Читать книгу Dialog statt Spaltung! - Patrick Nini - Страница 6
Ein Wort zuvor – unsere Gesellschaft ist gespalten
ОглавлениеSeit einiger Zeit kann man anlässlich von Geburtstagen auf Facebook Spendenaufrufe durchführen. Ich habe zu meinem 33. Geburtstag auf dieser Plattform zu einer Spendenaktion für den gemeinnützigen Verein Sea-Watch aufgerufen. Sea-Watch hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen zu retten, die im Mittelmeer in Seenot geraten. Kurz darauf meldete sich ein empörter Geburtstagsgast bei mir: »Bist du verrückt? Warum machst du aus einem Geburtstag ein Politikum? Seenotrettung? Dazu habe ich sowieso meine eigene Meinung!« Er machte mir darüber hinaus den Vorschlag, ich solle doch, statt politische Statements abzugeben, das eingenommene Geld lieber in ein zukünftiges Eigenheim investieren.
Diese und ähnliche Diskussionen führe ich mit diesem Menschen nicht zum ersten Mal. Ganz im Gegenteil. Um die Beziehung zu ihm nicht zu gefährden, haben wir uns längst darauf geeinigt, besser keine politischen Gespräche mehr zu führen, denn politisch gesehen trennen uns Welten. Pointierter ausgedrückt könnte man auch sagen, zwischen uns befindet sich ein ideologischer Grand Canyon: Unsere Ansichten liegen sehr, sehr weit auseinander.
Eigentlich wollte ich mit meinem Spendenaufruf gar kein politisches Statement abgeben, das war nie meine Intention. Ich wollte einfach nur helfen, weil ich Videos von Rettungsaktionen gesehen hatte, bei denen sich Menschen in höchster Gefahr befinden und manche von ihnen trotz aller Bemühungen elendiglich ertrinken. Und ich finde, dass das so nicht weitergehen darf! Menschen mit ganz anderen Ansichten sehen an dieser Stelle jedoch statt Menschen etwas anderes in Gefahr, nämlich das christliche Abendland. Diese Menschen können mich und mein Spendenverhalten ebenso wenig verstehen wie mein Geburtstagsgast und reagieren darauf mit großer Entrüstung. Manche gehen sogar so weit, mich als linken, »fehlgeleiteten« Gutmenschen zu klassifizieren. Aber – bin ich das wirklich? Ich denke nicht. Ich wollte einfach nur meiner Verantwortung nachkommen.
Was mir auffällt: Unsere Gesellschaft definiert sich zunehmend anhand einer strikten Links-/Rechts-Achse. Entweder-oder – dazwischen scheint es keine weiteren Nuancen mehr zu geben. Diese starke Polarisierung führt aus meiner Sicht zu einem Tauziehen, bei dem es nur Verlierer zu geben scheint. Und dieses Gefühl – Verlierer zu sein – erzeugt bei vielen Menschen eine enorme Wut. Nehmen wir zum Beispiel das heftige Aufeinandertreffen von AfD-Befürwortern und AfD-Gegnern (AfD = Alternative für Deutschland). Am 27. Mai 2018 demonstrierte die AfD im Berliner Regierungsviertel mit knapp 5000 Anhängern für ein »besseres Deutschland«. Auf der gegenüberliegenden Seite der Spree demonstrierten laut Polizei 25 000 AfD-Gegner. In einem Showdown trafen die beiden Konfliktparteien aufeinander. Die AfD-Gegner brüllten wütend und lautstark immer abwechselnd »Ganz Berlin hasst die AfD« und »Nazischweine«, während die AfD-Befürworter »Widerstand« und »Ihr seid die Faschisten« schrien. Nur eine strikte Absperrung und der Einsatz von 2000 Beamten konnten wüste Gewalttaten verhindern. Wut ist jedoch nur eine der Emotionen, die auf beiden Seiten zu spüren waren. Diese Kontrahenten zeigten (und zeigen bis heute) auch tiefe Verachtung und fast schon glühenden Hass für den anderen, was den Spalt zwischen diesen politischen Lagern noch größer werden lässt.
Solchen Hass und solche Verachtung gab es oft genug in der europäischen Geschichte. Diese starken negativen Emotionen führten früher oder später meist zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Da reichte oft nur ein vermeintlich »kleines« Ereignis, um einen Krieg auszulösen. In den Schicksalsjahren zwischen 1933 und 1945 war es vor allem Hass, der von den damaligen Machthabern geschürt wurde und der zu den katastrophalen Verbrechen an der Menschheit führte. All dem war eine bewusst herbeigeführte Spaltung der Gesellschaft vorangegangen. Vom Zweiten Weltkrieg trennt uns bereits eine »angenehme« zeitliche Distanz: Wir können langsam anfangen, die Gedenkveranstaltung »100 Jahre Reichspogromnacht« vorzubereiten; schon heute gibt es kaum noch Zeitzeugen, die von persönlichen Erfahrungen aus dieser dunklen Zeit berichten können. Und auch sie wird es bald nicht mehr geben. Ich finde es in diesem Zusammenhang übrigens verantwortungslos, eine ganze Gruppe politisch Andersdenkender pauschal als »Nazis« oder »Faschisten« zu bezeichnen, denn das verharmlost diese vielfältig aufgeladenen Begriffe auf unzulängliche Art und Weise.
Dieses eindimensionale Links-Rechts-Denken, das einen großen Teil unseres politischen Diskurses bestimmt, hat eine Vorgeschichte: Die Linke hat ihre Wurzeln im Kommunismus und Sozialismus und forciert, kurz gesagt, die Gleichheit aller Menschen, während die Rechten sich unter anderem durch Nationalstolz und Tradition definieren. Eine solche triviale und geradezu simple Spaltung lässt jedoch aus meiner Sicht nicht genug Spielraum, um die gegenwärtigen und zukünftigen Probleme konstruktiv anzugehen. Nehmen wir zum Beispiel den Umweltschutz. Aus der grünen Bewegung heraus wäre das eindeutig ein »linkes« Thema. Wie kann aber ein Thema, das den gesamten Planeten und unser aller Zukunft betrifft, rein links sein?
Blicken wir nur einmal in den Osten Deutschlands, wo noch immer viele Menschen ihren Job in umweltschädlichen Braunkohlekraftwerken verrichten. Die AfD kann Wähler aus dem Osten Deutschlands stark mobilisieren, indem sie die Existenzängste der betroffenen Bürger geschickt aufgreift. Die AfD möchte die Wähler in der Umweltdebatte nicht vergraulen. Sie geht nun den einfachsten Weg, sich vor der Diskussion zu drücken: Sie stempelt das Thema als »links« ab und erzeugt bequeme Feindbilder – womit eine weitere Spaltung entsteht und Menschen fast schon trotzig Standpunkte einnehmen, die rein sachlich nicht begründet werden können. Ich kann mich selbst gar nicht davon ausnehmen. Für mich war lange Zeit keine echte Diskussion mit Menschen möglich, die rechten Parteien nahestehen. Erst als ich erkannte, warum Menschen anders wählen, habe ich meinen Blick geweitet und war offen für einen Diskurs.
Eindimensionale Feindbilder und Hass können im schlimmsten Fall den Spalt, der schon heute in unserer Gesellschaft besteht, zu einem tiefen, unüberwindbaren Abgrund ausweiten. Das möchte ich verhindern helfen. Daher habe ich mich entschlossen, selbst politisch aktiv zu werden – und dieses Buch zu schreiben. Keine Angst, ich möchte Ihnen auf den folgenden Seiten nicht meine politische Meinung aufdrücken. Ich möchte Ihnen stattdessen meine Sicht der Dinge, also die Perspektive eines Kommunikationsexperten, näherbringen, ganz unabhängig von »rechten« oder »linken« Positionen.
Als die Idee zu diesem Buch geboren wurde, herrschte in Österreich gerade Wahlkampf. Ich war seit März 2018 Mitglied der liberalen Partei NEOS (Das Neue Österreich und Liberales Forum); diese hatte im Sommer 2019 dazu aufgerufen, sich für ein Nationalratsmandat zu bewerben. Da ich schon immer politisch interessiert und engagiert war, wollte ich es versuchen. Im Vorfeld zu diesem Schritt horchte ich intensiv in mich hinein, auch um herauszufinden, was mir persönlich wirklich wichtig ist. Ich fragte mich: In welchem Bereich sollte ein Politiker seine Stärken haben? Ganz klar, in der Kommunikation! In der Politik kann man mit kommunikativem Talent am meisten erreichen, weil verantwortungsvolle Kommunikation schließlich verantwortungsvolles Handeln zur Folge haben sollte. Im Zuge dieser Überlegungen wurde mir jedoch klar, dass aktuell auf politischer Ebene in sehr vielen Staaten kaum verantwortungsvolle Kommunikation stattfindet. Aus meiner Sicht kann man die wenigsten Parteien und politischen Organisationen heute – bezogen auf ihr kommunikatives Verhalten – als »wahr« und »klar« einordnen.
Ich halte es beispielsweise für vollkommen verantwortungslos, dass die Schweizerische Volkspartei (SVP) den ohnehin schon tragischen Mord an einem achtjährigen Jungen am 29. Juli 2019 am Bahnhof in Frankfurt am Main für sich instrumentalisierte und dieses Ereignis als Aufhänger für eine restriktivere Asylpolitik benutzte. Bei dem ausländischen Täter, der schon seit 2006 in der Schweiz lebte, wurde eine psychische Störung diagnostiziert, etwas, was auch jedem Inländer widerfahren kann. Auch die 75-jährige Schweizer Bürgerin, die vier Monate zuvor einen siebenjährigen Jungen auf dem Weg zur Schule erstochen hatte, war bereits mehrfach in psychiatrischer Behandlung. Dieses Ereignis hingegen wurde von der SVP nicht politisch instrumentalisiert, vermutlich, weil sie die Nationalität der Täterin nicht zum Thema machen konnte. Und das ist gut so; die beiden Todesfälle sind tragisch genug und sollten nicht auch noch dazu missbraucht werden, politisches Kleingeld zu machen. Auch hier können wir eine eindeutige Spaltung bei der Wahrnehmung und Interpretation von Ereignissen feststellen.
Immer wieder kocht – zumindest in Österreich – die »Schweinefleisch-Debatte« hoch, die 2019 in Deutschland ihren Ursprung hatte. Zwei Kitas entschieden sich, aus pragmatischen Gründen und aus Rücksicht auf zwei muslimische Kinder, kein Schweinefleisch mehr zu servieren. Die Eltern wurden informiert; die Kita argumentierte, es sei so einfacher, ein Menü bereitzustellen, das alle Kinder essen könnten. Weil dies für die Mehrheit der Kinder und Eltern in Ordnung war, sollte man meinen, das Thema sei erledigt. Kurz darauf zog jedoch die »Bild«-Zeitung in den »Schnitzelkrieg« und titelte »Kita streicht Schweinefleisch für alle Kinder«. Die Reaktion der österreichischen FPÖ ließ nicht lange auf sich warten – sie forderte ein Recht auf das Schnitzel im Verfassungsrang! Noch grotesker geht es kaum. Eine Entscheidung, die aus rein pragmatischen Gründen getroffen wurde, wird dazu benutzt, Hass und Wut der Bürger gegen Migranten zu schüren und so zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beizutragen.
Genau diese Art der Kommunikation werden wir uns im Verlauf des Buches genauer ansehen. Auch auf jene Kräfte und Gruppierungen, die sich als »Mitte« bezeichnen, werden wir einen Blick werfen. Außerdem möchte ich Ihnen zeigen, an welchen Stellen wir durch eine verantwortungslose Kommunikation hinters Licht geführt werden. Und weiter: Hinter welchen – auf den ersten Blick scheinbar harmlosen – Äußerungen steckt eine politische Strategie? Was sind Fake News und wie können wir sie erkennen? Wo stoßen wir auf kognitive Verzerrung und wer spielt geschickt mit unserem Unterbewusstsein und unseren Emotionen?
Vielleicht fragen Sie sich, warum das alles für uns als Gesellschaft so wichtig ist. Nun, tagtäglich werden in vielen Ländern kleine und große Ereignisse von Parteien und Medien auf eine Weise skandalisiert und benutzt, dass die Klickzahlen in den sozialen Medien durch die Decke gehen – und diese Entwicklung lässt auch die vermeintlichen »Feindbilder« immer mächtiger werden. Genau diese Feindbilder treiben jedoch einen Keil in unsere Gesellschaft und machen einen vernünftigen, annähernd objektiven Diskurs kaum mehr möglich. Ich möchte in diesem Buch herausfinden, woran wir als mündige Bürger und Mediennutzer die Unehrlichkeit in diesen polarisierenden Aussagen erkennen und wie sich diese in vielen unterschiedlichen Facetten darstellt.
Denn eines sollten wir nicht vergessen: Jeder Konsument von Informationen wird irgendwann zum Kommentator dieser Informationen und ist damit zugleich Redakteur seines eigenen Medienzirkels und Netzwerks. Zu »liken« und bestimmte Nachrichten und Artikel zu teilen, ist ebenfalls ein wichtiger Akt der Kommunikation – und erfordert ein hohes Maß an Verantwortung eines jeden einzelnen Kommunikationsteilnehmers. Nur über den verantwortungsvollen Konsum von Medien finden wir den Weg in eine lebenswerte Zukunft, ganz egal, von welcher politischen Position aus wir agieren. Wir müssen unsere Positionen und Ansichten ständig überprüfen und weiterdenken, bis zur nächsten oder gar übernächsten Generation. Wer bei seinem Handeln ausschließlich den Maßstab des kurzfristigen Profits anlegt, verschenkt die Zukunft.
Dazu gehört auch ein gewisses Maß an Selbstreflexion. Wir alle sollten uns immer wieder fragen: »Bin ich noch in der Lage, den Standpunkt eines anderen zu beurteilen, ohne mich emotionalen Zwängen und Vorurteilen hinzugeben? Kann ich wirklich sachlich bleiben, wenn Objektivität gefordert ist?«
Natürlich werden wir uns niemals alle hundertprozentig einig sein, es wird immer Diskussionsbedarf geben. Selbst zwei Individuen, die auf dem gleichen Punkt auf der gedachten Links-/Rechts-Achse stehen, werden nicht überall einer Meinung sein. Jeder Mensch hat seine eigenen Glaubenssätze, seine persönlichen Erfahrungen und gemeisterten Herausforderungen, aus denen sich die eigene Ideologie entwickelt hat. Eine wohlhabende Frau berücksichtigt andere Dinge als eine arme Frau, wenn sie im Wahllokal ihr Kreuzchen macht. Ein Vater entscheidet vermutlich anders als ein Mann ohne Kinder. Ein Teenager wählt anders als ein Großvater. Und das ist gut so! Denn nur so entwickelt sich unsere Gesellschaft in ihrer Vielfältigkeit weiter.
Doch das Problem ist kein individuelles: Auch Unternehmen und Lobbyisten nutzen fragwürdige Kommunikationsstrategien, führen uns hinters Licht und tragen zur Spaltung von Meinungen, Ansichten und letztlich der Allgemeinheit bei. Dabei haben sie eine noch viel größere Verantwortung gegenüber unserer Gesellschaft als jeder Einzelne. Wir alle sollten Unternehmen stetig daran erinnern, keine Profite aus verantwortungslosem Handeln zu ziehen, und sie auffordern, für die Konsequenzen ihres Handelns einzustehen. Manche Unternehmen handeln erst dann verantwortungsvoll, wenn ihre Kunden, Mitarbeiter und Stakeholder das massiv einfordern. Auch Sie, liebe Leserin und lieber Leser, sind möglicherweise Stakeholder eines Unternehmens. Möchten Sie nicht auch dazu beitragen, dass Unternehmen etwas anderes als billige Marketingslogans hinausposaunen? Möchten Sie nicht selbst Verantwortung übernehmen, indem Sie die Kommunikationswege, ja vielleicht sogar etwaige Manipulationen dieser Firmen durchschauen und aktiv eingreifen?
Wir alle sollten uns als verantwortungsvolle Journalisten verstehen, als Berichterstatter aus unserer eigenen Welt. Und zu den wichtigsten Qualifikationen eines guten Journalisten gehört die Fähigkeit, echte oder: wahrhaftige Berichterstattung von aufgeblähter, teilweise auch unrichtiger Meinungsmache zu unterscheiden. Erst wenn wir erkennen, wie oft wir verantwortungsloser, manipulativer und verzerrender Kommunikation ausgesetzt sind, sind wir in der Lage, uns dagegen zu wehren. Diese Erkenntnis steht und fällt mit dem Vermögen eines Menschen, achtsam und bewusst zu kommunizieren.
Ich rufe jeden Einzelnen dazu auf, durch verantwortungsvolle Kommunikation eine Verbindung zwischen unterschiedlichen Standpunkten und Ansichten herzustellen. Mein Ziel? Dass Hass und Verachtung zwischen verschiedenen – nicht nur politischen – Gruppierungen weniger werden. Das kann nur gelingen, wenn immer mehr Menschen jene trügerischen Botschaften entlarven können, mit denen wir so oft konfrontiert werden. Vertreter diametral entgegengesetzter Ideologien sollten zumindest versuchen, die Standpunkte der anderen zu verstehen, und in eine Diskussion auf Augenhöhe eintreten. Schlussendlich möchte ich dazu beitragen, ideologische Brücken zu bauen und die Gesellschaft, so gut es geht, zu einen. Wenn es mir gelingt, mit diesem Buch zu einem solcherart neuen Denken und Handeln anzuregen, dann habe ich mein Ziel erreicht.
Ihr Patrick Nini
PS: Um der besseren Lesbarkeit willen verwende ich in meinen Beispielen und Anreden meistens nur eines der Geschlechter. Doch natürlich spreche ich Frauen, Männer und Diverse gleichermaßen an.
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