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Geschichte einer Spaltung: Mit Ihnen rede ich nicht!
ОглавлениеIn Deutschland ereignet sich an etwa jedem dritten Tag eine dramatische Beziehungstat, bei der ein Mann seine Partnerin ermordet.2 So auch am 27. Dezember 2017 im rheinland-pfälzischen Kandel. Der Täter: ein Flüchtling, dessen Asylantrag abgelehnt worden war. Er konnte sich jedoch weiterhin in Deutschland aufhalten, da er angab, minderjährig zu sein. Die Tat wurde von den meisten Medien und Parteien in ein Licht gerückt, das mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hatte. Statt die Motive der Beziehungstat zu klären, entstand eine generelle Diskussion über Flüchtlinge und deren Gewaltbereitschaft. Manche Medien berichteten übrigens gar nicht über das Ereignis. Es sei nicht ihre Aufgabe, jede der ungefähr 150 tödlich endenden Beziehungstaten zu kommentieren, war ihre Antwort auf diesbezügliche Kritik. Rechte Parteien wiederum instrumentalisierten die Tat für ihre politischen Zwecke und riefen zu Demonstrationen auf. Die ersten wurden von der AfD und der NPD organisiert. In der Folge entwickelte sich nach und nach eine rechtsextreme Szene in Kandel. Die Bürger wehrten sich gegen diese »Übernahme« ihrer Stadt durch die rechtsextreme Bewegung und gründeten das Bündnis »Wir sind Kandel«. Noch eineinhalb Jahre später gerieten die Kontrahenten regelmäßig aneinander. Kandel war somit zum Inbegriff der gesellschaftlichen Spaltung in Deutschland geworden. Den Demonstranten geht es dabei schon lange nicht mehr um die Beziehungstat, sondern einzig und allein um ihre politische Agenda. Die Demonstranten aus der rechten Ecke wollen die »Diktatorin« Merkel loswerden. Der Reporter Aimen Abdulaziz-Said vom YouTube-Kanal »STRG_F« (Funk) versuchte bei der Demonstration des rechten »Frauenbündnis Kandel« mehr über die Motive der Demonstranten zu erfahren. Doch keiner der angesprochenen Teilnehmer war zu einem Interview bereit. Während einer der Gefragten den NDR als »Dreckssender« beschimpfte, brüllt ein anderer im Hintergrund: »Lügenpresse, Lügenpresse, Lügenpresse«.3 Spaltung pur!
»Lügenpresse« wurde in Deutschland übrigens zum Unwort des Jahres 2014 gewählt – ein Wort, das bereits der Propagandaminister der NSDAP Joseph Goebbels in den 1930er- und 1940er-Jahren verwendete, um die freien Medien pauschal zu diffamieren.4 Ich bin der Meinung, dass wir alle Wörter dieser Art, zu denen auch »Volksverräter«, »Abendland«, »Bevölkerungsaustausch« und »Widerstand« gehören, dringend aus unserem Vokabular streichen sollten. Auf die Gründe dafür gehe ich im zweiten Teil dieses Buches, das dem Thema Brückenbau gewidmet ist, noch genauer ein. In diesem Kapitel sehen wir uns an, wie sich gedankliche Verbindungen wie »Merkel = Diktatorin« und »freie Presse = Lügenpresse« so stark in manchen Teilen der Bevölkerung festigen konnten. Wieso nehmen so viele Menschen pure Propaganda für bare Münze, ohne diese kritisch zu hinterfragen?