striese [aus DER RAUB DER SABINERINNEN] und einem schnoddrig-zackigen Reserveleutnant aus dem kaiserlichen ‹Balin›. Man weiß nicht, was mehr zu bewundern war, diese fast ununterbrochenen zwei Stunden ‹erläuternde› Kodderklappe erschütternd monotonen Vortrags oder der treffsichere Begleitwitz zu den Erzeugnissen aus der Steinzeit der Cinematographie. […] Zeitweilig wieherte der ganze [ausverkaufte] Kinoraum vor Vergnügen.» (Rheinische Post, Düsseldorf vom 19. Februar 1955) Landauf, landab war man begeistert von Dühlmeyers «markt schreierischer Wichtigtuerei» voller «treffsicherer Bonmots», die aus der «Verkleidung doch immer wieder den Könner hervorlugen» ließen, sodass es «Bombenerfolge» und ausverkaufte Säle gab (Kieler Nachrichten vom 29. April, Westfalenpost vom 6. Mai und Hannoversche Presse vom 25. Mai 1955). Im «Zeitalter der Television und der Düsenflugzeuge, der H- und X-Linie [staunte man] über Autorennen mit 20 km Staub in der Kurve und die ersten Flugversuche von Lilienthal», und das alles «zeitecht» begleitet «am dezent verstimmten Klavier», was «schon allein immer wieder Applaus hervorruft». «Wie herrlich weit haben wir es gebracht», hätte Goethe sich wohl ausgedrückt (Lübecker Freie Presse vom 14. November, nld und Rheinische Post, Düsseldorf, vom 15. und 17. Dezember 1955).
1956 ging es weiter, aber Pianist Bernstorf sah sich wegen seines Lehramtsstudiums bis auf Weiteres am ständigen Tourneebetrieb gehindert. An seine Stelle trat Gerhard Holtze, mit dem Dühlmeyer nicht im gleichen Maße harmonierte und deshalb Bernstorf nachtrauerte. Der Pressespiegel im Programmheft für 1956 war ein Beleg für die andauernde Beliebtheit der RARITÄTEN AUS DER FLIMMERKISTE. Die Trierische Landeszeitung brachte es auf den Punkt: «Der wesentliche Reiz der Darstellungen lag in ihrer Doppelbödigkeit. Einmal vermittelten die alten Filme und Schnappschüsse aus dem Straßen- und Gesellschaftsleben der Jahrhundertwende ein entschwundenes kulturelles Bild, und zum anderen waren Ansage und Klavierbegleitung eine Verulkung der Naivität des damaligen Geschmacks, aber auch eine spritzige Selbstverspottung und gleichzeitig geistreiche Glossierung so mancher Zeiterscheinung von heute.» Als im Juni des Jahres ein Auftritt im Wiesbadener Ufa-Theater im Park anstand, fiel dem Betreiber auf, dass den Filmen für RARITÄTEN AUS DER FLIMMERKISTE keine Freigabekarte beilag. Deswegen wandte er sich am 16. Juni 1956 an die dort ansässige FSK, die wiederum Dühlmeyer informierte. Er reagierte am selben Tag, entschuldigte sich und bat um Freigabe seiner Filme für die kabarettistische Veranstaltung (Aktenvermerk FSK und Schreiben in Akten Nr. 12 387). Die wurde ihm befristet erteilt. In der Freigabekarte wurden jedoch Friedrich und Dorothee Martin als Verleiher und Hersteller des Programms genannt. Darüber entspann sich ein längerer Schriftverkehr, wer als Hersteller gelte. Hinzu kam, dass der Vertrag zwischen Dühlmeyer und Martins Witwe zum 31. Juli 1956 auslief. Nachdem er mit ihr einen neuen Verleihvertrag abgeschlossen hatte, kam die Angelegenheit im Dezember 1956 zur Ruhe, und nun stand Dühlmeyers SMS als Verleiher in der Freigabekarte (Schreiben vom 4. Dezember 1956). Die FSK hatte die RARITÄTEN AUS DER FLIMMERKISTE als Kulturfilm für jugendgeeignet und jugendfördernd erklärt. Argwöhnisch beäugte der Verband der Filmverleiher e. V. in Frankfurt a. M. Dühlmeyers Ankündigung, mit seinem Programm in der Main-Metropole aufzutreten. Deswegen fragte er bei der FSK nach, ob sie die gezeigten Filme freigegeben habe (Schreiben vom 17. September 1957).
Dühlmeyer setzte seine Erfolgsserie mit seinem «kinematographischen Ur-Zeit-Cabaret» 1957 als «Buffo und Explikateur im Ton des ‹schrägen Ottos›» fort (Westdeutsche Allgemeine vom 25. Januar 1957 und Wolfsburger Nachrichten vom 31. Januar 1957). Ende August des Jahres fand in den Hannoveraner Uhlenhorst-Filmstudios die 500. Vorstellung der RARITÄTEN AUS DER FLIMMERKISTE statt, und zumindest dort war wieder der Pianist Bernstorf. Die Hannoversche Presse berichtete am 24. August 1957, dass Dühlmeyer seit 1955 mit seinem Programm durch das Bundesgebiet reise und den Bürgern der Stadt als beliebter Buffo des Thalia-Theaters in Erinnerung sei. Über die Jubiläumsvorstellung berichtete auch eine Hörfunk-Reportage des NDR: «Schon die Ouvertüre des raschelnden, verstimmten Pianofortes ist ein Kabinettstück. […] Und dann kommt der Beweis, dass Charly Dühlmeyer mit seinem Pianofortisten erstklassiges Kabarett macht. Eine Verbindung mit Kintopp-Zeit-Satire auf 1907 ebenso gut wie auf 1957, von heiter demonstrierter Kulturgeschichte, von Glossen auf den Geschmack der guten alten Zeit. Das Ganze doppelbödig, sodass auch unsere Zeit persifliert ist, und das […] sogar unterlegt mit Gemüt. […] Der Herr Direktor in seiner unermesslichen Güte sollte die zweite Folge […] ‹… UND DAS IST AUCH GUT SO!› bald aus der Flimmerkiste holen, denn nach diesem ersten Gang rufen die Liebhaber von geistigem Eisbein mit Kraut ebenso wie die intellektuellen Gourmands mit ihrer ‹omelette soufflée› einhellig und im Chorus noch mehr!»