Читать книгу Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte - Norbert Aping - Страница 30

CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE

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Der jahrelange Zuspruch, dessen Schwier und Elfers sich mit Filmen von Fidelius erfreuten, mündete in den Plan, ihren Auftritt in einem eigens produzierten Film festzuhalten. Schwiers vormalige Kontakte und Mitarbeit ermöglichte 1957 die Realisierung bei der Göttinger Filmaufbau GmbH. An der Kamera stand Karl Schröder, den Schnitt besorgte Caspar van den Berg. CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE war das Ergebnis. Auch darüber befindet sich nichts im Nachlass der Göttinger Filmaufbau GmbH. Der Film ist die Blaupause für das spätere endgültige Format der ersten Staffel von ES DARF GELACHT WERDEN. Verliehen wurde der 87-minütige Film von Kirchners Neue Filmkunst. Die FSK gab ihn am 13. Juni 1957 nach den Bestimmungen des neuen Jugendschutzgesetzes für Kinder ab sechs Jahren frei, «da diese Hampelmänner-Darstellungen sicherlich Kinder und Jugendliche bei weitem mehr als Erwachsene amüsieren werden» (Nr. 14 595). Im Jugendprotokoll des Arbeitsausschusses der FSK wurde weiter ausgeführt: «Der Film ist eine Erinnerung an die Frühzeit des Stummfilms, als er noch in Schaubuden, getragen von den Misstönen eines verstimmten Klaviers und kommentiert von einem seiner Mission bewussten Sprecher über die Leinwand zitterte.»

In CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE macht sich ein kleinstädtisches Publikum der Kaiserzeit abends auf den Weg in eine Gaststätte, in der einige «der schönsten Filme» von Charlie Chaplin, dem «unübertroffenen Meister des Humors», gezeigt werden sollen. Angekündigt wurde das «Attraktions-, Fest- und Galaprogramm […] für die kunstliebenden Bürger unserer Stadt» ähnlich wie auf dem Handzettel für KINTOPP ANNO DAZUMAL mit reißerischen Worten «Lebende Bilder – getreu der Wirklichkeit. Keine Hypnose! Kein Bluff! Keine Suggestion!», das Ganze «vorgeführt und persönlich erläutert von Herrn Wanderschausteller Werner, musikalisch untermalt von Herrn Kapellmeister Konrad». Nach dem Kassieren des Eintritts von «drei Groschen» stellte Schwier, mit Zwirbelschnurrbart, Mittelscheitel-Frisur und Melone, sich und Elfers als Kapellmeister Konrad am Pianoforte vor, «der späterhin noch durch eine komplette Musikkapelle ergänzt» werden soll. Dabei zeigt Schwier auf ein altes Grammophon. Im preußisch-bestimmten, schwadronierenden Tonfall hält er dem zahlenden Publikum zunächst eine kleine Ansprache unter anderem über bleibende Werte, die es mit nach Hause nehmen möge – und da greift ein Taschendieb im Publikum unbemerkt natürlich gleich zu. Denjenigen, die womöglich seine Erläuterungen nicht verstehen, bietet er nach der Vorstellung «gegen ein geringes Entgelt» eine nochmalige Unterrichtung an. Nach einigen Verhaltensmaßregeln («Schießen Sie nicht auf den Pianisten» und «Sorgen Sie [im Dunklen] dafür, dass die Sittlichkeit im Saal gewährleistet bleibt») ist Schwiers sprichwörtlich gewordene Aufforderung festgehalten: «Ich gebe das Zeichen, vorausgesetzt, dass es der Operateur sieht.» Während der Pause waren «Toilettenschlüssel und sonstige Erfrischungen am Büfett» erhältlich.


CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE, 1957: Wanderschausteller Werner


CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE, 1957: Kapellmeister Konrad

Die «Aktualitätenschau» begann mit JUNG-DEUTSCHLAND AUF GELÄNDEÜBUNG, ein Film aus der deutschen Kaiserzeit über vormilitärische Übungen von Zivilisten in der Sommerfrische, die seltsame Südwester tragen. Bei diesem Streifen läuft Schwier zur Hochform auf, ein echter erster Höhepunkt. Nach ihrer Zugverladung beginnen die jungen Männer am Zielort ihren Marsch. «Jung-Deutschland auf dem Marsch. Und wenn Jung-Deutschland marschiert, da gibt es kein Halten mehr, und das nimmt kein Ende. Und das ist ja auch der Grund, weshalb wir allgemein so beliebt sind,» kommentiert Schwier. Dann startet ein abstruses simuliertes Kriegsspiel zwischen zwei Parteien. Man marschiert ins Feindesland ein: «Der schönste Augenblick ist immer der Einmarsch in Feindesland – wie Sie sehen, ist es hier schon mehr ein richtiger Einlauf.» Einige wenige Soldaten in Uniform und mit Fahrrädern unterweisen die Kombattanten: «Achten Sie bitte darauf, dass die Oberste Heeresleitung vollmotorisiert ist. Nur dadurch sind Blitzkriege möglich zu machen!» Man legte eine Meldekette, Vorposten wurden bezogen, Stellungen gebaut: «Wie wichtig diese Stellungen sind, können wir ja gar nicht ahnen, das weiß nur die Oberste Heeresleitung, weshalb wir uns weiter keine Gedanken darum zu machen brauchen.» Natürlich finden sich die Heerscharen in der Schützenlinie wieder, bis zum Sturm geblasen wird und schließlich der Sanitätsdienst das Feld aufräumt. Ein ganzer Trupp kümmert sich um die am Boden liegenden Kämpen: «Auf den Mann kommen bei Jung-Deutschland mindestens fünf bis sechs Sanitäter.» Dazu spielt Elfers ein Potpourri bekannter vaterländischer Lieder wie LIEB VATERLAND, MAGST RUHIG SEIN. Sein musikalischer Einsatz in CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE endet damit.

Die anschließenden Chaplin-Filme sind mit Orchestermusik und Geräuscheffekten unterlegt. Am Ende des ersten Films CHARLIE IM WARENHAUS (THE FLOORWALKER) stehen neben Elfers zwei Musiker am Kontrabass und mit Posaune und erwecken den Eindruck, sie hätten die Orchestermusik gespielt. Nach CHAPLIN ALS FEUERWEHRMANN (THE FIREMAN) und CHAPLIN ALS KULISSENSCHIEBER (BEHIND THE SCREEN) präsentiert Schwier von CHAPLIN ALS NACHTSCHWÄRMER (ONE A. M.) nur die erste Hälfte, weshalb er die Zuschauer informiert: «An dieser Stelle nun, Damen und Herren, muss ich Ihnen die traurige Mitteilung machen, dass es uns infolge der kleinlichen Haltung unserer Gläubiger nicht gelungen ist, auch den zweiten Teil dieses Films zu bekommen.» Dafür aber reicht er als Zugabe und zum «unwiderruflichen» Abschluss des Programms noch den Klassiker CHARLIE CHAPLIN LÄUFT ROLLSCHUH (THE RINK) nach. Danach heißt es auf der Leinwand «Aus».

Wann genau die Premiere von CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE stattgefunden hat, ist nicht klar, da sie in den vier damals erscheinenden Film-Branchenblättern nicht mitgeteilt wurde. Nur das Film-Echo besprach den Film Monate, nachdem er angelaufen war. Wahrscheinlich hat die Uraufführung bald nach der FSK-Freigabe stattgefunden. Die früheste bekannte Kritik stammt aus dem Göttinger Tageblatt vom 30. Juni 1957. Wahrscheinlich wurde der Film am dortigen Sitz des Verleihs uraufgeführt. Die Zeitung lobte Schwiers Auftritt «mit Stehkragen und Schmalztolle» als «Kino im Kino» und befand das «Programm voll Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung». Kinos in anderen Städten meldeten ein «sehr gutes» Geschäft mit dem Streifen (Film-Sonderdienst Ott Nr. 59 vom 22. Juli 1957). In Tübingen spielte er am 3. Juli 1957 (Schwäbisches Tageblatt vom 4. Juli 1957). Danach wurde CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE am 10. August 1957 zur Eröffnung des Münchner Kinos Theatiner Filmkunst gezeigt (Film-Echo Nr. 1 vom 1. Februar 1958). Dieses betrieben Kirchner und Schwier gemeinsam und wurde von Kirchners Ehefrau Marlies geleitet. Sie ist Liesenhoffs Schwester und lernte Schwier während des Zweiten Weltkrieges kennen, als sie nach Stadthagen evakuiert wurde und dort bei seinen Eltern wohnte, um am Ort die Schule besuchen zu können (Interview mit ihr vom 6. Juni 2016). Marlies Kirchner betreibt auch 2020 noch im Alter von 90 Jahren das Kino. 2017 wurde sie zum 60-jährigen Bestehen des Lichtspieltheaters mit der Medaille «München leuchtet – Den Freundinnen und Freunden Münchens» in Silber geehrt.

CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE riss das Publikum offenbar mit und «brachte […] vorzeitig geradezu Oktoberfest-Stimmung in das Theater. Das Lachen nahm kein Ende.» (Werbefaltblätter des Kinos, vorgeheftet vor Der Gildendienst Nr. 49 und 50 vom September und Oktober 1957). In München lief das Programm auch wieder im September des Jahres, wo die dortige Abendzeitung Chaplin als «unvergleich- und unwiederholbar» bezeichnete und das Programm ein «Schmankerl für Feinschmecker» nannte (Film-Sonderdienst Ott Nr. 76 vom 19. September 1957). Auch der EFB besprach CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE (Folge 38 vom 19. September 1957, Nr. 602) (Nr. 41 vom 10. Oktober 1957, Nr. 6 248) und das Branchenblatt Film-Echo (Nr. 81 vom 9. Oktober 1957, S. 1 307) im Monat darauf war von dem Chaplin-Streifen und der Präsentation angetan. Bis mindestens Juli 1958 zog das Programm in bundesdeutschen Städten sein Publikum an, in Köln, Essen, Heidelberg, Eschwege, Aachen, Lüdenscheid, Koblenz, Hamburg, Düsseldorf, Bad Pyrmont und Berlin. Man freute sich über die hervorragenden Chaplin-Filme, besonders aber über die gute Idee, dass Schwier als Erklärer den Kintopp der Kaiserzeit und der Großväterjahre «voller zündender, aktueller Anspielungen» vorführte (Hamburger Echo vom 24. Mai 1958 und Rheinische Post vom 7. Juni 1958). Danach scheinen Schwier und Elfers auch nicht mehr durch Kinos, Filmclubs und Universitäten gezogen zu sein. Im Jahr darauf verließ Schwier den Verleih Neue Filmkunst und wechselte zu Leo Kirchs Beta Film, für die er Japan-Filme akquirierte.

Jahre später trat Schwier, mittlerweile durch ES DARF GELACHT WERDEN bundesweit bekannt geworden, noch einmal mit JUNG-DEUTSCHLAND AUF GELÄNDEÜBUNG in mehreren Städten zur Einstimmung auf das von Atlas verliehene Kinoprogramm mit den Filmen DER SÜNDENBOCK (THE GOAT, 1921), DER MUSTERSCHÜLER (COLLEGE, 1927) und DAS BLEICHGESICHT (THE PALEFACE, 1922) von Buster Keaton auf (Film-Echo/Filmwoche Nr. 49/50 vom 21. Juni 1963). Elfers könnte ihn begleitet haben. Feststellen lässt sich das aber nicht.

1962 wurden aus Fidelius’ Archiv neben einer italienischen «Schaubuden-Moritat» um einen Zirkus-Muskelmann vier klassische Slapstickfilme von Chaplin, Keaton und Harold Lloyd unter dem reichlich unpassenden Titel SAMSON, DER ZIRKUSAKROBAT öffentlich aufgeführt (EFB Folge 2 vom 13. Februar 1962, Nr. 20–22 a). Der FSK hatte nicht das gesamte Programm, sondern nur den italienischen Streifen SANSONE ACROBATA DEL ‹KOLOSSAL› der Turiner Ambrosio Film von 1919, der 33 Minuten lief, für Kinder ab sechs Jahren freigeben (Nr. 24 254). Wie die Streifen präsentiert wurden und ob Schwier und Elfers daran beteiligt waren, geht aus beiden Quellen nicht hervor.

CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE erfuhr eine Förderung durch die Landesbildstelle Berlin. Die dort angesiedelte elfköpfige Filmbegutachtungskommission für Jugend und Schule empfahl den Streifen am 19. Januar 1959 für Jugend- und Schülerfilmclubs und hob hervor, dass Schwiers Kommentar zu Jung-Deutschland auf Geländeübung diesem Film die Würze gebe. Genau damit hatte der Verleih jedoch 1957 und 1958 Schiffbruch bei der Filmbewertungsstelle (FBW) erlitten. Den Anträgen hatte Schwier eine Mappe mit Pressekritiken aus den Jahren 1957 und 1958 beigefügt, in denen Jung-Deutschland auf Geländeübung als gelungene Besonderheit hervorgehoben wurde. Gerade dieser Programmpunkt war der Grund für die FBW, CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE ein Prädikat zu verweigern, das die teilweise oder vollständige Befreiung von der damals üblichen Vergnügungssteuer für Kinobesuche zur Folge gehabt hätte. Die seinerzeit angelegten Akten Nr. 4.149 sind zwar nicht überliefert, die damalige Ablehung ergibt sich jedoch aus der knappen Antwort der FBW vom 10. Januar 1973 auf eine Anfrage des Steueramtes der Stadt Nördlingen. Sie befindet sich in den Akten Nr. 11.388, die 1966 angelegt worden sind, als der Verleih erneut ein Prädikat für CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE beantragte. Nähere Einzelheiten sind indessen unbekannt. Daher lässt sich im Zusammenhang mit anderen Entscheidungen der FBW bis Mitte der 1960er-Jahre wie im Falle von DIE GROSSE LACHPARADE 1962 nur vermuten, dass sie Jung-Deutschland auf Geländeübung samt Schwiers Kommentaren als Fremdkörper beanstandete, der nicht aus der Zeit der Herstellung der an sich filmhistorisch bedeutsamen Chaplin-Filme stammt (vergleiche dazu: Aping, Dick und Doof, S. 355, 356). Damals verlangte die FBW manchen Eingriff in Filme, was ihr den Vorwurf der Zensur eintrug, die nach dem Grundgesetz abgeschafft ist. Heute nimmt die Filmbewertungsstelle eine beratende Funktion ein.

1962 brachte Kirchners Neue Filmkunst CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE, wohl im Fahrwasser von ES DARF GELACHT WERDEN, mit neuer FSK-Zulassung für Kinder ab sechs Jahren noch einmal ungekürzt in die Kinos (Nr. 14.595 a). Im Herbst 1966 ließ der Verleih aber einen weiteren Zulassungsantrag für eine um sieben Minuten reduzierte Fassung folgen (FSK Nr. 14.595 b vom 19. Oktober 1966). Hintergrund war Kirchners parallel gestellter neuer Antrag an die FBW vom 19. September 1966 auf Erteilung eines Prädikates. Kirchner hatte die 1957 und 1958 beanstandeten Teile entfernt. Daraufhin erhielt er für die Kurzfassung von CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE schon einen Tag danach das Prädikat «wertvoll». Es war fünf Jahre gültig (Nr. 11.388). 1968 beantragte Kirchner für seinen Verleih dann auch Prädikate für die einzelnen Chaplin-Filme aus CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE. Die FBW erkannte ihnen Ende Februar/Anfang März 1968 ebenfalls Prädikate zu, teils «wertvoll» und auch «besonders wertvoll». Nach Ablauf ihrer fünfjährigen Geltungsdauer verlängerte die FBW sie auf Kirchners Antrag im März und April 1974 noch einmal um fünf Jahre (Nr. 11.388 a–e).

Aus Anlass von Chaplins 100. Geburtstag erschienen 1989 zwei VHS-Videokassetten mit CHARLIE CHAPLINS LACHPARADE in ungekürzter Fassung unter dem Titel CHAPLIN JUBILÄUM: LACHPARADE – JUBEL, TRUBEL, SENSATIONEN (Goldenes Videoland, Bestell-Nr. 0773, und Bild am Sonntag Videothek, Bestell-Nr. 5621761). Dafür besaß mittlerweile Leo Kirchs Taurus-Film Video GmbH das Copyright.

Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte

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