Читать книгу Dialog statt Spaltung! - Patrick Nini - Страница 14
Gefangen im Schein
ОглавлениеMichael blieb jedoch nicht bei seiner Kritik stehen; er zeigte mir auch, wie ich mich verbessern konnte. Und dabei wurde – sicher von ihm nicht beabsichtigt – mein ganz persönliches Toastmasters-Fundament, bestehend aus »Lernen, Freunden und Freude«, ordentlich ins Wanken gebracht. Ich versuchte, mich gemäß den neu gewonnenen Erkenntnissen zu verbessern und meinen eigenen Stil zu entwickeln, wollte aber gleichzeitig den Toastmasters treu bleiben. Denn ich war ja ein »Toastmaster auf Lebenszeit« – so sagte ich es mir jedenfalls.
Erst als ich nach einem Umzug nicht mehr regelmäßig an den Toastmasters-Treffen teilnehmen konnte, entwickelte ich eine – aus heutiger Sicht – gesunde Distanz zu dieser Gruppierung und ihrer Speaking-Philosophie. Mir wurde klar, dass ich Michaels Anregungen nicht wirklich umsetzen konnte, solange ich dem Prinzip »Toastmasters« treu blieb. Dazu waren die Vorstellungen, was man unter einer guten Rede versteht, einfach zu unterschiedlich – und das vergrößerte den Spalt. Ich begann, meine Rhetorik- und Präsentationsfähigkeiten nach und nach außerhalb von Toastmasters zu entwickeln. Heute erkenne ich bei den meisten Mitgliedern sofort genau den Stil, den Michael bei mir anfangs kritisiert hatte. Und ich kann mir nicht mehr vorstellen, selbst noch auf diese Weise öffentlich aufzutreten. Ich durfte mich entwickeln und neu und anders voranschreiten. Heute gehe ich meinen eigenen Weg als Redner und bin auch kein Toastmasters-Mitglied mehr. Aber das zu erkennen hat mein gedankliches Gefüge und mein Weltbild doch sehr durcheinandergerüttelt. Ich kann also gut nachvollziehen, warum Menschen ihren politischen und sonstigen Weltbildern nicht so rasch Adieu sagen können, wie dies vielleicht manches Mal erforderlich wäre.
In meinem Leben könnte ich noch viele andere Beispiele dafür finden, wie ich emotional befangen war und rein rationale Argumente mich nicht zur Einsicht brachten. Ich denke da an den Umzug von meiner geliebten Wahlheimat Linz in die Stadt Wels oder meine neu entdeckte Leidenschaft für die Sprünge auf dem Wakeboard, nachdem ich über viele Jahre ausschließlich die Geschwindigkeiten auf dem Monoski bevorzugt hatte. Ich lebe gerne in Oberösterreich, doch mittlerweile auch häufig zwischendurch in Düsseldorf, und beim Wassersport nutze ich inzwischen die unterschiedlichsten Bretter. Doch ich konnte die vorherigen festen Überzeugungen erst dann ändern, als ich schon länger nicht mehr in Linz lebte und eine Weile auf den Monoski verzichtet hatte. Wir benötigen also immer etwas Distanz, um unsere emotionalen Ansichten grundlegend zu ändern. Keine dieser Einsichten habe ich bis heute bereut, aber sie brauchten Zeit, um zu reifen.