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2. Der Zahnarzt und seine Familie

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Wann immer sie in den letzten Monaten Zweifel befielen, ob sie richtig handelten, oder sie verspürten Angst, vorzeitig entlarvt zu werden, malten sich die Eheleute Čierniak den ersten Abend in der Freiheit fröhlich aus. Im farbigen Kunstdruckprospekt des Hotels am Neusiedlersee, das den Zahnarzt während jenes Symposiums so verzaubert hatte, wählten sie schon längst ihren Tisch auf dem Podium am Fenster aus, an dem sie es sich mit den vom reichen Büfett begeisterten Kindern gutgehen lassen wollten, wonach sie dann, wenn sie die beiden in die Heia geschickt hätten, zu zweit eine schöne Flasche Sekt leeren würden, koste es was wolle.

Später kam noch die Absicht dazu, sich in Rust zwei Zimmer zu leisten, um einander, bevor die Gemeinschaftsschlafräume des Flüchtlingslagers sie auf keusch schalten ließen, zu beweisen, daß ihre alte Liebe nicht einmal in der neuen Welt roste. Aus alldem wurde nun nichts.

Im Hotel tagten diesmal Gerichtsmediziner. So waren sie froh, noch den letzten Parkplatz in der Garage zu bekommen, auf dem der Doktor vor allem bestanden hatte, und das letzte Doppelzimmer mit zwei Zusatzbetten. Vor den Kindern konnten sie sich ein Liebesspiel unmöglich erlauben; während des Badens schwebte ihnen ein Spaziergang in der lauen Nacht ins Grüne vor, wie damals zum erstenmal in Bratislava, als sie aus Unerfahrenheit unverzüglich Magduš gezeugt hatten, doch gerade deren Auftritt machte das Fest zunichte.

Sie hat sie auch dadurch schockiert, daß sie wider Erwarten den Streit nicht fortsetzte, sondern noch am Tisch zu sprechen aufhörte. Im Zimmer, wohin die Mutter sie laut Befehl brachte, schüttelte sie den Sommeraufzug ab und ging ins Bad, die Zähne zu putzen. Als Terezie nach längerer Zeit an die Tür klopfte und sich kein Laut vernehmen ließ, öffnete sie beunruhigt, doch die Tochter hörte noch nicht auf, vor dem Spiegel ihr makelloses Gebiß, von der Mutter geerbt, weiter zu säubern.

«Keine Angst, Magduš», sie übertrug die eigene Furcht auf die Tochter, «ich sperre dich nicht ein, du bist doch vernünftig. Verzeih mir, wenn ich dir nichts verraten habe, und sei auf den Vati nicht böse, er hat von uns allen das meiste verloren!»

Magda bewegte weiter die Hand mit der Bürste hin und her wie eine mechanische Puppe in der Schießbude.

«Nicht einmal reden willst du mit mir! Warum denn?»

Die Tochter spuckte den Schaum aus, gurgelte und sagte erst dann herablassend.

«Der Mensch lernt das Sprechen, um mitteilen zu können, was er sich denkt. Falls ich das nicht darf, bin ich wahrscheinlich noch ein Embryo, so fragt mich erst, wenn ich achtzehn bin.»

Damit bohrte sie sich nackend unter die Decke des hinteren Zusatzbetts und drehte sich der Wand zu. Die Mutter wußte, daß nun nichts mehr mit ihr anzufangen war.

Sie kam nach unten, gerade als Miro vom Vater eine Ohrfeige fing. Noch bevor er laut losheulte, konnte sie ihn umarmen.

«Was ist passiert?» fragte sie still den Exekutor und den Bestraften und erfuhr, daß dieser trotz ausdrücklichen Verbots sich die Taschen mit Schokoladenriegeln vollgestopft hatte. Also führte sie ihn nach oben ab, reinigte seine verschmierte Jacke, während er sich wusch, und brachte ihn neben seiner Schwester zu Bett, die sie nicht anzureden wagte, obwohl Magduš todsicher noch nicht schlief.

Wieder ging sie nach unten und mußte erleben, was sie bereits ahnte, daß ihr Mann sich nämlich weder nach Sekt noch nach ihr sehnte. Er zitterte vor Zorn.

«Das ist dein Werk», beschuldigte er sie, «immer hast du ihnen eine Extrawurst gebraten, und auf mich kommt jetzt alles runter. Die eine habe ich ihrer unsterblichen Liebe entführt, den anderen schlage ich zusammen, weil das arme Kind Hunger hat. Immer ich bin der Bösewicht.»

«Bohdan... ich weiß, du hast für heute genug, was heißt für heute, für die ganzen Monate, aber wir konnten uns gemeinsam mit allen Wenn und Abers auseinandersetzen. Es war ausschließlich unsere Entscheidung, wir können uns bei niemand beklagen! Während die Kinder... Dank diesem Büfett ist Miro noch nicht bewußt geworden, daß er niemals mehr seine Kameraden aus der Straße, aus der Schule sehen wird, die Großeltern und Tanten...»

«Was erzählst du mir da!» er regte sich immer mehr auf, «wir fahren doch nicht auf den Mars, Amerika hat als einziges Land mit der Tschechoslowakei seit dem Ersten Weltkrieg Konsularbeziehungen, sobald wir uns dort ein Haus zugelegt haben, werden dir deine Verwandten aus der Heimat zum Hals heraushängen. Miro wird in einigen Wochen Englisch besser schwätzen als Slowakisch, er wird einen dicken Amerikaner abgeben, und an Bratislava wird er nur denken, wenn er mit einem Superschlitten auf Mädchenjagd fahren wird, und die Magduš, wenn sie Hollywood oder Disneyland nur gesehen hat, wird im Handumdrehen vergessen, daß es je einen Gabriel Babray gab.»

«Du hast ganz recht», versuchte sie es vorsichtig nochmals, «aber...»

«Und was kaufe ich mir dafür?» legte er wieder los.

Dienstbeflissen kam der Ober angerannt in der Meinung, er sei gerufen worden. Er erkundigte sich nach ihren Wünschen.

«Einen Rum», befahl der Zahnarzt tatsächlich.

«Welchen bitte, Jamaica oder Bacardi?»

«Mir egal.»

«Bohdan!» bat sie, als der Ober sich entfernte, «sei vernünftig, du weißt doch, daß du vom Klaren Sodbrennen kriegst...»

«Mir egal.»

«Komm, geh’n wir schlafen, sie überschläft es auch...»

«Die? Die kommt direkt nach dir! Mit dem Abizeugnis bringt sie gleich ein Kind daher!»

«Was sagst du da? Hast du vergessen, wie das damals mit uns war?»

«Nur, daß sie es im Charakter hat. Erinner’ dich an Karlsbad!»

Er deutete damit, ohne es zu ahnen, auf Terezies einzigen geheimen Aufstand hin. Und sie ahnte nicht, daß sie ihn damit für seinen Ausbruch bestrafte, der ihm allerdings noch dazu mißlungen war.

Die Tochter ging ins neunte Jahr, und er war langsam ehemüde. Seine neue technische Assistentin, eine fesche Ostslowakin mit ungarischem Feuer, vertraute ihm bedeutungsvoll bereits im Frühjahr an, sie würde auch den Sommer über in Bratislava bleiben; er begriff den Hinweis als Einladung zu einem Flirt. Damals verbrachte die Familie die großen Ferien noch in der sommerlichen Tatra, die ihn nicht weniger langweilte. Mit Hilfe des befreundeten Chefarztes inszenierte er eine kleine Intrige: Ausnahmsweise bekam er erst im Winter Urlaub.

Terezie hatte nichts gegen die Änderung, als er ihr vorschlug, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, und über Bekannte ein Privatzimmer und eine Kur in dem entfernten und berühmten Karlsbad bestellte. Auch damals sah alles so vielversprechend aus, und endete dann schlimm.

Die Assistentin ließ sich zu einem delikaten Abendessen ins Hotel «Carlton» einladen und verriet ihm erst an der Bar, sie gehe schon längst heimlich mit dem Chefarzt, der ihn grüßen lasse, da er heute mit seiner Gattin ausgehen mußte. Bohdan war stocksauer und deutete ihr nicht einmal seine Absicht an, um sich nicht noch lächerlicher zu machen. Die restlichen drei Wochen bummelte er durch die Bratislaver Nachtlokale, wo man sich Weiber suchen konnte, aber die meisten machten eben Ferien oder waren vergeben. Die einzige, die er endlich nach Hause brachte, hat ihn unerwarterweise aufgefordert, im voraus zu blechen. Er gehorchte aus Angst, ihr Zuhälter könnte sonst auftauchen.

Dann wäre er lieber vor Scham in die Erde versunken, als sie aus der Handtasche ihr eigenes Bettlaken herausfischte, weil sie ihn nicht kenne, und ihm wie ein Bereitschaftsarzt befahl, sich schnell freizumachen, denn er sei nicht der einzige in der Stadt, der sie brauche. Schließlich mahnte sie ihn, wie er seine Patienten, keine Angst zu haben und sich zu lockern, das andere würde schon sie besorgen. Es gelang ihr auch nach einer Weile, in der sie ihm eher Schmerzen bereitete, sein schlappes Glied zu wecken, um ihm dann «ein Strümpfchen anzuziehen», dann kippte sie ihn auf sich und bemühte sich vergeblich, «ihn einzuführen», bis sie ihn schließlich ungeduldig auf den Rücken umdrehte und sich auf ihn stülpte, um aus ihm unbarmherzig seine Säfte herauszupressen, wie ein Küchenroboter! stöhnte das erniedrigte Männchen in ihm.

Danach duschte sie sich lang im Bad, spritzte sich irgendein Desinfektionszeug ein, packte das Laken wieder zusammen und fragte nach weiteren dreihundert Kronen oder zwanzig Mark, falls er sie habe, für «Besonderes». Und er wußte nicht, daß er für seine Geilheit am schlimmsten ein halbes tausend Kilometer entfernt büßen muß: Terezie hat sich in dieser Nacht in einen anderen verliebt.

Nach all den Jahren passierte es ihr in der Fremde, die Böhmen für sie immer bedeutete, beinahe in Reichweite des Westens, der sich hier in Bauten, in Erinnerungstafeln, im Sendestrahl des westdeutschen Fernsehens, in Gästen aus aller Welt und in der Lebensart der Einheimischen manifestierte. Der Sohn des Villeninhabers, bei dem sie mit der Tochter wohnte, einer der wenigen Deutschen, die hier als «Antifaschisten» verbleiben durften, war in Terezies Alter. Er sprach fließend tschechisch, deutsch, englisch und russisch; ein Jurist, mit Eigentumsangelegenheiten der Vertriebenen befaßt, durfte er hin- und herreisen. Als er eines Morgens beim Frühstück, während dem er wie immer schwieg, so daß Terezie schon glaubte, er habe etwas gegen sie oder die Slowaken überhaupt, mitbekam, wonach die kleine Magduš sich so sehnte, setzte er sich in den Wagen und war zu Mittag mit einem Walkman zurück, den er hinter der Grenze samt einem Dutzend Kassetten gekauft hatte. Das Mädchen war auf dem Gipfel der Seligkeit, und die Mutter zerbrach sich den Kopf, wie sie sich revanchieren könnte. Sie mußte nicht allzulange überlegen.

Am darauffolgenden Tag fuhr er seine Eltern nach Deutschland und kehrte überraschend mit der Nachricht zurück, sie blieben einige Zeit bei Verwandten in Bayern. Das Frühstück würde er für die Gäste besorgen, und er wollte eigentlich längst gefragt haben, ob er sie nicht zu einer Landpartie einladen dürfe. Bislang lebte Mutter samt Tochter ruhig dahin, morgens pflegte sie Massagen zu nehmen, dann fuhren sie gemeinsam mit dem Bus zur Talsperre baden, abends trank sie ihr Quellwasser, kochte was Einfaches, und dann schauten sie sich das deutsche Fernsehen an, das sie nicht verstanden, spielten «Domino» und «Mensch ärgere dich nicht». Jetzt wurde alles anders. In drei Tagen erlebten sie Marien- und Franzensbad, besuchten Loket und Cheb, ehemals Ellenbogen und Eger, aßen in guten Restaurants, und er ließ nicht zu, daß sie auch nur ein einziges Mal bezahlte.

Nach der Rückkehr war Magduš so müde und voll von Eis und Oblaten, daß sie keinen Einwand erhob, als man sie zu Bett brachte und um die Erlaubnis bat, noch ein bißchen frische Luft schnappen zu dürfen. Die roch nach Parfüm und Zigarren; die berühmte kleine Halle des Grandhotels in Karlsbad war fest in der Hand von Ausländern. Stephan erwies sich als glänzender Tänzer, und sie erlernte, zum erstenmal seit ihren Jugendverbandszeiten, mit wachsender Selbstsicherheit moderne Schritte und Rhythmen. Es kam ihr wie ein uralter Traum vom Leben vor, aus dem sie ein gewisser junger Zahnmediziner allzu früh in den grauen Alltag vertrieben hatte.

Daß der Ehemann nicht telephonierte und nicht schrieb, sie waren es nicht gewohnt, denn sie hatten dazu selten Gelegenheit, entschwand aus ihrem Sinn, als wäre er dort nie gewesen, und auch der Tochter, bezaubert von dem neuen Freund, war der Vater keinen Schluchzer wert. Es konnte also kaum anders enden, als es endete.

Eines Abends bei der Rückkehr begleitete Terezie ihn folgsam in seine Dachstube hinauf. Sie liebte sich mit ihm bis in die wonnige Sattheit und schlummerte dann beseligt in seinen Armen, bis zu ihnen der Tag durchs Fenster kam. Danach stieg sie hinunter, wo Magduš, die Hörer an den Ohren, noch immer fest schlief und auch sie ohne Gewissensbisse nochmals einnickte, in der glücklichen Erwartung, auch morgen werde das alles weitergehen.

Es ging auch weiter, Nacht für Nacht. Und er gestand ihr bald, er liebe sie und möchte, daß sie sich scheiden ließe. Er bat sie, sie solle nach Bratislava allein zurück, um alles mit ihrem Mann zu regeln, die Tochter könne gleich hierbleiben! Terezie begriff, daß er ein Pfand wollte. Es war so berauschend, dabei zugleich so wirklich, daß sie es tatsächlich auch so gemacht hätte, wäre da nicht Magda gewesen.

Als sie sich bei der letzten Wiederkehr aus der kleinen Halle, wo sie auf die gemeinsame Zukunft angestoßen hatten, nur schnell überzeugen wollte, ob die Tochter schlafe und sie sich ihrer Leidenschaft hingeben konnte, fand sie das Kind in Tränen vor. Sie erschrak, es könne erkrankt sein, und war schon dabei, den Liebhaber zu Hilfe zu rufen, doch Magduš hat es ihr geradezu wütend verboten. Sie konnte nicht einschlafen, gab sie der Mutter zu, so sei sie durch die Villa geschlendert und dabei in sein Zimmer, wo sie im Papierkorb diese Abscheulichkeit fand! sie zeigte ihr ein zerknittertes Briefkonzept, in dem Stephan ihr wahrscheinlich vor der Reise noch eine Liebeserklärung machen wollte.

Ehe es ihr gelang, sich der Tochter anzuvertrauen und sich ihre Zuneigung zu erbitten, wurde ihr plötzlich bewußt: Das Mädchen ahnte nicht, an wen die Zeilen gerichtet waren. Daß Stephan mit ihrer Mutter was haben könnte, war Magduš undenkbar. Langsam begriff Terezie die wahre Ursache dieser wilden Trauer: Die Tochter hatte sich verliebt. In Stephan!

Zum erstenmal in ihrem Leben, mit aller Kraft erwachender Sinnlichkeit. So glücklich war sie, klagte sie der Mutter, daß er ledig sei und sie doch Zeit habe, für ihn erwachsen zu werden, denn er ist erst achtundzwanzig, ihr würden zehn, ja vielleicht nur acht Jahre genügen, und so lange könnte er auf sie warten. Doch jetzt ist alles zunichte, er liebt eine andere, und die Mutter müßte sie kennen!

Sie gab es zu und erlebte eine solche Explosion des Hasses auf die Unbekannte, daß sie die Wahrheit verschwieg und der Tochter schwor, nicht zu wissen, um wen es da ging. Stephan, gestand sie bloß, habe tatsächlich jemanden gern, der nicht frei ist...

«Wie, nicht frei!» rief die Tochter, «falls sie dazu noch verheiratet sein sollte, so sind sie beide Dreckskerle, und ich will ihn bis zu meinem Todestag nicht wiedersehen.»

Im gleichen Augenblick klopfte der nichtsahnende Urheber der Verzweiflung an die Tür, und Magduš bohrte sich mit einem Aufschrei unter die Decke. Als er eintrat, legte Terezie den Finger auf den Mund und bat ihn mit den Augen, wieder zu gehen. Er zog sich zurück, sie saß stundenlang bei dem bitter weinenden Kind, und mit jeder Träne schmolz ihr Mut, nach dem Glück zu greifen, das noch so nahe war.

Zu Tode erschöpft schlief das Mädchen um fünf Uhr endlich ein, und sie, aschgrau, kroch nach oben, wo er sie erwartete, die Augen vom Zigarettenrauch gerötet. Sie erklärte ihm, was geschehen war und daß er sie beide gehen lassen muß und abwarten, bis die Zeit alles heilt.

«Wie ich sie und dich kenne», prophezeite er niedergeschlagen, «wird sie es dir nie erlauben, und du allein bringst nicht den Mut dazu auf.»

Sofort ging sie wieder nach unten und fing zu packen an. Als gegen Mittag das Taxi kam, wurde ihr klar, wie richtig er alles vorhergesehen hatte. Magduš stellte ihren geliebten Walkman mit den Kassetten auf das Tischchen neben der Tür und ging ohne Gruß. Terezie wagte nichts mehr, als ihm zaghaft zuzuwinken.

Das Problem der Tochter ließ sie das eigene vergessen. Sie kehrte in die redlich lasche Ehe ohne Widerstand zurück. Nur einige Wochen legte sie allerlei Gründe zurecht, warum sie sich mit ihrem Mann nicht lieben konnte. Doktor Čierniak, durch seine eigene Entgleisung gereift, erahnte natürlich hinter der Geschichte von Magdas Leidenschaft für den jungen Vermieter, die ihm seine Frau anvertraute, möglicherweise noch eine andere, doch er fragte lieber nicht. Er dankte dem Schicksal, daß er für seine Hurerei nicht ärger bestraft wurde.

Die Frucht des Ablasses war das Jahr darauf Miro.

«Karlsbad», wehrte sich jetzt an der Schwelle zu einer lichten Zukunft Terezie Čierniak gegen diesen Namen, der in der Familie zum Symbol einer dunklen Vergangenheit wurde, «das war ausschließlich das Werk ihrer beginnenden Pubertät!»

«Und du hast sie dort das zweitemal gekriegt, was?»

Er bekam gerade seinen Rum und schockte sie abermals, als er ihn wie ein Maurer auf einen Sitz hinunterkippte.

«Noch einmal!» befahl er dem Ober.

«Nein!» versuchte sie das zu verhindern, doch der Mann im Schnürrock befand sich bereits auf dem Marsch zur Bar.

Harter Alkohol setzte in ihm drei Prozesse in Gang: den hartnäckigen Drang weiterzutrinken, ein uferloses Selbstmitleid und am Ende eben das schreckliche Sodbrennen, weil er, ähnlich wie sie, ein schlechter Trinker war. Sie mußte ihn stoppen, aber wie? Sie waren jetzt die letzten im Lokal, aber dem Pußtamenschen war alles egal, Hauptsache, das Geschäft lief.

«Wie komme ich dazu», ließ ihr Mann seine übliche Litanei los, die Terezie auswendig herbeten konnte, «das ganze Leben lang schufte ich für die Familie, Jahr für Jahr putze ich Klinken, um ihr ein bißchen Sonne und Meer zu verschaffen, ihretwegen schmeiß’ ich all das weg, was mich ein halbes Leben gekostet hat, und meine eigene Tochter sagt mir, ich sei gemein!»

Der Ober stellte mit unverhohlenem Ausdruck männlicher Solidarität ein neues Stamperl vor ihn hin, bis zum Rand gefüllt. Jetzt oder nie, entschloß sie sich, in die Enge getrieben. Sie griff nach dem Gläschen und goß es auf einen Schlag in sich hinein.

«Terka!» rief Doktor Čierniak zutiefst entsetzt, weil er wußte, der Alkohol bekam seiner Frau noch viel schlechter als ihm, «dir wird übel werden!»

«Mir egal!»

So blieb ihm nichts anderes übrig, als sofort zu bezahlen und sie ins Bett zu befördern.

Wie immer schliefen die, die das Unrecht verursachten, den Schlaf der Gerechten, währenddessen jene, denen es zugefügt wurde, kein Auge zutun konnten. Terezie, weil das Bett unter ihr wie ein Schiff schaukelte, er, weil ihn abwechselnd Wehleidigkeit, Zorn und Sodbrennen schüttelten. Der Morgen war jedoch barmherziger als der Abend.

Miro versuchte ein lieber Junge zu sein, doch die größte Überraschung war die Tochter. Man hörte von ihr zwar keine Entschuldigung, doch sie verschonte sie wenigstens mit der verbissenen Sprachlosigkeit von gestern abend. Sie hat ihnen schon vom Bett aus guten Morgen gewünscht, frühstückte mit ihnen wie üblich an dem unerschöpflichen Büfett, das Miro inzwischen «Tischlein, deck dich» nannte, sie half dabei, die Sachen ins Auto zu bringen, das der Vater samt Surfbrett aus der Garage hinausfuhr, und machte widerstandslos die weitere Familienreise mit. Die Eltern wußten, daß der Streit nur vertagt war, doch waren sie ihr selbst für diesen Waffenstillstand dankbar, denn sie hatten eine Menge anderer Sorgen: Die Mutter mußte sich nach dem Trotztrunk rechtzeitig wieder ins Lot bringen, der Vater wollte das Brett unbedingt irgendwo deponieren.

Für Magda war es nun eine Reliquie, mit der sie am liebsten schlafen ginge, es trug Abdrücke seiner Spuren. Dafür fragte Miro immer, warum man den Kram nicht auf dem Dach lassen könne, wenn er mit Kette und Schloß abgesichert sei. Der Vater erklärte, es wäre nicht klug, als wohlhabende Urlauber zu wirken, wenn sie für einige Zeit arme Flüchtlinge sein sollten, die Leute gönnen einem nicht die Nase zwischen den Augen, nein, Neid können wir jetzt nicht gebrauchen! Er löste das Problem, indem er das Ding in der Gepäckaufbewahrung des Badener Bahnhofs aufgab, wo es einstweilen dreißig Tage sicher war. Dann hat sie bereits das Lager verschlungen.

Später stellten sie fest, daß auch sie nicht die ersten Stunden beschreiben können, in denen sie, leicht wie einen Regenschirm, ihre Staatsangehörigkeit abgelegt hatten und ein unbestimmt langes Warten auf eine andere begann. Sobald sie, das Auto eingeparkt, mit ihren Koffern die Pforte erreichten und ihre Absichten verkündeten, verschlang sie ein Trubel, der, wie sie nachträglich erfuhren, feste Ordnung war. Man trug sie ein, man nahm ihnen ihre Papiere ab, man gab ihnen Essensmarken, die erste Mahlzeit, Vorratsbettwäsche, Handtücher und Tüten mit Hygieneartikeln, man führte sie in den großen Schlafraum mit den Etagenbetten, lud sie in die Waschräume ein und zur ärztlichen Untersuchung vor, auch zu einem rätselhaften «Interview», fast alles in einem einzigen der großen Gebäude, für Doktor Čierniak ein wenig beunruhigend «Quarantäne» genannt.

Hier hat man sie sogar eingesperrt, man betonte jedoch, es geschehe vorübergehend und nur darum, daß sie sich nicht aus Unkenntnis der Lage irgendwohin verirrten, bevor sie Lagerausweise erhielten.

«Sie haben Glück», erfreute sie in ungewöhnlich passablem Englisch irgendein weißhaariges Faktotum vom Dienst, das bemerkt hatte, daß Terezie sich offensichtlich nicht wohl fühlte, und bereitwillig ihre Koffer übernahm, «Sie haben einen schwachen Tag erwischt, vielleicht werden Sie schon heute abend Weiterreisen können.»

«Wohin?» sorgte sich Doktor Čierniak, «wir möchten nämlich nach Amerika, wissen Sie. Ich bin Zahnarzt, ich soll in Kalifornien von einem Bekannten die Praxis übernehmen.»

«Nun, darauf werden Sie noch ein wenig warten müssen.»

«Wie lange etwa?»

«Zuerst müssen die Amerikaner Sie überhaupt zu einem Interview einladen.»

«Das macht mir eben Sorgen», gab er zu, «schrecklich ungern möchte ich mich mit der Presse einlassen, ich habe in der Slowakei Familie und Bekannte...«

«Keine Sorge, Herr Doktor», lächelte der Alte verständnisvoll, »Interview nennt man hier jedes amtliche Gespräch über Fluchtmotive und Pläne.»

Nach zwei Stunden stand der Doktor bereits mit Terezie auf dem Gang vor der einschlägigen Tür. Sie hielten ausgefüllte Fragebogen und Röntgenaufnahmen von sich und ihren Kindern in der Hand, die inzwischen im Nachtlager Karten spielten. Ohne sich zu verständigen, waren die Eltern froh, daß das Gitter unten zu war. Sie kannten Magduš und waren sich gewiß, daß das Ärgste noch vor ihnen lag.

«Geht es dir schon besser?» entsann sich der Ehemann.

«Ja», behauptete sie, obwohl sie sich noch nicht allzugut fühlte.

«Ich dachte, ich könnte mit Miro noch vor euch zum Abendbrot gehen. Inzwischen kannst du mit Magduš von Frau zu Frau reden...»

Es kam ihm schwer über die Zunge, für ihn war die Tochter ein Fröschlein, das eher ein paar hintendrauf verdient hätte, doch unter den gegebenen Umständen konnte er nicht anders.

»Ich versuche es... doch ich fürchte, mit Worten ist da nicht viel zu machen.»

«Mit was denn dann?» er war wieder gereizt.

«Zeit. Gib ihr Zeit, sei lieb zu ihr, das ist die beste Medizin.»

Im Gang saßen einige Leute auf der Bank oder standen herum, meist scheue Asiaten, während auf dem Fensterbrett gegenüber ihrer Tür ein älterer grober Typ hockte, geradezu ein Musterbeispiel von Balkanese, mit hervorstehenden Backenknochen, niedriger Stirn und schnabelartiger Nase.

«Ich setze mich zu ihm», sagte Terezie, als sie keinen anderen freien Platz sah, «ich bin noch immer ein bißchen schlapp.»

«Aber nicht dicht bei ihm», warnte sie Doktor Čierniak, dem anderen lächelte er jedoch zu, um seine Gefühle zu verbergen.

«Flöhe habe ich keine», ließ sich der Mann tschechisch hören, «und alle Kinderkrankheiten hab’ ich heil überstanden. Gnädigste kann sich ruhig neben mir platzen.»

Den Eheleuten flimmerte es vor den Augen.

«Entschuldigen Sie, bitte...» stotterte die unschuldige Terezie.

«Ich wollte Sie nicht verletzen...» bemühte der Doktor jetzt sogar sein Tschechisch.

«Vojtěch Rous!» brach der falsche Mann vom Balkan in Gelächter aus.

«Doktor Čierniak, und das hier ist meine Gattin.»

«Nun, ich habe mich nicht vorgestellt, ich habe nur Schwejk zitiert, den einzigen Klassiker, den ich kenne, die Geschichte aus Tirol, oder dort irgendwo, als er im Zug seine Jause auspackt und einem Mitreisenden sagt, der gierig in seinen Mund glotzt, fressen möchtest du, nicht wahr? worauf der andere auch in Tschechisch erwidert, das möchte ich gern, wenn du mir was abgibst, es war irgendein Vojtěch Rous! Ich bin irgendein Josef Strniště, beste Vorkriegsware, letztlich wohnhaft in Budweis.»

Er schüttelte ihnen herzlich die Hände, ohne seine Sitzlage aufzugeben, während Terezie sogar aufgestanden war, um die vorherige Unanständigkeit mit aller Höflichkeit aus der Welt zu schaffen.

«Hier wimmelt es geradezu von Rous’», fügte er hinzu, «paßt nur auf!»

Doktor Čierniak begann aus Gewohnheit gleich zu flüstern.

«Meinen Sie, wir werden hier bespitzelt?»

«Von wem denn?»

«Von den Unseren.»

«Das ist ja wie in dem Witz», lachte er wieder laut, «von den zwei Moskauer Juden, die mit dem Ohr an der Stimme Amerikas lauschen, die Israelis hätten von neuem Brüderchen Araber aus dem Sinai herausgeprügelt, und sie flüstern sich zu: Da werden die Unseren stinksauer sein, daß die Unseren gewonnen haben!»

Weil die Eheleute verständnislos dreinschauten, erklärte er es für Unbedarfte.

«Na also, falls uns hier jemand von drüben bespitzelt, so ist er für uns nicht mehr der Unsere, sondern der Ihre, nicht wahr?»

«Gewiß», bejahte der verwirrte Doktor beflissen, «ich dachte, ob die Hiesigen vielleicht nicht etwa auch... damit sie erfahren, warum wir geflüchtet sind...»

«Die werden Sie doch jetzt darüber ausfragen.»

«Wollen die uns glauben? Hier denkt sich doch jeder wer weiß was aus, um als Politischer anerkannt zu werden!»

«Was heißt hier ausdenken? Ich habe eintausendeinhundertvierundfünfzig Striche an der Wand, das muß ihnen reichen.»

«An der Wand...?»

«An der Knastwand. Für jeden Tag einen. Und Sie?»

«Wir...?» fragte er erschrocken, war aber gleich danach froh, so unerwartet gefragt zu werden, er konnte die Antwort ausprobieren, an der er mit seiner Frau den ganzen Frühling über gefeilt hatte, damit nicht gleich Lügen herauslugten, die hier, so glaubten sie, kurze Beine hätten, «uns haben dazu prinzipielle Gründe ethischer Natur bewogen...»

«Das ist was?» fragte der Tscheche verwundert, doch er sollte es nicht erfahren, denn zugleich kullerte aus der Tür, vor der er Wache hielt, das vollbusige Mädchen heraus, mit Haaren, die aus dem Kopf wie Disteln herausragten, «na», der Mann sprang vom Fenster herab, «wie ist es gelaufen?»

«Wie mit Butter geschmiert», schrie sie, «die wollten nicht einmal sehen, wie ich ihm meinen Hintern zeigte.»

«Prima, dann muß ich vielleicht auch nicht vorführen, wie ich den Kapitalismus zu Klump hauen wollte.»

Auf der Türschwelle erschien ein seltsamer Mensch. Sein Gesicht, ja seinen ganzen Schädel, auf dem sich nur ein paar lange Blondhaare abhoben von der sonnengebräunten Haut, machten vor allem die Augenhöhlen aus, mit versunkenen dunklen Pupillen. Selbst im offenstehenden Hemd weckte er Respekt.

«Eheleute Bohdan und Terezie Čierniak!», rief er sie tschechisch auf.

Es konnte nur der hiesige Chef sein, und ihr Mut sank.

Rückschauend hatten sie von ihrem «Interview» einen gemischten Eindruck. Sie sagten, was sie wollten und sollten, doch sie verspürten plötzlich, daß die Gründe, mit denen sie ihre Flucht rechtfertigten, fragwürdig erschienen angesichts ihrer langjährigen Loyalität zum Regime, vor dem sie jetzt politisches Asyl suchten. Die durchbohrenden Augen, eher die eines Hellsehers, beobachteten sie dabei unbewegt, keiner von den beiden konnte in ihnen lesen, was sich der hohe Funktionär über sie dachte. Die Antworten übersetzte er einer älteren Frau, die sie auf der Schreibmaschine protokollierte. Am Nebentisch taxierte sie offensichtlich ein weiterer Beamter, die Zeitungslektüre täuschte er sicher nur vor; warum sollte er sonst dabei sein?

Am meisten störte sie das weißhaarige Faktotum, das ihnen am Morgen die Koffer trug. Er überbrachte dem Chef die Nachricht, daß zu Mittag irgendein dringender Fall auf ihn wartete, blieb dann aber da und schälte seelenruhig einen Apfel. Die endlose Schalenschlange, die in einer Spirale zum Fußboden heruntersank, hat Doktor Čierniak durcheinandergebracht. Selbst wenn er die erwarteten Fragen auf beste Art und Weise beantwortete, hörte er sich den Lebenslauf eines Bürgers schildern, der sich niemals und gegen niemanden aufgelehnt hatte und überdies auch nichts ausließ, was ihm dort jemals von Nutzen sein konnte. Einen Augenblick schwand ihm die Hoffnung auf Asyl gänzlich, als die Frage nach seiner Mitgliedschaft in der Partei fiel, obwohl er vor allem diese Antwort zu Hause eingepaukt hatte.

«Meine Ehefrau trat nicht in die Partei ein und mußte deshalb Hausfrau bleiben, man ließ sie nicht auf die Hochschule. Und ich, bitteschön, ich bin in eine andere kommunistische Partei eingetreten, als in die, die da jetzt regiert.»

«Und nämlich?»

«In die von Dubček. Alexander Dubček, soweit Sie sich noch erinnern können, war...»

«Ich weiß. Wann war es?»

«Wann ich also...? Na, das war, bitteschön, fünfundsechzig.»

«Dubček wurde erst achtundsechzig Generalsekretär.»

«Gesamtstaatlich gesehen», triumphierte er, «in der Slowakei war er bereits vorher Erster Sekretär, und da habe ich seine Reformbemühungen eben dadurch unterstützt, daß ich eintrat.»

«Und blieben auch danach, als er gefeuert wurde.»

Auch diese Vorhaltung hatte er erwartet, und ermuntert, wie gut er bereits gepunktet hatte, schlug er sich tapfer weiter.

«Wenn Sie wissen, wie es bei uns zuging, und wer kann es besser wissen als Sie hier! so sind Sie auch informiert, wie jene endeten, die nach der brüderlichen Hilfe... meine ich ironisch! es wagten, den Parteiausweis zurückzugeben. Ich hatte Frau und zwei Kinder, bitteschön!»

Der Chef schaute auf den Fragebogen.

«Eins.»

«Zwei. Wir haben eine Tochter und einen Sohn.»

Er hatte den Eindruck, daß ihn die Augen ungefähr so menschlich betrachteten wie eine doppelläufige Jagdflinte.

«Damals haben Sie nur die Tochter gehabt.»

«Bitte...?» er fiel aus dem Konzept, sein Kopf wurde leer, wie es ihm einst so oft bei Examen passierte, mit was hat er mich da reingelegt? Er erinnerte sich und war beruhigt, «ja, natürlich, entschuldigen Sie, aber darüber hinaus war ich an den Hippokratischen Eid gebunden, weiter zu heilen, das ist so ein Eid...»

«Ich kenne ihn.»

«Eben! Viele Kollegen sind damals geflohen, Zahnärzte sind nur wenige geblieben, auszutreten, wem könnte es nützlich gewesen sein? Auch die nächste Reform kann nur aus der Partei kommen, so blieb ich einfach dort.»

«Jetzt haben Sie die Reform samt Patienten verlassen.»

«Ja, jetzt, bitteschön, konnte ich nicht mehr.»

«Würden Sie mir irgendwie konkret definieren, Herr Doktor, weshalb Sie sich für einen politischen und nicht für einen wirtschaftlichen Flüchtling halten?»

Darauf war er besser vorbereitet als einst aufs Abitur.

«Natürlich kann ich es, Herr Direktor.»

«Ich bin kein Direktor.»

«Wie soll ich Sie also...»

«Ich heiße Mládek.»

«Ja, Ihre Frage, Genosse Mládek...» er sprach nicht weiter, so erschrak er, jetzt schmeißt er mich raus! dessen war er sich gewiß, verzweifelt irrten seine Augen zur Ehefrau.

Doch sein Inquisitor lächelte zum erstenmal leicht.

«Eisernes Hemd Gewohnheit», beruhigte er ihn, «ich habe das sogar noch lange danach benutzt, nachdem man es mir gerichtlich verboten hat.»

Doktor Čierniak verstand nichts.

«Kein Problem, Herr Doktor, machen wir weiter.»

«Nun... zum Fortgehen haben uns prinzipielle Gründe ethischer Natur bewogen», damit betrat er wieder das feste Eis des eingeübten Textes, «die sind nämlich am besten daran erkenntlich, wenn man unseren verhältnismäßig hohen Lebensstandard in Betracht zieht, den wir freiwillig zugunsten von geistigen Werten aufgegeben haben, wie sie für uns vor allem Demokratie und Freiheit darstellen. Meine Gattin und ich, wir konnten den weiteren Verbleib in einem totalitären Regime einfach durch nichts mehr rechtfertigen!»

«Warum haben Sie die Entscheidung so spät getroffen?» er blätterte in ihren Pässen, die er mit anderen Unterlagen vor sich hatte, «nur in den letzten sechs Jahren haben sie fünf ähnliche Gelegenheiten gehabt.»

«Das eben ist es ja!» rief Doktor Čierniak, ohne zu zögern, auch diese Frage haben sie natürlich erwartet, «ich konnte sehr lange nicht das Gefühl loswerden, daß die Reisen eine gewisse Verbesserung der Gesamtlage bedeuteten, bis ich schließlich begriffen habe, daß man mich dadurch kaufen wollte, darüber hinaus öffnete uns jede von ihnen mehr und mehr die Augen, bis wir uns das vorige Mal schworen: Falls man uns je noch rausläßt, denn einmal hat man uns schon aus sogenannten Devisengründen abblitzen lassen! bleiben wir draußen, damit wir wenigstens unsere Kinder in der Wahrheit erziehen können. Denn mein Sohn, stellen Sie sich bitte vor, hat bis heute, bitteschön, keine Ahnung, wie der Mann am Kreuz heißt, den er ab und zu auf irgendeinem Bild zu sehen bekam!»

Während des deutschen Diktats ins Protokoll fragte unerwartet das Faktotum in Englisch.

«Warum haben Sie es ihm dann nicht längst selbst gesagt?»

Doktor Čierniak war mit den Nerven am Ende. Er wollte bereits schreien, daß man den Hilfskräften, falls man ihnen schon erlaubt, durch Äpfelschälereien Leute verrückt zu machen, wenigstens verbietet, sich in Gespräche einzumischen, bei denen es um alles geht. Zum Glück ergriff der Mann, der bis jetzt die Befragung führte, noch vorher das Wort.

«Das ist Herr Radetzky, Regierungsrat. Er ist der Direktor der ganzen hiesigen Einrichtung.»

Der Weißhaarige winkte liebenswürdig mit der Hand, die das Taschenmesser hielt, mit der anderen schob er den ersten Happen in den Mund.

«Weil ich...» begann also der Schwergeprüfte, nachdem er mitbekommen hatte, wie diese Antwort jetzt an Bedeutung gewann, «weil ich...» und vor lauter Verzweiflung suchte er Zuflucht bei der reinen Wahrheit, «weil ich, bitteschön, den Mut nicht hatte... deswegen will ich wenigstens verhindern, daß auch mein Kind ein ähnlicher Duckmäuser sein wird, wie ich es geworden bin.»

Niemand fragte weiter. Und in der Stille erhob sich der fleißige Zeitungsleser, schob vor Terezie ein schwarzes Kissen und fing an, einen Finger nach dem anderen darauf zu wälzen, um sie dann auf einem Formular mit zwei mal fünf Feldern abzudrucken. Danach war ihr schweißgebadeter Mann dran.

«Warum ist die Tochter eigentlich nicht da?» fragte der Regierungsrat den Mann namens Mládek, «sie muß den Antrag bereits selber unterschreiben, nicht wahr?»

«Sie ist noch nicht volljährig!» beeilte sich der Vater, «für sie unterschreibt meine Gattin, wie ich für den Sohn!»

Ende der großen Ferien

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