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6. Die Minderjährige

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Magda, ihre Tochter, hockte im gleichen Augenblick auf den kalten Fliesen des Badezimmers, wohin sie in der Dunkelheit gekrochen war, als sie mit Sicherheit annehmen konnte, ihr blöder kleiner Bruder schläft. Die Pubertät, die ihn soeben gepackt hatte, drohte ihn zu einem noch schlimmeren Wachhund werden zu lassen als den Vater. Unterwegs nahm sie ganz leise vom Gang das Telephon mit. Solange die Schnur sich nicht irgendwo verknotete, reichte sie bis an die Badewanne. Er wartete auf den Anruf im Arbeitszimmer seines Vaters, das eine Polstertür hatte, und sie erzählten einander in diesen mitternächtlichen Gesprächen bereits im dritten Monat, was sie, wenn sie sich tagsüber trafen, nicht auszusprechen wagten. Das heutige dauerte am längsten und hatte so viele Schichten gehabt, daß es Magda an das Hörspiel erinnerte, in dem sich zwei kennengelernt, verliebt, verheiratet und getrennt haben, alles per Draht, ohne sich je gesehen zu haben. Obwohl sie sich zum letztenmal nachmittags um fünf im Park an der Donau geküßt hatten, schien es ihnen wie vor Zeiten gewesen zu sein. Aber noch schlimmer: Als Ewigkeit kamen ihnen die nächsten vier Wochen vor, in denen sie sich nicht einmal hören konnten. Vor ihm stand das Ferienpraktikum in Bardějov, während auf sie die Dosenfutterfahrt wartete, wie sie die Familientouristik zu den Kapitalisten nannte; sie dauerte immer so lange, bis auch die letzte Blutwurstkonserve aufgebraucht war. Dank der Patienten ihres Vaters aus der Staatsbank und aus der Paß- und Visaverwaltung konnte sie Jahr für Jahr stattfinden. Heuer stand Sizilien auf dem Programm, worauf sich Magda noch zu Weihnachten riesig freute. Damals konnte sie nicht ahnen, daß sie sich inzwischen in den schönsten Jungen verlieben würde, den es je in Bratislava gab. Gabo war gertenschlank und so blond, wie sie es am liebsten hatte. Ein toller Tänzer und einfach die Nummer eins in allem. Leider auch darin, wie er den Mädchen den Kopf verdrehte. Sein zweites Jahr Medizinstudium ging zu Ende, auf sie wartete das Abitur erst im nächsten Frühjahr. Außerdem war sie noch immer Jungfrau, nicht etwa mangelnder Interessenten wegen, sondern aus irgendeiner Trotzhaltung. Als in der Klasse das Rennen losging, wer schneller und wer mehr, entschied sie sich, absichtlich die letzte zu sein. Dies war es erstaunlicherweise, worauf Gabo flog. Und sie begriff mit Hilfe irgendeines sechsten Sinns, mit angeborener Intelligenz und aus diverser Lektüre, daß sie ihn nur dann total an sich binden und festhalten kann, wenn sie ihm verweigerte, so lange es nur ging, was ihm die anderen im Schnelldienst boten. Ausgedacht, durchgehalten und bislang gewonnen! Nur daß sich eine panische Angst ihrer eben jetzt bemächtigte, sie sollten auseinandergehen, ohne ein klares Wort und ohne ein physisches Band, das sie über Zeit und die Entfernung hinweg zusammenhalten könnte. Und so quälte sie sich, während sie absichtlich über andere Dinge sprach, und war eifersüchtig auf die unbekannten Krankenschwestern im entfernten Bardějov, die ihr den unbefriedigten Liebsten leicht abspenstig machen könnten.

«Magduška!» flüsterte er plötzlich so heftig, daß sie erschrak, sein Vater sei in sein Zimmer gekommen und sie müßten, ohne Abschied, auflegen, jedoch fuhr er nach einer kleinen Pause fort, «weißt du was? Ich sag’ dir jetzt für die Reise, was noch keine, aber echt keine von mir gehört hat, ja?»

«Ja...» sie wurde plötzlich heiser, vor Aufregung ganz trocken in der Kehle.

«Willst du?»

«Ich will...»

Dann hörte sie es aus seinem Mund.

«Ich liebe dich...»

Sie schwieg.

«Es sieht so aus, als ob ich mich in dich total verknallt habe.»

Sie spürte, wie die Tränen über ihre Wangen rannen, und lächelte die Badewanne an, die im Dunklen weiß blitzte.

«Ich bin direkt verrückt nach dir, glaub mir.»

«Ja...»

«Und du...?»

Warte, mahnte sie sich, halte aus, sag nichts, und du gewinnst alles!

«Ich auch...» sagte sie doch.

In der Leitung war kein Ton. Auch zum zweitenmal hielt sie nicht durch.

«Bist du noch da?»

«Ja», meldete er sich, «so geht es uns beiden gleich.»

«Na, fein...» sagte sie, etwas Besseres fiel ihr nicht ein.

«Ja, mehr als fein. Nur weiß ich nicht, wie ich das hier durchstehen werde.»

«Du fährst ja nicht in die Wüste», munterte sie ihn auf, doch fühlte sie dabei einen Stich in der Herzgegend, «du findest da einen ganzen Harem vor. Krankenschwestern... und dann die Zigeunerinnen.»

«Magduška, ich schwöre dir...»

«Schwöre lieber nicht», sagte sie schon wieder klug, «wir sind doch beide freie Menschen», und für sich fügte sie hinzu: bisweilen! Es hat gewirkt.

«Ich möchte dich nur bitten», sagte der eroberte Eroberer demütig, «daß du mir das mit der Freiheit nicht übertreibst. So frei bist du nämlich gar nicht mehr!»

«Aha... das wußte ich nicht.»

Alles sang in ihr. Und er zappelte immer stärker im Netz.

«Dann weißt du’s jetzt.»

«Ja, jetzt weiß ich’s.»

«Und versprichst du’s mir?»

«Was?» mit Absicht verstand sie nicht.

«Daß du wartest!»

«Worauf...?»

«Auf mich! Ich möchte dein... erster sein!»

Die richtigen Worte flogen von ganz allein auf ihre Zunge.

«Warten, das mußt du, ich kann nur zurückkommen.»

«Ich werde von jetzt an nichts tun, nur noch warten! Doch du, komm zurück, so, wie du bist, ja...?»

Ihr neuer Sinn, der immer besser funktionierte, sagte ihr, dies sei der beste Augenblick aufzuhören.

«Ja», lachte sie, «aber ich bin eine Hexe, weißt du? Ich erfahre gleich alles! Wenn du nicht wartest, so wie du eben bist, brauchst du auf mich auch nicht mehr zu warten. Ahoj, Gabriel Babraj!»

Und legte auf. Dann trug sie das Telephon auf Zehenspitzen in den Gang, um die Spuren zu verwischen, und kehrte wie gewöhnlich ins Badezimmer zurück. Sie machte Licht und trank genüßlich direkt aus dem Wasserhahn.

Dabei stellte sie fest, daß sie sich plötzlich furchtbar, aber furchtbar! auf Sizilien freute.

Ende der großen Ferien

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