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9. Den selben Tag, 12.45

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Karel Markalous konnte den Aufschrei nicht mehr unterdrücken. Obwohl Leidenschaft für ihn den Gipfel des Seins bedeutete, in der Arbeit wie in der Liebe, konnte er sich immer kontrollieren, aber er vernaschte Gerda, seitdem er die Luxussuite betrat, die sein nächster Arbeitgeber für ihn gemietet hatte, und war wie von Sinnen.

Bereits in der Flughafen-Parkhalle haben sie sich voneinander nur schwer trennen können, während der Fahrt über die Stadtautobahn lag er mit dem Kopf in Gerdas Schoß, am Anfang hatte er sich vor den wartenden Fahrern der österreichischen Potentaten versteckt, dann blieb er weiterhin so und berührte durch die Seide ihrer Bluse die Brüste, bis sie seufzte, während sie steuerte. Sie gönnte es ihm, sich im uferlosen Gefühl von Glück und Freiheit gehenzulassen, sie sagte ihm nur, das Mittagessen mit ihrem Chef finde um halb drei statt, so hätten sie jetzt fast drei Stunden für sich.

Als er sie in der Tiefgarage des Hotels wieder umarmte, flüsterte sie, das Bett sei doch angenehmer. Er ließ sich von ihr zum Lift führen, dankbar, daß sie die Rezeption vermeiden konnten, nicht der Geheimhaltung wegen, er konnte es einfach nicht mehr erwarten!

Das Appartement, dessen Schlüssel sie schon bei sich hatte, lag im obersten Stock und dürfte das Monatsgehalt eines Durchschnittswieners kosten, einige exklusive Lampen brannten hier, die Vorhänge der riesigen Fenster waren zugezogen. Er hat noch abgewartet, bis sie eine Flasche Veuve Cliquot öffnete, mein Witwentrank! wie sie mit ihm zu scherzen lernte, doch sobald er den ersten Schluck hinunterschüttete, machte er sich daran, sie auszuziehen.

Ihr Körper bewegte sich entgegenkommend, so ging es schneller mit dem Aufknöpfen. Einen Büstenhalter trug sie nie und hatte heute auch keinen Slip an – er sollte sie gleich nackt sehen. Er warf sich auf sie wie ein Höhlenmensch auf die erste Frau. Erst nach einer Weile kam sie dazu, ihre Schuhe abzuschütteln.

Sie liebten sich pausenlos über eine Stunde. Einige Male war ihm, als könnte man es nicht mehr steigern, doch die Spirale drehte sich höher, sein Gesicht flammte, von ihrem Busen gepeitscht, ein Wellengang! Sie hatte ihm für sich noch einiges abverlangt, bis sie ihm erlaubte, bei ihr zu bleiben. Lange lag er ganz erschöpft. Dann küßte sie ihn auf die geschlossenen Augen und flüsterte.

«Noch am Leben?»

«Falls nicht», antwortete er heiser, während mit der Stimme das Denkvermögen zurückkehrte, «so muß der Tod herrlich sein... Alte fromme Glasarbeiter bei uns drohten mir oft, ich würde selbst in der Hölle in siedender Schmelze baden! Und lebe ich doch, dann weiß ich nicht, wofür noch, alles habe ich gerade bekommen...»

«Lästere nicht!»

Sie verschloß ihm den Mund mit der Hand, er sprach jedoch zwischen ihren Fingern weiter.

«Ich werd’s dir kaum je erklären können!»

«Ich brauche keine Erklärung.»

«Aber ich. Du hast nie nach etwas gefragt. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich dir total egal!»

»Kam dir das auch in der letzten Stunde so vor?»

«Du weißt, wie ich es meine!»

«Ja. Und ich erklär’s dir. Deine Vergangenheit mußte mir egal sein. Ich wäre verrückt geworden über jede Minute, die du mit anderen verbracht hast.»

«Manchmal glaube ich, dich interessiert an mir nur das Glas...»

«Karel, du spinnst! Ich mag dein Glas, das hat uns ja auch zusammengebracht. Und wie, das haben wir soeben erlebt, du vielleicht nicht?»

«Ja», stimmte er leidenschaftlich zu, «ja, ja, ja! Du bist die phantastischste Frau, die ich je hatte!»

«Kein Wort von den anderen, bitte! Ich bin nämlich schrecklich eifersüchtig!»

«Warum denn? Ein Mann über Vierzig», untertrieb er ganz schön, «wenn er kein Eunuch ist, muß bereits neun Leben hinter sich haben. Das zehnte und letzte möchte ich mit dir verbringen. Die davor will ich jedoch nicht verleugnen.»

«Tu es aber! Es hat keinen Sinn, im Abfalleimer zu wühlen, höchstens bleibt der Gestank an dir hängen.»

«Und bist du es nicht...» er sprach jetzt aus, was ihn längst beunruhigte, «die mir diesen Rat gibt, weil du dich fürchtest, von der eigenen Vergangenheit zu reden? Warum darf ich immer noch nicht wissen, wie dein Mann gestorben ist?»

«Weil ich es nicht will», sagte sie entschieden, «ich will von nichts und niemandem von früher sprechen. Du hast heute alle Brücken hinter dir verbrannt, dann darf ich das wohl auch tun.»

Sie wartete nicht auf Antwort und ging in die Knie, damit sie ihnen beiden Champagner nachgoß.

«Das ist doch nicht möglich!» lachte sie auf.

«Was denn?»

«Das ganze Eis ist weggeschmolzen.»

Er hat sich mit ihrer Haltung abgefunden, für ihre Tragödie hätte er ihr sowieso nur billige Bettgeschichten bieten können. Sie war zu allem auch lebensklug.

«Und das wundert dich?» sagte er deswegen, «unter uns würde ein Eisberg glatt wegschmelzen.»

«Zum Glück ist die Flasche immer noch kalt. Nein, bleib du liegen!»

Sie füllte sich den Mund mit Champagner, legte ihn auf seine Lippen und ließ langsam einen kalten Strahl hineinrinnen. Sowie der ihm in den Hals glitt, stieg perlendes Schäumen in seinen Kopf. Er schluckte den Rest und sagte.

«So. Du hast aus mir den letzten Funken Energie herausgewetzt, und dazu habe ich mich noch besoffen.»

«Wie das...?»

«Seit heute morgen habe ich nichts gegessen.»

«Ach!» sie wurde besorgt, «das wollte ich nicht! Du mußt einen klaren Kopf haben, wenn du sie triffst!»

«Wie spät ist es...?»

Seine Armbanduhr lag irgendwo in dem Häufchen Wäsche am Boden. Gerda trug ihre Uhr in einem Ring, den sie nie ablegte; dieser Liliputzeitmesser hat sie beide vor einem Jahr zusammengebracht, als sie, vom Computer nebeneinander plaziert, den Luftsprung Hamburg – Frankfurt absolvierten; zunächst hielt ihn ihr hochgeschlossenes schwarzes Kleid auf Abstand, bevor er feststellte, daß sie genau sein Typ war und obendrein ausgesprochen freundlich; nachdem er sorgfältig nachgerechnet hatte, daß seine Fünftagespesen für ein anständiges Abendessen zu zweit ausreichen mußten, lud er sie ein; sie schaute kurz auf die Uhr und meinte, es sei leider schon zu spät; es besteht wohl kein Unterschied, bedauerte er, zwischen den Medici und Ihnen! die trugen Gift in ihren Ringen, Sie führen ebenda die mordende Zeit mit sich! Da lachte sie und willigte ein; beim Wein kam heraus, daß sie beide in der Glasbranche arbeiten...

«Fünf nach eins», hörte er sie da sagen und erschrak.

«Könnte man das nicht...»

Er wagte den Vorschlag nicht auszusprechen, sie tat es für ihn.

«Verschieben...?»

«Ach nein, ich steh’ schon auf...»

«Warte!» stoppte sie ihn, «du hast ein Recht, dich ein bißchen auszuruhen, es war brutal von mir, nicht daran zu denken...» sie legte die Hand in seinen Schoß, «und eine ebenso schwere Nacht steht dir noch bevor, mein Armer!»

Sein Körper reagierte sogleich, doch sie sprang schon auf, ging durch die offenstehende Schiebetür in den Wohnraum zum weißen Schreibtisch mit dem Telephon. Er wollte ihr nachrufen, ein Apparat stehe doch hier am Bett, unterließ es jedoch, um auf diese Distanz ihre Figur betrachten zu dürfen; mit ihr könnte sie es mit jedem Spitzenmannequin aufnehmen. Gleich als dieser Liebeswahn begann, damals in Hamburg noch, wollte er ihr auch nur ungern ihr Alter abnehmen. Sie sprach von Mitte Dreißig, während er der festen Haut und dem frischen Teint nach ihr zehn Jahre weniger zugetraut hätte. Warum aber sollte sich eine Frau älter machen? Es war eben ein Teil des Wunders, und auch in seiner Ermüdung konnte er sich nicht sattsehen, ein Wahnsinn, daß sie jetzt mir gehört!

Sie wählte die Nummer auswendig und legte gleich los. Von hier verstand er nicht jedes Wort, doch bei seinem recht guten Englisch begriff er, daß sie von seiner leichten Indisposition sprach. Jemand mußte ihr Fragen gestellt haben, auf die sie nach kurzen Pausen ebenso kurz Antwort gab. Schließlich lachte sie und wünschte dem Partner am Ende der Leitung, er möge nicht Hungers sterben.

«See you soon», sagte sie überraschenderweise, ehe sie auflegte.

«Ich muß hoch, nicht wahr?» so verstand er das, «sie warten...»

«Sie warten einstweilen nur auf mich, du darfst noch in den Federn bleiben», sie kehrte mit ihrem unnachahmlich erotischen Schritt zum Bett zurück.

«Wieso...?»

Sie kniete zu ihm nieder, und ihre Brüste brachten ihn wieder zum Schweigen.

«Dich laden sie zum Dinner ein. Und bitten nur darum, daß sie inzwischen deine Schätze anschauen dürfen. Ihr spart so allerseits Zeit.»

«Ich würde aber gern...»

«Den besten Eindruck machen!» neckte sie ihn, «versuch es lieber, dich fit zu machen für deinen Abend und unsere Nacht. Ich muß nämlich noch in Wien bleiben.»

Das verblüffte ihn.

«Und ich...?»

«Wenn ihr heute das Abkommen getroffen habt, fliegst du mit ihnen morgen nach Hongkong. Ursprünglich wollten sie sogar noch heute starten. Das habe ich verhindert, verstehst du?»

«Gar nicht... was wird mit dir?»

«Der Vizechef muß hier noch eine Woche bleiben.»

«Willst du damit etwa sagen, daß ich dich eine ganze Woche nicht sehen kann?»

«Zwei Wochen.»

Er schob sie erregt zur Seite, um sich aufsetzen zu können.

«Was soll das, bitte...»

«Die erste Woche bin ich von früh bis abends eingespannt, wann soll ich da zum Packen kommen?»

«Im Packen bin ich Weltmeister, deine Wohnung kenne ich wie meine Westentasche. In zwei Stunden habe ich dich fertig gepackt, sogar für einen Mondflug.»

«Und was passiert mit der Wohnung?»

«Was soll mit ihr?» fragte er begriffsstutzig.

«Du hast mir gesagt, du möchtest das erste Jahr in Asien bleiben, bis sich hier die Wogen glätten. Soll ich da die ganze Zeit in Wien Miete zahlen? Ich habe gekündigt, und am nächsten Freitag findet die Übergabe statt, ich muß aus dem Hausherrn die Kaution herausquetschen und die Möbel verkaufen. Oder soll ich sie vielleicht einlagern?»

Sachliche Fragen beantwortete er in jeder Lage sachlich.

«Das sind sie nicht wert.»

«Machst du uns demnächst welche aus deinem neuen Glas?»

Bevor er dazu etwas sagen konnte, eilte sie zu der Stelle, wo er sie ausgezogen hatte, und kam mit ihrer eleganten Tasche zurück. Sie zog ein schmales Heft heraus.

«Postsparbuch», erklärte sie, «von dem du noch heute abheben kannst. Die Banken machen um drei zu, die Postämter um sechs.»

Er schlug es auf. Für den Überbringer ausgestellt, lautete die Einlage auf 100 000 Schilling.

«Als Taschengeld», fügte sie heiter hinzu, «wenn du unterschreibst, kriegst du in Hongkong dieselbe Summe in Dollars. Falls du sie verlangst, natürlich!»

Das überstieg seine Vorstellungen um hundert Prozent.

«Und was, wenn sie erfahren, daß du mich managst. Schmeißen sie dich dann raus?»

«Höchstwahrscheinlich. Da bin ich aber bereits deine Frau, nicht wahr? Oder hast du es schon für eine andere parat?»

«Gerda!»

«Ein dummer Witz, ein böhmischer, wie du es mir beigebracht hast. Aber Vorsicht: Die Schillinge bekommst du nur auf ein Kennwort. Vorsichtshalber habe ich deinen Namen nicht angegeben.»

«Klar... und wie heißt es?»

«Dreimal darfst du raten. Was ist für dich das Wichtigste?»

«Du!»

«Das wäre für einen Dieb allzu einfach. Was nach mir? Glas, versteht sich! Das wäre geradezu kinderleicht. Na?»

«Ich geb’s auf. Liebe...?»

«Na, der Sex doch. Jawohl: Kennwort Sex!»

Da lachte auch er, beruhigt; er wußte, er benahm sich wieder einmal, würde seine Tochter Zdena sagen, wie einer, der von der Pubertät nicht loskommt. Und als sie von neuem auf ihre Mediciuhr blickte, beeilte er sich, um sich nicht endgültig zu blamieren.

«Bon. Die Papiere sind im Aktenkoffer. Der versiegelte Umschlag, sie sollen ihn öffnen!»

Er riskierte nichts. Was sie da finden würden, muß ihnen reichen, nicht nur für heute, sondern für allemal. Zum Glück hat er die kapitalistischen Marktgesetze zu gründlich aus der Nähe kennengelernt, als daß er sich einen primitiven Fehler leisten würde. Was er ihnen da schickte, war immerhin ein Rezept für gutes Gebrauchsglas, bei dessen Produktion man etliches einsparen könnte. Sein Traumprojekt hat er sogar Gerda nur vorsichtig angedeutet, davon durfte noch lange keiner wissen, bevor er sich nicht auch anderswo umsehen würde. Und auch jetzt lieferte er nur das Schloß, den Schlüssel dazu behielt er weiter: die Schmelzeformel. Die hatte er fest im Kopf. Er konnte sich erlauben zu feilschen.

«Unter einer Bedingung!»

«Und zwar...?»

«Daß du ruck zuck wieder hier im Bettchen landest!»

«Das läßt sich hören!»

Ihre Spannung lockerte sich sofort, rasch zog sie sich an, und während ihre sonnenbraune Haut im roten Stoff verschwand, ergriff ihn die Sehnsucht nach ihr noch stärker als am Flughafen. Er erhob sich, trat zu ihr und schob die Hand in ihren Ausschnitt. Sie wehrte sich nicht, sagte nur.

«Wenn du sie dort noch zehn Sekunden läßt, dann gehe ich nicht mehr weg, und wir verbumsen beide den Job!»

Gehorsam zog er die Hand wieder zurück und schaute zu, wie flink und gekonnt, zu sehr gekonnt! durchfuhr es ihn schmerzlich, sie das wirre Rothaar zurechtkämmt, mit dem Lippenstift dem Mund die Kontur zurückgibt und wie sie vergeblich versucht, seinen Aktenkoffer aufzumachen, bis er kam und lächelnd den Code eingab: Ihr Geburtsdatum 031 050. Daß sie Waage ist, vermutete er schon, als er sie zum erstenmal sah, und sofort wurde ihm klar, daß er alle Hebel in Bewegung setzen muß, wenn er Ungreifbares behalten will. Sie nahm den Umschlag, in dem er im Prager Büro zwischen den Verhandlungsunterlagen auch seine privaten Papiere versteckt hatte, und spuckte dreimal darauf, toi toi toi! Das rief eine vage Erinnerung in ihm wach, doch er hatte keine Zeit nachzudenken, an was.

«Ich sperre dich lieber ein!» erklärte sie, «und hänge draußen das rote Zimmerschild hin. Die Suite läuft auf meinen Namen, schlaf dich gut aus für mich, Liebster!»

Bevor sie die Tür hinter sich zumachen konnte, hatte er sie bei der Hand gepackt.

«Wann?»

«Vorsicht! Du bist doch nackt!»

«Wann kommst du wieder?»

«Bis der Hahn dreimal gekräht hat... Quatsch! Um vier.»

«Um drei!»

«Also um halb vier.»

«Viertel nach drei!»

«Um zwanzig nach.»

«Also fünfzehn siebzehn!»

«Bon!» sagte sie, wie er es üblicherweise tat, hauchte ihm einen Kuß hin und schlug die Tür zu. Er hörte die Schlüssel, die Schritte schluckte der Gangläufer.

Müdigkeit befiel ihn, und er war froh, das Treffen verschoben zu haben. Er verspürte das Verlangen nach einem heißen Bad und ging, das Wasser richtig zu mischen. Beim Warten trank er zwei Fläschchen Bier aus der Minibar; er verheimlichte Gerda bis jetzt, daß ihm Champagner wie sprudelnde Molke schmeckte. Er betrachtete dabei fachmännisch den bräunlichen Spiegel, der die ganze Stirnwand des Schlafzimmers einnahm. Darin hatte er vorhin nach Voyeursart zugeschaut, wie sie ihn liebte. Jetzt sah er einen nackten Bock, sein Instrument noch immer aufragend, keinesfalls ein Muster menschlicher Schönheit, statt dessen aber das Bild eines erfolgreichen Mannes. Ich hab’s geschafft!

In einer Anwandlung animalischer Freude trommelte er gegen seine haarige Brust und gab dabei ein dunkles Gebrüll von sich.

Ende der großen Ferien

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