Читать книгу Ende der großen Ferien - Pavel Kohout - Страница 16
4. Den selben Tag, 08.15
ОглавлениеSchlapp saßen sie über einem reichlichen Frühstück, bei dem ihnen die Lust verging, als sie erfuhren, dies sei der Abschiedsschmaus.
«Genossen», schloß der Reiseleiter, dessen inneren Zustand die rot angelaufenen Augen und der unrasierte Stoppelbart verrieten, seine Rede, «die erste Reisegruppe auf den Spuren der Arbeiterbewegung kann eine solche Niedertracht nicht einfach wegstecken, als wäre alles in Butter! Diese Schande wieder reinzuwaschen, das geht nur mit unserer sofortigen Rückkehr, um die positive Einstellung aller ehrlich arbeitenden Menschen bei uns zu den sozialistischen Errungenschaften dadurch zu demonstrieren, daß wir dem Kapitalismus einmütig den Rücken zeigen! Damit jeder hierzulande erkennt, Genossen, daß wir uns nicht blenden lassen! Wir stimmen darüber ab: Wer, Genossinnen und Genossen, dafür ist, soll die Hand heben...»
Erst jetzt wurde der Verkäuferin klar, auf was der Ochse hinauswill. Sie wäre vorher nie auf die Idee gekommen, daß sich jemand so einen Blödsinn ausdenken könnte.
«Momeeent!» zog sie mit ihrer unverwechselbaren Stimme das Wort in die Länge, «wieso denn das? Ist doch bezahlt!»
Das Plenum, voll ähnlicher Befürchtung zitternd, blieb an ihr hoffnungsvoll mit den Augen haften. Der Reiseleiter blies sofort in sein Versammlungshorn.
«Genossin...»
«Havránková!»
«Ja doch! Es gibt in der Welt auch viel wichtigere Werte als nur den Mammon!»
«Was heißt hier Mammon? Dafür habe ich ehrlich geschuftet!»
Der Zauberer im Koch hat auf ein Wunder oder wenigstens eine Eingebung gewartet. Da war sie, und er fing mit einem Manöver an.
«Ich meine, Genossen, die Genossin hat recht. Die positive Beziehung zu den Errungenschaften des Sozialismus können wir am besten demonstrieren, wenn wir uns weiterhin dicht an die Spuren der hiesigen Arbeiterbewegung halten und keiner mehr abhaut!»
«Genosse Strniště, du meinst es gewiß gut, nur wer wird das so verstehen? Nein! Das Positive an seiner Einstellung kann jeder von uns bloß durch die Rückkehr demonstrieren, und ich gebe Ihnen hiermit mein Parteiwort, daß ich Ihnen allen, wie Sie hier sitzen, bald eine neue Ausreise verschaffe, und dann muß es nicht mehr die Arbeiterbewegung sein, sondern zur Belohnung etwa deine Kaufhäuser, Genossin Šafránková.»
Sie hat ihn nicht mehr korrigiert, sie erstickte vor Wut.
«Also: Wer ist nun mal dafür...?»
Josef Strniště wußte, was auch die anderen wußten: Bei diesen drei Lumpen handelt es sich nur darum, daß ihre eigenen Hintern Weiterreisen können, und der Spitzel von Busfahrer wird ihn direkt an der Grenze zu einem Komplizen des Geflohenen erklären und ihm alles auf ewig versauen. Daß eben dieser Fettarsch beim Frühstück fehlte, sprach dafür, daß er irgendwo Unheil ausbrütete. Waren die Stasimänner zur Grenze unterwegs, um ihn dort dingfest zu machen? Seine Lebenserfahrung sagte ihm, daß der einzige Weg nach vorn im Augenblick rückwärts führt. So wechselte er sofort die Fronten und stimmte als erster dafür.
«Aber doch alle, nicht wahr?»
Daraufhin flogen die Hände hoch, bis auf die der Verkäuferin. Sie sagte in die Stille hinein.
«Du meine Omi, das darf doch nicht wahr sein...!»
Die Antwort auf diese Frechheit hat der Reiseleiter verschluckt, aber sie stand in seinen Augen. Fast alle hatten Kinder zu Hause, meistens ähnlich großmäulig wie diese Unglückskrähe, armes Mädel, sie tat ihnen leid, du kommst nie mehr raus aus dem Käfig. In die Gaststube platzte der Busfahrer.
«Fertig!» schnaufte er zufrieden und ließ sich zum Frühstück nieder.
«Hier war’s einstimmig!» teilte ihm der Reiseleiter stolz mit, «sodann: Genossen, sobald Sie gegessen haben...»
Strniště schmiedete eifrig das Eisen, das er auszuglühen half.
«Aber vorher dürfen wir doch noch schleunigst ein bißchen Obst und ein paar Geschenke einkaufen, nicht wahr? Sollten wir mit dem Taschengeld wieder nach Hause kommen, würde man uns für total belämmert halten!»
Mehr als die noch vor kurzem zelebrierte Loyalität kam ihm jetzt zugute, daß sich das schwer geprüfte Kollektiv zu einem klangvollen Zustimmungsjubel durchrang. Der Reiseleiter begriff, daß er den Bogen nicht überspannen darf. Er zwinkerte dem Fahrer zu, und als er auf keine Ablehnung gestoßen war, ließ er locker.
«Klar. Sie haben eine Stunde Zeit.»
«Doch lieber mindestens zwei!» verlangte unerwartet eine dürre Frau am Nebentisch und erntete wieder allgemeine Unterstützung.
«Also, gut!» gab der Reiseleiter noch einmal nach; es wurde ihm leichter ums Herz, daß er das heikle Problem so gemeistert hat, er erinnerte sich, daß ihm seine eigene Frau eine lange Einkaufsliste mitgegeben hatte, und verwandelte sich in einen gütigen Vater, «dann treffen wir uns Schlag zwölf, dann muß sich niemand hetzen.»
Beifall wurde sein Lohn.
«Tja», fügte er noch hinzu, «unter diesen Umständen gilt natürlich: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ihre Pässe bleiben bis zur Grenze bei mir, und alle Koffer samt Mänteln ließ Genosse Dadák bereits in den Bus laden.»
Der Fahrer schenkte sich dabei mit einer Hand Kaffee ein, während die andere mit seinen Autoschlüsseln rasselte. Gespannt paßte der Zauberer auf, wohin er sie steckte.